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Wilsdruffer Tageblatt 2. Blatt. — Nr. 129 — Donnerstag -en ö.Juni 1930 Werden und vergehen Als Finsternis den Erdenball umwebte. Nicht Pflanz' noch Tier, viel weniger Mensch noch lebte, War schon ein streng' Gesetz, ein weises Walten, Aus Chaos mutzten Formen sich gestalten. Ein ew'ger Spruch band alle Elemente, Dütz alles passend sich zusammcnfände. Tie Sonne drang mit ihrem Lichterglanze Zur neuen Erde und belebt das Ganze. Nun war der erste Anstoß schon gegeben. Aus unorganisch blüht organisch Leben. Tas eine mutz das andere nun gebären, Tas Niedre dem Höh'ren Raum gewähren. Doch alles, was erweckt zu kurzem Leben, Mutz zu dem Urstoff sich zurückbegeben. So immerfort ein ewig Auf und Nieder, Tas Alte kommt in neuer Form dann wieder. Das auch entstand geheimnisvoller Weise bewegt sich st^g in seines Daseins Kreise. Sucht auch der Mensch den Zweck wohl zu ergründen, Er wird doch niemals eine Lösung finden. G. Zieschang. Zayre unabhängiges Norwegen. Wie die Union mit Schweden gelöst wurde. Seit dem August 1814 bestand eine Union zwischen -chweden und Norwegen, das bis dahin zu Dänemark Hörl hatte: es wurde damals nach kriegerischen Ver wickelungen eine Konvention geschlossen auf der Grund- He, daß Norwegen nnr mit den nötigsten Änderungen 'einer Verfassung als selbständiges Reich mit Schweden "ch unter eine m König vereinigen sollte. Diese Union war sozusagen eine Vernunftehe: viel Liebe war nicht ^bei, und die Norweger waren dauernd bemüht, sich aus ^en schwedischen Banden wieder zu lösen und gänzlich ""abhängig zu werden. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts bereiteten die Gegner des Uniongedankens, in deren Kreisen der jüngst verstorbene Polarforscher Nansen eine führende Rolle 'vielte, die Trennung ernstlich vor. Man machte sich durch aus auf einen Krieg mit Schweden gefaßt, befestigte die sienzen, verstärkte die Truppen nnd forderte schließlich Neuordnung der unioncllen Angelegenheiten auf der siundlage völliger Gleichstellung. Schweden aber wollte allen diesen Dinaen nichts willen und wies. Nor- König Haakon mit seiner Familie. wegens Forderungen kühl ab. Da brach, während Schwedens Kronprinz Gustav (der jetzt regierende König) zur Vermählung des damaligen Kronprinzen von Deutsch land in Berlin weilte, a m 7. I u n i 1 9 0 5 in Norwegen die Revolution aus. Es war eine „trockene" Revolution, denn es floß kein Blut, aber das Norwegische Storthing (Parlament) erklärte den König von Schweden als König von Norwegen für abgesetzt, die Union für aufgehoben und bot den „erledigten" Thron einem jungen Prinzen aus dem Haufe Bernadotte an. Als König Oskar von Schweden gegen diese eigenmächtige Aufhebung der Union schärfsten Protest erhob und ein Ultimatum stellte, erlebte man in Norwegen das seltene Schauspiel eines Minister streiks. Der König erklärte sich schließlich zu Verhand lungen bereit und verlangte, daß ein neugewähltes Stor thing den förmlichen Antrag auf Lösung des Bundes stelle und daß dieser Antrag dann noch durch eine Volks abstimmung wiederholt werden müsse. Mit überwälti gender Mehrheit wurde daraufhin vom norwegischen Volke-die Aufhebung des Vertragsverhältnisses verlangt. Immerhin vergingen noch mehrere Monate, ehe alles in Ordnung und das Unionszeichen aus der gemeinsamen Flagge entfernt war. Die norwegische „Revolution" war von Anfang an monarchisch gewesen, und man hatte schon im Frühsommer 1905 mit dem Prinzen Karl von Dänemark Unterhand lungen angeknüpft mit dem Ziele, ihn zum König des unabhängigen Norwegischen Staates zu machen. Obwohl es in Norwegen eine starke republikanische Partei gab, wurde dann auch — wieder durch eine Volksabstimmung — die Monarchie als zukünftige Staatsform beschlossen: am 18. November 1905 wurde Karl zum König gewählt und acht Tage später hielt er unter dem Namen Haa kon VII. seinen Einzug in Oslo, das damals noch Chri- stiania hieß. Seine Gattin, die Königin Maud, ist eine Tochter Eduards VII. von Großbritannien. Roggenbau und Veredelungswirtschast. Die nordwestdeutsche Veredelungswirtschast wehrt sich. In Bremen sand eine von 45 Verbänden und Organisa tionen aus Schleswig-Holstein, Hannover, Oldenburg, West falen, Ostsriesland, Hamburg und Bremen besuchte Versamm lung statt, die einer eingehenden Besprechung der durch die jüngste Entwicklung und Gestaltung unserer Agrar- und Zoll politik geschaffenen Lage der nordwestdeutschen Ver- edelungswirtschafl und der mit dieser verwandten Berusszweige galt. Unter allgemeiner Zustimmung der an wesenden Verbände schilderten Vertreter der bäuerlichen Landwirtschaft die sich aus der gegenwärtig einseitig nach dem Osten orientierten Politik für die gesamte nordwestdeutsche Wirtschaft ergebenden Gefahren. Die bisherigen Regierungs matznahmen zur Stützung des ostdeutschen Roggen- bau es hätten sich gegen die nordwestdeutsche Ver- edelungswirtschasi ausgewirkt, ohne dem ostdeutschen Getreidebau die notwendige Hilfe zu bringen. Eine Regierung, die sich trotz der ihr von dem Parlament gegebenen weitreichen den Vollmachten als unfähig erwiesen habe, dem Roggenbau zu erträglichen Bedingungen zu verhelfen, sei erst recht nicht in der Lage, die Rentabilität der nordwestdeutschen Milch- und Käsewirtschaft, der Schweine- und der Geflügelzucht sowie des Obst- und Gemüsebaues hinreichend zu gewährleisten. Durch diese verfehlte Politik sei aus der Krise des Roggenbaues eine volkswirtschaftlich weit gefahrvollere Krise der gesamten Ver edelungswirtschaft geworden. Deshalb haben sich die Vertreter der an dieser Sitzung beteiligten Verbände zu einer Arbeitsgemeinschaft verbunden, um gemeinsam den Kamps aus- zunehmen gegen eine Vernichtung der nordwestdeutschcn Ver edelungswirtschaft. Reichswehrminister und Sozialdemokratie Der Minister will dem Abgeordneten nicht antworten. Dem sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Künstler ging folgendes Schreiben des Reichswehr ministeriums zu: „Anliegend wird Ihnen ein Schreiben zurückgesandt, welches Sie dem Generalmajor von Schleicher zur Nach prüfung ausgehändigt hatten. Auf Anordnung des Herrn Reichswehrministers wird Ihnen auf irgendwelche mündlichen oder schriftlichen An fragen keine Antwort erteilt werden. Selbstverständlich wird trotzdem die sachliche Bearbei tung der Angelegenheit sofort in Angriff genommen." Dieser Bries wird von dem Vorwärts wie folgt kommentiert: „Die Erregung des Ministers ist darauf zurück- zuführen, daß Künstler jüngst in einer Reichstagsrede an den Beziehungen der Reichswehr zur sowjetrusstschen Armee Kritik geübt hat. Die Einteilung der Abgeordneten in solche, denen man antwortet und andere, denen man nicht antwortet, ist eine Überheblichkeit, die gegen! den Geist der Verfassung verstößt nnd gegen die sich zu wehren der Reichstag alle Veranlassung hat." der Dampfer „Falle" vor dem Hamburger Seeamt. Verhandlung infolge einer Entscheidung des Reichsverkehrsmintsters. Im Schwurgerichtssaal des Strafjustizgebäudes in Ham burg hat das Seeamt Hamburg mit dem Vizeadmiral a. D. von Ußlar als R e i ch s k o in m i s s a i mit der Unter suchung der bekannten Angelegenheit des Dampfers „Falke" begonnen. Zur Vernehmung waren 13 Zeugen anwesend, unter denen sich u. a. der Reeder Prenzlau, Kapitän Zipplitt, der Zweite Offizier Schneider und der Dritte Offizier Esser befanden. Rach Verlesung des freisprechenden schwurgcrichtlichen Urteils beantragte der Rechtsbeistand des abwesenden Ersten Offiziers Kölling Einstellung des seeamtlichcnHauplversahrcns, weil jede Handhabe für die Behandlung eines Seeunfalls fehle. Nach diesen Ausführungen nahm der Reichskommissar das Wort. Er bat, in dem Sinne zu beschließe«, daß die Ent scheidung des Reichsverkehrsmtnisters, über den „Falke"-Fall vor deni Hamburger Seeami zu verhandeln, zu Recht bestehe. * Untersuchung über den Brand der „München". Das Seeami Bremerhaven verhandelte über das Feuer an Bord des Lloyddampfers „München" im Hasen von New- york am 11. Februar 1930. Das Seeamt kam zu einem Spruch, der mit den Ausführungen des Neichskommifsars in Überein stimmung steht und in dem es u. a heißt: Die Entstehung des Feuers hat nicht mit Sicherheit aufgeklärt werden können. Da jedoch das durch Verstreuen beim Entlöschen entstandene Gemenge aus Torfstreu und Kalisalpeter «daraus bestand zum Teil die Ladung) die Eigenschaft von Schießpulver hat, kann solche Entzündung schon durch eine glimmende Zigarette erfolgen. Die Schiffsleitung oder ein Mitglied der Besatzung trifft kein Verschulden. Das besonnene Verhalten der gesamten Besatzung und besonders das pflichttreue Ausharrcn des ver unglückten Elektrikers Franck verdient volle Anerkennung. Vesuvausbruch als Jubiläumsfeier. Ein lyrischer Bericht des Professors Maladro. Der Direktor des Vcsuvobscrvaioriums, Professor Maladro, teilt mit: Der Jahrestag des verhängnisvollen Ausbruches vom 2. bis 9. Juni i929 wird in diesen Tagen vom Vesuv durch starke, rollende Erplosionen und durch Emporsendeu von Fontänen glühender Schlacken be gangen. Diese Fontänen, die nachts in der ganzen Cam pagna sichtbar sind, kündigen den üblichen Frühjahrsfieber schauer des Vulkans an, der diesmal hoffentlich weniger heftig sein wird als im vorigen Jahre. Der Ausbruchs kegel wächst infolge der Anhäufung von glühender Schlacke schnell in die Höhe. Während der letzten Nächte wurde die Terrasse des Observatoriums von einem Regen schwarzen Sandes heimgesucht. Was man noch wissen muß. Ein neuer transozeanischer Flug. Der Flieger Hauptmann Kingsford Smith ist mit zwei Begleitern zusammen an Bord seines Flugzeuges „Southern Croß" nach dem Flughafen Baldonnel in Laland abgeslogen. Von dort aus wird er, sobald die Wcncrverstältnissc cs er lauben, den Flug über den Ozean versuchen 132 Gandhi-Freiwillige zu Zuchthaus verurteilt. Von den 800 Gandhi-Freiwilligen, die bei dem Sturm auf Vie Salzniederlage von Wadala festgenommcn wurdei«und sich noch in Haft befinden, sind 132 zu drei Monaten ZMhthaus verurteilt worden. Die Überschwemmungen im Tal von Chevreuse. Die Überschwemmungen im Tal Chevreuse haben sich als» sehr folgenschwer herausgestellt. Von verschiedenen Häusern ist nichts als eine steinerne Ruine übriggeblieben. Straßen und Felder sind mit den Überresten der zerstörten Ge bäude besät und der Schlamm, den die Wassermassen von den Bergen mit herunterbrachten, liegt zum Teil 50 Zentimeter dick aus den Landstraßen. WW!UiI!iNWN!!ilW!W!i!liW!U!lMN!N1!il!NW!NWlNlWl!!N^ MMW » L «M Will Ä AM Skt M »W. Roman von I. Schneider - Foerstl. Fortsetzung Nachdruck verboten . „Bitte," wiederholte er und hörte Christophs Stimme, die "Vidar ablchnte, „man hätte ebenfalls nicht mehr weit und würde das Gehen vorziehen." , „Onkel!" Fritzi Schäffer hielt ihre Hand uni den Arm Malers gespannt und gab ihn erst frei, als die Reifen ^vn einige Umdrehungen gemacht hatten: „War er das?" „Ja, Kind, das war er." . „Ich habe nur seine Stimme gehört! — Hast du sein Ge- "°>t gesehen?" „ „Auch das! — Fritzi, wenn es dir jetzt darauf ankäme, gedemütigt zu wissen, du wärest mehr als gerächt." . Ein leises, haltloses Weinen klang zu ihm auf. Er legte " Arm um ihre Hüften und drückte den jungen Körper fest sich. „Ganz Hamburg spricht davon, daß er mit seinem Alleren Bruder in einen Prozeß um dessen Erbe verwickelt 2- Daß wir sic heute trotzdem beisammen gesehen haben, ist r? Beweis, wie weit die Katastrophe des Hauses Lindholm gediehen ist. Blut ist immer dicker als Wasser. Not läßt kz??kstnEich wieder zusammenfließen. In der Bibel würde Hachen: „Air dem allem möget ihr erkennen, daß das Ende ,„/schweig, Onkel, ich bitte dich!" wimmerte das Mädchen vielleicht besser gewesen, nicht herüberzu- d, heißem verzweifeltem Flehen lagen ihre Lippen auf des Malers. Firma Lindholm trieb wie ein Schiff, das ein schwe- erhalten hatte, dem Untergang zu. So oft eine neue !t^? geschossen kam, drohte es vorne übcrzukippen. Chri- der Chef des Hauses, stand wie ein Kapitän, der alles oen und Warten auf Rettung über Bord geworfen hatte, am Schreibtisch seines Kontors und zog die Bilanz seines Hauses und seines Lebens: „Aus! — Verspielt! — Zu Ende das Lied! — Schluß!" Bastian hatte den Prozeß um sein Erbe niedergeschlagen. Blut hielt zu Blut! Das kittet in der Stunde der Not die klaffendsten Risse, schlägt Brücken über Abgründe, über die es vorher kein Zusammenkommen gab. Es entlastete wenigstens etwas, den eigenen Bruder nicht mehr zum offenen Gegner zu haben. Aber der Streit mit der Schwiegermutter blieb. Sie kämpfte ihn mit einer Ver bissenheit, die an Fanatismus grenzte. Er war felsenfest da von überzeugt, daß sie ihn kaltblütigen Gefühles ins Zucht haus bringen würde, auch wenn er hundertmal der Mann ihrer einzigen Tochter und der Vater des Kindes war, dem diese in der nächsten Zeit entgegensah. Manchmal hatte er das Empfinden, als ob er gar nicht verheiratet wäre, als sei die Frau, die da unten in Rom im Hause des Professors Testa lebte, gar nicht die seine, son dern die eines anderen, mit dem er absolut nichts zu schaffen hatte. In den vier Wochen, die sie jetzt fort war, hatte sie ihm diesen einzigen Brief geschrieben, der jetzt vor ihm auf der grünen Platte des Schreibtisches lag: Wie steht es? — Ich denke, Du wirst wissen, was Du mir schuldig bist. Die Sache mit Mutters Geld aus dem Verkauf ihres Hauses wünsche ich in Ordnung gebracht zu sehen. Es ist peinlich, hier täglich hören zu müssen, daß Du darauf ausgegangen bist, sie zu betrügen. Deine Mutter könnte doch etwas dazu tun, daß Du die Summe auf bringst. Ich bleibe selbstverständlich hier, solange der Ge richtsvollzieher bei Dir aus und ein geht. Derlei Besuche sind nicht nach meinem Geschmack. Lasse mir tausend Mark hierher überweisen, denn ich will nicht immer zu meiner Mutter bitten kommen, wenn ich irgendwelche Wünsche habe. Hoffentlich ist das Kind ein Mädchen und bleibt das einzige, dem ich das Leben schenken muß. Die ganze Sache ist mir überhaupt gräßlicher als jede lebenbedrohende Ope ration. Jedenfalls bin ich nicht gewillt, sie ein zweites Mal durchzukosten. Ich setze voraus, daß Du ebenso denkst wie ich. — Vergiß nicht, den Betrag an mich abzuschicken. Irene. Chiristoph ließ das Blatt sinken und den Kopf tief auf die Brust herabfallen. Er sah ein süßes Gesichtchen gegen seine Schulter gelehnt, dem blondes flimmerndes Haar einen schimmernden Rahmen gab: „Fritzi !" Seine Hände strichen über die Seide des Revers, als läge dort eine weiche, kühle Wange, die er liebkosen durfte. — — Haltlos griffen seine Finger ins Leere. „Auch das vorbei! Auch das! Und alles selbst ver schuldet! Alles!" — Mit tauben Händen nahm er den Hörer von seinem Schreibtischtelephon, das eben angeschlagen hatte: „Mutter, du? Wie? — — Hai das nicht Zeit bis abends? Nein? — Dann komme ich, ja — du schickst mir den Wagen? -— Ich danke dir." Er ließ den Hörer fallen und neigte sich, den abgemager ten Körper auf die Fingerspitzen gestützt, über den Schreib tisch. — Drei Söhne hatte die Mutter gehabt! — Drei Söhne! — Der jüngste tot! — Der älteste ein Bankrotteur! Nur Bastian — Bastian hatte sein Glück gefunden in dem Weib, das er sich trotz ihres Widerspruches für das Leben er wählt hatte. Ehlers steckte den Kopf durch die Tür. „Herr Lindholm, das Auto ihrer Frau Mutter wartet draußen." Christoph schlüpfte in den Mantel, der über dem Stuhl hing und ging nach der Tür, die er hinter sich offen ließ. Der Prokurist schloß sie geräuschlos zu. „Kein Wunder, wenn einer das ve^aß, wenn er tausend anderes im Kopf hatte." Er sah dem Wagen nach, der bereits die Straße hinauffegte und dann verschwand. Zwölf Minuten später hielt er vor dem Landhaus der Senatorin in Blankenese. Der Iulihitze wegen waren die gelben Jalousien auf der Süd- und Westseite herabgelassen, nur die Flügel nach der Elbe hin standen weit offen und ließen den kühlen Hauch des Wassers durch die Räume gehen. (Fortsetzung folgt.)