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Wilsdruffer Tageblatt 2. Blatt.—Nr. 106 - Mittwoch -e» 30. April 1980 Tagesspruch. Was würdig ist, laß nicht veralten. Das Niedere suchte auszuschalten, Zum Vorbild dient Erhabnes nur, Es ist des Aufstiegs Wegespur. G. Zieschang Vierzig Lahre Maifeier. Wie der „Wellseiertag der Arbeiter" entstand Der „Weltfeiertag der Arbeiter" Hal nun auch sein Jubi- iaunu seit vierzig Jahren feieru ihn am 1. Mai die Arbeiter- stMe, die ihn einst eingesührl haben, aber man dars wohl sagen, daß er in den vierzig Jahren seines Bestehens manches von seiner ursprünglichen Bedeutung, vor allem aber manches von seiner ursprünglichen Schärfe und Kampfstimmung ein- gebüßi Hai Als im vorigen Jahre am 1 Alai Rudolf Wisset!, damals noch RcichsarbeUsminister, sich im Rundsunk an viele lausend Hörer und Hörerinnen wandte, nm ihnen den tieferen Sinn der Maifeier dar- und klarzulegen faßte er die Feier sozusagen als ein Frühlingssvmbol, als ein Sinnbild der Auf erstehung, der Erhebung aus Fesseln und Banden auf, wobei er nachznweisen suchte, daß man den Mai in solchem Sinne schon in uralten Zeilen und bei den verschiedensten Völkern aeseieri habe Diese poelische Erinnerung an altherkömmliche und volkstümliche Meifeste scheint uns aber den Kern der Sache nicht ganz gelrossen zu haben, denn die Maiseier der Arbeiter, die am ! Mai 1890 zum erstenmal statlsand. war denn doch aus einer ganz anderen Stimmung und Gesinnung heraus entstan den, war eine Trntzfeier, war eine Kampfansage der Arbeiter Europas und der anderen Erdteile an die Arbeitgeber, die man damals noch „Bourgeois" zu nennen pslegu Man hatte die Maifeier im Juli 1889, in einer Zeil er- bitterler Arbeitskämpfe, aus dem Internationalen Arbeiter- kongreß in Paris beschlossen, und zwar nicht ganz so, wie ihre Väter, die Franzosen und Belgier, sie geplant hatten. Fran zosen und Belgier hatten nämlich beantragt, daß an ein und demselben Tage in der ganzen Welt als Zeichen des Protestes gegen die Bedrückung der Arbeiter eine allgemeine Nieder- lcgung der Arbeit organisiert werde — „alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will", Ivie es in cinein Kampfliede der Arbeiter heißt. Aus dem französisch-belgischen Antrag ging dann der Beschluß einer allgemeinen Kundgebung für den Normalarbeitstag, den „Achtstundentag", um den damals noch hart gekämpft wurde, hervor: den Parlamenten der einzelnen Länder sollte die in Massenversammlungen am 1. Mai be schlossene Entschließung für den Achtstundentag überreicht wer den. Die „Bourgeois" sahen dem 1 Mai 1890, an dem zum erstenmal gefeiert werden sollte, mit einiger Besorgnis ent gegen, und ganz ängstliche Gemüter meinten, daß aus dem „Weltfeiertag" leicht eine Weltrevolution werden könnte. Nun kam es aber so daß schon die Vorbereitungen für die erste Maifeier unter den Arbeiterparteien selbst Spaltungen Hervorriesen, so daß oie Feier kein einheitliches Gepräge trug. Unter dem Eindruck der Agitation für die Maifeier hatten sich dann auch die Arbeitgeber in verschiedenen Ländern namentlich in Deutschland, fester zusammengeschlossen, und das alles hatte zur Folge, daß der 1 Mai 1890 ruhiger verlies, als man sich das vorgesteüt halte. Hier und da nur war von Arbeitern am 1. Mai die Arbeit niedcrgelegt oder eingestellt worden, und die Ausstände der Arbeiter, die wegen Kontraktbruches entlassen worden waren, verliefen für die Streikenden fast durchweg un günstig. Im Jahre 1891 wurde die Maifeier in vielen Ländern nicht mehr am 1. Mai, sondern an dem Sonntag, der auf ihn folgte, begangen. Es war übrigens die blutigste Maifeier, deren Wan sich erinnern kann, denn es kam zu schweren Vergarbeiter- kämpfen in Frankreich und in Belgien und zu anarchistischen Demonstrationen in Nom Seither sind die Maifeiern fast immer und fast überall ruhig verlausen. In Deutschland war Von dem Sozialdemokratischen Parteitag die Losung aus gegeben worden, daß man am 1. Mai die Arbeit nur dort, wo es ohne Kampf und ohne Kontraktbruch anginge, ruhen lassen solle, und so ist es bis zum heutigen Tage geblieben. Von Furcht und Besorgnis ist keine Rede mehr, und die Maifeiern Werden jetzt am 2. Mai in der Presse meist nur ganz summarisch registriert, ohue daß von bedenklichen Zusammenstößen die Rede zu sein braucht. Me Bewegung bei den Demokraten. Die Stellung zum Kabinett Brüning. Der demokratische Parteivorstand ist auf nächsten Montag Nach Berlin einbcrufcn worden. Voraussichtlich wird an diesem Tage beschlossen werden, daß der Parteiausschuß am 24. Mai in Berlin zusammentritt, um sich mit den inneren Auseinander setzungen der letzten Zeit zu befassen, die zu der Forderung der Einberufung eines Außerordentlichen Parteitages geführt haben. Der Vorstand der Demokratischen Partei Berlin- Mitte veröffentlicht einen Beschluß, in dem es heißt: „Der Vorstand hat mit Bedauern und Befremden von den Vor kommnissen Kenntnis genommen, welche sich bei der Bildung des Kabinetts Brüning abgespielt haben. Er erblickt in der Unterstützung dieser Regierung durch die Demokratische Partei einen Mangel an zielbewußter Führung und einen Bruch mit Grundsätzen und Forderungen der Partei sowie eine Gefahr für ihren Fortbestand." Der erweiterte Parteiausschuß der Demo-ratifchen Partei Süd-Westfalen tagte in Hagen, um zur Bildung des Kabi netts Brüning Stellung zu nehmen. Nach Berichterstattung durch den Reichstagsabgeordneten Ziegler wurde in der Aus sprache namentlich gegen das Agrarprogramm und gegen die Haltung des Kabinetts in Fragen des Wehretals und des Panz?rkreuzerbaues polemisiert In einer Entschließung wird erklärt, daß die Demokratische Partei keine Möglichketi mehr sähe, an der Verantwortung für die Politik des Reiches, wie sie sich während der Osterferien gestaltet habe, teilzunehmen. Note Rußlands an Polen. Wegen des Warschauer Attentalsversuchs. Der sowjetrussische Gesandte in Warschau hat dem Außenminister Zaleski eine Note in der Angelegenheit des vereitelten Bombenanschlags auf die sowjetrussische Gesandtschaft überreicht. In der Note der sowjetrussischen Regierung wird zunächst die Kette der bisherigen An schläge gegen Sowjettussen in Polen aufgeführt und zum Schluß erklärt, es liege im Interesse der guten polnisch sowjetrussischen Beziehungen, daß den Mitgliedern der sowjetrussischen Gesandtschaft die größte Sicherheit ge währt werde und daß die polnische Regierung die Ver antwortung zur Ergreifung wirksamer Maßregeln zur Be seitigung der jetzigen gefährlichen Lage trage. Die bisherigen Ermittlungen und Nachforschungen der Warschauer Polizei sind ohne Ergebnis verlaufen. Die Warschauer Polizei hat bei den Nachforschungen unter Mitgliedern der ukrainischen Emigranten und bei den ukrainischen Hochschülern in Warschau Haussuchungen vor genommen, wobei zahlreiches Material beschlagnahmt wurde. Schwere Mikal in einem JuweliergeWst Der Täter bei der Verhaftung erschossen. Auf den Nachfolger des Juweliers Neuner, der vor kurzem in feinem Geschäft in der Großen Theaterstraße in Hamburg überfallen und erschossen wurde — der Täter beging auf der Flucht Selbstmord — wurde ebenfalls ein überfall in seinem Geschäft verübt. Aus dem Tellerschen Geschäft hörten Passanten den Knall von drei Revolverschüssen. Ein Unbekannter, der Teller ins Geschäft begleitet hatte, stürzte auf die Straße. Er flüchtete in ein Haus, wo er von Polizeibeamten gestellt wurde. Die Beamten gaben, da er der Aufforderung, die Hände zu erheben, nicht Folge leistete, Schüsse ab, unter denen er schwer verletzt zusammenbrach. Teller wurde mit schweren Schußverletzungen in seinem Laden aufgefunden. Er und der Täter wurden dem Krankenhause zugeführt. Der Täter ebenso wie sein Opfer sind kurz nach ihrer Einlieferung ins Krankenhaus ihren Verletzungen erlegen. Muer Ausbruchsversuch der Sträflinge in Columbus. Mit Tränengasbomben gegen die Ausbrecher. Die Lage im Strasgefängnis van Columbus (Ohio) hat sich erneut zugespitzt. Die Rädelsführer der aufsässigen Gefangenen, die seit der großen Brandkatastrophe jegliche Arbeit verweigern, unternahmen einen Ausbruchsversuch, nachdem sie das Dachgebäude vollständig aufgerissen hatten. Schnell herbeigerufene Truppen schleuderten gegen die Ausbrecher Tränengasbomben und drohten, von der Schußwaffe Gebrauch zu machen. Die Meuterer sahen ein, daß gegen ein so starkes Militäraufgebot nichts auszu richten war, und kehrten in ihre Zellen zurück. Der Aus bruchsversuch zeigt die große Erregung, die unter den Sträflingen im Zuchthaus Columbus herrscht, und man befürchtet immer noch einen allgemeinen Aufstand der Ge fangenen, der ein großes Blutbald zur Folge haben würde. Die größte Schleuse der Welt. Die Königin der Niederlande eröffnet sie. In N m u i d e u, dem Vorhafen von Amsterdam, ging in Gegenwari der Königin der Niederlande die feierliche Eröffnung der neuen großen Rordseeschleuse vor sich. Diese Schleuse stellt die zurzeit größte der Welt dar. Wäh rend die seit dem Jahre 1909 bestehende Schleuse Dimen- siouen von 225 mal 25 mal 10 Meter aufweist, betragen die Abmessungen der neuen Schleuse in der Länge 400 Meter, in kur Breite 50 Meter und iw Tiefgang l5 Meter. Durch die neue Schleuse werden die größten Schiffe der Welt Amsterdam erreichen können. Wei! m ver Nähe der Schleuse kein Trockendock von ausreichender Tiefe vor handen ist, wurden dr drei Torkammern der Schleuse als Trockendocks eingerichtet. Die Gesamtkosten belaufen sich auf rund 19,5 Millionen Gulden. Vertei-igerplii-oyer im „Kalkei-Prozeß. Der Hauptmann von Köpenick wird zitiert. Im „Falke"-Prozeß hielt Rechtsanwalt Dr. Alsberg- Berlin seine Verteidigungsrede. Nach seiner Auffassung sind die Tatbestandsmerkmale des 8 234 (Menschenraub) nicht ge geben. Es müßte also unter allen Umständen Freispruch er folgen. Dr. Alsberg bemängelte dann die Ausführungen der Staatsanwälte in den einzelnen Punkten. Die Staatsanwalt schaft habe Silbenstecherei geübt, und die Zeugen, die man ge hört habe, seien verärgerte Matrosen, die die von ihnen be anspruchte doppelte Heuer nicht erhalten konnten. Was juristisch für den Begriff Menschenraub in Frage komme, sei in der Verhandlung nicht aufgeklärt worden. Als Beispiel zog Dr. Alsberg den Hauptmann vvn Köpenick heran, der sich ja auch mit List einiger Soldaten bemächtigt habe, um mit ihnen den Anfang einer „kriegerischen Handlung", nämlich die Verhaftung eines Bürgermeisters durch Militär, durchzuführen und sich in den Besitz einer Siadtkasse zu setzen. Es hätte damals und noch nie seitdem jemand daran gedacht, die Tai des „Hauptmanns" als Menschenraub zu bezeichnen. Schwere Autounsätte. Vier Personen getötet. Bei Cloyes in Mittelfrank-eich ist ein mit sechs Amerikanern besetztes Auto in voller Geschwindigkeit gegen einen Baum gefahren. Zwei Insassen wurden so fort getötet, die übrigen verletzt. Wie die italienischen Blätter melden, ist bei einem Bahnübergang auf der Strecke Neapel—Cantello ein mit zehn Personen besetztes Automobil vom Eisenbahnzuge überfahren worden. Zwei Personen wurden getötet, zwei lebensgefährlich und sechs leichter verletzt. Was man noch wissen muß. überall Betriebseinschränkungeu. Durch die schlechte Wirtschaftslage sieht sich auch der Bochumer Verein (Vereinigte Stahlwerke) gezwungen, Be- triebseinschränkungen vorzunehmen Aus diesem Grunde ist beim Demobilmachungskommissar Antrag aus Entlassung von 600 Arbeitern gestellt worden. Außerdem soll beim Röhren walzwerk nur vier Tage in der Woche gearbeiiet werden. Schweizcrfahrt des „Graf Zeppelin" verschoben. Nach eingehendem Studium der Wetterkarten hat sich die Werftleitung des Lustschiffbaues entschlossen, die für Mittwoch geplante Schweizersahrl des „Gras Zeppelin" nicht auszu- führen. Die Fahrt wird voraussichtlich am Donnerstag unter nommen. 110 Jahre Zuchthaus beantragt. Das Beuthener Große Schösfengericht verurteilte einen Arbeiter zu 15 Jahren Zuchthaus, einen anderen zu 12 Jahren Zuchthaus und einen dritten ebenfalls zu 12 Jahren Zucht haus. Die Angeklagten hatten sich zu einer Bande zusammen geschlossen und auf mehrere Beuthener Bankgeschäfte unter An wendung von Waffengewalt überfülle verübt. Der Staats anwalt hatte insgesamt 110 Jahre Zuchthaus beantragt, die zu 55 Jahren Zuchthaus zusammenzuziehen wären. Tagungen in Sachsen Tagung der Demokratischen Partei. Der Laudesvorstand der Demokratischen Partei Sachsens tritt nächsten Sonnabend zur Beratung über die durch das Scheiter» der Koalitionsverhandlungen entstandene Lage zu sammen. KOI^k4VOI4I1^k48KII1'1-LVLLIOLki LopvttkM bv t-lsrtio UsucdtwsnAer, U»IIe (33 Angesichts ihrer Freude vergaß er fast die Sorgen, die auf ihm lasteten, und nicht ein einziges Mal bereute er, daß er sich nun doch einer Lüge schuldig gemachi hatte. Wenn etwas ihn bedrückte, so der Umstand, daß er nicht eher die Wahrheit bekennen durfte, als bis die alte Dame die Augen zum letzten Schlummer schloß — und das konnte noch lange dauern, sollte es auch; denn sie ver diente eine Entschädigung für die vielen in einsamer Sehn sucht verbrachten Jahre. Nur das eine durfte nicht sein: daß er sich zu ihrem Erben machen ließ! Freilich wußte er noch nicht, wie das zu ermöglichen sein würde. Er vertraute dem Zufall, der schon zur rechten Zeit Helsen würde. Aber er ahnte nicht, was die Zukunft in ihrem Schoße barg- » § * Der Patz war eingetroffen, der Führerschein ausgestellt worden; die Fahrt ins Gebirge konnte angetreten werden, und der junge Mann hatte wieder etwas erfahren, was ihm bis dahin unbekannt gewesen war. Daß er nicht Jochen hieß, sondern Joachim! Im Grunde genommen kam es ja auf dasselbe heraus; denn Jochen war ja nur eine Abkürzung des anderen Ramens. Immerhin war wichtig, daß der Sohn der Rätin auf diesen Namen getaust und nur der Bequemlichkeit halber der kürzere gebraucht worden war, mit dem die alte Dame ihn auch jetzt noch nannte - wie sie ihn ge nannt hatte, wenn sie an ihn dachte, wenn sie seine Heim kehr mit allen Kräften ihrer Seele herbeisehnte. Wundervoll war oie Fahrt auf der freilich recht schmalen Straße, die im Flui-tal den Grenzbergen zu- k strebte, und als das Schloß oer Erbensteins zur Rechten von seiner stolzen Höhe zu ihnen herabschaute, da wurde beiden warm ums Herz — aus ganz verschiedenen Ursachen j freilich. Aber schnell glitt der Wagen weiter bis zur Kammhöhe, und dort oben harrte der Rätin die erste Enttäuschung, weil an Stelle des traulichen, Men Gasthauses, in dem sie als junge Frau gewohnt hatte, ein moderner Hotelbau emporragte, vor dem sie fast erschrak. „Hier bleiben wir nicht, Jochen", sagte sie. «Fahre weiter! Wenn ich mich recht erinnere, mutz im Tal drüben ein anderes Gasthaus liegen." Er wutzte, was sie meinte; er war schon dort gewesen, ohne freilich einzukehren. Niemand würde ihn dort kennen, meinte er. Dessen war er froh; denn ihm war in manchen schlaflosen Nachtstunden ein Plan gekommen, der ihn ganz wunderbar dünkte, ein Plan, durch den er alle drohenden Schwierigkeiten leicht beheben zu können hoffte. Er wollte, ehe er seine Mutter zu den Krehers und zum Baron brachte, allein hingehen. Bei den Krehers würde er es nicht schwer haben; aber auch das Wiedersehen mit dem Freiherrn fürchtete er nicht mehr. Er wutzte, datz dieser ihn sofort verstehen würde, wenn er die Wahrheit sagte, und ihm glauben würde, daß er nicht nach dem reichen Erbe strebte. Ja, nun freute er sich fast des Wiedersehens, und konnte es kaum noch erwarten. Die Straße beschrieb, aus herrlichen Buchenwald kom mend, eine scharfe Krümmung; sie führte an einem schmucken Forsthause vorüber, das seitwärts auf einem Hügel stand. Und vor der Tür saß — Förster Lindner, die Pfeife rauchend. Zwar glitt der Wagen schnell vorüber; doch Jochen hatte wohl bemerkt, daß sein Widersacher ihn erkannt hatte. Und was war weiter dabei? Was kümmerte ihn dieser Mensch noch? Wenn nur nicht durch ihn auch die Erinnerung an die rote Liese wieder wach geworden wäre! Was die sagen würde, wenn sie alles erfuhr? Ach, Jochen sollte die Antwort auf diese peinvolle Frage eher erhalten, als er dachte. Ucber die schmale Brücke fuhr er den kleinen Hang empor und brachte den Wagen zum Halten. „Hier ist noch alles so, wie es damals war!" hörte er die Rätin jubeln. Dann rief sie laut: „Herr Müffelmanu, Sie leben noch? Wie mich das freut!" Jochen sah auch den langen, hageren Mann mit dem schwarzen Vollbart und dachte, ohne daß es ihm zum Be wußtsein kam, daß es merkwürdig sei, daß dieser Mann noch so schwarzes Haar hatte, obwohl er doch schon alt sein mußte, wenn er wirklich der war, den die Rätin von früher her kannte. Er selber konnte die Blicke nicht von einer Art Garten laube abwenden, in der viele Damen saßen, deren farbige Kleider durch das grüne Nankenwerk leuchteten. Heller aber noch leuchtete das goldrote Haar der einen. „Es kann doch nicht sein!" dachte Jochen eben; da drehte sich diese Rothaarige um, wie einem Zwang gehorchend. So sahen Jochen Bendemann und Liese Riedel sich ein ander wieder, und beiden drohte der Herzschlag zu stocken. Ganz deutlich sah Jochen, wie die Frau drüben jäh er bleichte und sich nach dem Herzen griff — wie sie dann ebenso jäh errötete und den Mund schon öffnete und feinen Namen rufen wollte. Da hob er die rechte Hand, anscheinend ohne jede Ab sicht, fuhr sich aber doch über das Gesicht und legte einen Moment den Zeigefinger mahnend an die Lippen. Im Verein mit dem Blick, den er ihr zuwarf, genügte das, sie verstummen zu lassen. Sie gewann es sogar über sich, sich wieder zu setzen und ihm den Rücken zuzukehren; aber Jochen wußte, daß sie ihn zu sprechen suchen würde, und datz er dieser Unterredung nicht würde ausweichcn können. Er mutzte sich seiner Mutter zuwcuden, die ihn dem Wirte vorstellen wollte und ihm erzählte, datz es wirklich noch der alte Müffelmann sei. (Fortsetzung folg:.)