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Ml. Fs-///? §s^ 2. Fortsetzung. Der Fall war wohl nicht weiter verwickelt. Cornish, ein wohlhabender Mann, Filmfabrikant, hatte den Besuch einer Dame erwartet und empfangen. Entschieden eine Dame der Gesellschaft. Allerle Anzei chen wiesen darauf hin. Das elegante Privatautomobil, in dem sie sich befunden hatte und dann auch die Rücksicht, die Cornish bezüglich ihres nächtlichen Besuches an den Tag gelegt hatte, indem er sein Personal fortschickte, um die schöne Besucherin nicht zu kompromittieren. Die Dienerschaft war also fort, die Dame kam, ihr Automobil hielt vor der Tür. Die Dame betrat die Villa — und dann — hm Murchison sann vor sich hin ja, dann war es wohl zu der Auseinandersetzung gekommen, die die weibliche Person am Telephon in den Worten: er fiel über mich her..." zusammenfaßte. Ge setzt den Fall, dies traf zu, so hatte die Bedrängte in ihrer Angst zur Waffe gegriffen und auf ihren Angreifer, also Cornish, geschossen. Cornish stürzt, sie sieht, was der Schuh angerichtet hat und ruft den nächsten Arzt verzwei felt an. Dann läuft sie aus dem Hause, weiht den Chauffeur ein und hetzt ihn zum Arzt mit dem Befehl, sofort davon zu fahren, wenn der Arzt vor dieser Villa abgesetzi worden ist, um nicht in die Affäre verwickelt zu werden.... Murchison nickte zufrieden. Großartig fügte sich Vermutung auf Vermutung. Nur so und nicht anders konnte alles gewesen sein! Aber jäh bih er sich auf die Lippen, als er an die Blutspuren dachte. Was steckte hier dahinter? Hm... es war nur so zu erklären, dah Mr. Cornish nicht tödlich verletzt worden und nach kurzer Zeit wieder zu sich ge kommen war. Vielleicht hatte Lr sich aufgerichtet und selbst das Haus verlassen, um sich zu einer Rettungs stelle zu begeben, die ihm einen Verband anlegte... Ein neuer Gedanke zuckte in Murchison auf. Hastig verlieh er das Haus und setzte die kleine Taschenlampe in Tätigkeit. Die dunklen Flecke führten über den Kiesweg auf die asphaltierte Strahe hinaus, liefen mitten auf dem Fahrdamm vielleicht zwanzig Meter entlang und hörten dann unvermutet auf. Zum Teufel, was bedeutete das nun wieder? Narrte ihn ein Spul oder .... Er mutzte an Dryp denken. „Nein," knurrte er, „kein Spuk, aber ...." Hastig kehrte er zu der Villa zurück. Als er den Kiesweg überschritten hatte und gerade das Haus betreten wollte, tauchte eine dunkle Gestalt vor ihm auf, die aus dem Innern der Villa kam. In der einen Hand trug sie eine größere Reisetasche. Ein Mann war es, dessen Züge Murchison jedoch nicht erkennen konnte. Ehe er sich von seiner Ueberraschung erholen konnte, schlug ihm der Unbekannte die Tasche mit voller Wucht über den Kopf, daß Murchison das Gleichgewicht ver lor und zu Boden taumelte. Als er sich mit einem Fluch wieder aufrichtete, war der Mensch verschwunden, als habe ihn die Erde ver schluckt. Mit riesigen Sprüngen rannte Murchison auf die Straße hinaus. Weit und breit war kein menschliches Wesen zu er blicken. Er lief in den Garten zurück, umkreiste dreimal das Haus, kroch hinter jeden Busch und blickte hinter jeden Baum. Aber den Mann mit der Reisetasche fand er nicht. Murchison verspürte, wie es ihm sonderbar über den Rücken rieselte. Da hatte er nun in der Villa telepho niert, herumgeschnüffelt und das Mädchen ausgefragt — und dieser fremde Geselle war vielleicht bei allem dabei gewesen? Wer war er? Murchison fühlte, dah sein Vermutungsgebäude einen derben Stoß bekam. Dieser neu aufgetauchte Mensch paßte ganz und gar nicht in den Kreis seiner Indizien. Er hatte sich also doch nicht getäuscht, als er ein mal ein seltsames Geräusch zu vernehmen geglaubt hatte! Nergerlich über sich selbst kehrte er in das Zimmer zurück, in dem die Blutspur ihren Anfang nahm. Alle seine Versuche, durch nochmalige Prüfung aller Umstände und Spuren auf eine erlösende Klärung zu gelangen, scheiterten aber. Zehn Minuten später erklangen Schritte. Er ging hinaus und sah vier Herren und Doroty, die vor der Tür standen. In dem einen erkannte er Joul, den Inspek tor der 12. Station, mit dem er jeden Mittwoch bei Sta mer zu pokern pflegte. In kurzen Worten teilte er ihm den Vorfall in allen Einzelheiten mit. Als er zum Schluß des Mannes mit der Reisetasche Erwähnung tat, schüttelte Joul den Kopf. „Eine merkwürdige Geschichte. Haben Sie irgendeine Vermutung?" Murchison zuckte die Schulter. „Oder können Sie aus der Art der Blutspnren auf den Ort der Verletzung schließen?" „Aber, Joul, ich bitte Sie. So was gibt es nicht. Nur eins steht fest: Cornish hat eine Schuhoerletzung er halten. Das ist aber auch alles. So, und nun Gott befohlen .... ich habe für heute genug und lege mich aufs Ohr." Er reichte dem Inspektor die Hand. „Es kann sein, daß ich Sie in dieser Sache noch be helligen muh, Doktor ...." „Bitte. Ich stehe jederzeit zur Verfügung. Und wo ich wohne, wissen Sie ja wohl auch noch ..." Dann ging er. Auf dem Kiesweg stieh er auf Doroty. „Gehen Sie zum Inspektor hinein und erkundigen Sie sich, ob er Sie noch etwas zu fragen hat," sagte er. „Wenn nicht, dann machen Sie, dah Sie zu Ihrer Schwester kommen. Sie können sich hier noch den Tod holen!" Sie nickte und wollte ins Haus gehen, als er sie noch einmal zurückrief. „Wie geht es Kathrin? Besser?" „Ja, Herr Doktor. Vor vierzehn Tagen hat sie geheiratet." „Sieh einer an. Und wie heißt sie nun?" „Kathrin Douglas, Herr, Doktor ..." „Dann grüßen Sie das junge Paar schön von Mir — und Sie, Doroty, Sie lassen sich einmal in den näch sten Tagen bei mir sehen, ja? Es könnte sein, daß noch dies und jenes zu ergründen wäre." Sie nickte. Murchison ging nachdenklich weiter. In langsamem schleppendem Schritt überquerte er den Milton-Square. Ms er sich noch einmal umwandte, sah er die Schatten der Beamten hinter den Fenstern hin und her huschen. Zwei Uhr schlug es von irgendwo. Murchison schlug den Mantelkragen hoch. Ihn frö stelte, trotzdem die Lust warm war. Ab und zu trug der leise Wind das Heulen einer Sirene oder den Pfiff patrouillierender Polizeikutter vom Hafen herüber. Sonst war es still. Totenstill. Die Häuser warfen bizarre Schatten auf die Strahe. In den Zweigen der Bäume und hoch oben in den stol zen Kronen wisperten kichernde Stimmen. Manchmal fuhr er zusammen. Immer dann, wenn sein Blick auf seltsame Schattengebilde fiel, die in der Gestalt wechselten. Einmal war es der Mann mit der Reisetasche oder der Chauffeur, dann wieder allerlei Wesen, für die er keine Erklärung fand. Eine leichte Nervosität hatte ihn befallen. Mit jedem Schritt, der ihn der Thornburrystreet und damit seinem Hause näherbrachte, versank er mehr in den Maschen seiner Gedankenfolge. Von all den Gestalten, die mit dem Abenteuer dieser Nacht in Verbindung standen, hatte er nur einzig und allein eine von Angesicht zu Angesicht erblickt. Den Chauffeur des Privatautomobils. Murchison schalt sich einen Esel, daß er sich nicht die Nummer des Wagens gemerkt hatte. Was es wohl für ein System gewesen war? Eine ganze Weile brauchte er, bis er sich die Bauart des Wagens genau ins Gedächtnis zurückgerufen hatte, um dann aber fast mit Bestimmtheit zu wissen, daß es sich nur um einen Rolls- Roy-Wagen gehandelt haben konnte. Aber davon fuh ren in London wahrscheinlich zwanzigtausend oder mehr spazieren. Und der Chauffeur? Hm... ob es überhaupt ein Berufschauffeur gewe sen war? Murchison entsann sich des weiten, grauen Mantels und des funkelnden Brillanten, die der Mann getragen hatte. Dazu kam das sonderbare Wesen. Die Erregung war auf seinem bleichen Gesicht zu lesen ge wesen. Hatte er mehr mit der Geschichte zu tun, als es bisher den Anschein hatte? Mißmutig lief Murchison dis Lanesstreet hinab, die weit unten in die Thornburrystreet mündete. Als er endlich sein Haus in Sichtweite bekam, stutzte er. Zum Teufel! Was bedeutete denn das? War Go dolphin verrückt geworden? Der ganze erste Stock erstrahlte mit seinen acht Fenstern Front in hellstem Lichterglanz. Er beschleunigte die Schnelligkeit seiner Schritte um ein beträchtliches. Seine Verwunderung stieg, als er ein Cab einsam und verlassen vor seinem Hause sichen sah. Der Kutscher war unsichtbar. Das scheckige Pferd schlief im Stehen zwischen der Deichsel. Im Vorbeigehen blickte Murchison in den Wagen hinein. Er war leer. Verdrossen sah er noch einmal an den Fenstern ent lang. Dann schloß er die Haustür auf und stieg die Stu fen zum ersten Stock empor. 2. Kapitel. Daß irgendetwas geschehen war, fühlte Murchison bereits, als er den Korridor betrat. Da hockte Godolphin Coop auf einem plüschbezoge nen Schemel und stierte unausgesetzt auf den Läufer. Er war ohne Kragen und Rock, und schien vor gar nicht lan ger Zeit noch einmal aus dem Bett gekrochen zu sein. Auf dem Kopf trug er noch die Zipfelmütze — ein Ob- jekt, ohne das Godolphin zu früher Morgenstunde oder später Nachtzeit undenkbar war — und an den Füßen schwebten grüne Filzpantoffel, gelb und rot bestickt; das Geschenk einer verflossenen Jugendliebe.... Als er den Kopf hob und seines Herrn ansichtig wurde, stand er auf. Sein hageres, faltenreiches Gesicht drückte sichtliche Verstimmung aus, als er auf den Arzt zuschlürfte, um ihm Hut und Mantel abzunehmen. „Wir haben Besuch bekommen," knurrte er. „Von wem?" Godolphin wurde einer Antwort enthoben, dennDr. Osborne erschien auf der Schwelle der Tür, die ins Warte zimmer führte. Osborne war der dritte der „Familie". Seit Jahres frist bekleidete er bei Murchison den Posten eines Assistenz arztes. Er war knapp über die Dreißig, tüchtig, ein gera der Charakter und in seinem Auftreten, wie auch in der Art, wie er sich kleidete, der vorbiMche Gentleman Trotz ? seiner Jugend kannte er die ganze Welt, was wohl in s der Hauptsache darauf zurückzuführen war. daß sein Vater - früher die Position eines Botschaftssekretärs innegehabt ' /s/?O/77^/7 M/7 So/'/ Oe/?»77b/7/7 ^sc-/7o><^/s hatte, ein Beruf, der ihn nacheinander durch vieler Herren Länder geführt. Osborne war in San Franzisko geboren, hatte in Paris das Gymnasium, und in Berlin und München die Universität bezogen, um dann in Orford seinen Doktor zu machen. Ein rein zigeunerhafter Trieb zog ihn dann auf drei Jahre in die Welt hinaus, eine Zeit, die er nutzbringend zubrachte, um sich, zürückgekehrt, in verschiedenen Londoner Krankenhäusern zu betätigen. Hier „entdeckte" ihn Murchison, um ihm dann eines Tages sein Angebot zu machen, auf das Osborne mit Freuden eingegangen war. Augenblicklich zeigten Osbornes Mienen einen wenig erfreulichen Ausdruck. „Gut, daß Sie kommen, Doktor!" Hastig rrat er auf Murchison zu. „Etwas Sonderbares hat sich zuge tragen " „Also bitte .... keine langen Geschichten.... kurz und bündig..." Osborne rückte nervös an der Krawatte. „Gewiß," nickte er. „Kurz und bündig .... also..- hm...." Er suchte nach Worten. Anscheinend wußte er nicht recht, an welchem Punkt er mit seinem Bericht beginnen sollte. „Wir haben in Ihrer Abwesenheit Besuch bekom men," sagte er schließlich. „Ein Mann .... oder besser gesagt: zwei Männer ..." Wieder brach er ab und sah scheu zum Wartezimmer zurück. In Murchison brodelte es. Die Erregung der ver gangenen Stünden und nun dieses Neue, Unbekannte peitschten seine Sinne auf. Er wollte Osborne beiseite schieben, aber der hielt ihn krampfhaft fest. „Einen Augenblick, Doktor ... ich mutz Sie vorbe- reiten...." Sein Blick irrte zu Godolphin hinüber, der mit offenem Munde, noch Hut und Mantel Murchisons in der Hand haltend, neben dem Kleiderständer stand. „Godolphin unterrichtete mich bei meiner Heimkehr, daß Sie gerade mit Mr. Dryp zusammen das Haus verlassen hätten," spann Osborne endlich sein Garn ab. „Ich war übrigens drüben in Whitechapel ... dem kleinen Eddie geht es ganz gut, ich habe ihm bloß den Ver band erneuern brauchen also, wie ich zurückkam, wa ren Sie justement fort. Ich atz noch einen kleinen Hap pen und wollte gerade zu Bett gehen, als jemand die Nachtglocke zog. Vom Fenster aus sah ich auf der Straße einen Droschkenkutscher, der einen unglaublichen Spektakel vollführte und der..." Wieder begann Osborne zu schlucken. Als er aber Murchisons grimmiges Gesicht sah, verlor er gänzlich den Faden. Hastig lief er zur Tür des Wartezimmers zurück. „Kommen Sie, Doktor es ist vielleicht doch besser, wenn der Mann Ihnen selbst erzählt, was geschehen ist...." Bei Murchisons Erscheinen hob sich eine kleine, kuge lige Gestalt aus einem der Sessel des Wartezimmers. Ein eigener, in diesen Räumen ungewohnter Duft lag über dem Raum. Nicht Moschus — weiß Gott nicht — sondern das würzige, kräftige Odeur echter, unverfälschter Stalluft. Auch sonst wies Ler Mann alle Kennzeichen des typischen Londoner Cabmannes auf. Sein Antlitz war stark gerötet und verriet in seiner aufgedunsenen schwammigen Beschaffenheit den Gewohn heitstrinker. Während er jetzt vergeblich bemüht war,! dem Arzt durch eine stramme Haltung seine Reverenz zu erweisen, zitterten ihm die Knie und Hände ganz bedenk lich. Mitten auf der flachen Stirn behauptete ein finger dicker Pickel seinen Platz. „Was wünschen Sie von mir?" wandte sich Murchi son an ihn. Es mutzte ja eine ganz ungeheuerliche Bot schaft sein, die dieser Mann bringen mußte. Um so er staunter war er über die Erwiderung: „Was ich wünsche ... nichts, Herr Doktor ... rein gar nichts ... wenn's nach mir gegangen wäre, sätze ich schon längst nicht mehr hier .... so was ist mir überhaupt während meiner drei ßigjährigen Laufbahn noch nicht passiert..." Verständnislos blickte Murchison auf seinen Assisten ten, der sich verzweifelt an den Kutscher wandte: „Erzäh len Sie dem Herrn Doktor, wie alles gekommen ist! Ver stehen Sie denn nicht?!" „Aber gewiß, doch da kann ich also anfan gen? —" Er sank in den Sessel zurück. „Eine ganz tolle Sache. Wie jeden Abend, so stand ich auch heute am Wel lington-Monument am Droschkenhalteplatz...." „Einen Augenblick," unterbrach ihn Murchison. „Hö ren Sie, Osborne, Sie sprachen von zwei Männern, die gekommen sind. Wo ist der andere?" Automatisch wies Osborne zum angrenzenden Zim mer, das den Zwecken eines Behandlungszimmers diente, und aus dem just ein tiefes Stöhnen drang. Mit einem Satz war Murchison an der Tür und riß sie auf. Auf der Chaiselongue lag ein Mann, der, wie der Arzt aus den ersten Blick erkannte, mit dem Tode rang. Hastig fühlte er den Puls. Als er sich wieder emporrichtete, stand Osborne mit bleichem Antlitz neben ihm. „Arsenik!" raunte er. Murchison sah verstört auf den Sterbenden nieder. Im Flüsterton teilte ihm Osborne mit, daß der Mann in hoffnungslosem Zustande von dem Kutscher ins Haus gebracht worden sei, und daß bereits sämtliche ihm rasch eingeflößten Gegenmittel zwecklos gewesen seien. „Wer ist der Mann?" Osborne zuckte die Schulter. „And der Kutscher weiß es auch nicht?" -- „Nein, ' erwiderte Osborne leise. „Im Gegenteil weiß er über Liesen Mann hier eine Geschichte zu erzäh« ien, die überaus mysteriös erscheint. So soll der Mann ...." (Fortsetzung foMi) , Li ISeNeNen Sie ckas „Ailsürutler Tageblatt"