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Wilsdruffer Tageblatt I 2. Blatt.—Nr. 56 - Freitag öen 7. März 1930 üm-t« W- Plöm aber, trete«. 20 TagessPr»ch Die Treue eines schönen Herzens gleicht S" Dem reinen unbefleckten Schnee: 2" Gehst du darüber weg auch noch so leicht, Sein Glanz empfängt ein unvergänglich Weh. liM s N rege« imnw in sck gl d« erft> I noä sima' scho' gr al: Simei reibcr 2steir wcn> e vor n ei in dil t wi« : kam ttiqe« «ube« estene nich reibe« !. di« ;. I«> de« n Ok- r de« näch st de« h Re inter- ngent lt. - eifel« ängcr . weil es a« c Orl verw wün- i u«- lung- Be- ;Ale« i de« Hase« ische« rähc« . Das n sich ensatz araui Hund esitzer gib! Mne« aber er ist r, be- Den« r auf : und teste« Wei erde« ver- icher- ißen, üchs- > alter ände hem' turn- dies- , die nicht >g Z" aus- eim ' Nif s 1? t nur meck Die > alk land «upü war- ugs- lark hin- ndc« abe« and' M igc« Ge hen. Chemnitzer Brief. Chemnitz, März 1930. Das Chemnitzer Gesellschaftsleben will sich und will sich in diesem Winter nicht recht entfalten. Während man sonst in diesen Wochen in Einladungen zu großen gesell schaftlichen Veranstaltungen, bei denen dabeigewesen zu sein, einfach Ehrensache ist, erstickt, vergeht dieses Jahr oft eine ganze Woche, ehe der Gesellschaftskalender wieder einmal einen besonderen Höhepunkt bucht. Vielleicht hat die Absage des diesjährigen Presseballs, zu dem Man sich mit Rücksicht auf die allgemeine Wirtschaftsnot entschloß, doch etwas dämpfend gewirkt. Auch der Alpen verein hatte ja ursprünglich, als man hinter die großen Unterschlagungen seines Vereinskassierers kam, sein be kanntes Wintervergnügen absagen wollen. Schließlich sah man aber ein, daß man zu den bisherigen Verlusten dann nur noch die ziemlich erhebliche Saalmiete schlagen Müßte, und entschloß sich deshalb doch noch zur Abhaltung dieses traditionellen Festes, das freilich ganz natürlicher weise diesmal nicht ganz die frohe Stimmung wie in früheren Jahren anszulösen vermochte. Als einziges ge sellschaftliches Ereignis von Format blieb so nur noch der große Opernball, der allerdings alle Erwartun gen erfüllte. Auf dem Opernball war es denn auch, wo man von ganzem Herzen lachte über die tolle Zeitungsente, die unsere unvergessene Doris Kiesow totgesagt und damit eine Flut von rührenden Nekrologen ausgelöst hatte. Man sagt selbst den Menschen, die man im Leben nicht hat leiden mögen, nach ihrem Tode in der Presse irgend etwas Schönes und Gutes nach. Run hatte aber die scharmante Doris Kiesow, die erst kürzlich die Chemnitzer Bühne mit einer Hamburger vertauscht hat, in Chemnitz nur Freunde und Verehrer hinterlassen und man kann sich vorstellen, was alles in diesen Nekrologen zum Aus druck gekommen ist. Die reizende Doris Kiesow ist ein Glückspilz. Andere Menschen erfahren wahrscheinlich nicht mehr, was man nach ihrem Tode von ihnen schreibt und spricht. Doris Kiesow aber konnte das alles lesen und hören. Sie war nämlich überhaupt nicht tot, nicht einmal krank und auch nicht operiert, wie man in den Nekrologen behauptet hatte. Sie war zu derselben Zeit quietschfidel in Hamburg und rüstete ihre Hochzeit, die sie demnächst zu feiern gedenkt, und kein Mensch mag heute erklären, wie nun eigentlich diese Tatarennachrichi aufgekommen ist. Die Künstlerin hat sich freilich ebenso wie ibr rufällig in Chemnitz weilen der Bräutigam, der ihr aus Fernsprecher ihr erfolgtes Ab leben mitteilte, nur köstlich amüsiert und hat dem, der am schönsten über sie geschrieben hat, schon eine Einladung zu ihrer Hochzeit versprochen! Gelacht haben die Chemnitzer dieser Tage auch über die harmlose Nns chuld v o m L and e, die da zu nächt sicher Stunde Unterkommen in einer Frauenzuflucht suchte und auch einen roten Klingelknopf an der Haustür fand, den sie ganz energisch in Tätigkeit setzte. Da das nicht half, klopfte sie, und wie sie dann noch mit der auf das Klopfen tatsächlich erschienenen Oberin verhandelt, ertönt die durchdringende Sirene der Feuerwehr. Vier- Wagen rasseln gespeustcrhaft, von Scheinwerferstrahlen erhellt, heran, und plötzlich stürzt sich Chyraß, der schwarze Spürhund unserer Feuerwehr, auf sie und kündet mit seinem wütenden Geknurr unzweideutig an, daß sie die Feuerwehr böswillig alarmierte ... Böswillig ist freilich zuviel gesagt. Die Unschuld vom Lande hatte den roten Feuermelder für dieNachtglocke gehalten, zumal ein paar Straßenjungen schon tagsüber die Scheibe eingeschlagen hatten, und stand weinend vor dem Führer des Löschzuges, dessen Leute Miene machten, die Polizei zu holen. Aber der Brandingenieur hatte ein Herz im Leibe und den verweinten Mädelaugen sah er wohl auch deutlich an, daß sie keine böswillige Frev lerin lein konnte. So ließ er denn die Polizei unbehelligt SL Fortsetzung Nachdruck verboten 16. Als Frank Wildhard neben dem Inspektor das Zimmer verlassen wollte, mußte er an Eberhard von Halden vorbei. Unwillkürlich war er stehengeblieben, hatte ihm die Hand ge boten. Eberhard von Halden aber maß ihn mit einem Mick wie einen zudringlichen Fremden. „Wir beide kennen uns von jetzt an nicht mehr, Herr Baron. Leichtsinnig und lebenslustig bin ich auch, und es stört mich nicht an meinen Freunden, aber mit Verbrechern pflege ich keinen Umgang." Danach hatte er dem einstigen Genossen so mancher tol len Stunde schroff den Rücken gewandt. Er war der erste, der Ilse sagte, wie sehr er sie bedauere, er gelobte nochmals Schweigen über das Ereignis dieses Tages und fuhr im gleichen Zuge nach Frankfurt zurück wie das gemeine Paar. Aber er nahm weder beim Einsteigen auf der kleinen Station, noch beim zufälligen Vorbeigehen in Frankfurt von Frank Wildhard die geringste Notiz. Der Bürgermeister verabschiedete sich auch bald von Ilse, nur Hermine Seydel und die Baronin waren bei ihr geblie ben. Sie begleiteten sie hinauf in ihr Zimmer, wo Ilse mit einem Male zusammenbrach unter der Nachwirkung der er littenen Aufregung. Die beiden alten Damen waren mütter lich besorgt und halfen ihr ins Bett. Wulf aber setzte sich an ihr Bett und leckte zärtlich ihre lose niederhängende Rechte. Jetzt erst erzählte Ilse, auf welche Weise sie zu dem Brief gekommen, den sie bestimmt nicht geöffnet hätte, wenn er nicht adressenlos gewesen. Hermine Seydel sagte ergriffen: „Wulf hat Ihnen also das Leben gerettet, liebes Ilsekind, denn ohne den Brief wären Sie ahnungslos dem furchtbaren Schicksal entgegen- und fuhr wieder heim mit dem knurrenden Chyraß, der mit dieser Lösung absolut nicht einverstanden war und wieder einmal verständnislos sein pechschwarzes Haupt über die Charakterlosigkeit der Menschen schüttelte; und da er ein sehr nachdenkliches Tier ist, wird er sich während der rasenden Heimfahrt den Kopf darüber zerbrochen haben, was es denn nun überhaupt noch für einen Zweck hat, getreulich seine Pflicht zu tun . . . Das aber ist auch das einzige gewesen, worüber man in diesem ganzen Monat hat lachen dürfen, und neben diesen beiden harmlosen Sonnenstrählchen der Fröhlich keit stehen dunkel drohende Wolkenwände der Sorge, der Not und des Leides, das wie ganz Deutschland auch die sonst so fleißige und in diesen traurigen Monaten so still gewordene Fabrikstadt Chemnitz bedroht und seinen er schütterndsten Ausdruck erst in diesen Tagen in der furcht baren Verzweiflungstat einer noch jungen Kriegs- beschädigtenkrau fand, die angewidert von der Grausam keit des Daseins mit ihren sechs Kindern im Alter von vier Monaten bis zu zwölf Jahren in den Tod ging, in dem sie den Gashahn aufdrehte . . Der Mann arbeits los. Aus den ewigen Sorgen Unfrieden im Hause. Der Mann begann sein Elend im Trünke zu ersticken — Opfer unserer Zeit, die aus tausend Wunden blutet . . Egon. Sie Reichspost will der Arbeitslosigkeit steuern. Trotz gespannter Finanzlage. In der Sitzung des Verwaltungsrates der Deutschen Reichspost gab Reichspostminister Dr. Schätzel einen Überblick über die finanzielle Lage der Deutschen Reichs post. Er führte dabei etwa folgendes aus: Abgesehen von einigen Ausnahmen, ist in den ersten neun Monaten des laufenden Rechnungsjahres in fast allen Betriebszweigen der Reichspost eine Verkehrs steigerung eingetreten. Doch bleibt diese Verkehrs steigerung hinter der vorjährigen zurück, so daß das Gesamtergebnis dem veranschlagten Einnahmesoll leider nicht ganz entspricht. Die Finanzlage der Deutschen Reichspost ist zurzeit gespannt. Trotzdem konnte die Postverwaltung bisher davon absehen, ihre Aufträge an die Wirtschaft in wesentlichem Umfange einzu schränken. Auch in der nächsten Zeit wird die Post, wie Neichs- postminister Dr. Schätzel hofft, es ermöglichen können, ihre Auftragshöhe ungefähr konstant zu erhalten und dann? zu ihrem Teil dazu beizutragen. daß der herrschender Arbeitslosigkeit Abbruch getan wird. Oie Opfer der Wafferkaiastrophe in Frankreich. 700 Personen sollen ertrunken sein. Die französischen Zeitungen veröffentlichen eine erste Übersicht über die durch die Hochwasserkatastrophe in Süd frankreich verursachten Menschenverluste und Schäden. Da nach sind in Moissac 150 Tote zu verzeichnen. 500 Häuser sind zerstört und 2000 Per sonen sind unterstützungsbedürftig. Die Zahl der Toten in Moissac dürfte auf 200 steigen, da noch zahlreiche Leichen unter den Trümmern der eingestürzten Häuser liegen sollen. Nach einer Meldung aus Toulouse soll die Gesamt zahl der Todesopfer 700 übersteigen. Es muß aber beton« werden, daß alle diese Ziffern auf mehr oder minder un zuverlässigen Schätzungen beruhen. In Montauban und in Moissac mußte ein« Art Belagerungszustand verhängt werden. Polizei, Sol daten und Senegalneger sperren die zerstörten Städte her metisch ab. Mehrere Plünderer wurden festgenommen und entweder sofort gelyncht oder vom Polizeigericht ohne weiteres zu mehreren Monaten Gefängnis verurteilt. Besonders schwer heim gesucht ist die Landzunge zwischen den Flüssen Garonm und Tarn. Obwohl die Flut stark zurückgegangen ist, steh diese Landzunge noch immer unter Wasser. In Ville- mur, das vollkommen zerstört ist, ragt nur noch dei Stumpf des Kirchturmes aus den Fluten hervor. ReWregierung un- Grüne Front. Das große Roggenproblem. I» Fortsetzung der Besprechungen, die vor einiger Zeü zwischen dem Reichskanzler und dem Reichsernährungsministel einerseits und der Grünen Front andererseits stattfanden, wurde am Mittwoch im Reichsernährungsministerium aus führlich über die Lage verhandelt, die durch den ungeheuren Preissturz für zahlreiche landwirtschaftliche Erzeugnisse am Weltmarkt eingetreten ist. Die Hauptsorge bildet nach wie vor die Roggenfrage. Im übrigen wurde die immer noch wachsende Notlage der landwirtschaftlichen Produktion in ihrem ganzen Umfange erörtert. Eine Reihe von positiven Vorschlägen sollen als Grundlage für die ferneren Verhandlungen dienen, die vom Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft mit Nachdruck gefördert werden. Maßnahmen, die den Handel aus schalten, wird man dabei vermetden. Menschlicher Strafvollzug. Der preußische Justizminister im Landtagshauptausschuß. Im Hauptausschutz des Preußischen Landtages wurde die Beratung des Justizetats mit dem Kapitel „Strafvollzug" be endet. Justizminister Schmidt wies darauf hin, daß beim Strafvollzug die Gefangenen nach dem Grade ihrer Erzieh- barkeit in Gruppen getrennt werden. Damit soll den Gefan genen, die sich bemühen, wieder ordentliche Bürger zu werden, die Rechte und Pflichten einer Selbstverwaltung übertragen werden. Das sei auch die Voraussetzung sür ein Slufrücken der Gefangenen von Stufe zu Stufe. 24 Größere und 300 kleinere Gerichtsgefängnisse sind geschlossen worden, weil sie modernen Anforderungen nicht mehr entsprachen. Fürbitte für die Gläubigen in Rußland Der Weltkirchenbund zu den Vorgängen in Rußland. Der in Brüssel zusammengetretene Vollzugsausschuj des Weltbundes sür internationale Freundschaftsarbeit dei Kirchen hat zu den Vorgängen in Rußland Stellung genommen. Im Hinblick auf die Unterdrückung de« Glaubensfreiheit in Rußland und die Bedrückungsmaß- nahmeu gegen die Gläubigen aller Religionsgemeinschaften wurde beschlossen, an die mehr als 30 Landesvereinigunger des Weltbundes einen Aufruf zu richten, wonach sie un verzüglich Schritte unternehmen sollen, um in ihren Län dern für alle, die in Rußland um ihres Glaubens Willer leiden, einen Tagder Fürbitte einzurichten. Auch der Präsident des Lutherischen Weltkonvents Professor v. Morthead-Newyork, hat an die 80 Millionen Lutheraner in aller Welt einen Aufruf zur Fürbitt« gerichtet. Gegen -Le Todesstrafe. Abschluß der deutsch-österreichischen Strafrechtskonferenz. In der unter dem Vorsitz des Geheimrats Kahl fort gesetzten Beratung der deutsch-österreichischen Strafrechts- konferenz in Wien wurde über die Aufrechterhaltung der Todes st rafe debattiert. Es sprachen sich 30 Stimmen gegen die Beibehaltung der Todesstrafe und 14 dafür aus. Nach Dankesworten von Justizminister Dr. Slama, dem Konferenzvorsitzenden, Geheimrat Dr. Kahl und dem Obmann des österreichischen Sonderausschusses, Dr. Waber, an die Teilnehmer wurde die Beratung der Kon ferenz beendet. Aen-erung -es Gesetzentwurfs über Gaststätten. Die Konzessionspflicht. Bei der zweiten Lesung des Gaststättengesetzes im Bolkswlrtschaftlichen Ausschuß des Reichstages wurde du m der ersten Lesung im Paragraph 1 getroffene Bestim- mung, daß künftig Konzessionen nur noch im Verhältnis zur Einwohnerzahl, und zwar 1:400, erteilt werden dürften, wieder gestrichen und die Regierungsvorlage wtederhergestclU. Danach darf eine Konzession nur dann erteilt werden wenn ein Bedürfnis nachgewiesen ist. Die Reichsregierum kann mu Zustimmung des Neichsratcs die voraussetzender Bestimmungen, unter denen ein Bedürfnis anzuerkennev oder zu verneinen ist, treffen. Für Wiederherstellung dei Regierungsvorlage stimmten Deutschnationale Volkspartei, Zentrum, Demokraten, Wirtschaftspartei, Bayerische Volkspartei und ein Christlichnationaler, dagegen die Kommunisten und ein Christlichnationaler. Die Sozial demokraten übten Stimmenthaltung. gegangen, das die beiden schändlichen Menschen Ihnen be reiten wollten." Pauline Wildhard berichtete von den Zeilen, die sie ge stern in Franks Joppe gefunden und von der Szene im Wartesaal. Sie weinte heftig: „Ich hätte dem Paar keinen Glauben schenken dürfen. Hätte ich dich nur gestern infor miert, Kind," klagte sie sich an, „dann wärest du der heuti gen Aufregung wenigstens nicht mehr ausgesetzt gewesen." Doch Ilse beruhigte sie. „Du hast ganz recht gehandelt von deinem Standpunkt aus und du bleibst meine Tante Pauline, auch ohne daß ich deine Nichte werde, nicht wahr?" Die alte Dame nickte zufrieden und sagte offenherzig: „Sei froh, Frank los zu sein. Falls du sehr an ihm hängst, sei stark, zwinge jedes warme Gefühl für ihn in dir nieder." Ilse lag ganz still in den weißen Kissen. „Schon seit ein paar Tagen ist es mir, als hätte ich Frank gar nicht richtig lieb gehabt. «Seine gute Figur, sein schönes Gesicht und vielleicht auch sein Titel haben mir ge fallen. Er überrumpelte mich mit seinem Geständnis und ich glaubte ihn zu lieben. Es tut mir gar nicht weh, daß nun alles zwischen ihm und mir aus ist, nur die bodenlose Ge meinheit seiner Handlungsweise hat mich erschüttert, darüber werde ich, trotz aller Verachtung, nicht so bald hinwegkom men. Meinen Verlobten und meine Freundin werde ich leider wohl niemals vergessen können." Hermine Seydel strich leicht über ihr weiches dunkles Haar. „Dem Himmel sei Dank, daß Ihr Herz nicht weh tut, Ilse, mit allem anderen räumt die Verachtung allmählich doch gänzlich auf. Verachtung frißt die Erinnerungen zu nichte. Sie ist wie scharfe Säure." Sie machte ihr Mitteilung von dem Bilde Frank Wild- Hards, das sie in Jutta Lindens Kommode gesehen. Ilse lächelte spöttisch. „Ach so, ja, das Bild schenkte er mir ja. Ich werde es nächstens verbrennen, ich will nicht daran erinnert werden, wie sehr ein edel geformtes Gesicht doch zu täuschen vermag." Sie lag wieder ganz still, und nach einem Weilchen sagte sie: „Mir ist schon viel leichter und ich danke dem Himmel von ganzem Herzen, daß er mich heute gerettet hat." Am nächsten Tag blieb Ilse noch in ihrem Zimmer, und Doktor Seydel besuchte sie, damit man an ihre plötzliche Er krankung glauben sollte, danach aber wollte sie wieder leben wie vordem. Sie freute sich schon auf die erste gemeinsame Mahlzeit mit dem Inspektor. Das eine wußte sie ganz ge nau, eine Gesellschafterin nahm sie nicht mehr ins Haus, sie hatte an der einen genug. Mochte man klatschen, wenn man wollte, sie fand nichts dabei, mit Ulrich Werdenberg zu sammen allein zu Mittag zu essen. Und selbst wenn er sie liebte, war ebensowenig dabei. Seine Liebe war etwas Schönes, Wertvolles, das wußte sie jetzt, aber für sie zu wertvoll, denn ihre Lippen waren schon von den Lippen Frank Wildhards berührt worden, dadurch verlor sie. Nie würde sie heiraten, nie, und schön wäre es, wenn Ulrich Werdenberg immer bei ihr blieb, bis sie beide alte Leutchen geworden. Die Idee gefiel ihr. Es wollte ihr scheinen, sie könnte sich gar nichts Schöneres und Lieberes denken. Als Ilse am zweiten Tage nach der unterbrochenen Trauung des Morgens wie immer aufstand, und wieder die auf ihr Teil fallenden täglichen Pflichten erfüllte, war das Personal vollkommen sicher, es handelte sich um keine aufge schobene, sondern um eine aufgehobene Heirat, man ahnte, der Baron hatte etwas mit Jutta Linden gehabt, denn die beiden waren ja förmlich hinausgeworfen worden. Da die zwei aber sehr unbeliebt auf dem Rauneckhof ge wesen, grämte sich niemand ihretwegen. An diesem Tage betrat Ulrich Werdenberg das Eßzim mer, genau wie am Tage vorher, mit der Gewißheit, allein zu bleiben. Wohl hatte Doktor Seydel zu ihm gesagt, Ilse sei zwar vorübergehend etwas nervös, aber nicht ernstlich krank, sie hielte nur ein paar Tage im Bett aus, um zunächst etwas den Klatsch zu dämpfen. Aber geglaubt hatte Ulrich Werdenberg ihm nicht. Mit einer leichten vorübergehenden Nervosität kam Ilse über den furchtbaren Schlag nicht hin weg. Die Aermste mußte doch entsetzlich leiden. (Fortsetzung folgt.)