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Unstimmigkeiten im Reichskabinett. 4 Juli 1927 Es ist nicht abzustreiten, dass die schweren U n - stimmigkeiten innerhalb der Regie rung s k o a l i t i o n, die bisher nur in der Phantasie der Linkspresse existiert haben, im Laufe der letzten Woche Tatsache geworden sind. Es ist eine all bekannte Selbstverständlichkeit, daß in einer Koali tionsregierung keine Partei ihr Programm restlos ver wirklichen kann, sondern Rücksicht auf ihre Bundesge nossen zu nehmen hat. Das hat die Deutsche Volkspartei bei ihrer Stellungnahme zum demokratischen Antrag über die Konkordatsfrage, das haben die Deutschnatio nalen bei ihrer Haltung beim Republikschutzgesetz, ge tan. Das Zentrum jedoch hat sich als das Sperrgesetz über die Fürstenabfindungsprozesse im Reichstag zur Entscheidung stand, von den Koalitionsgenossen ge trennt. Und die Zentrumsminister Marx und Braun, die sich in der Kabinettsitzung ausdrücklich gegen die Verlängerung erklärt hatten, haben unter dem Druck ihrer Fraktion bei der Abstimmung Stimment haltung geübt. Schon diese Haltung des Zntrums hat bei den Deutschnationalen und der Deutschen Volkspar- tei das lebhafteste Befremden hervorgerufen, da man dort mit Recht der Ansicht ist, das; gerade das Zentrum alle Ursache hätte, keinem Ausnahmegesetz, wie es das Sperrgesetz ohne jeden Zweifel darstellt, zur Annahme zu verhelfen. Konnte man aber über diese Extratour des Zen trums, die allerdings der Linkspresse willkommenen Agitationsstoff gegeben hat, noch hinweggehen, da sie praktisch ohne Bedeutung geblieben ist, so erblickt man bei den übrigen Koalitionsparteien in der merkwür digen Haltung, die die Zentrumsvertreter im handels politischen Ausschuh eingenommen haben, einen offenen Affront. Die Sozialdemokraten hatten bekanntlich aus agitatorischen Gründen beantragt den Mehlzoll von 12,50 RM auf 10,50 RM herabzusetzen. Da die Linksparteien geschlossen für diesen Antrag ein traten, lag die Entscheidung beim Zentrum, dessen Ver treter zum allgemeinen Erstaunen jedoch Vertagung be antragten, um Gelegenheit zu haben, mit ihrer Frak tion über diese Angelegenheit Rücksprache zu nehmen. Es war nur natürlich, daß diese ganz unerwartete Hal tung des Zentrums bei den Regierungsparteien stark befremdet hat. Es ist in parlamentarischen Kreisen ein offens Geheimnis, wie schwierig es für die Deutsch ¬ nationalen gewesen ist, die Zustimmung ihres mehr- landwirtschaftlich gerichteten Flügels für die Regie rungsvorlage zu erhalten. Es ist weiter bekannt, nach wie langwierigen Perhandlungen die Einigung unter den Regierungsparteien über die Tariferhöhungen zu stande gekommen ist. Selbstverständlich würde eine Herabsetzung des Mehlzolls, wenn er mit Hilfe des Zen trums Tatsache werden sollte, eine gänzlich veränderte Situation schaffen, da sich in diesem Falle die Deutsch nationalen nicht mehr an ihre Zustimmung an der Re gierungsvorlage gebunden fühlen wird. In die große Erregung, die anläßlich des Porfalls im handelspoli tischen Ausschuß im Reichtag herrschte, schlug die Nach richt von dem Abstimmungsergebnis im Reichsrat wie eine Bombe ein. Auch Abgeordnete der Regierungs parteien, die keineswegs auf extremen Standpunkt stehen, äußerten ganz unverhohlen die Ansicht, daß es auf keinen Fall wie bisher weiter gehen könne, sondern daß das Zentrum klipp und klar vor ein Entweder — Oder gestellt werden müßte. Wie wir von bestunterrichteter Seite hören, ist man auch in der Reichskanzlei, die Reichsminister Schiele sofort von der Stellungnahme des Reichsrats benach richtigt hatte, aus das peinlichste überrascht gewesen, so daß man bei den Regierungsparteien die Hoffnung hat, auch das Zentrum werde jetzt endlich zu der Einsicht kommen, daß es ein unmöglicher Zustand ist, daß die Reichsregierung, an deren Spitze der Zentrumsfllhrer steht, durch Schuld einer Regierung, in der drei Zen trumsminister sitzen, im Reichsrat eine Niederlage nach der anderen erleidet. Nach unseren Informationen ist nicht daran zu zweifeln, daß eine Zurücknahme der Zoll vorlage gleichbedeutend mit dem Ende der bisherigen Regierungskoalition sein würde, und wir können wei ter mitteilen, daß in Regierungskreisen Einigkeit dar über herrscht, daß das Ende der jetzigen Rcgierungs- koalition im Reich die Auflösung des Reichstags zur Folge haben wird. Das Zentrum, dessen Minister über dies noch, wie wir erfahren, in der preußischen Kabi nettssitzung überstimmt worden sind, muß sich also die Frage vorlegen, ob es einen Wahlkampf im gegenwär tigen Augenblick, da es die größten Schwierigkeiten in den eigenen Reihen hat, und überdies im Reich und Preußen in entgegengesetzter Frontstellung steht, für- wirklich vorteilhaft hält. England zur deutschen Zollermäkigung, 4. Juli 1927 Die Tatsache, daß Deutschland den auf der Genfer Wirtschafts-Konferenz gezogenen Schlußfolgerungen, nämlich einenTeilder Zöllezureduzieren so prompt nachgekommen ist, hat in englischen Wirt- schafts- und anderen seriösen Kreisen die größte Be achtung erfahren und wird der englischen Regierung als nachahmenswertes Beispiel hingestellt. Hieran ändert auch nichts die Tatsache, daß Deutsch land für einige landwirtschaftliche Produkte die bis herigen Zollabgaben etwas erhöhen will. Eine Aus nahme bildet die Daily Mail, die in ihrem Leitartikel in der ihr üblichen Sprache vor einem „Bluff der Tarif ermäßigung" warnt. Man sehe ohne weiteres, daß nie mand ernstlich an eine Reduzierung der Zolltarife denke. Das Blatt zitiert die Zollcrhöhung für die landwirtschaftlichen Produkte Deutschlands, während es die Tarifermätzigungen für industrielle Produkte nicht erwähnt, ferner das Beispiel der f r a n z ö si s ch en Regierung, die die Eins uhrderbritischen Kohle verbiete, das Beispiel Rumäniens, Spa niens und der Vereinigten Staaten. Großbritannien importiere heute der gesamten von der Welt expor tierten Waren. Es sei zu hoffen, daß die Regierung klug genug sei, um durch die Staubwolken hindurch zu sehen, die in Genf und anderswo aufgewirbelt seien und daß sie dafür Sorgen trage werde, daß die englische Industrie nicht aufgelöst werde, nur um den Theore tikern die teilweise nur Sand in die Augen streuen wollten, einen Gefallen zu tun. Französische Klagen über -en verlrags- losen Fuslan- mil DeulschlanS. 4 Juli 1927 Die ersten Konsequenzen des vertragslosen Zu standes zwischen Deutschland und Frankreich machen sich bereits bemerkbar. Wie der Berliner Korrespon dent des „Echo de Paris" meldet, häufen sich bei dem Handelsattache der französischen Botschaft in Berlin die Beschwerden französischer Kaufleute, die sich infolge des Eintritts des vertragslosen Zustandes gezwungen sehen, um 1 0 0 P r o z e n t h ö h e r e E i n f u h r z ö l l e n ach Deutschland zu zahlen als bisher. Der Attache sei natürlich nicht in der Lage, den Beschwerden Rechnung zu tragen und könne die Kaufleute nur da mit trösten, daß auch die deutschen Exporteure den glei chen Schwierigkeiten bei ihrer Einfuhr nach Frankreich begegneten. Die Wahlen in MeMenburg-Slrelitz ' 4. Juli 1927 Am Sonntag haben in Mecklenburg-Strelitz Land tagswahlen stattgefunden. Das vorläufige Ergebnis läßt ein starkes Anwachsen der sozialdemokratischen und einen sehr erheblichen Rückgang der kommunistischen und der völkischen Stimmen erkennen. Geringere Verluste haben Deutschnationale und Deutsche Volkspartei erlitten. Die Wahlen selbst boten ein trostloses Bild deutscher Partei zerrissenheit. Für 35 Mandate waren nicht weniger als 10 Wahllisten ausgestellt. Wir verzeichnen folgende Meldung: Demokraten Deutschnationale .... 3 053 10395 Sozialdemokraten . . . 15 297 Deutsche Volkspartei . . 2 025 Handwerk und Gewerbe . 4 609 Kommunisten 4153 Kleinlandwirte .... 1748 Hausbesitzer 1557 Völkische 2 286 Wirtschaftspartei .... 506 Die Mandate ,die auf die einzelnen^Earteien ent fallen, sind folgende: Demokraten Deutschnationale . . . 10k(9) Sozialdemokraten . . . 12 (8) Handwerk und Gewerbe . 4«^) Deutsche Volkspartei . . 1 (Ä) Kommunisten .... 3 M) Kleinlandwirte .... 1 xH Hausbesitzer 1 (—) Völkische 1(3) Wirtschaftspartei . . . —.(—) Hierzu ist zu bemerken, daß die Demokraten und die Handwerk- und Gewerbe-Partei bei dieser Wahl 6 Sitze erhalten haben, während sie bei der vorigen Wahl nur 5 bekommen konnte. Paris und die Anschlußfrage. Paris, 4. Juli. Der gegenwärtig in Paris wei lende französische Botschafter in Wien Chambrun hat mit dem Generalsekretär des Auswärtigen Amtes Ber thelot und dem früheren Botschafter in Wien Beau marchais Besprechungen über die deutsch-österreichische Anschlußfrags gehabt. Der sozialistische „Oeuvre" will < wissen, daß Chambrun über die fortschreitende Entwick lung des Anschlusses beunruhigt sei. „Matin" wittert gemeinsame deutsch-italienische Militärinteressen. Paris, 4. Juli. Der „Matin" bringt mit einigem Befremden die Nachricht, daß sich General v. Seeckt mit fünf Offizieren in Italien befinde. Bei der besonderen Voraussetzung, mit der Italien an der Abrüstung seiner ' Marine und Armee arbeite, bemerkt das Blatt, habe die Anwesenheit einer Studienkommission deutscher Generalstabsoffiziere in Italien erhöhte Bedeutung. Die deutschen Offiziere inelressieren sich für jede Einzel heit der italienischen Militärverwaltung. Sie würden auch von Mussolini empfangen werden. Freilassung des südslawischen Dolmetschers. Berlin, 4. Juli. Wie die Morgenblätter aus Bel grad berichten, hat der französiche Gesandte in Tirana der siidklawischen Regierung mitgeteilt, daß der Drago- man Djuraskowitsch am Sonnabendabend freigelassen worden ist. Er wurde vom französischen Gesandten per sönlich übernommen und reiste von Tirana nach Durazzo ab. Wie weiter gemeldet wird, hat die albanische Re gierung die Forderung gestellt, daß Djuraskowitsch nicht wieder als Dragoman in den Dienst der südslawischen Vertretung in Tirana eingestellt werde. Ein Zyklon in Ungarn. Budapest, 4. Juli. Funkspr.) Am Sonn abend wütete bei Tatatowaros ein ptwa 20 Minuten dauernder Zyklon, der große Verheerungen angerichtet hat. Hunderte von Bäumen wurden entwurzelt, darunter mächtige Exemplare des berühmten Esterhazy-Parkes. Es wurden Steindächer und Steinmauern ohne weiteres umgelegt. Aus Holzlagern wurden Hölzer mehrere hundert Meter weit geschleudert. Der Schaden im Zyklongebiet, das etwa 15 Quadratmeter groß ist, be trägt mehrere Milliarden. Die Telegraphen- und Tele phonlinien nach dem Westen waren fast die ganze Nacht gestört und konnten erst am Sonntag wieder hergestellt werden. Spanische Erfolge in Marokko. Paris 4. Juli. Die Spanier melden erfolgreiches Fortfchreiten ihrer militärischen Operationen in Ma rokko. Der konzentrierte Angriff auf Bab Ta Ca endete mit dessen Einnahme. Hundert Gefangene blieben als Beute in den Händen der Spanier. Da von französi scher Seite gern die Abhängigkeit der Spanier von der französischen militärischen Hilfe betont wird, um damit den spanischen Ansprüchen auf Tanger entgegenzuar- beiten, haben die neuerlichen militärischen Erfolge dcl Spanier auch eine gewisse diplomatische Bedeutung. Deutscher Reichstag. Sitzung vom 2. Juli 1927. Der von den Demokraten eingebrachte Gesetzent wurf zur Ablösung der Staatsrenten der früheren Lan des- und Standesherren wird dem Rechtsausschuß über wiesen. Es folgt die zweite Beratung eines von den Kom munisten vorgelegten Gesetzentwurfes über die Gewäh rung von Strciffreiheiten. Abg. Dr. Haas (Baden,Dem.) berichtet über die Ausschußverhandlungen. Der Rechtsausschuß schlägt vor, den kommunistischen Gesetzentwurf abzulehnen und dafür eine Entschließung anzunehmen, in der die Reichsregierung ersucht wird, wohlwollend zu prüfen, ob im Gnadenwege in noch weiteren Umfange als bisher Zuchthausstrafen gemildert werden können, die vor Inkrafttreten der Mil derung des Nepublikschutzgesetzes verhängt worden sind. — Abg. Höllein (Komm.) kritisiert die Rechtsprechung des Reichsgerichts, die Befremden und Empörung her vorgerufen habe. — Abg. Dr. Frick (Nationalsoz.) for dert anläßlich des bevorstehenden 80. Geburtstages des Reichspräsidenten von Hindenburg eine neue umfassende Amnestie für politische Vergehen. — Abg. Dr. Rosen« berg (Unabh. Soz.) glaubt feststellen zu können, daß die Justiz mit verschiedenem Maß Rechts und Link- messe. — Abg. Landsberg (Soz.) erklärt, unsere Zustände gestatteten es uns, einen Strich unter die poli tischen Straftaten der letzten Jahre zu machen. — Der kommunistische Amnestiegesetzentwurf wird mit 164 gegen 95 Stimmen abgelehnt. Die Entschließung des Rechts ausschusses wird angenommen. Es folgt die Beratung des Berichts des Haushalts ausschusses über die Anträge auf Erhöhung der Veamtenbesoldung. Der Ausschuß beantragt eine Entschließung, wonach die beabsichtigte Regierungsvorlage sofort nach ihrem Ein gang beim Reichstag an den Haushaltsausschuß gehe" soll, und wenn die Vorlage vor dem 1. Oktober dieses Jahres vom Reichstag nicht mehr verabschiedet werden könnte, der Ausschuß vor diesem Termin über eine Ermächtigung an die Reichsregierung Beschluß fasse" soll, in welcher Höhe Abschlagszahlungen auf die künf tige Vesoldungserhöhung zum 1. Oktober 1927 alw- gezahlt werden können. — Abg. Dr. Scholz (D. Vpt gibt im Namen der Regierungsparteien eine Erklärung ab. In dieser heißt es, daß die Regierungsparteien sm darin einig sind, daß entsprechend der Notlage der Be amten eine möglichst schnelle Verabschiedung der von der Negierung angekündigten Vorlage notwendig st" Sie fordern, daß diese Vorlage die Mängel des Besol dungsgesetzes abstellt und allen Beamten eine Lebens haltung ermöglicht, aus die sie nach Vorbildung, Ver antwortung wrd Leistung Anspruch haben. Sie erwarteNl daß Länder und Gemeinden sich dem Vorgehen de- Reiches anschließen. — Abg. Bender (Soz.) hält diese Regelung für völlig unzulänglich. Den Beamten mühs sofort geholfen werden. Die Notlage der Beamten st' geradezu entsetzlich. — Abg. Torgler (Komm.) wirst den Regierungsparteien schändliches Verhalten in der Frage der Beamtenbesoldung vor. Die Beamtcnschost habe einen Leidensweg ohnegleichen hinter sich. — Brodaus (Dem.) verlangt gleichfalls sofortige Hilst und begründet einen Antrag, wonach schon im Jul" August und September den Gruppen I—XII prozentu""' Zuschläge gezahlt werden sollen, Abg. Kling (M>r> schaftl. Vereinig.) verurteilt die Beamtendemonstrativnr" und erklärt, die Bauern und Arbeiter hätten noch wenigs Einkommen als die Beamten. — "Abg. Dietls (Franken, Nationalsoz.) weist darauf hin, daß bei df" Wahlen in Versprechungen für die Beamten eine E"f heitsfront von den Kommunisten bis zu den Dcustm nationalen bestand. Nichts sei aber dann geschehen, diese Versprechungen zu halten. — Abg. Dietri (Baden, Dem.) erklärt, die Beamten müßten so stellt sein, daß sie zum Staate stehen können. — Äfch Alpers (Wirtschaft!. Vereinig.) sichert die Mithub seiner Partei bei allen Maßnahmen für die Beamte'" schäft zu. — Damit schließt die Aussprache. Unter Ablehnung aller übrigen Anträge wird de Antrag des Ausschusses angenommen. ' nähme finden auch Anträge des Nerkehrsausschusstst die eine Schädigung der Grundbesitzer bei Anlage m')" und Vertiefung bisheriger Wasserstraßen vermeide' wollen, ferner Feststellung der Schäden wünschen, f durch die Weservertiefung entstanden sind, in dem weitere Maßnahmen verlangt werden, durch welche de Uferabbruch an der Unterelbe Einhalt getan wird wst schließlich Sicherungsmaßnahmen gegen Uferabbrüche " der Elbinsel Krautsand und an anderen Stellen Unterelbe. Ferner wird ein Antrag angenommen, die Beigabe eines zweiten Mannes auf elektrisch bell" Serien Lokomotiven wünscht. Weiter wird ein NussaM antrag angenommen, der die Reichsregierung ersucht, w gesichts der bestehenden Unklarheiten des geltenden New-' die Neuordnung der Neichsgewerbeordnung zu besam" nigen. — Das Haus vertagt sich