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Deutschlands Brüskierung in Gens. 17. Juni 1927 Die Genfer Konferenzen haben, worüber jetzt Ge wißheit besteht, kein Ergebnis gezeitigt und die plötzliche Abreise des französischen Außenministers Briand nach Paris wegen einer leichten Krankheit muß als Brüskierung des Reichsaußenmini st ers aufgefaßt werden. Noch am Mittwoch abend wurde zwischen Dr. Strese mann und den übrigen Locarnomächten eine Zusam menkunft vereinbart, die nicht unter Hinzuziehung Dr. Stresemanns lediglich zwischen Briand, Chamber lain und Vandervelde stattfinden und der abschließen den Erörterung desRhein la ndproblems gelten sollten. Wie wir von maßgebender Seite er fahren, hat der französische Außenminister in der Frage der Besatzungsverminderung Herrn Dr. Stresemann in den vorangegangenen Besprechungen nur ganz vage „Zusicherungen" gemacht. Es ist weiter Tatsache, daß die franzö sische Negierung sich auf Zahlen bezügl. der Zurückziehung französischer Vesatzungs- truppen aus dem Rheinland nicht festgelegt hat. In den Berliner politischen Kreisen nimmt man an, daß jetzt wieder ein langwieriger diplomatischer Meinungs austausch zwischen Berlin und Paris über das Be satzungsproblem einsetzen wird. Das Ergebnis wird sicherlich darin bestehen, daß die französische Regierung eine Umgruppierung des Besatzungsheeres vornehmen läßt und bei dieser Gelegenheit nur einige wenige 1000 Mann aus dem Rheinland zurückziehen wird. Die in einem Teil der französischen und der deutschen Presse bereits gemachten Zahlangaben werden an zuständiger Stelle nicht bestätigt, d. h. es könne gar keine Rede von der Bereitwilligkeit Frankreichs, die Besatzungstruppen nm 15V0V Mann zu vermindern, sein. Bei den nun mehr einsetzenden neuen Verhandlungen des deutschen Botschafters in Paris, von Hoesch, bezw. des Bot schaftsrates Dr. Rieth, wird es sicherlich noch zu Meinungsverschiedenheiten kommen, und zwar aus dem Grunde, weil man in Paris erklärt, die Besatzungs macht Frankreichs im Rheinlands betrage nur etwa 45 000 Mann. Tatsächlich sind aber im besetzten Gebiet etwa 60 000 Mann französischer Truppen untergebracht. Diese Meinungsverschiedenheit erklärt sich daraus, weil Frankreich das umfangreiche technische Per son a l in Höhe von über 10 000 Mann nicht als Mili tär in dem Sinne betrachtet, sondern als Zivil personen. Die Schwierigkeiten der Thoiry-Politik. 17. Juni 1927 In einem Kommentar zu den gestrigen Ereignissen in Genf spricht Pertinax von einem plötzlichen Abbruch der Verhandlungen zwischen Stresemann und Briand. Briand hätte Stresemann wohl eine Verminderung der Rheinlandbesatzung zu gesagt, ohne daß Stresemann hierfür feste Bindungen erhalten hätte. Gestern hätte noch eine entscheidende Unterredung zwischen den beiden Außenministern über diesen Punkt stattsinden sollen, Briand sei jedoch vorher von Genf abgereist und dürfte durch seine Erkrankung für Wochen vom Quai d' Orsay ferngehalten werden. Pertinax führt weiter aus, daß Briand nur infolge der Schmierigkeiten, denen er bei der Verwirklichung der Politik von Thoiry be gegnet sei, das Tempo der Annäherung ver langsamt habe. In den Unterredungen zwischen Stresemann und Briand soll auch von der Räum u n g selbst die Rede gewesen sein. Die Forderung Briands nach Schaffung einer Kontrollkommission in der entmilitarisierten Zone hätte Stresemann aber mit der Forderung nach Aus dehnung der Kontrolle auf französisches Gebiet beant wortet. Die „Erfolge" Dr. Stresemanns. Der Genfer Korrespondent des „Petit Parisien" erklärt, daß Dr. Stresemann diesmal nicht mit leeren Händen nach Berlin zurückkehren werde. Als Erfolg des Reichsaußenministers bezeichnet er die als sicher anzusehende Aufnahme Deutschlands in die Mandats kommission, sowie das Uebereinkommen in der Memelfrage. Das Ergebnis der Besprechungen des Völkerbunds rats über das russische Problem faßt der Korrespondent dahin zusammen, daß bis aus weiteres jeder Staat seine volle Handlungsfreiheit bei behalte und Chamberlain seine antirus sisch e P o l i t i k a l l e i n w e i t e r f ü h r e. Zu der gleichen Frage erklärt Sauerwein im Matin, daß Frankreich als Verbündeter Polens das größte Inter esse daran habe, im voraus die Haltung Deutschlands hinsichtlich des Artikels 16 des Völkerbundspakts zu kennen, da es von der Entscheidung Deutschlands ab hängig wäre, ob Frankreich seinen polnischen Verbün deten beistehen könne. Kehraus in Genf. 17. Juni 1927 Nach Erledigung der letzten Programmpunkte in der heute beginnenden Völkerbundsratssitzung werden die meisten Delegationen voraussichtlich bereits heute abend Genf verlassen. Chamberlain dürfte heute abend abreisen, während Stresemann nach den bisherigen Dispositionen erst am Sonnabend oder Sonntag früh Genf verlassen wird. Ein Teil der deut schen Delegation reist bereits am Sonnabend früh. Der jugoslawisch-albanische Konflikt. 17. Juni 1927 Wie jetzt bekannt wird, ist in den Besprechungen der sechs Staatsmänner auch die Regelung des jugo slawisch-albanischen Streitfalls ein gehend behandelt worden. Es soll eine Einigung dahin erzielt worden sein, daß eine Völkerbünds- intervention in diesem Konflikt nicht als zweck mäßig angesehen wird. Ferner soll beschlossen worden sein, bei den beiden beteiligten Regierungen auf mög lichst baldige Regelung des Streitfalls hinzuwirken. Wie verlautet, ist der Vertrag von Tirana in den Ver handlungen nicht berührt worden. Ein Schritt -er Mächte in Betgrad un- Tirana. Der Genfer Korrespondent des „Petit Parisien' weiß über den an Tirana und Belgrad zur Lösung des albanisch-südslawischen Konflikts gemachten neuen Vor schlag der Mächte zu berichten, daß Albanien den ver hafteten Dolmetscher freilassen, Südslawien aber in seiner Note an den Völkerbund die Stellen streichen soll, die Albanien verletzen. Der Korrespondent be merkt hierzu, daß dieser Vorschlag für Südslawien ein neues Opfer der Eigenliebe bedeute. Albanien hätte es abgelehnt, gleichzeitig mit der Freilassung des Dol metschers auch die Dokumente herauszugeben, die man bei dem Dolmetscher gefunden habe. Verschärfung -er russisch-polnischen Spannung. 17. Juni 1927 In Moskau fanden gestern zahlrei ch e Straßendemonstrationen als Protest gegen das milde Urteil gegen den Wojkowmörder statt, die sich vor allem gegen das polnische Gesandtschaftsgebäude richteten. Der polnische Gesandte hat besonderen polizei lichen Schutz erhalten. Der in Moskau weilende erste Sekretär der russischen Gesandtschaft in Polen, Arkad- jew, hat sich nach Warschau begeben, um der dortigen russischen Gesandtschaft neue Instruktionen zu überbrin gen. Litwinow äußerte in einer Unterredung mit dem Moskauer polnischen Gesandten, daß die polnische Re gierung einen Fehler begangen habe, indem sie das milde Urteil zugelassen habe. Eine Begnadigung des Mörders zu 15 Jahren Zwangsarbeit sei geeignet, die russisch-polnischen Beziehungen noch mehr zu gefährden. In Moskau geht das Gerücht um, daß die Sowjetregie rung bereit sei, den polnischen Offizier Jani gegen den Mörder Wojkows auszutauschen. Es heißt aber, daß die polnische Regierung sich auf diesen Tausch nicht ein lassen werde. . Neue russische Vorstellungen in Warschau. Wie aus gut unterrichteter Moskauer Quelle ge meldet wird, hat Litwinow den russischen Geschäfts träger in Warschau Uliwanow heute telegraphisch an gewiesen, von der polnischen Regierung eine Antwort aus die letzte russische Note zu fordern. Ulinawo wird wahrscheinlich morgen im polnischen Außenministerium wegen der letzten Ereignisse vorstellig werden. Am 4. Juli wird in Genf eine Kommission zusammentrelen, um die vor längerer Zeit vom Völkerbuudsrat beschlossene Gründung eines Welt-Nothilfe-VerbandeS vorzunehmen. Dieser Verband soll bei großen Katastrophen — Überschwemmungen, Erdbeben usw. — die internationale Hilfeleistung organisieren. Der Vorsitz in dieser Konferenz ist Deutschland übertragen wor den, das den früheren Reichsinnenminister Külz dafür bestimmt hat. Dieser Vorschlag ist vom Völkerbundsrat angenommen worden. Eine Vökkerbundsanleihe von 9 Millionen Pfund für Griechenland. Genf, 17. Juni. Das besondere Komitee des Völker bundsrates für die griechischen Finanzfragen hat heute in einer kurzen Geheimsitzung beschlossen, dem Völker bundsrat in der öffentlichen Sitzung am Freitag die An nahme einer Anleihe von 9 Millionen Pfund Sterling für Griechenland zu empfehlen. Moskau und die Genfer Verhandlungen. Riga, 17. Juni. Wie aus Moskau gemeldet wird, gib die Sowjetpresse ihrer Befriedigung über den ergeb nislosen Verlauf der Genfer Tagung Ausdruck. Die gegenwärtige Tagung habe die politische Spannung "' Europa nur verstärkt und bewiesen, daß der Völkerbund machtlos sei. Der Geist von Thoiry sei endgülig erledig' Die Anti-Sowjetfront könne trotz der Bemühungen EE lands nicht zustandekommen. Ein neues Todesurteil in Rußland. Berlin, 17. Juni. Wie die „Morgenblütter" Moskau melden, verurteilte das Militärtribunal "> Kronstadt den ehemaligen Kommandanten eines der baltischen Flotte angehörenden Schiffes Klepikow wegen Spionage zugunsten Englands zum Tode, seine wegen Beihilfe zu drei Jahren Gefängnis. Tschangtsolin Oberbefehlshaber der Nordtrüppen. Berln, 17. Juni. Wie die Morgenblätter aus Pe- king berichten, hat Tschangtsolm mit Einverständnis de' anderen Befehlshaber der Nordtruppen den OberbeM über sämtliche Truppen des Nordens übernommen. Sächsischer 2an-tag. (36. Sitzung.) EL. Dresden, 16. Juni. Die Sitzung beginnt um 11 Uhr. Abg. Edel (Soz.) begründet den Mißtrauet antrag gegen den Ministerpräsidenten Heldt. Der Red ner beschäftigt sich mit den Verhandlungen über die Re gierungsumbildung, die nichts weiter als ein Aewte" schacher sei. Die Ältsozialisten beweisen hier aufs neu- daß sie ein Anhängsel der Bürgerlichen und der DeuO nationalen sind. Abg. Böttcher (Komm.) spricht zur Begrün düng des Antrages auf Auflösung des Landtages. meint, Stresemann gehöre wegen des Reichswehren Marsches von 1923 ins Zuchthaus. Das gesamte Bürgel tum pfeift auf die Verfassung. Der Redner wird l"' Sache gerufen, als er über Locarno und andere fer" liegende Dinge spricht. Zum Schluß fordert er die V' tatur des Proletariats. Abgeordneter Eberle (Dtn.) hielt die AntwR nur für Agitationsanträge, die die deutschnatio»^ Fraktion ablehnen werde. Sie werde ihre Entscheids""' erst treffen, wenn der Ministerpräsident durch legung einer Ministerliste ein sachliches Urteil e' mögliche. Abgeordneter Tittmann (Nationalsoz.) gründet die Zustimmung zu den Anträgen mit de"' Verbot des Wiking durch das Innenministerium, das das gesamte Kabinett verantwortlich sei. R" dieser Zustimmung solle aber die Arbeit des Kabim'b" nicht im ganzen beurteilt werden. Eine weitere Aussprache findet nicht statt. beiden Anträge werden gegen die Stimmen der Dein" traten, Sozialdemokraten und Kommunisten abgelc^' Dann tritt man in die Beratung der EtatstW^ Gerichte, Eefängnisanstalten und Justizministeriell Abgeordneter Göttling (Aufwertungspcn^ erstattet den Bericht des Haushaltsausschusses die Bewilligung beantragt. In einer Reihe von zu vorliegenden Anträgen wird u. a. die Beseitig der Einrichtung der Gefängnisgeistlichen gefordert. Die kommunistischen Abgeordneten Siewe" und Roscher begründeten weitere Anträge, in de'" u. a. eine Amnestie für politische Verbrechen und Vergehen gegen die 88 218 und 219, mildere legung der Hoch- und Landesverratsparagraphen gründliche Reform des Strafvollzuges verlangt ""'s Abg. Büchel (Soz.) spricht zur Begründung Antrages, nach dem sich die Regierung bei den weist" Beratungen des Strafgesetzentwurfcs für Abschach"' der Todesstrafe einsetzen soll. Abg. Dr. Wagner (Dtn.) erklärt, man d"^ die Todesstrafe nicht grundsätzlich beseitigen, aber 's", solle sie nur in Ausnahmefällen bei vorsätzlichem M., anwenden. Dann weist der Redner Angriffe gegcst st Justiz zurück und bittet zu berücksichtigen, daß ein R's" bau an den Kräften der Richter und sonstigen W" beamten verübt werde. Abg. Neu (Soz.) meint, im Klassenstaat kolM^ natürlich nur eine Klassenjustiz geben, das sei dings nicht das gleiche wie bewußte Rechtsbeugung- Redner bringt unter Anführung einer großen von Fällen heftige Angriffe gegen die Justiz vor- Abg. Dr. Gelfert (D. Vp.) nimmt sich mehrest Beamtenforderungen an und wendet sich gegst' F Forderung auf Beseitigung von GefängnisgeistlE. Justizministcr Dr. Bünger dankt den beamten, die mit Arbeit außerordentlich übelst', seien Der Minister erklärt weiter, er sei immer eine Amnestie gewesen und habe der Einzelbcg"" „ gung den Vorzug gegeben. Die Regierung lehne eine Amnestie ab. Im übrigen gäbe es in Suchst" ungefähr 20 politische Gefangene. Aenderunge" Strafvollzug seien jetzt nicht möglich, da das Reim Strafuollzugsgesetz vorbereitet. Für Abschaffung^ Todesstrafe sei der Landtag nicht zuständig. dM" '/ ja aber, daß nur noch wenige Todesurteile vom' werden. Der Minister beschäftigt sich dann mit de' der Aussprache vorgebrachten einzelnen Fragen, den Vorwurf der Klassenjustiz zurück und erwähn".^ die sächsische Justizverwaltung vom ReichsjustU'" < sterium ein Lob für rasche Erledigung der Aw tungssachen erhalten habe. In der Abstimmung werden die Einstellung^'' den Justizkapiteln genehmigt. Angenommen u>c >^ auch die dazu vorliegenden Mehrheitsantragc. gelehnt wird nur der Antrag, der sich gegen du fängnisgeistlichen richtet. Die in der ersten Beratung behandelten nistischen und sozialdemokratischen Justizantrchle g ebenso wie ein am Schluß der Sitzung beha''^ sozialdemokratischer Antrag über die Reform dev scheidungsrechts an den zuständigen Ausschuß- Nächste Sitzung Dienstag, 21. Juni.