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Kurze Mitteilungen. 11. Februar 1927 Die Zahl der Hauptunterstützungsempfänger in der Erwerbslosenfürsorge im Reiche in der Meilen Januar hälfte zeigt im Gesamtergebnis einen Rückgang um rund 12 OVO — 0,7 Prozent. Die Zahl der männlichen Haupt- unterstützungsempfänger ist zwar von 1555 000. auf 1558 000 gestiegen, die Zahl der weiblichen Hauptunter- stühungsempfüngcr dagegen von 283 000 auf 268 000 zurückgegangen. Die Gesamtzahl hat sich von 1838 000 auf 1826 000 verringert. Die Zahl der Zuschlags empfänger sunterstühungsberechligten Familienangehö rigen) ist von 2 078 000 auf 2 089 000 gestiegen. In der Gegend des Lhiem-Tees zerritz beim Scharfschiessen einer Reichswehr-Batterie das BerschlMtück einer 7,6 Zentimeter-Haubitze. wobei vier Kanoniers schwer verletzt wurden. Bei der Durchsuchung eines französischen Mittelmeerdampfers in Neapel durch faschistische Polizei wurden 18 Antifaschisten f e st g e n o m m e n. Der Warschauer Polizei gelang die Auf deckung umfangreicher Kindesentführungen, die von Franzosen zu Erpressungen begangen worden waren. Evang.-luth. Landessynode. 11. Februar 1927 Die Donnerstagsitzung trat nach Wahlprüfungen in die Besprechung des statistischen Berichtes des Evan- gclisch-luthersichen Landeskonsistorium über die Zustände in der Landeskirche in den Jahren 1923 bis 1925 ein. Aus dem umfassenden Berichte des Synodalen Kretzsch mar sei folgendes festgehalten: Die evangelische Kirche hat auf der Hut zu sein gegen die unablässige rührige, Propaganda der römisch-katholischen Kirche. Dem kirch lichen Leben, namentlich dem Konfirmationsgottes dienste, der Uebertritts- und Austrittsbewegung, den Ehe schließungen und Trauungen, den Geburten und Taufen, dem Empfang des Abendmahls u. a., ist lebhafteste Auf merksamkeit zu schenken. Die ethische Beurteilung des Selbstmordes scheint ins Schwanken zu geraten; man versucht für Selbstmord den Namen „Freitod" einzu führen. Das ist eine Verirrung, das Wort geht gegen das christliche Gewissen. Aber dennoch ist die Kirche verpflichtet, angesichts der erschreckenden Zahlen der Selbstmordstatistik Selbstbesinnung, christliches Erbarmen und soziale Tat zu üben. — Der Ausschuß für Innere Fragen legte zu dem Gegenstände den Antrag vor: 1. Das Landeskonsistorium zu ersuchen, in dem dem nächst erscheinenden „Statistischen Handbuche für die Landeskirche" soweit als möglich die Zahlen der letzten Volkszählung zu berücksichtigen; ferner bei künftigen Be richten zum Ausdruck zu bringen, daß die Zahlen in gewissen Tabellen des Berichts (lll bis V) teilweise zurzeit nicht auf sicheren Unterlagen beruhen; und die einschlägigen Bestimmungen über die Auskunftspflicht der Standesämter den Pfarrämtern in geeigneter Weise be kanntzugeben; 2. folgende Entschließung zu fassen: Die Synode nimmt mit Dank davon Kenntnis, daß das Landeskonsistorium bereits Schritte unternommen hat zur Einschränkung der sportlichen Veranstaltungen wäh rend des Hauptgottesdienstes; sie erwartet, daß es diese Angelegenheit weiter verfolgt. Zugleich richtet sie an alle christlichen Kreise unseres Volkes die ernste Mah nung, dafür zu sorgen, daß unserer Jugend die Mög lichkeit zur Heiligung des Feiertages und insbesondere zur Teilnahme am Gottesdienste gewährt und erhalten werde. In der Debatte führte Synodale Dr. Krum biegel aus, daß die Verschiebung der evangelisch-luthe rischen Bevölkerung durch die Siedlungen zu ernstester Beachtung auffordere. Zum Beispiel seien allein in Eruna in 972 Siedlungshäuser 4000 Einwohner ein gezogen. Die Zahlen würden sich im nächsten Jahre verdoppeln. Jede schnelle Abhilfe der Wohnungsnot sei zu begrüßen, aber die Kirche dürfe sich durch allzu schnelle Entwicklung nicht erdrücken lassen, lieber den Wegzug größerer Bevölkerungsschichten aus wohleinge richteten Gemeinden in solche, die weder Kirche noch Pfarrhaus haben, mache sich die Schaffung statistischer Unterlagen notwendig. Die Bewohner der Siedlungen fühlten sich zu einer neuen Gemeinschaft gehörig. Das werde ausgenützt zur Kirchenaustritts- und Sektenpropa ganda (ganz abgesehen von der politischen Propaganda). Der Berichterstatter stellte demgemäß den Antrag, das Landeskonsistorium möge den Verschiebungen der evan gelisch-lutherischen Bevölkerung durch die Siedlungen nach gehen und die Anpassung der Pfarrbezirksgrenzen dem entsprechend in die Wege leiten. Die Anträge des Aus schusses für Innere Fragen und der Antrag Dr. Krum biegels wurden einstimmig angenommen. Aus aller Wett. 11. Februar 1927 Wieder vier Schwerverbrecher ausgebrochen. Aus der Strafanstalt Lichtenberg sind gestern nacht wieder vier Schwerverbrecher ausgebrochen, nachdem erst vor kurzem fünf Zuchthäusler entflohen waren. Unter den Ausgebrochenen befindet sich der zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilte Hermann Adam. * Großfeuer in der Herderschen Verlagsbuchhand lung in Freiburg. Gestern wütete in den ausgedehnten Kellerräumen der Herderschen Verlagsbuchhandlung ein Eroßfeuer, das in den aufgestapelten alten Büchern und der Makulatur reiche Nahrung fand. Die Rauch entwicklung war so stark, daß es der Feuerwehr trotz der Rauchmasken nicht möglich war, über die Kellertreppe an den Brandherd zu gelangen. * Tödlicher Unfall eines schwedischen Eiskunst läufers. Bei einem Eisfest in Pontresina fiel der be kannte schwedische Eiskunstläufer Larsen während der Ausführung einer komischen Nummer plötzlich um und blieb tot liegen. Als Todesursache wird Herzschlag an genommen. * Vier Opfer eines Sprengungsunglücks. Wie aus Oslo gemeldet wird, ging gestern bei Overhalla in West norwegen die Minensprengunq zur Durchtunnelung eines Berges verfrüht los. Acht Arbeiter wurden von den Eesteinsmassen verschüttet. Nur vier konnten lebend geborgen werden. * 13 Hochzeitsgäste an giftigem Schnaps gestorben. — Weitere 12 hoffnungslos erkrankt. Wie die Morgen blätter aus Warschau melden, hatte in einem Dorfe des Wilnagebietes ein Bauer zur Hochzeit Schnaps von einem illegalen Händler gekauft und dabei offenbar Methyl-Alkohol erhalten. Am Tage nach der Hochzeit starben 13 Gäste und weitere 12 liegen hoffnungslos dar nieder. Die übrigen Gäste sind mit einer leichten Er krankung davongekommen. Lohnbewegungen und Streiks. 11. Februar 1927 Drohende Cesamtaussperruna der Metallarbeiter in Sachsen. Da die streikenden Arbeiter der Metall industrie im Leipziger Bezirk bis Donnerstag mittag die Arbeit nicht wieder ausgenommen hatten, hat der Verband der Metallindustriellen im Bezirk Leipzig die Aussperrung verfügt und die Arbeiter entlassen. Es handelt sich um rund 25 000 Arbeiter. Zur Unterstützung dieser Maßnahme hat das sächsische Kartell der Arbeit geberverbände in der Metallindustrie die Aussperrung in ganz Sachsen zum 15. Februar beschlossen, falls die Wiederaufnahme der Arbeit nicht bis zum 11. Februar erfolgt ist. Handel und Industrie. 11. Februar 1927 Ueber die Arbeitsmarktlage berichtet das Landes amt für Arbeitsvermittlung: Die Zahl der Hauptunter stützungsempfänger von Erwerbslosenunterstützung hat sich in der Zeit vom 15. Januar 1927 bis zum 1. Februar 1927 um 7019 auf insgesamt 200 026 gesenkt. In dieser Abnahme sind allerdings nicht nur die Arbeitsuchenden einbegriffen, die in ein Arbeiksoerhältnis zurücktreten konnten, sondern auch die, die zu Notstandsarbeiten neu herangezogen wurden und die, die als Ausgesteuerte in die Krisensürsorge übergehen mußten. Zahlenmäßig läßt M der Anlell der letzteren Gruppe noch nicht angeben. Immerhin bleibt jedoch bemerkenswert, daß das Angebot an Arbeitskräften nicht mehr zugenommen hat. Aus den Berichten der öffentlichen Arbeitsnachweise geht gleich zeitig hervor, daß auch die Zunahmebewegung "der Nach frage nach Arbeitskräften angehalten hat. Die Land wirtschaft begann zum Monatsschluß Arbeitskräfte, neben weiblichen eingerichteten auch männliche Landarbeiter, an zufordern. In den Steinbrüchen und Ziegeleien zog der Bedarf an Arbeitskräften ebenfalls in geringem Maße an. In der Metallindustrie blieb die Bewegung in den bisher mäßigen Grenzen. Zu- und Abgang wech seln. Ausgesprochene Tendenz zur Zunahme der Nach frage zeigt dagegen die gesamte Textilindustrie. Abge sehen von örtlichen Ausnahmen wurde die Nachfrage, insbesondere nach weiblichen Kräften, lebhafter. Die Vermittlungstätigkeit der öffentlichen Arbeitsnachweise war hier sehr rege. In der Papier-, Leder- und Holz industrie sind örtliche Schwankungen beobachtet worden. Hier halten sich Zugang und Abgang im ganzen die Wage. In der Nahrungsmittelindustrie und im Be kleidungsgewerbe ist dagegen die Nachfrage stärker her vorgetreten. In den Außenberufen, im Baugewerbe ins besondere, ist der Beschäftigungsgrad gegenüber dem Vor jahre relativ günstiger. Die Bewegung ist augenblicklich bei der unbeständigen Witterung in ihrer Tendenz noch nicht endgültig zu erkennen. Auf dem Arbeitsmarkte im Musik- und Gastwirtsgcwerbe machen sich die Veranstal tungen der Karnevalszeit durch eine sichtbare Abnahme des Angebots bemerkbar. Auch für ungelernte Arbeits kräfte besserte sich die Marktlage. Im ganzen kann ge sagt werden, daß der Arbeitsmarkt eine Bewegung der Besserung zeigt, die ihn bei Anhalten dieser Entwicklung bald günstiger erscheinen lassen wird als zur gleichen Zeit im Vorjahre. Immerhin bleibt das Gesamtangebot an Arbeitskräften nach wie vor außerordentlich viel größer als die Aufnahmefähigkeit des Produktionsapparates trotz offensichtlich vielfach nicht ungünstiger Geschäftslage. Die SM-MW Krise. Die HandelsvertragsverhanVlungen gefährdet. Da sich die Verhandlungen nun schon seit Mo naten Hinschleppen und nicht vom Fleck kommen, außerdem die Ausweisungen deutscher Staats- angehöiiger aus polnisch Oberjchlesien hinzu kommen, so droht die deutsche Regierung mit dem Abbruch der HandelsvertragsverhanVlungen. llnlere Bilder zeigen links den deutschen Ge sandten in Warschau, Ludwig Rauscher, und rechts den polnischen Gesandten in Berlin, Olszewski. 28s (Nachdruck verboten.) Der alte Friedrich betrachtete sie still eine ganze Weile und dann schob er einen Schirm vor die Lampe, damit sie das Licht nicht stören sollte. Sanna erwachte erst, als es Heller Tag war. Der Professor schlief noch immer. Das geschah oft, wenn er leidend gewesen war. Wenn ihn dann der Schlaf über fiel, hielt er sehr lange an. Oft erwachte er dann erst um Mittag und fühlte sich dann gewöhnlich wieder ganz wohl. Verwundert rieb sich Sanna den Schlaf aus den Augen und sah sich um. Friedrich nickte ihr lächelnd zu. „Sie haben wenigstens ein paar Stunden geschlafen, gnädiges Fräulein. Im Hause ist schon alles wach. Ich glaube, nun können Sie ruhig wieder in Ihre Zimmer gehen." Leise erhob sich Sanna und verließ die Zimmer des Onkels. Sie begab sich hinüber nach dem Eßzimmer, wo um diese Zeit der Frühstückstisch bereit stand. Sie fühlte sich so elend, daß sie nach einer Tasse starken Kaffee Ver langen trug. ES war alles wie sonst. Sie hätte glauben können, ein böser Traum habe sie genarrt. Am Frühstücksttsch saß Tante Anna, friedlich und süß lächelnd, wie immer. „Et, du Langschläferin, du läßt heute lange auf dich warten," schalt sie neckend. Sie gab sich klugerweise den Anschein, als habe sie keine Ahnung, was gestern abend geschehen war und daß Sanna die ganze Nacht nicht in ihrem Zimmer gewesen war. Sanna hatte eine sehr schlechte Meinung von Tante Anna, aber daß diese von dem Überfall ihres Sohnes wußte und diesen gar gebilligt und unterstützt hatte, das traute sie ihr doch nicht zu. Sie ahnte nicht, daß Tante Anna, nachdem sie in wilder Flucht in den Zimmern ves Onkels verschwunden war, ihren Sohn eilig in ihr Zim mer gezogen und ihm kühle Umschläge aus das von Sannas Faust getroffene Auge gemacht hatte. Mutter und Sohn hatten dort atemlos gelauscht. Aber da alles still blieb, atmeten sie auf. Leise war Anna von Rehling dann hinunter geschlichen und hatte durch das Schlüsselloch in das Zimmer gespäht, in das Sanna ge flohen war. Da sah sie die junge Dame im Lehnstuhl sitzen. Jedenfalls wußte Onkel Michael also noch nichts von dem Überfall. Frau von Rehling hatte dann mitten in der Nacht ihren Sohn aus dem Hause gelassen, nachdem sie beraten hatten, wie sie sich leidlich aus der Affäre ziehen konnten. Wie Gregor in ihr Zimmer gelangt war, ahnte Sanna nicht. Sie glaubte, er habe sich heimlich, ohne jede andere Hilfe, bet ihr eingeschlichen und sich dann ebenso heimlich entfernt. Die scheue, stolze Scham eines reinen Mädchenherzens schloß Sanna den Mund, auch Gregors Mutter gegenüber. Aber sie vermochte auf die neckende Anrede der alten Dame nichts zu erwidern. Hastig nahm sie eine Tasse Kaffee und ging dann in ihre Zimmer. Sie ließ die Tür offen stehen und sah sich erst überall um, als sei sie nicht sicher, daß Gregor doch noch hier auftauchen könne. Tann erst zog sie die Tür hinter sich ins Schloß und drehte den Schlüssel um. Mit schmerzenden Schläfen setzte sie sich an das Fenster und sah mit einem trostlosen, traurigen Blick in den Garten hinaus. Und sie war nur von dem einen Wunsch beseelt, daß sie Gregor nie wieder begegnen möchte. Keinen Augenblick glaubte sie, daß Gregor diesen Überfall aus Liebe zu ihr in Szene gesetzt hatte. Sie durchschaute ihn und wußte, daß es ihn nur nach ihrem Reichtum gelüstete. All seine und seiner Mutter Manöver hatten ja nur den Zweck, die reiche Erbin für Gregor ein zufangen. Sanna biß die Zähne zusammen. „Lieber sterben," sagte sie vor sich hin. Und sie beschloß, von jetzt an ihre Zimmer unter strengem Verschluß zu halten. Frau von Rehling hatte Sanna mit einem bösen, haß erfüllten Blick nachgesehen als sie das Eßzimmer verließ. Dann erhob sie sich und ging hinüber nach den Zimmern des Professors. Friedrich teilte ihr mit, der Herr Professor schlafe noch und habe die ganze Nacht ununterbrochen geschlafen. Aber mit keinem Wort verriet er, daß das gnädige Fräu lein die ganze Nacht hier im Lehnstuhl verbracht habe. Erstens sprach er nie von Sachen, nach denen er nicht ge fragt wurde, und zweitens hegte er für die Frau von Rehling durchaus keine sehr freundlichen Gefühle. Frau von Rehling hütete sich gleichfalls, dies Thema zu berühren. Sie wußte ja, daß Sanna die Nacht hier verbracht hatte und wollte den Anschein erwecken, als habe sie davon gar keine Ahnung. Befriedigt hörte sie nur, daß der Professor seit gestern abend schlief. Sanna konnte ihm also noch nichts gesagt haben. Frau von Rehling hoffte, daß sie überhaupt dar über schweigen würde, denn sie wußte, daß Sanna zu stolz war, sich irgendwie zu beklagen bei ihrem Oheim. Sollte sie aber doch plaudern, so leugnete Frau von Rehling jede Mitwissenschaft. Das hatte sie mit Gregor verabredet, der durch die Vereitelung seines Planes merk lich niedergeschlagen und verstimmt war. Mutter und Sohn hatten vereinbart, daß Gregor am nächsten Morgen vorläufig abreisen sollte, ohne noch einen Versuch zu machen, den Professor zu sehen und zu sprechen. „Es ist besser, Gregor, du kommst erst Ostern wieder. Wir müssen erst sehen, wie sich Sanna nach diesem Vorfall benimmt. Du schreibst mir vom Hotel aus einige Zeilen, die ich Sanna und Onkel Michael vor die Augen bringen kann. Dann will ich erst sondieren, was geschehen muß. Möglicherweise hat Sanna dennoch deine leidenschaftliche Werbung imponiert. Mädchenherzen sind unberechenbar. Sie muß ja nach deinem Benehmen an eine himmel stürmende Leidenschaft glauben. Wer weiß, ob sie sich nicht dennoch besinnt. Vorläufig ist es aber geboten, daß du ab reist. Schreibe mir also einen wirkungsvollen Ab schiedsbrief. Kannst ruhig dem Onkel gegenüber ein wenig den Gekränkten spielen. Ich muß nun erst einmal heraus bringen, weshalb er so verändert ist und was er eigent lich gegen uns hat." So hatte Frau von Rehling zu ihrem Sohne gesagt. (Fortsetzung folgt.)