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Stresemann, Briand und Zaleski. 9. März 192/ Heute nachmittag findet die angekiindigte erste Zusammenkunft zwischen Reichsaußenminister Dr. Stresemann und dem polnischen Außen minister Zaleski statt. In diesen und weiteren Unterredungen wird der gesamte Komplex der deutsch polnischen Beziehungen insbesondere die Wiederauf nahme der Handelsvertragsverhandlungen sowie die Frage des Niederlassungsrechtes eingehend erörtert werden. — Die gleichfalls im Laufe des Nachmittags statt findende neue Unterredung Dr. Stresemanns mitBriand wird in erster Linie wieder der Lösung der Saarfraqe gelten, die noch immer ernste Schwierig keiten bereitet. Deutscherseits kann nach wie vor eine Regelung der Saarfrage ohne eine grundsätzliche Um bildung der gegenwärtigen Saar-Regierung nicht als befriedigend angesehen werden. — Weiter wird in Kreisen der deutschen Delegation heute erklärt, daß in den bisherigen Verhandlungen des Außenministers die Frage der Kolonialmandate nicht behandelt worden ist. Kompromitzverhandlungen — Die Rhein landfrage soll im Juni gelöst werden. Nachdem ein Kompromiß in der Frage der Zu rückziehung-der französischen Truppen aus dem Saar gebiet und der Einsetzung eines Bahnschutzes sich in den Beratungen der Mitglieder der einzelnen Dele gationen anzubahnen scheint, will man nunmehr auch zu einem solchen über die o b e r f ch l e s i! ch e n Min derheilsschulen kommen. Ein Unterkomitee des Völkerbundrates wird einen Bericht über die Minder heitsschulen ausarbeiten, dem als Grundlage der be kannte Schiedsspruch des Präsidenten Lalonder dienen soll. Die deutsche Delegation hat schon am Montag zu verstehen gegeben, daß die Reichsregierung entschlossen ist. den internationalen Gerichtshof anzu rufen. wenn der Völkerbundrat etwa der polnischen These zur Annahme verhelfen und damit das berechtigte Verlangen der deutschen Minderheit in Polnisch-Ober schlesien über die Schulfrage ablehnen sollte. Dis f e st e , Haltung Dr Stresemanns in dieser An- § gelegenheit hat denn auch die übrigen Ratsmitglieder ! bewogen, von einem übereilten Beschluß abzusehen ein Unterkomitee einzusetzen, das sich mit dieser Materie be schäftigen und einen Bericht ausarbeiten soll. Diesem Unterkomitee, das aus drei Personen besteht gehören an der italienische Delegationsfllhrer Scialosa und merkwürdigerweise auch ein Kolumbier, der wohl über herzlich wenige Kenntnisse in oberschlesifchen Angelegen ¬ heiten besitzt. Wie unser Genfer Korrespondent von unterrichteter Seite hört, hat der polnische Außen minister Zaleski die Anregung zu der Einsetzung dieses Unterkomitees gegeben. Das Warschauer Kabinett be streitet nämlich das rein formale Recht der oberschlesi schen Minderheiten in der Schulfrage nicht mehr. Inzwischen gehen die Besprechungen Dr. Strese manns mit den Außenministern Englands und Frank reichs über die großen internationalen Probleme fort. Gerüchte wollen wissen, daß Chamberlain einen Druck auf den deutschen Außenminister dahingehend ausübt. daß er sich der britischem Außenpolitik gegenüber Ruß land anschließen soll. Die hiesigen Korrespondenten der großen englischen Zeitungen verbreiten bereits ge flissentlich Nachrichten, nach denen Chamberlain sich dafür einsetzen wolle, daß der für das Saargebiel vorgesehene Bahnschutz nur etwa 300 Mann stark sein solle, falls Dr. Stresemann sich bereit erklärt, der bri tischen osteuropäischen Politik mehr „Interesse" zuzu wenden. Dieses Manöver ist so plump, daß man in Kreisen der deutschen Delegation von ihm kaum Notiz nimmt, sondern daraufhinweist, daß Briand unter allen Umständen entschlossen ist. seine Forderuna auf Ein setzuna eines Bahnschutzes im Saargebiet in Stärke von 800 Mann ausrechtzuerhallen. Was die Frage der R h e i n l a n d r ü u m u n g betrifft, so ist man deutscherseits entschlossen, dieses Pro blem nicht überstürzt zu behandeln. Die halbamtliche Auslassung, nach der das Recht Deutsch lands, auf Grund von Artikel 431 des Versailler Ver trages die Räumung des besetzten Gebietes vor Ablauf der Besatznngsfristen zu beanspruchen, wohl von keiner Seite mehr bestritten werde, findet in Genf große Be achtung. Die Regierungen von Paris und London wer den sich also darauf gefaßt machen müssen, daß die Reichsregierung nach Beendigung der gegenwärtigen Völkerbundstagung das Näumungsproblem mit allem Nachdruck zum Gegenstand diplomatischer Besprechungen machen wird. Ob das Berliner Kabinett aus diesem Grunde eine Note an die Vertragspartner des Ver sailler Vertrages richten wird, die auf das Recht Deutschlands hinweist, nach dem auf Grund des Arti kels 431 des Versailler Vertrages die Räumung des be setzten Gebietes vor Ablauf der Befatzungsfristen zu er folgen hat. steht noch dahin. In Berlin wird man aus jeden Fall die notwendigen Vorbereitungen treffen, um auf der Juni-Tagung des Völkerbundes die Zurück ziehung der fremden Besatzungstruppen aus dem Rhein land offiziell zu verlangen, um so mehr, als Deutschland die ihm im Versailler Vertrag auferlegten Verpflich tungen vollauf erfüllt hat. Neuer Kammersieg Poineares. ' 9. März 19-7 In der gestrigen Kammersitzung stellte Poincare noch einmal fest, daß es die Regierung für ungünstig halte, den Beschlußantrag Auriols in der Frage der provisorischen Schuldenregelungen im gegenwärtigen Augenblick zu diskutieren. Er werde die Vertrauens frage stellen und die Stimmenthaltungen dabei als Gegenstimmen rechnen. In den letzten Verhandlungen mit London und Washington sei nichts unternommen worden, was als Eingriff in die Rechte des Parlamen tes gewertet werden könnte. Der Abschluß provisorischer Abkommen sei nur erfolgt, um dem Parlament Zeit zum Studium des Schuldenproblems zu lassen. Es gäbe nur zwei Möglichkeiten, entweder glatte Ablehnung oder Verschiebung der Ratifizierung. Die Regierung über nehme für die letztere Möglichkeit die volle Verantwor tung. Poincare schloß mit dem Hinweis, daß die pro visorischen Abmachungen Frankreich Gelegenheit gäben, die Frage der Ratifizierung der Schuldenabkommen unter besseren Bedingungen zu lösen. Die Regierung rechne auf das unbedingte Vertrauen der Kammer. Vincent Auriol stellte fest, daß er auf der Diskussion seines Antrages bestehe. Darauf stellte Poincare die Vertrauens frage. Das Haus stimmte mit 350 gegen 180 Stim men für die Vertagung des sozialistischen Antrages und sprach damit Poincare das Vertrauen aus. Gegen die Regierung stimmten die Kommunisten, die Sozialisten, die Minderheit der Radikalsozialisten und einige Parteilose. Frankreichs Schuldenabschlagszahlungen vor der Kammer. Im Laufe der gestrigen Kammersitzung werden die Parteien Gelegenheit haben, endgültig zu dem Antrag des Sozialisten Vincent Auriol Stellung zu nehmen, der die Leistung von Schuldenabschlagszahlungen an Eng land und Amerika von der vorherigen Zustimmung der Kammer abhängig machen will. Auriol bezweckte mir seinem Anträge nichts anderes als die Diskussion über das Ratifizierungsproblem der Schuldenabkommen auf- zurollen, über das bisher selbst im Schoße der Regierung keine Einigkeit erzielt werden konnte. Poincare hat sich daher gegen den Vorschlag Auriols ausgesprochen und erklärt, daß er die Vertrauensfrage stellen werde. Du mit Ausnahme der Sozialisten. Kommunisten und einer kleinen Gruppe von Radikalen sich bereits alle Parteien für die Regierung ausgesprochen haben, erwartet man. baß Poincare auch diesmal mit überwiegender Mehr heit seinen Willen durchsetzen wird. AM« AmlmiiW der PeWM-Mm« 9. März 1927 Die Ratifizierung des Bessarabien-Abkommens durch Italien der Sowjetregierung notifiziert. Wie die Morgenblütter aus Rom melden, hat Mussolini Dienstag vormittag dem neuen russischen Botschafter in Rom Kamenew eine Note übergeben, in der die Ratifizierung des Bessarabien-Abkommens der Moskauer Regierung bekanntgegeben wird. Die rumänische Presse zur Ratifizierung des Bessarabien-Abkommens. Die Ratifizierung des Bessarabien-Abkommens durch Italien wird von der Bukarester Presse nur spär lich und ohne Begeisterung kommentiert. Der Adeverul weist darauf hin. daß das Bessarabien-Protokoll jetzt, nachdem es außer durch England und Frankreich auch durch Italien ratifiziert worden sei, in Kraft trete. Italien habe diesen Augenblick gewählt, weil Sowjet- rußland zur Zeit isoliert dastehe. Das Blatt erwarte! die Ratifizierung des Protokolls durch Japan in kur zer Zeit. Die Lupta meint, Italien habe bloß seine Pflicht getan. Es wäre besser gewesen, wenn die Rati fizierung des Abkommens schon früher erfolgt wäre. Jetzt könne sie nur als Ergebnis der italienisch-engli schen Zusammenarbeit in China und der Isolierung Sowjetrußlands gewertet werden. Das offizielle Organ, der Vittorul. meldet noch, daß vor vier Tagen zwischen England. Italien und dem rumänischen König ein Depeschenwechsel stattgefunden habe. Das rumänische Parlament wird morgen zu einer Festsitzung zusammen treten. Von seilen der Regierung und der Parteien wer den Erklärungen abgegeben werden. Moskau ist verstimmt. Den Morgenblättern zufolge verlautet in Moskau zur Ratifizierung des bessarabischen Abkommens durch Italien daß die S o w j e t r e g i e r u n a auf diesen Schritt mit einer Note an die italienische Regierung antworten werde. Die Sowjetregierung sehe in der Ratifizierung trotz der Versicherung Scialojas eine unfreundliche Haltung Italiens. Befriedigung in England Zu der Ratifizierung des Bessarabien-Abkommens durch Italien schreibt der diplomatische Korrespondent d"s Dailn Telegraph, daß diesem Schritt Mussolinis große Bedeutung zukomme, da der Vertrag ohne die italienische Ratifikation bisher unwirksam gewesen sei. Jetzt sei es für Rumänien möglich, beim Völker bund entsprechende Schritte zu unternehmen und Ruß land als den Angreifer erklären zu lassen, wenn die Rote Armee jemals die bessarabische Grenze über schreiten sollte. Die Haltung Mussolinis in dieser Frage sei besonders bemerkenswert im Hinblick auf die Beziehungen der zivilisierten Welt zu Moskau. Die Sowjetregierung werde sehr wenig erbaut von diesem Schritt sein, da er zeige, daß Rom nicht länger an den guten Willen der Sowjets glaube sondern zu der Ileberzeuguna gekommen sei, daß die westlichen Mächte sich gegen die phan tastischen Bestrebungen Moskaus zu- sammcnschließen müßten Ein jowjetrusfijcher Kurier in Wilna verhaftet. Wilna, 9. März. Auf dem Bahnhof von Wilna wurde heute ein sowjetrussischer diplomatischer Kurier verhaftet, der sich auf der Durchreise nach Warschau be fand. Bei der Durchsuchung seines Gepäcks fand man M000 Flugblätter in russischer, weißrussischer und pol nischer Sprache, herausgegeben von der dritten Inter nationale und der Gesellschaft zum Schutze der politi schen Gefangenen. Der Kurier ist einstweilen auf freien Fuß gesetzt worden. Die Flugblätter wurden beschlag nahmt. Was das SaarMt M Keas ewM. H. S. Saarbrücken. Anfang Mürz 1927. Die Bevölkerung des Saargebietes sieht mit beson derem Interesse den weiteren Verhandlungen des Völ kerbundrates entgegen: steht doch in Genf zur Beratung die Frage des Nachfolgers des zurückgetretenen Vor sitzenden der Saarkommission, des Kanadiers Stephens, und weiter das Problem des Eisenbahnschutzes. Auf Grund der letzten Besprechungen der Vertreter der In dustrie, der Gewerkschaften und anderer politischer Per sönlichkeiten mit der Berliner Regierung, Hal man nun Gewißheit darüber erhalten, daß die deutsche Dele gation für die Völkerbundstaqung mit allem Nachdruck die Interessen der Saarbevölkerung in Genf ver treten wird. In Uebereinstimmung mit dem Geist von Locarno und Thoiry haben die Delegierten des Taargebietes in Berlin mit allem Nachdruck darauf hingewiesen, daß nunmehr an Stelle des zurückgetretenen Kanadiers Stephens ein Saarländer zum Vorsitzenden der Saar kommission ernannt werden müsse. Nach Lage der Dinge wird sich dieser Wunsch jedoch nicht erfüllen lassen und man würde es daher begrüßen, wenn der neue Präsident ein neutraler ist. Der bisherige Präsident Stephens hat unzweifelhaft eine lediglich den französischen Inter essen entsprechende Politik während seiner Amtszeit verfolgt. Mit großer Unruhe verfolgt man jetzt die Be strebungen Frankreichs, Stephens durch das tschechische Mitglied der Saarkommission. Vezenskp ersetzt zu wissen. Der französische Kandidat gehört der Saar kommission seit September 1924 an. Angesichts der widerstreitenden Meldungen zwischen Frankreich und England hält man es nun nicht für ausgeschlossen, daß der britische Außenminister Chamberlain bei seinen Be sprechungen mit Dr. Stresemann in Genf den Vorschlag machen wird, sich mit der Wiederernennung von Stephens zum Vorsitzenden der Saarkommission ein verstanden zu erklären. Es sind hier hinter den Ku lissen bereits Bestrebungen im Gange, den Kanadier zu bewegen, das Präsidentenamt wieder zu übernehmen. In Genf wird man gleichzeitig die aus fünf Per sonen bestehende Regierungskommission des Saar gebietes neu wählen müssen. Das Mandatsjahr der Mitglieder der Regierungskommission läuft nämlich jeweils vom 1. April bis zum 31. März des darauf folgenden Jahres. In der Kommission ist Deutschland durch Herrn Coßmann seit dem Jahre 1924 vertreten, dessen Ernennung zum Vorsitzenden der Saarkommission deutscherseits befürwortet wird. Dieser Vorschlag wird jedoch in Genf der Ablehnung verfallen. Da auch das belgische und das tschechische Mitglied der Kommission sich neuerdings der französischen Richtung angeschlossen haben, wird man mit der Wiederwahl dieser Herren rechnen müssen. Wie im übrigen die Stellung des Präsidenten der Saarkommission selbst erschwert wird, geht schon daraus hervor, daß innerhalb der Kom mission auf Anregung des französischen Mitgli.'deS Maurice ein engerer Ausschuß gebildet worden ist. dem er. sowie das belgische und das tschechoslowakische Mit glied angeboren. Dieser Ausschuß nimmt zu allen wich tigen Vorgängen Stellung und versucht so. und zwar mit Erfolg, die Entscheidung des Präsidenten zu beein flussen. Wie die Ansichten innerhalb der Saarkommission auseinandergehen, geht am besten daraus hervor, daß man nicht weniger als drei verschiedene Vorschläge über den künftigen Schutz der Saarbahnen ausgearbeitet hat. Nach langwierigen Verhandlungen innerhalb der Kom mission ist man dann llbereingekommen. dem Völker bundssekretariat einen Bericht zu übermitteln, der sich für die statutenwidrige Aufrechterhaltung einer fran zösischen Garnison in Stärke eines Infanterieregiments, eines Iägerbataillons, und eines Dragonerregiments einsetzt. Die Tatsache, daß der Kanadier Stephens er klärt hat. die Anwesenheit der französischen Truppen im Saargebiet widerspreche dem Versailler Vertrag und im Notfälle sollten Truppen der Rheinlandarmee her angezogen werden, ist immerhin ein erfreuliches Spmvtom. Wenn die Genfer Verhandlungen auch mir dem Beschluß der Zurückziehung der französischen Soldaten enden werden, so muß doch schärfster Widerspruch gegen über den Bestrebungen erhoben werden, die 2000 fran zösischen Soldaten durch 900 Personen als Eisenbahn schutz und zwei Bataillone in Forbach und Saargemünd zu ersetzen. Diese 900 „Gendarme" sollen abermals alle Franzosen sein. Der Bericht der Saar-Regierung an den Völkerbund sieht weiter einen vermehrten Einfluß der militärischen und der zivilen Rheiniandbehördcn über die Saar-Regierung hinaus vor. Diese Be strebungen stehen, was immer wieder ausdrücklich be tont werden muß. im Widerspruch zu den vertraglichen Abmachungen. Hinsichtlich des erstrebten Bahnschutzes muß auf den Artikel 30 des Saarstatuts hingewieseu werden, in dem von der Einsetzung eines Bahnschutzes nach Zurückziehung des Militärs keine Rede ist. sondern es heißt dort nur. für den Schutz des Eigentums müsse dann gesorgt werden. Wenn den Vertretern des Saarqebietes vor einigen Tagen von den Berliner Regierungsstellen keine allzu große Hoffnung bezüglich der Forderungen des Laar gebietes gemacht worden ist. so hat man doch hier die Gewißheit, daß die deutsche Delegation in Genf die be rechtigten Wünsche der Saarbevölkerung mit allem Nachdruck vertreten wird.