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Kurze MMeUunHen. 23. Februar 1927 Das Echo de Paris befürchtet, daß die Zusammen- jetzung der neuen Saarkom Mission sehr deutsch- sreundlich ausfallen könnte Auf eine Anfrage erklärte Schahkanzler Chur chill gestern im englischen Unterhaus, daß er nicht an- nchme. daß die deutschen Eiscnbahnobliga- tionen in naher Zukunft auf den Markl gebracht würden. Der Wiener Chemiker Pölich hat ein neues Ver fahren ausgearbeitet, durch bas pflanzliche Stoffe ohne jede Borbehandlung vergast werden können. Die Gesamtzifier der Arbeitslosen in Wien betrug Mitte Februar 275000: es ist die Höchstzlfser. dis bisher in Oesterreich jemals no tiert wurde. Nach einer Meldung der Dimes aus Cbikago kam es gestern bei einer dortigen Stadtwahl zu zahl reichen Gewalttätigkeiten, unter anderem wurde ein Wahllokal überfallen und ein republikani scher Richter, sowie zwei andere Persönlichkeiten ent führt. Die Polizei hob später das Nest der Attentäter aus. wobei 30 Mann verhaftet und mehrere Waffen be schlagnahmt wurden. Nach noch unbestätigten Meldungen muhte der T r a n s a t l a n t i k f! i e g e r Pinedo vier Kilo meter vor der Insel Fernando Noronha s400 Kilometer vor der brasilianischen Küste) aus dem Meer nieder- qehen. Das Flugzeug wurde von einem Dampfer nach der Insel aeschlcpvt. von wo Pinedo seinen Flug nach kurzem Aufenthalt wrtsehte. Deutscher Reichstag. Sitzung vom 22. Februar 1927. Acht Anträge der Völkischen, des Bayrischen Bauern bundes und der Demokraten auf Aenderung der Aus wertungsbestimmungen werden dem Rechtsaus schutz überwiesen. Die zweite Lesung des Reichshaushaltplanes für 1927 wird beim Haushalt für Versorgungs- und Ruhe gehälter fortgesetzt. Abg. Lei bl (B. Vp.) bedauert, daß man die Eeneralspensionen zu Agitationszwecken aus nutze. Diese Bezüge sind im Jahre 1920 festgesetzt worden, als die Sozialdemokraten in der Regierung waren. Wenn man die Eeneralspensionen besonders hervorhebe, so müsse man damit auch die Bezüge der anderen Beamten im gleichen Range vergleichen. Man dürfe besonders nicht vergessen, datz in den Städten mit sozialdemokratischer Mehrheit die Gehälter der Bürger meister und höheren städtischen Beamten die der Gene rale vielfach noch übertreffen. Der Redner fordert be sondere Förderung der Soldatensiedlungen und der Heeresfachschulen. Das Heer stehe und falle mit der Ziviloersorgung. Der Kreis der Bezieher der Elternrente müsse erweitert werden. Die Erregung unter den Kriegs beschädigten sei erst durch Flugblätter des Reichsbundes hervorgerufen worben. — Ministerialrat Kerschen steiner kündigte den Nachweis über die Beförderung von Offizieren während des Krieges für die nächste Woche an. Die Statistik über die Tropenzulage, die längere Zeit in Anspruch nehmen würde, werde nur geringe prak tische Bedeutung haben. Die kommunistischen Anträge aus Streichung der Pensionen für 104 Reichsminister und Staatssekretäre sowie 1753 Generäle werden gegen die Antragsteller a b - gelehnt. Der sozialdemokratische Antrag auf Vor legung eines Pensionskürzungsgesetzes und aus Vermeh rung der Mitttel für Versorgung der Kriegsopfer um 150 Millionen Mark werden dem Ausschutz überwiesen. Es folgt der Haushalt des Reichspräsi denten. — Abg. Hörnle (Komm.) hält die Be züge des Rei chspr äs identen, der mit der Auf wandsentschädigung jährlich insgesamt 180 000 Mark er halte, für zu hoch. Der Reichspräsident erhalte also täglich 500 Mark und beim Achtstundentag stündlich 62,50 Mark. Der Name Hindenburg sei verbunden mit der Erinnerung an die Zeit der größten Schmach und Erniedrigung des deutschen Proletariats. (Pfuirufe rechts, grotze Erregung. Der Redner wird zur Mätzigung er mahnt.) Der Name Hindenburg sei verbunden mit der Tatsache, datz die deutschen Arbeiter die Mordwaffe gegen ihre Brüder im Auslande führen mutzten, ver bunden auch mit der Parole des Siegerfriedens, der zur Unterdrückung des Proletariats durch die Bourgeoisie führen sollte. (Fortgesetzte grotze Unruhe.) Der Red ner schließt unter stürmischem Widerspruch des ganzen Hauses: „Fort mit diesem Hindenburg! Fort mit diesem Reichstag!" Reichs) u st izmi nist er Hergt nimmt sofort das Wort und erklärt: Es ist seit langem hier das erstemal, daß der Name unseres allverehrten Herrn Reichspräsidenten in derartig unerhörter und un glaublicher Weise angegriffen wird. Ich stelle mit schmerzlichem Bedauern fest, daß das geschehen konnte! (Lärmende Zwischenrufe bei den Kommunisten!) Es ist in einem Staatswesen mit einer demokratischen Ver fassung geradezu unerhört, wenn versucht wird, das Staatsoberhaupt in solcher Weise in den Staub zu ziehen. An die Person des Reichspräsidenten reichen diese Angriffe nicht heran. Ich würde es für unter meiner Würde halten, überhaupt darauf einzugehen, aber als Vertreter des Reichskanzlers fühle ich mich verpflichtet, diese unerhörten Angriffe aufs schärfste zurückzuweisen. Es ist mir ein Herzensbedürfnis, namens des gesamten deutschen Volkes dem tiefsten Dank dafür Ausdruck zu geben, wie gerade dieser Reichspräsident durch sein Ver halten am Kriegsende und durch seine jetzige Amtsfüh rung zu der Konsolidierung des Staatswesens beigetragen hat. (Stürmischer, anhaltender Beifall, Protestgeschrei der Kommunisten.) Der kommunistische Antrag auf Streichung der Bezüge des Reichspräsidenten wird ab gelehnt. Es folgt der Haushalt des R e i ch s j u st iz m i n i st e - riums. Der Ausschuß fordert eine Uebersicht darüber, an wieviel Personen und welche Beträge seit dem 1. Ja nuar 1924 als Entschädigungen für unschuldig erlittene Haft ausgezahlt worden sind. Die Sozialdemokraten beantragen unter anderem die Wiederherstellung der frü heren Schwurgerichte. — Re i ch sju st iz mi n i st e r D r. Hergt leitet die Beratung ein und bespricht zunächst die sogenannte Vertrauenskrise in der deutschen Recht sprechung. Es sei nicht so, daß man hier vor etwas Außerordentlichem stehe, vor einer t/ngcheuerlich!eit der deutschen Verhältnisse. Es sei eins Entwicklung, die an und für sich normal ist, die ihre Zeit brauche und am Schlüsse wieder zu durchaus gesunden Verhältnissen un serer Rechtspflege und unseres Richterstandes führen werde. Die große Umwälzung auf politischem, wirt schaftlichem und sozialem Gebiete mit ihren Erschütte rungen müsse sich in ihren Begleiterscheinungen auch im Rechtsleben zeigen. Es war nur zu natürlich, datz sich der Richterstand nicht von heute auf morgen auf die neue Zeit umstellen konnte. Alle die Betrachtungen über die Vertrauenskrise mützten auf das richtige Matz zu ¬ rückgeschraubt werden. Selbstverständlich bleibe noch genug übrig, und es sei die große Aufgabe der Regie rung, die Frage zu prüfen, wie endlich auch die Stabili sierung auf diesem Gebiete herbeigeführt werden kann. Der Minister wies den Vorwurf zurück, die Reichsjustiz verwaltung verschließe ihre Augen vor den Notwendig keiten der Zeit, wolle sich nicht belehren lassen. Eine sachliche Kritik werde von ihr durchaus für erwünscht ge halten. Zur Beseitigung dieser Vertrauenskrise sei vor allem die stille Arbeit des Reichsjustizministeriums wich tig. Auch unter seiner Amtsführung werde sie fortgesetzt werden. Mit derselben Objektivität und um der Gerechtig keit willen müsse man aber auch bei ungerechtfertigten Vorwürfen für den Richterstand eintreten. Mit tiefstem Be dauern sei das Spiel mit dem Gedanken der Aufhebung der Beschränkung der Unabhängigkeit der Richter anzu sehen. In einer demokratischen Verfassung bedeute ein unantastbares Richtertum einen notwendigen Ausgleich gegenüber der Omnipotenz der Vertretung des Volkes, des Parlamentes. Aus aller Welt. 23 Februar 1927 - Neue Niesennnterschlaqnngen bei einer Danziger Sparkasse. Be: der Danziger Städtischen Sparkasse sind neue Riescnunterschlagungen aufgedeckt worden. Ein seit 20 Jahren dort tätiger Abteilungsleiter hat es ver standen. seit 1920 400 000 Gulden zu veruntreuen. Der Defraudant und zwei weitere Personen wurden ver haftet. Mit den unterschlagenen Geldern wurden Warengeschäfte getätigt. Die Warenvorräte bezw. aus stehenden Forderungen verschiedener Firmen werden zur Deckung des Defizits herangezogen werden. * Ein italienischer Kommunist in Paris erschossen. Nach einer Morgenblättermeldung aus Paris wurde in einer abgelegenen Straße ein italienischer Arbeiter ermordet aufgefunden Die Leiche wies sieben Revol verschüsse auf. Es handelt sich um einen Kommunisten, der in Italien wegen hochverräterischer Umtriebe zum Tode verurteilt worden war. Es gelang ihm, nach der Schweiz zu flüchten, von wo aus er über Belgien nach Paris gelangte. Ein Raubmord liegt nicht vor: man vermutet infolgedessen, daß er von Faschisten erschossen worden ist. * Die Unwetterkatastrophen in Amerika. — Schwere Verheerungen einer Sturmflut. Bei dem schweren Un wetter an der nordatlantischen Küste der Vereinigten Staaten kamen zwanzig Personen ums Leben. Auf Long Island wurden nach den bisherigen Meldungen über zweihundert Häuser zerstört. In Neunork wurde der Tunnel der Untergrundbahn, die nach Jersey City führt, überschwemmt. An der Nordküste von Maine bis Delaware trat die Springflut mit einer Stärke auf. wie es seit Jahren nicht beobachtet wurde. In den östlichen Staaten dauert der Sturm noch an. Der Wind erreichte stellenweise eine Geschwindigkeit von 80 Kilometern. In Neuyork ist 18 Stunden lang Schnee gefallen: drei Personen sind erfroren. Aaschingstrubel. Die Faschingszeit hat begonnen. In all-r Welt bat der Faicb'N"siruKel in diesem Iatne mU besonderer Intensität e-n"esekt. Om Rbeinlanb wird zürn erktenmnl wieder ianoer Int Goschina gegiert w d in Berlin hat der seatebin" eine besondere No>e durch die R^ein- Wein-An-stelliina erhalten, die den rheinischen Karneval ^e» Berlinern nüder brin-U. Der Erfolg der Rhein-Wein-Ansstelliino für t>ie Näherbringung des Nbeinlande- an weite Bevölkerunoskreise der Reichshauplstadt wird überall als außerordentlich arobe bezeichnet. Dazu tränt nicht zulekt der chemische Frohsinn bei den besten bei, die vom Verband der Rheinländer veranstaltet werden. und der auch auf die Berliner seine Anziehungskraft aus übt. Mit besonderem Pomp wurde in diesem Jahre der Jaschina wieder in Nizza gefriert, in dem die gwhen Faschingsumzüge seit langem traditionell sind. Unser Bild zeigt eine Szene aus dem diesjährigen Faschmist übel in Nizza, die Perlen der Äznrküste. „Wenn ich geahnt hätte, daß ich eine Dame als Mit passagier erhielt, dann hätte ich einen geschlossenen Wagen bestellt, mein gnädiges Fräulein." „Hoffentlich ist Ihnen die Fahrt nicht zu kalt," sagte er, als er ihr beim Einsteigen half. Sanna schüttelte den Kopf. „Ich werde nicht frieren. Und wenn auch — die Hauptsache ist. daß ich nach Glossow komme," antwortete sie leise. Er breitete aber doch sorglich eine warme Wagendecke über sie aus. Da mußte sie an jene Nacht denken, die sie in Gemeinschaft mit dem alten Friedrich verbracht hatte. Der hatte auch so sorglich und selbstverständlich eine warme Decke über sie gebreitet. Und wie in jener Nacht, überkam sie unter der warmen Decke ein Gefühl des Geborgenseins. Sie dankte ihm und drückte sich in die Ecke, damit er bequem ihr gegenüber Platz hatte. „Ich beraube Sie Ihrer Decke," sagte sie mit ihrem schüchternen, weichen Stimmchen, das ihm seltsam zum Herzen drang. „Bitte sehr, ich bedarf ihrer nicht. Brauche ich eine Hülle, dann lasse ich mir vom Kutscher eine Pferdedecke Seben. Sie können die Decke ganz beruhigt und ohne Gewissensbisse benutzen," erwiderte er scherzend, um ihre Scheu zu besiegen. Und nun fuhr der Wagen davon in eine Sanna unbekannte Gegend, die von Hellem Vollmond- lchein erleuchtet war. , Schweigend saßen sich die beiden jungen Menschen eine Weile gegenüber. Rolf von Gerlach sah verstohlen in das blasse, lieb liche Gesicht seiner Begleiterin, über das der Mond einen verklärenden Schimmer warf. Das feine Profil war ihm zugekehrt und er sah, daß sich die langen, dunklen Wim pern gehoben hatten, und daß die Augen der jungen Lame noch immer hilflos u,nd verzagt blickten. Der Kutscher ließ die Pferde schnell ausgreifen. Es ging an Feldern und Wiesen vorüber und dann in den Wald hinein. Ein herber, würziger Duft stieg aus der fenchten, gelockerten Erde empor, der Duft der frühlings haften, lebendig werdenden Scholle, die den Winterschlaf hinter sich hat. Sanna war zumute, als träumte sie, so unwirklich erschien ihr, was sie jetzt erlebte. Endlich fragte sie leise: „Wie lange brauchen wir, um nach Glossow zu kommen?" „Die Hälfte -es Weges liegt bereits hinter uns. In einer halben Stunde sind Sie am Ziel. Sicher werden Sie froh sein, wenn Sie daheim angelangt sind, mein gnädiges Fräulein." Daheim! Dies Wort berührte Sanna wie das linde Streicheln von Mutterhänden. „Ja — ich werde froh sein — ich bin schon seit dem frühesten Morgen unterwegs," erwiderte sie. „Kommen Sie heute direkt aus H . ..?" fragte er, um die Unterhaltung nicht wieder einschlafen zu lassen und der weichen, lieben Stimme Weiler lauschen zu können, die ihn berührte wie ein vertrauter Klang. Sannas Gesicht wandte sich plötzlich nach ihm herum. Ihre Augen blickten ihn groß und erstaunt an. „Sie wissen, daß ich aus H . . . komme?" fragte sie hastig. Er nickte lächelnd. „Gewiß, gnädiges Fräulein! Ich sagte Ihnen ja, daß ich mit Ihrem Verwalter Heerfurt gut bekannt bin, wir treffen uns oft und haben auch zuweilen nachbarliche Ge schäfte zu erledigen. Und bei solchen Gelegenheiten haben wir auch zuweilen von Ihnen gesprochen." Das erschien Sanna ganz sonderbar. Dieser junge Herr schien mancherlei von ihr zu wissen, und sie hatte bisher keine Ahnung von seiner Existenz. „Das ist seltsam," sagte sie gedankenverloren. Er lachte. „O nein, es ist doch ganz natürlich. Glossow und Gerlachsheim grenzen direkt aneinander, und aus dem Lande, wo das geistige Leben doch meist ein wenig stagniert, wird man neugierig. Ich habe mich oft nach Ihrem Ergehen erkundigt — denn eigentlich sind wir schon sehr alte Bekannte." Sie schüttelte den Kops. „Das muß wohl ein Irrtum sein." „Doch nicht. Ich kannte Sie bereits, als Sie noch als winziges Baby im Steckkissen lagen. Unsere Bekannt schaft datiert genau von dem Tage an, da Sie in der Taufe die Namen Marie Susanna erhielten. Ich glaube, Sie waren mit diesen beiden Namen nicht sondert ch ein verstanden, denn Sie protestierten mit dem ganzen Auf wand Ihrer Stimme dagegen, und ich wunderte mich da mals sehr, daß ein so kleines Wesen eine so kräftige Stim me haben konnte. Sie sehen, ich habe ein besseres Ge dächtnis für alte Bekannte als Sie," scherzte er. Ein Lächeln flog über das blasse ernste Gesichtchen, und dies Lächeln erschien ihm so reizvoll, wie er noch nie ein Frauenlächeln gesehen hatte. „Das kann ich nun freilich nicht bestreiten, ich kann mich unserer Bekanntschaft gar nicht mehr erinnern." Er nickte. „Natürlich meinen Sie nun, daß so kleine Babys das Recht haben, ihre Umgebung zu ignorieren und finden sich dadurch reichlich entschuldigt. Dem habe ich aber ent gegenzuhatten, daß wir dann jahrelang — so vier bis fünf Jahre mindestens — sehr viel miteinander verkehrt haben. Das letztemal sah ich Sie, als ich einmal in den Ferien zu Hause war und einen Besuch in Glossow machte. Da kamen Sie mir mit einer schönen großen Puppe ent gegengelaufen, und diese Puppe forderten Sie auf: „Gib Onkel Rolf ein Händchen." Sie sehen, ich wurde von Ihnen sogar mit der Würde eines Onkels bedacht. Und das alles haben Sie vergessen, während ich alles im Ge dächtnis behielt." Ihre Augen strahlten ihn an. „Ja wirklich — Sie haben ein gutes Gedächtnis." (Fortsetzuna folgt.) ,