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Kurze Mitteilungen. 28. Januar 1927 Wie die Morgenblätter melden, wurde Donnerstag nachmittag erstmalig die Fernsprechverbindung Berlin —Manchester .durch ein Telephongespräch zwischen den Handelskammern in den genannten Städten erprobt. Die Verständigung während des Versuches war gut. Heute wurden in Berlin die deutsch-tschecho slowakischen Verhandlungen wieder ausgenom men, die im vergangenen Jahre in Prag über den Ab schluß eines Abkommens zur Regelung der Grenz - verhält nisse an der neuen Grenze zwischen Deutsch land und der Tschechoslowakei am Hultschincr Ländchen eingeleilet worden sind. Der Minister der Minderheitensektion des Völker bundes, Sir Erik Colban, verließ gestern Danzig und wird am heutigen Freitag früh in Berlin ein treffen. Er wird sich in Berlin nur ganz kurze Zeit aufhallen. Der sozialistische Homme Libre äußert heute Be fürchtungen vor einer deutsch-japanischen An näherung. Der neue Sowjetbotschafter in Italien, Kame new, ist von Moskau nach Rom abgereist. Nach Meldungen aus Konstantinopel finden gegen wärtig heftige Kämpfezwischen den Fran zosen und Drusen in Syrien statt. Bei einem Zusammenstoß haben die Drusen drei französische Flug zeuge abgeschossen. Die mexikanische Regierung hat, wie aus Neuyork gemeldet wird, die Einstellung der Bohr arbeiten in 25 Oelanlagen angeordnet, da die betreffenden Gesellschaften den Bestimmungen der neuen OLlgesetze nicht nachgekommen sind. In der Heereskommission der französischen Kammer wurde ein Antrag über den Ausbau des Eisen bahn- und Wegenetzes, der Telephonverbindungen. Waffen- und Munitionslager für den Kriegs fall eingebrachl. Aus aller Welt. 28. Januar 1927 * Wenn der Chauffeur betrunken ist. Die engli schen Gerichte gehen neuerdings gegen fahrlässige Auto mobilisten und Chauffeure mit exemplarischen Strafen vor. In London wurde vor einigen Tagen ein aller dings schon einmal vorbestrafter Kraftdroschkenführer zu einem Jahr Zwangsarbeit und zehnjährigem Verlust der Fahrerlaubnis verurteilt, weil er in angetrunkenem Zustande mit einem Vcrkaufsstand karambolierte, wo bei ein Knabe einen Beinbruch erlitt. In der Urteils begründung wurde betont, es sei an der Zeit, den Kraft- wagensührern begreiflich zu machen, daß die Fußgänger das gleiche Recht an der Straße hätten wie die Auto mobilisten. und daß die Straßen von rücksichtslosen Fah rern gesäubert werden müßten. * Zugzusammenstoß in London. Am gestrigen Mitt woch früh fuhr aus einer Londoner Station ein Per sonenzug auf eine entgleiste Lokomotive. Neun Per sonen wurden verletzt. * Eisenbahnunglück in Sibirien. Auf der Strecke Chabarowsk—Wladiwostok ist ein Postzug verunglückt. Neun Waggons sind eine Böschung hinabgestürzt. Bis her sind fünf Tote und sieben Schwerverletzte festgestellt. Als Ursache des Unglücks werden verfaulte Bahn schwellen angegeben. * Vrandkatastrophe in einer amerikanischen Kirche. In der Stadt Turner im Staate Idaho ereignete sich in der Mormonenkirche eine schwere Explosion. Als die Gasbeleuchtung plötzlich aussetzte und ein Streichholz angezllndet wurde, entwickelte sich eine riesige Stich flamme. die die Kirche in Brand setzte. Bevor alle Be sucher aus der Kirche entfernt waren, wurde der Aus gang verschüttet. Die Feuerwehr brach einen Notein gang und konnte acht Tote und zwölf Schwerverletzte bergen. Lohnbewegungen und Streiks. 28 Januar 1927 Der Schiedsspruch für das Buchdrucker gewerbe. Der Deutsche Buchdruckerverein teilt mit: Zm Lohnstreit im Buchdruckergewerbe hat der Reichs arbeitsminister den Schiedsspruch, der die Weitergeltung der Lyhne bis zum 31. März 1927 vorsieht, für ver bindlich erklärt. Aus dem Gerichtssaal. 28. Januar 1927 K. Ein neuer Strafprozeß wegen Vergehens gegen das Opiumgesetz. Nachdem erst vor wenigen Wochen ein anderer Arzt zu zwei Wochen Gefängnis verurteilt worden ist. standen am Donnerstag zwei weitere Dresd ner Aerzte wegen eines gleichen Vergehens unter An klage. Auch diese Verhandlung fand vor dem Gemein samen Schöffengerichi statt, sie währte bis in die Abend stunden. Die Anklage richtete sich gegen den 1860 in Wilna geborenen praktischen Arzt Dr. med. Alexander Max v. Niessen und gegen den 1869 zu Neurode gebore nen Spezialarzt Dr. med. Rudolf Hentschel, beide seit langen Jahren in Dresden wohnhaft. Nach den er gangenen Eröffnungsbeschlüssen wurden Dr. v. Niessen und Dr. Hentschel beschuldigt, ersterer in den Monaten Juli bis September 1925, der anders im zeitigen Früh jahr 1925 in zahlreichen Fällen an kokainsüchtige Per sonen Rezepte zum Bezug von Kokain zu Eenußzwecken ausgestellt und somit gegen die erlassenen Verordnungen verstoßen zu haben. Nachdem sich beide Aerzte eingehend über ihre Ausbildung und Praxis geäußert, bestritten sie nachdrücklichst sich strafbar gemacht zu haben. Wenn Me Entwich sir ins nm SilderM. Die auf Grund des Preisausschreibens des Reichsministers der Finanzen zur Erlangung von Gedanken und Anregungen zur Ausgestaltung des Silbergeldes eingereichlen Entivürie sind vom 21. Januar bis zum 3. Februar 1927 einschließlich in den Ver einigten Slaatrschu en für freie und angewandte Kunst in Berlin- Charlottenburg ausgestellt und dem großen Publikum zur Be sichtigung zugängig gemacht worden. Unser Bild zeigt oben den angekauften Entwurf für das neue Fünfmarkstück, und zwar die Vorder- und Rückseite. Letztere enthält die Wappen der deutschen Länder. Der Entwurf selbst stammt von Hoftchullehrer Tobias Schwab. Unteres Bild: Ein Entwurf eines Fünsmarkstückes mit dem Kopf Eberts und von Hindenburg. Personen in die Sprechstunden kamen und um Aus stellung eines Rezeptes zum Bezug von Kokain baten, dann sei sehr bald zu erkennen gewesen, wer tatsächlich aus Genußsucht kam oder sich als Kokainschieber ent puppte, oder aber wer wirklich eine Kokain-Entziehungs kur benötigte. Fragwürdige Personen seien immer ab gewiesen worden, wie Dr. v. Niessen besonders betonte. Nie in seinem Leben habe er Kokain verordnet als nur zu dem Zwecke, eine Kokain-Entziehungskur durchzu- fllhren. Was die Dosierung anbelange, so bestehen in der Praxis und in der einschlägigen Literatur erhebliche Widersprüche. Es gebe extreme Kokainisten, die pro Tag bis zu drei Gramm Kokain schnupfen, wenn sie der artige Mengen erlangen können. Es seien zwei Ent ziehungsmethoden möglich, einmal könne man den Ge nuß von Kokain schroff abschneiden, oder aber eine all mähliche Entwöhnung durchführen. Und in letzt genannter Richtung habe er verschiedene Patienten be handelt. Denn rückfällige Kokainisten seien für Aerzte gewissermaßen die reine Hölle. Auch Dr. Hentschel er klärte, er habe als Menschenfreund und nur aus Mit leid kokainsüchtige Personen behandelt und Ent wöhnungskuren durchgeführt. Andere Personen seien abgewiesen worden. Kokain habe er nicht zu Eenuß zwecken verschrieben, sondern nur als Heilmittel ver ordnet. Beide Angeklagte bestritten auch aus Gewinn sucht gehandelt zu Haben. Dr. v. Niessen will jeweils nur zwei Reichsmark gefordert haben. Nach stunden langen Darlegungen beider Aerzte wurden zunächst eine Anzahl Zeugen gehört, darunter befanden sich mehrere als Kokainisten bekannte Personen, die bestätigten. Kokain nur zu Heilzwecken verordnet erhalten zu haben. Stadtmedizinaldirekwr Dr. Leonhardt führte als Sach verständiger aus. das Kokainschnupfen lei eine Kriegs erscheinung, dieses Laster habe sich von 1915 ab ver breitet. Wie die Angeklagten Kokain zum Schnupfen verordneten, sei nicht als eine ärztliche Tätigkeit anzu sprechen, es liege hier im Gegenteil ein illegales Inver kehrbringen vor. Einem Patienten fünf bis sechs Monate lang Kokain zu verordnen sei keine Ent ziehungskur. Um Schmerzen zu lindern, bestehen ganz andere Möglichkeiten, da gebe es genügend Ersatzmittel. Der zweite Sachverständige Professor Dr. Reiß, Stadt obermedizinalrat und ärztlicher Direktor der städtischen Heil- und Pflegeanstalt in Dresden schloß sich den Aus führungen des erstgenannten Sachverständigen an, er betonte weiter/ Kokain bei Morphium-Entziehungs kuren zu verwenden, müsse auch er als einen aus gesprochenen und schweren Kunstfehler bezeichnen. Seit mindestens zwanzig Jahren werde Kokain dazu nicht mehr verwendet. Staatsanwalt Dr. Fischer hielt den Schuldbeweis für erbracht. Nach der Entscheidung des Reichsgerichts liege hier ein Inverkehrbringen von Kokain zu Eenußzwecken vor, das haben überein stimmend beide Sachverständige bekundet. Die Kokain seuche sei ein entsetzliches Laster. Meistens werde der Handel mit diesem Gifte unter der Oberfläche getrieben. Der Arzt habe darüber zu wachen, daß das Volk gesund bleibt. Wenn er aber unter Mißbrauch seiner Stel lung trotzdem Kokain in Verkehr bringt, so müsse dies empfindlich und fühlbar geahndet werden, er beantrage bei Dr. v. Niessen einen Monat, bei Dr. Hentschel zwei Wochen Gefängnis als Sühne. — Die Rechtsanwälte Dr. Klinkhardt und W. Helm traten dem Anklagever treter in jeweils längeren Ausführungen entgegen. In gutem Glauben sei Kokain zu Heilzwecken verordnet worden. Betrachte man die Krankengeschichte der ver nommenen Zeugen, dann müsse man zu einer gegen teiligen Auffassung wie die Staatsanwaltschaft kommen. Nach längeren Schlußausführungen des Dr. v. Niessen und langer Beratung wurden die Angeklagten wegen Inverkehrbringens von Kokain im Sinne der ange zogenen Verordnung, und zwar Dr. v. Niessen zu 500 Reichsmark, Dr. Hentschel zu 1000 Reichsmark Geld strafe verurteilt. Amtsgerichtsrat Dr. Roth brachte in der Urteilsbegründung zum Ausdruck, das Gericht habe die Schuld als voll erwiesen angesehen, es sei der oleichen Auffassung wie die Sachverständigen. Mil dernd kam in Betracht, daß das Ehrengericht keinen hin reichenden Anlaß zu einem Einschreiten hatte. 20 s «Nachdruck verboten.^ Sattna barg mit zitternden Händen das Geld und den Zettel in ihrem Kleide. Dabei sah sie ängstlich nach der Tür, ob sie nicht überrascht würde. Und dann sagte sie erregt: „Ich danke Ihnen! Ach, Sie wissen nicht, wie mir jetzt zumute ist. Ich sehe einen Weg, der mich ins Freie führt aus dem dumpfen Zwang dieses Hauses. Ich werde ja hier wie eine Gefangene gehalten. Aber nun — nun sehe ich doch einen Ausweg, ein Ende dieser Pein. Sor gen Sie sich nicht, ich will es möglich machen, daß — doch still — Tante Anna!" Die letzten Worte flüsterte sie und lehnte sich wie gleich mütig in ihren Sessel zurück, sich gewaltsam zur Ruhe zwingend. „Weng möglich, depeschieren Sie mir Ihre Ankunft," sagte Heerfurt noch schnell und leise. Dann wurde auch schon die Tür geöffnet. Man hatte draußen Tante Annas Summe gehört. Diese trat ein mit ihren leisen Schritten, ein sanftes, gleißnerisches Lächeln auf dem vollen Gesicht und in den Augen einen schnellen, forschenden Blick. „Guten Tag, Herr Verwalter. Es freut mich, Sie zu sehen. Sie haben, wie ich von Friedrich hörte, schon eine Weile gewartet." Heerfurt hatte sich erhoben und begrüßte sie. „Das rut nichts, gnädige Frau. Ich habe hier nichts zu tun, als mit dem Herrn Professor zu konferieren." „Ja, ja. Und meine Nichte hat Ihnen inzwischen Ge sellschaft geleistet. Der Herr Professor ist, wie mir Friedrich sagte, zur Universität. Da müssen Sie wohl noch ein Weil chen mit unserer Gesellschaft fürlieb nehmen." Heerfurt verneigte sich dankend. Er konnte Frau von Rehling nicht leiden. Sein Gesicht war ganz ruhig und un bewegt, nur in seinen ehrlichen Augen lag noch ein Schein der Erregung. Instinktiv fühlte er in Frau von Rehling den falschen, hinterlistigen Charakter. Schon immer war sie ihm unsympathisch gewesen. Jetzt, nach Sannas Wor ten, hatte sich dies Gefühl noch erheblich gesteigert. Seinen klugen Augen war es bei all seinen kurzen Besuchen im Professorenhaufe nicht entgangen, daß seine junge Herrin hier nicht auf Rosen gebettet war, er hatte sie immer von Herzen bedauert. Aber jetzt erst war ihm eine Ahnung ge kommen von der Größe des Martyriums, das man diesem jungen Geschöpf auferlegt hatte. Das empörte sein ehr liches, warmes Herz. Er fühlte, daß er recht getan hatte, seiner jungen Herrin helfend die Hand zu reichen, um sie zu befreien aus diesem drückenden Zwange. Ihr allein fühlt er sich untertan und ergeben. Für sie hatte er ge- ' sorgt und geschafft, daß ihr Besitz sich unter seinen Händen vermehrte und verbesserte. Das war sein Ehrgeiz gewesen, der Ehrgeiz eines rechtlichen Mannes. Heute stand er hier, um ein letztes Mal vor ihrem Vor mund Rechenschaft abzulegen über sein Tun und Handeln. In Zukunft hatte er es nur noch mit seiner jungen Herrin zu tun. Und er wollte mit Gut und Blut für sie einstehen. Das gebot ihm schon das Gefühl der Dankbarkeit gegen ihren Vater, der ihm in Glossow eine Lebensstellung ge boten hatte und ihm allezeit ein gütiger Herr gewesen war, der ihn nach seinem vollen Wert einschätzte. Heerfurt hatte seiner ehrlichen Überzeugung Ausdruck gegeben, als er Sanna vorhin sagte, daß sie nur gute Eigenschaften von ihren Eltern geerbt haben konnte. Er ahnte nicht einmal, wie groß die Wohltat war, die er ihr damit erwies. Wußte er doch, wie unsagbar die arme Waise gelitten hatte unter den Schmähungen, die man über ihre Eltern ausgesprochen hatte. Heerfurt wechselte nun einige höfliche Redensarten mit Frau von Rehling, aber man konnte ihm wohl an merken, daß er nicht viel Sympathie für sie hegte. Die alte Dame sah dabei heimlich forschend und miß trauisch in Sannas gerötetes Gesicht. Nun beugte sie sich mit süßlichem Lächeln über sie und klopfte ihr scheinbar zärtlich die Wangen. „Was das Kind für heiße Wangen hat! Hast dich wohl sehr lebhaft mit dem Herrn Verwalter unterhalten?" fragte sie lauernd. „Ich erzählte dem gnädigen Fräulein nur, wie schön es in Glossow ist," kam Heerfurt Sanna zu Hilfe. „Und außerdem war ich draußen im Garten und habe mich im Sonnenschein warm gelaufen, ehe der Herr Ver walter kam," bemerkte Sanna. „So, so! Und hast gar nicht daran gedacht, dem Herrn Verwalter einen Imbiß vorsetzen zu lassen. Verzeihen Sie nur, Herr Verwalter, aber das Kind hat keine Ahnung von Hausfrauenpslichten," scherzte Frau von Rehling süßlich. „Du irrst, Tante Anna. Ich habe ihn gefragt, ob ich ihm etwas Vorsitzen lassen darf. Aber er dankte, da er schon gefrühstückt hatte." „Ei, siehe da, dann warst du umsichtiger als ich an nahm. Nun, dafür werden wir das Vergnügen haben, daß Sie an unserem Diner teilnehmen. Sie haben doch sicher längere Zeit mit dem Herrn Professor zu tun?" Heerfurt verneigte sich. „Allerdings, gnädige Frau. Einige Stunden werden unsere Geschäfte wohl in Anspruch nehmen." „Das freut mich, da sind Sie also bei Tisch unser Gast," sagte die alte Dame freundlich. Im Grunde konnte sie den Verwalter nicht ausstehen. Er war ein so ehrlicher, rechtlicher Mensch, daß sie vor ihm im Gefühl ihrer eigenen Erbärmlichkeit die Augen nieder schlagen mußte, wenn er sie mit seinen ehrlichen offenen Augen so ruhig und unbeirrt ansah. Und niedrige Charak tere können es schlecht vertragen, wenn ein anderer Mensch größer und besser ist. Für ihr Mißtrauen, daß zwischen Heerfurt und Sanna etwas besprochen worden war, das ihr nicht paßte, hatte sie keinen Anhalt gefunden. Aber sie hatte in solchen Fällen immer ein Mittel bereit, sich zu überzeugen. An scheinend liebenswürdig, sagte sie scherzend: „Nun müssen Sie mich noch ein Weilchen entschuldigen, Herr Verwalter. Ich will gleich in der Küche Weisung geben, daß wir einen Gast haben. Meine Nichte wird Ihnen gern noch so lange allein Gesellschaft leisten." Und lächelnd ging sie hinaus, Sanna nochmals schein bar liebevoll die Wangen streichelnd. (Forts, folgt.)