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k Erdennot. Deihnachtsgeschichte von Alwin von Erbach. Nachdruck verboten. Mit Eintritt der frühen Abenddämmerung ist das Wetter umgeschlagen. Die ruhige, gleichmäßige Kälte des frostklaren Tages hat nachgelassen. Der sternlose Himmel streut Flocken hernieder. Zunächst vereinzelt, wie ratlos umherirrende Federchen; dann mehr und in lebhafterer Bewegung, und schließlich wirbelt ein wei ßer Tanz hernieder, so dicht und unerschöpflich, als wenn Frau Holle mit einem ihrer Inletts Malheur ge habt hätte. Deß freut sich der Ost. In den dürren Kroncn- Ssten des Stadtparks, hinter Giebeln und Schornsteinen hat er lange schon darauf gelauert. Erst drehte er, wie in neckischem Spiel mit einem Finger, die Wetterfah nen und beweglichen Rauchfänge — dann stürmt er los. Unter langgezogenen übermütigen Heultönen wirst er sich mit voller Kraft auf die Gassen und Plätze, rüt telt an den Fenstern und stemmt sich gegen die Türen. Den Schnee verstaut er in allen Winkeln und Sims ecken zu dichten Massen; selbst an glatten Wänden backt er ihn fest. Er hat rasend zu tun. Aber so viel der Sturmgeselle auch fegt und wü tet — die Menschen bringt er heute nicht von der Gasse. Sie achten seiner kaum. Nur wenn er sich an einem Hute vergreifen will, an einer Boa oder einem Schleier, dann zerren sich die Leute ein Weniges mit ihm herum — aber sie lachen dabei. Der heil. Christ kommt mit Brausen. Zu denen, die sich gar nicht um den Ausgelassenen kümmern, gehörte ein schmächtiges Männlein, das in ruhigem Spaziergängertempo aus den, von beizendem Schneeschlamm bedeckten Trottoirs einherschritt. Der Sturm bauschte seinen Mantel und schlug ihm die Pelerine um den Kopf. Ohne daß der Kleine stehen blieb oder sich umwandte dem Winde entgegen — wie die Andern — beseitigten seine unbehandschuhten wachs weichen Hände die Störung. Das geschah ruhig, me chanisch und ohne eine Spur von Ungeduld — immer wieder. Dabei zog er auch den nassen weichen Hut et was fester in die Stirn, soweit allerdings nur, daß er über die undurchsichtigen Gläser seiner goldenen Brille Hinwegschauen konnte. Uno er schaute unentwegt. Die tiefliegenden grauen Augen hatten den eigentümlichen Blick der Kurzsichtigen, Dennoch waren sie nicht eine Sekunde ohne angestrengte Beschäftigung. Gierig und wie in Sorge, etwas zu versäumen, nahmen sie die wechselnden Bilder der Straße unersättlich in sich auf — die festfroh hastende Menge, die blendenden bunten Auslagen — Alles! So schaut ein Kind, das vom Lande zum ersten Male in eine große Stadt kommt, — oder Einer, der lange fort war und nun die Heimat vergleicht mit den Erinnerun gen, die er in der Ferne gepflegt. Das trieb der kleine Herr stundenlang. Kein Mensch achtete auf ihn. Nur zwei- oder dreimal auf diesen unermüdlichen Kreuz- und Querzügen ist es ihm begeg net, daß einer der vielen Passanten im grellen Lichte eines Schaufensters stutzte und das feine blasse Gelehr- tengesicht mit den schmalen Lippen und tief herabgezo genen Mundwinkeln schärfer ins Auge faßte. Aber nur eine Sekunde, dann ging der Betreffende weiter —mit einem Kopsschütteln wie über eine sonderbare Sinnes- täuschung. Allmählich leerten sich die Straßen und Plätze — und nach weiteren zwei Stunden begegnete der Kleine nur noch Wenigen, die in beschleunigtem Tempo nach Hause hasteten. In unzähligen Fenstern — hinter den seidenen Stores der Beletagen ebenso wie in niedrigen Luke« dicht unter dem Dache — leuchtete jenes viel- strahlige flimmernde Licht, das es nur einmal im Jahre gibt — am Vorabend der heiligen Weihnacht, wenn die Glocken geläutet haben — — An einer Straßenecke blieb der einsame Spazier gänger zögernd stehen. Der Sturm aber litt das nicht. Er rannte das Männchen derart heftig an, daß es ge gen eine Wand taumelte. Hier verschnaufte es einige Minuten. Der hungrige Blick der Augen aber wanderte über die verschneiten Brillengläser hinweg unermüdlich die lichten Häuserfronten entlang, bis er schließlich an das Schaufenster eines Uhrengeschäfts jenseits der Straße haftete. Dorthin kämpfte sich der Kleine gegen Schnee und Wind über den Damm und betrat den La den. Der junge blonde Verkäufer, welcher es augemchem- lich zum Ladenschluß eilig hatte, begrüßte den Kunden zunächst nur flüchtig und auch nicht besonders freundlich. Er hatte noch mit einer Frau zu verhandeln, welche sich in wortreichen Reklamationen darüber erging, daß die Uhr, welche sie hier für ihren Willi gekauft, nicht ein- mal den brennenden Christbaum überdauert habe. Der „olle Klops" sei weder durch Schlagen noch durch Sto ßen zum Gehen zu bewegen, und wenn die Uhr auch man einige Mark gekostet habe, so sei doch zum min desten zu verlangen — Die Frau unterbrach sich. Der Verkäufer war mit so sichtlicher Ueberraschung und Verwirrung auf den Keinen Herrn zugetreten, daß sie ihren berechtigten Zorn Über der Neugier vergaß. „Herr — Herr Professor " strtterte der junge Mann in einem Tone und mit einem Gesicht, als wenn er seinen Augen nicht traute. Der Angeredete hatte inzwischen seine Brille ge putzt und wieder aufgesetzt. Ein stilles Lächeln er hellte seine Züge, als er den Jüngling ins Auge faßte und mit einer fast frauenhaft Weichen gütigen Stimme sagte: * „Wenn Sie mich kennen, mein Freund, so wissen Sie, daß ich das nicht mehr bin — Professor nämlich. Ich erkenne Sie jetzt auch Heinrich Röder, wenn ich nicht irre. Unter-Secunda damals. Weitz, Weitz — schwacher Lateiner — namentlich im Schriftlichen. Haben Sie denn auch dem Studium Valet gesagt und sind Kaufmann geworden. Ist auch besser so — denn ohne Latein — — nun ja — was ich sagen wollte — ich möchte eine Uhr kaufen, mein Freund." Der junge Mann schleppte — trotz aller Dienstbe flissenheit wie nachtwandelnd — einen Kasten herbei. Das war also wirklich Professor Kühlewein, der — — Drucksachen Wof t „slhwSW W" Am 2. Feiertag von nachmittag 4 Uhr an MntMr ZsllmM Hierzu ladet freundlichst ein Wilh. Hanta. Kasthof zum Kirsch. Robert Lehnert. Zu den Weihnachtsfeiertagen KsrlldK. jsllsmH Hierzu ladet freundlichst ein * 192z Kasthof zum Kirsch Am zweiten Weihnachtsfeiertag grchKlm-UoWniM Und er hatte sich eigeütlich gärnicht verändert. Die Mundwinkel lagen noch etwas tiefer als früher und über dem rechten Ohr hatte er einen Büschel graue Haare, der früher nicht gewesen war. Aber sonst der selbe Professor Kühlewein. Selbst die Angewohnheit, beim Sprechen mit Zeige- und Mittelfinger der Rech- ten auf die Lippen zu trommeln, hatte er noch. Und diese Weiche Stimme, die damals selbst hartgesottene Lümmel wie eine Liebkosung empfunden hatten — „Nein, mein Freund — eine Taschenuhr wünsche ich nicht. Ich möchte eine Wanduhr — und zwar eine, die möglichst laut dickt." „Sehr wohl, sehr wohl, Herr Professor. Aber — eine, die laut tickt — — — wenn ich mir erlauben darf, darauf aufmerksam zu machen, datz das nicht ei gentlich ein Vorzug ist. Im Gegenteil diese Uhren —" „Weiß, weiß. Trotzdem, mein Lieber. Ich will Ihnen das auch erklären. Es ist mir gerade jetzt in dieser festlichen Zeit ein bischen still und einsam in meinem Stübchen — und sehen Sie, da bringt solch eine Uhr doch einiges Leben. Man fühlt sich nicht so allein, wenn solch ein Werk recht laut und vernehmlich sich betätigt. Es ist, als plauderte jemand mit einem." „Vielleicht diese, Herr Professor?" „Ganz recht, die ist schon sehr hübsch lebendig. Die da drüben scheint mir aber noch ein wenig gesprächi ger —" „Das ist eine Uhr mit Musikwerk. Sie spielt unter anderem das Saucrsche Weibnacktslied." „Ah — Text von Julius Sturm weiß, weiß. Um so besser, mein Freund. Diese Uhr werde ich neh men — — nein, bitte nur einpacken; ich bringe sie schon selbst nach Haufe." Der Professor zahlte und verabschiedete sich mit einem freundlichen Händedruck. „Was is'n das für ein verdrehtes Huhn," fragte die Frau, welche schon ungeduldig mit Willichens Uhr aus den Ladentisch geklopft hatte. „Den kennen Sie nicht!? Aber Frau Riemer — das ist doch der Professor Kühlewein, der — — " „Der den Assessor erschossen hat! Der nämliche?" „Der — jawohl. Sechs Jahre Gefängnis hat er gekriegt. Die scheint er nun abgesessen zu haben. Kann erst gestern oder heute rausgekommen sein — sonst hätte man doch schon was davcn gehört, daß er wie der frei ist." „So wird's sein. Na, denn muß ich man eilen, daß ich die Neuigkeit zuerst nach Hause bringe. Die werden Augen machen — besonders mein Aeltester, Ivas der Mechanikus ist, der hat ja auch noch bei ihm Stunde gehabt. Der Frau soll es übrigens greulich schlecht gehen. Ersten Dezember ist sie exmittier: wor den und seither hat die Polizei sie schon zweimal in Schutzhaft nehmen müssen. Geschieht ihr aber schon recht. Die hätte die sechs Jahre eingespunnt werden müssen — wo sie doch an allem schuld ist. — Also die Uhr laß' ich hier, und wenn sie nach'm Fest nicht prop- pcr geht, dann nehm' ich mein Geld wieder." durch das H«» Mäßigkeit ihres Pulses beschwichtigte Herzschlag. Er dachte der schönen, so innig eins«-« Melodie des Weihnachtsliedes, das sich spielen soll»« ». Neij«hrs-I»sttttc wie für die Jungen. Hochachtungsvoll Und er hätte ses sie in ÄesiMedts - ssärtev KoeddrMrmg siskmgbn Wie NerUu m 87. S ruhige seinen revanchierte sich dafür, indem sie selbst len des Sturmes hörbar lickte. Die wie Me- Per- eigene» In äer Nummer unseres Blattes, die am 31. Dezember nach mittags zur Ausgabe gelangt, erscheinen auch dieses Jahr wieder die wollte. Aber er brachte nichts heraus. Sie nicht!?" Die Frau wandte ihm langsam das aparhische Ge sicht zu. Dann brach sie mU gellendem Aufschrei vor Ich werde das Lred singen zu hören Sie, liebe Frau — ich Senäsa Siv mir- sofort Wir bitten, diese Inserate recht bald an uns gelangen zu lassen, andernfalls wir für die Aufnahme in .dieser Nummer nicht garantieren können. Neujahrs-Inserate vom Vorjahre, die nicht abbestellt werden, sehen wir als bestellt an. seinen Füßen zusammen. Professor Kühlcwcin starric über die verschneite Brille hinweg ans diesen Bündel Lumpen, das einst eine angebetete schöne Frau gewcsen — seine Frau. Zeige- und Mittelfinger der Rechten zitierten und trommelten an seinen Lippen, a's wenn er sprechen Ottendorfer Zeitung." Chrlstbanm-Schmnlk eiarkugein, kngelzdaar Sola- una SilberlOaum kirtau. klsMmmer »Uv - IblKILVVN Aam, LiAttiMen Nuß- una konfeUtvstter empfiehlt jltmsu» Mir Wuchhandlung. Hause und — — — hören Sie, liebe Frau — ich würde mich Nicht so weit über das Geländer lehnen — das ist nicht gut! Und außerdem ist es kalt! Hören Professor Kuhlwein drückte die Uhr an sich, als dielte er ein Kind. So warm und fest. Und die Uhr Der in Berhlehem geborc.i, der gehorsam bis zum Tod sich am Kreuze dich erkoren, bannet alle Erdennot. Seine Lieb' hält dich geborgen; trenlich folge seinem Lauf, , . und dir geht an senem Morgen einst die Ostersonne aus!" Er half der Unglücklichcn empor und hüllte scinen Mantel. „Komm,Flore —" sich vielleicht doch abgewandt und wäre gegangen, wenn nicht plötzlich die Uhr an seiner Brust eingesetzt hätte mit dem Weihnachtsliede. Er lauschte — lauschte einer göttlichen Offenbarung. Als ras Werk die lodie wiederholte, sprach er den TeR des zweiten mit seiner weichen gütigen Stimme: sreute sich daraus. Während er über die Königsbriicke schrirt und dann rechts herum am Kanal entlang, summte «c, ohne die Lippen zu öffnen vcr sich hin: Deinen Frieden sende nieder wnndersel'ge heil'ge Nacht! deinen Frieden spende wieder der das Heil der Welt gebracht. Wenn die Weihnachtsglocken klingen, golden prangt der Kerzenschein — laßt uns mit den Kindern singen, mit den Kindern fröhlich sein — — „Ja, ja, der alte Julius Sturm! Der bat so den rechten Ton getroffen — für die Alten nicht weniger gegen « kikeumsiismuL, Mckt, txtüLS, fleuedts, krlt« x Dr. Loiss