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DerRepkobeschlutz zur deutschen Lebensmittelanleihe. Die Entscheidung über sie an die alliierten Regierungen verwiesen. In der Freitagsitzung der Reparationskommission wurde die wichtige Frage der deutschen Lebensmittel anleihe, die in A m erika bis zum Höch st betrage von 70 Millionen Dollar ausgenommen wer den soll, behandelt. Die Reparationskommission kam zu folgender Entscheidung, die einstimmig be schlossen wurde: Das deutsche Ansuchen, Zurückstellung der Pfand rechte der Kommission zugunsten der Anleihe, soll den an der Kommission beteiligten Negierungen vorgelegt werden. Inzwischen wird das Garantie- tomitee beauftragt, einen Bericht über die Er nährungslage in Deutschland, namentlich im Hinblick auf Brotgetreide und Speisefette zu erstatten. Der Bericht soll den Regierungen bzw. der Reparationskommission vorgelegt werden. Dazu ist zu bemerken, dass die deutsche Regierung zu der Sitzung der Kommission ein neues Schreiben vorgelegt hatte, in welchem sie ihr Verlangen nach Er mächtigung zu der oben genannten Anleihe nicht nur auf den Paragraph 281 des Versailler Vertrages stützt, sondern sich auch auf den Paragraph 248 beruft. Die Reparationskommission beschäftigte sich fernerhin mit der Frage der S a ch v e r st ä n d i g e n a u s s ch ü s s e. Die endgültige Bekanntmachung der Sachverständigenlistc wurde aus formellen Gründen noch hinausgeschoben, da gegen wurde die Wahl des amerikanischen Generals Dawes als Vertreter der Vereinigten Staaten im ersten Sachverständigenausschutz gutgeheitzen und beschlossen, General Dawes zum Eintritt in diesen Ausschutz und zur Uebernahme des Vorsitzes einzuladen. Man rechnet mit einer Frist von vierzehn Tagen bis zur Ankunft des Herrn Dawes und mit einem sofortigen Beginn der Ausschutzarbeiten nach seinem Ein treffen. Die englische Arbeiterpartei und der deutsche Prioritäts antrag. Paris, 22. Dezember. Aus Musterungen der Pariser Morgenblätter ist zu schlichen, dast sie damit rechnen, dast die Arbeiterregierung anfang Januar in London die Macht ergreife und das Schicksal der deut schen Lebensmittelanleihe entscheiden werde. In diesem Zusammenhänge verdient eine Londoner Nachricht des „Newyork Herald" Beachtung. In ihr wird erklärt, dast die Labour-Party sich für die Annahme des deutschen Ersuchens einsetzen werde. In London gelte als sicher, dast die Vereinigten Staaten den Prioritätsplan durch aus befürworten werden und es unterliege keinem Zwei fel, dast ein aus mündlichen Erwägungen erfolgter Appell in den Kreisen der Labour-Party grasten Widerhall finden wird. Der WWanzler Ker die WMimsrM In einer Unterredung des Reichskanzlers Dr. Marx mit dem Berliner Korrespondenten des „Newyork Herald" begrüßte der Reichskanzler die von der Reparationskommission beabsich tigte Untersuchung der deutschen Finanzen. Be sonders erklärte er sich von der Teilnahme amerikanischer Sach verständiger befriedigt. Marx betonte jedoch, daß die Ausschüsse nicht nur in Paris, sondern auch in Berlin ihrer Tätigkeit nach gehen müssen, um die nötigen Unterlagen an der Hand zu haben. Auf den Abschluss der Verhandlungen zur Bewilligung von Lebensmittelkrediten in Amerika setzt der Kanzler grosse Hoffnungen, doch ist er der Ansicht, dass Deutsch land bet weitem umfangreichere Anleihen benötigt, um finanziellen Katastrophen entgehen zu können. Betreffend das Reparationsproblem betonte er: „Persönlich meine ich, daß Herr Poincar6 erkannt hat, daß nur mit einer offenen Aussprache und einer ehrlichen Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland den Beteiligten am meisten genützt sei. Es muß endgültige Klarheit darüber geschaffen werden, ob Frankreich politische oder wirtschaftliche Ziele in Deutschland verfolgt. WennFrankreichGeldvonDeutschlandwünscht, so muß es das deutsche Volk leben und arbeiten lassen. Zuerst muß die Lage an Rhein und Ruhr geklärt werden, andernfalls eine Klärung des Reparationsproblems ein fach zur Unmöglichkeit wird. Die Einschätzung der deutschen Zahlungsfähigkeit kann nur erfolgen, wenn das Schicksal von Rhein und Ruhr dabei in größtem Maße berücksichtigt wird. Das Ruhrgebiet ist das Herz Deutschlands. Es muß für uns schlagen, wenn wir leben sollen." Gelingt es, eine umfangreiche Anleihe im Auslande aufzubringen, so hofft Dr. Marx, daß bei den gesunden gesetzlichen und wirtschaftlichen Hilfsquellen, über die Deutschland verfügt, es gelingen wird, diese schwersten Tage der deutschen Geschichte zu überstehen. Das separatistische Schreckgespenst, von dem die Rheinländer nichts wissen wollen, wird vollens verschwinden, sobald jeder finanzielle Zu schuß an die Führer der Abfallbewegung unterbunden wird. Er habe nie daran gedacht, Hilfe von dem Völkerbund zu erbitten. Deutschland habe vielmehr „mit dem Bund des Versailler Ver trages" Erfahrungen gemacht, die nicht gerade ermutigend seien. Die innerpolitische Lage bezeichnete der Kanzler als ruhig. „Im gegenwärtigen Augenblick", sagte er, „be fürchte ich weder einen Putsch von rechts noch von links. Die Gefahr plötzlicher Ausbrüche ist für den Augenblick unterbunden worden; doch kann niemand voraussehen, ob sie nicht eintreten werden, denn das Elend und Leiden Deutschlands hat einen großen Umfang angenommen. Alles, was wir tun können, ist zu arbeiten und die Preise so niedrig wie möglich zu halten." Mißglückte Anschläge. Attentatsplan eines Sachfen gegen von Kahr. Amtlich wird aus München gemeldet: An die Polizeidirektionen gelangten kürzlich Mitteilungen über einen Attentatsplan gegen den Generalstaatskommissar v. Kahr. Die sofort eingclcitcte Erhebung führte zu der Festnahme eines Schauspielers namens Hans Barthel, gebürtig aus Sachsen. Barthel, der die Absicht zugab, den Eeneralstaatslommissac zu erschienen und zu diesem Zwecke auch bereits Erkundungen einge leitet hatte, wurde dem Gericht übergeben. Er ist als Ausländer vor kurzem nach München gekonkmen und hatte einen Ausweis in seinem Besitz, wonach er im Mai für die Franzosen im Ruhrgebiet bei der Eisen bahn tat ig war. Münchener Blättern zufolge bezeichnet sich Barthel als Nntionalsozialist. Verbrecherischer Anschlag auf Noske. Wie aus Hannover gemeldet wird, wurde am Freitag abend gegen 7 Uhr auf das Regierungsgebäude im Archiv, in dein Oberpräsident Noske seine W o h n ung hat, ein verbrecherischer Anschlag verübt. Jn^eincm der Treppenaufgänge wurde eine sehr starke S-preng- ladung zur Explosion gebracht, dercn^ Deto nation in der ganzen Stadt zu hören war. Die Fenster scheiben und Türen an der ganzen Gebäudefrvnt wurden eingedrückt. Menschenleben sind dabei glücklicherweise nicht zu Schaden gekommen. Aerzte und Krankenkassen. Waffenstillstand und Aussicht auf Einigung. Am Freitag erörterten im Reichsarbeitsministerium die Spitzenverbände der Krankenkassen und der Aerzte eingehend und sachlich die Voraussetzung zur Beendigung des vertragslosen Zustandes. Dabei wurde Einigung über folgende Punkte erzielt: Beiderseitiger Verzicht auf Massregelungen, Rück nahme der aus Anlass des vertragskosen Zustandes an hängigen Rechtsstreitigkeiten. Wegen Ueberschreitung der Mlndestgcbühren ist 'Verständigung in Aussicht gestellt. Die Vertreter der Krankenkassen werden spätestens bis 30. Dezember die Entscheidung ihrer Mitglieder wegen Wiedcrherstellung der früheren Aerzte- vertrnge bcibringen. Bis dahin werden die Ver sicherten in besonders schwierigen wirtschaftlichen Ver hältnissen bei Bemessung der Gebühren angemessen be rücksichtigt. Beide Teile unterlassen auch Massnahmen, die aus eine Verschärfung der Lage hinauslaufen können. Insbesondere soll dies für Erörterungen in der Presse oder in Druckschriften gelten. Politische Tagesschau. Gesslers sächsische N e is e e i n d r ü ck e. Reichs wehrminister Dr. Gessler ist von einer kurzen Reise nach Sachsen zurückgekehrt. Von seinem Besuche in Dresden hat der Reichswehrminister, wie von unterrichteter Seite mitgeteilt wird, den Lindruck mitgebracht, datz die Ab sicht, den militärischen Ausnahmezustand auszuhebcn, vvr- erst nicht verwirklicht werden kann. Der Reichswehrmi- nisier ist vielmehr der Auffassung, datz das Fortbestehen des militärischen Ausnahmezustandes notwendig ist. Annahme des Ermächtigungsgesetzes in Württemberg. Der würtrembergische Landtag hat am Freitag nach mehrtägiger Debatte das von der Negierung eingebrachte Ermächtigungsgesetz mit 68 gegen 24 Stimmen, also mit der von der Verfassung vocge- schriebenen Zweidrittelmehrheit angenommen. Das von den Deutschnattonalen beantragte Misstrauensvotum für die Regierung wurde gegen die Stimmen der Sozial demokraten, des Zentrums, der Demokraten und der Deutschen Volkspartel abgelehnt. Ebenso ein weiterer An trag der Deutschnationalen auf Auslösung des Land tages und alsbalvige Ausschreibung von Neuwahlen. Abbau dreier bayerischer Ministerien. Die Verminderung der Zahl der bayerischen Ministerien wird sich in der Weise vollziehen, datz es künftig nur ein Ministerium des Aeutzern, des Inneren, der Justiz, der Finanzen und 'des Kultusministerium geben wird. Die nach dem Krieg geschaffenen drei Ministerien für Landwirtschaft, soziale Fürsorge, sowie für Industrie, Handel und Gewerbe werden wieder aufgehoben und al Abteilungen der Ministerien des Aeutzeren und des In neren geführt, wie es bis zur Revolution von 1918 der Fall war. Amerika. Aufruf der Arbeiterpartei zum Liebes werk für Deutschland. Der Arbeiterführer Sa muel Gompers hat einen Ausruf an alle Mitglieder des amerikanischen Arbeiterbundes erlassen, in dem er sie auf- sordert, am Hilfswerk für Deutschland mitzuarbeiten. Der todbringende Nebel. In jedem Jahr um die Zeit zwischen November und Januar zahlt London einen schweren Tribut an den Nebel, der dort stärker wütet als in jeder anderen Küstsn- stadt der Welt. Die feuchte Atmosphäre, die wochenlang die Themse- stadt in undurchsichtige Schleier hüllt, hat auch diesmal ihre Wirkung ausgeübt, auf die Sterblichkeits- Ziffer. In dieser Zeit gehen zahlreiche Personen an Bronchitis und Herzleiden zugrunde. Einige Tage, nach dem London seine schwersten Nebel durchzumachen hat, steigt die Sterolichkeitszisser rapide in die Höhe. Es vergehen dann noch acht bis vierzehn Tage, bis die Statistik wieder auf ihren gewöhnlichen Stand herab- sinkt. Acht bis vierzehn Tage sind ungefähr die Zeit, in der ein einziger Nebeltag in den Atmungsorganen anfälliger Personen seine verheerende Wirkung ausübt. Wie rasch die Sterbeziffer nach oben schnellt, zeigt eine amtliche Statistik aus den letzten Wochen. In der zwei ten Novemberwoche starben 106 Personen innerhalb Londons an Bronchitis und 186 an Herzleiden. In der dritten Novemberwoche waren es schon 139 bzw. 184. Und in der letzten Novemberwoche, der einige schwere Nebeltage vorangegangen waren, starben 25k Personen an Bronchitis und 272 an Herzleiden. Der Nebel, so wie er in London auftritt, wo man zeitweise nicht die Hand vor Augen sehen kann, wird vonenglischen Aerzten an verheerender Wirkung manchem Giftgas g l e i ch g e s e tz t. Jahr für Jahr tötet er Tausende von Menschenleben. Es ist nicht mehr auszu rechnen, welchen Tribut er bereits verlangt hat in den letzten fünfzig Jahren. Noch weit grösser ist die Zahl derer, die er nur zeitweise angreift, die er auf einige Tage oder Wochen an das Bett fesselt und die soviel Kraft behalten, ihn schliesslich doch zu überwinden. „Wieviel Jahre leidet London bereits unter dem Nebel?" fragt der medizinische Mitarbeiter einer eng lischen Zeituna. Und er gibt gleich darauf eine über raschende Antwort, indem er die Hauptschuld den Rauch schwaden, den Tausenden von Schornsteinen zuschreibt, die von früh bis spät die Londoner Atmosphäre ver pesten und deren dicker Kohlenstaub geradezu lebens gefährlich wird, wenn er sich mit dem Nebel verbindet. Verschlungene Wege. Roman von Walter Burkhardt. 57. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) „Bist du da, Kind", fragte der Fremde, ohne sich imzuwenden. „Das ist gut, laufe schnell zum Herrn Pastor und bitte ihn zu kommen." Claire war seltsam ergriffen. Die Stimme — diese Ltimme! Fast klang es, als hätte Mar gesprochen. „Soll ich nicht den Doktor holen? "fragte das ^.ind. Da antwortete der Kranke mühsam stammelnd: „Nur den Prediger, bitte, der Doktor kann nicht .elfen. Marie eilte hinaus. Claire aber trat an das nkenbett. „Kann ich hier vielleicht helfen?" fragte sie freund- ,,Ich habe Erfahrung in der Pflege." Der Fremde wandte sich zu ihr: „Ich danke Ihnen. Das mein armer Freund noch brauchen könnte, ist hier. )ch werde bei ihm bleiben." Die Worte erstürben auf. einen kippen. „Claire!" flüsterte er dann kaum hörbar. „Mar! Herr Gott! Es ist eine Täuschung."' „Es ist keine Täuschung, Claire. Ich bin es, Mar, >ein Bruder." Der Kranke wollte sich gewaltsam aufrichten; Mar leigte sich wieder über ihn, um ihn zu stützen. „Herr Grün", hauchte die zitternde Stimme, „ich nächte Ihnen danken — danken! In Ihrer Sterbe- iunde soll Ihnen ein Freund zur Seite stehen — wie Sie - mir!" Dann noch ein kurzes, müdes Stöhnen — es war orüber. Mit sanfter Hand strich Mar über die Augen des Entschlafenen, um dessen Lippen ein friedliches Lächeln spielte. Inzwischen war Mariechens Mutter nach Hause zurückgekehrt,- sie übernahm die weitere Sorge für den Toten. Die Geschwister verließen die dunkle Dachkammer und traten in das Helle Mittagslicht des Frühlingstages. Das Rollen und Rasseln der Wagen, dis eiligen Schritts der Fussgänger, ihr Reden und Rufen und Schreien, alles klang zusammen. Und wohin wollten alle diese Leute in ihrer hastenden Eile? Zu Lust wrd Leid, zu Glück und Schmerz, zur Ar beit, zum Vergnügen. Jeder Mensch war gleichsam ein winziger Tropfen, fortgerissen von der brandenden Woge des Lebens. Und in jedem Tropfen wiederum eine Welt von Leben und Fühlen für sich, ein Kämpfen und Ringen, Jubeln und Weinen, von dem die andern nichts wuß ten, denn einer kümmerte sich nicht um den andern; acht los hasteten sie aneinander vorüber. Still, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt, dis übermächtig das Herz bewegten, gingen die Geschwister durch das bunte Gewühl der Straßen. Mär brach zuerst das Schweigen. „So mußte der Zufall uns zusammenführen, meine liebe, gute Claire." „Ich kann es ja nicht fassen, Mar. Ich glaube zu träumen! Wir alle hielten dich für tot. Wenn Carry das wüßte — und Lukas!" „Mit Carry habe ich vor einigen Monaten selbst gesprochen." „Und sie hat mir nie etwas darüber gesagt! "ries Claire staunend. „Aber, mein armer Junge, du darfst ja nicht in Berlin bleiben, um deinet- um unser aller- willen nicht!" „Willst du nur eine Frage beantworten, Claire?" „Gewiß Mar." „Wie steht es mit Carry und Lukas? Wiro er jetzt, nachdem er seine Verlobung mit Fräulein von Näh ling gelöst hat, Carry heiraten?" „Nein, nezn. Um Gottes willen, wie kannst du dergleichen aussprechen, Max? Du weißt ja am besten, weehalb er nicht in unsere unglückliche Familie einheiraten kann." „Lukas hat Carrys Leben ruiniert; er muß sie hei raten", entgegnete Mar ruhig. „Tut er es nicht, so wird das Geheimnis, aus welchem er allein Nutzen zieht, nicht länger Geheimnis bleiben." „Ich verstehe lein Wort, Max." „Es soll dir später alles erklärt werden, liebe Claire. Jetzt nur soviel: ich habe diese langen Jahre hindurch die Schuld eines andern getragen um Carrys willen, damit sie glücklich werden sollte. Mein Opfer scheint nutzlos gewesen zu sein. Ich werde also nicht länger für den andern büßen." XXVIII. Nachdem Carry ihrs Enttäuschung überwunden hatte, daß nicht Lukas, sondern Hermione sie besuchte, reichte sie dieser die Hand, und von ihren Lippen strömten warme Dankesworte. Hermione aber sank neben dem Ruhebett der Kranken in die .'unse, und die ganze übermenschliche Erregung, welche das arme Mädchen seit den letzten Tagen quälte, löste sich in einein heißen Tränenstrom. Mit zitternden Händen strich Carry über Hermiones Haar. „Ja, mein armes, liebes Kind, ich glaube wohl, daß es Ihnen ,schwer wird, aber die Belohnung Ihrer guten Tat wird nicht aMsbleiben." (Fortsetzung folgt.)