Volltext Seite (XML)
Die Reichsregierung zurückgetreten. ZDr. Stresemann mit -er Neubildung betraut. Amtlich wird aus Berlin gemeldet: „Das Reichskabinett hat sich am Mittwoch in mehre ren Sitzungen mit der Lage beschäftigt. Durch die Ab lehnung der Sozialdemokratischen Partei, die soziale Ge setzgebung in dem Ermächtigungsantrag der Neichs- regierung beim Reichstag einzubeziehen, war eine u n - überbrückbareDifferenzinder Auffassung der Koalitionsparteien entstanden. In Anbetracht dieser Tatsache beschloh das Kabinett, durch den Reichskanzler dem Reichspräsidenten seine Demission anbieten zu lassen. Der Reichspräsident hat die Demission angenommen und den bisherigen Reichskanzler Dr. Stresemann mit der Neubildung des Kabinetts betraut." Somit ist die große Koalition, auf die man von ver schiedenen Seiten große Hoffnungen legte, zu Grabe ge tragen worden. Die Ursachen sind in erster Linie in Differenzen wegen des Wirtschafts programms zu suchen, die zwischen der Sozialdemo kratie und den anderen Parteien der großen Koalition entstanden. Die Deutsche Volkspartei stellte nämlich drei Forderungen: 1. daß das Ermächtigungsgesetz, in dem der Reichsregiernng weitgehende Vollmachten erteilt werden sollen, sich aus Maß nahmen finanzieller, wirtschaftlicher und sozialer Natur er strecken soll, 2. daß die Produktion wieder aus den Stand der Vorkriegszeit gebracht werden müsse, und daß zur Erreichung dieses Zieles das Arbeitszeitgesetz entsprechend gestaltet werden müßte. Im wesentlichen laust dieser Programmpunkt aus die Beseitigung des gesetzlich festgelegten Achtstundentages hinaus. 3. Vermeidung eines Konfliktes zwischen Reich und Bayern. Während die Mittelparteien diesen Forderungen im wesentlichen zustimmten, erklärten die Sozialdemo kraten, daß sie einem Ermächtigungsgesetz nur zu stimmen könnten, wenn es auf f i n a n z i e l l e M a tz- nah m e n beschränkt bleibe. Selbstverständlich seien sie bereit, in weitgehendstem Maße an einer Steigerung der Produktion mitzuwirken, aber ohne andem Prin zip des Achtstundentages rütteln zu lassen. Auch sie wünschten sicherlich keinen Konflikt zwischen dem Reich und Bayern, andererseits dürfte die Reichsregierung vor der Austragung eines solchen Kon fliktes nicht zurllckschrecken, wenn er durch die Haltung der bayerischen Regierung und Eingriffe in die Reichs hoheit herbeigeführt werden sollte. Sie legten in dieser Frage ihre Ueberzeugung in dem Beschluß fest, für den Antrag auf Aufhebung der bayerischen Verordnung über den Ausnahmezustand zu stimmen. Bezüglich der Zusammensetzung des inzwischen zu rückgetretenen Kabinetts wünschte die Volkspar tei, daß der Reichswirtschaftsminister Dr. v. Rau mer, der bekanntlich selbst der Fraktion angehört, zu rücktrete. Schon vor einigen Tagen hat der Wirtschafts ausschuß der Fraktion einstimmig den Rücktritt Räu mers gefordert. Die Gründe dafür sind teils sachlicher, teils persönlicher Natur. Die Fraktion hat diesen Be schluß ihres Wirtschaftsausschusses zu dem ihren gemacht. Dr. v. Raumer hat daraus sofort die Folgen gezogen und unmittelbar nach der Fraktionssitzung seine De mission überreicht. Die Deutsche Volkspartei erklärte ferner, daß für den Fall eines Rücktrittes des Reichsernährungsministers Dr. Luther — der poli tisch der Deutschen Volkspartei nahesteht, und dem damit der Rücktritt nahegelegt wurde — das Reichsernährungs ministerium mit einem Manne besetzt werde, der das Vertrauen der Landwirtschaft genieße. Als dritten Wunsch äußerte die Deutsche Volkspartei, daß der R e i ch s f i n a n z m i n i st e r nur dann in seinem Amte bleibe, wenn er sich ganz auf den Boden des Wirt schaftsprogramms stelle. Die Sozialdemokraten beharrten auf ihrem Standpunkt und erklärten, an dem gegenwärtigen Finanzminister Dr. Hilferding festzuhal ten. Alle Vermittlungsvorschläge lehnte die sozialdemo kratische Reichstagsfraktion mit 61 gegen 54 Stim men ab. Das sind in kurz skizzierter Form die hauptsächlich sten Motive, die der großen Koalition den Todesstoß ver setzten. Wer wird nun regieren? Von Berliner parlamentarischer Seite wird uns telephonisch mitgeteilt, daß es beabsichtigt sei, das neue Reichskabinett so rasch als möglich zu bilden und dabei die Zahl der Mitglieder, wenn irgend möglich, zu verringern, um auf diese Weise die Kabinettskrise auf ein Mindestmaß einzuschränken und eine öffentliche reibungslose Arbeit zu ermöglichen. Berlin, 4. Oktober. Reichskanzler Dr. Strese mann beabsichtigt, heute noch die Bildung des neuen Kabinetts abzuschließen. Dieses Kabinett soll sich auf bauen auf der bürgerlichen Arbeitsgemeinschaft ein schließlich der Bayerischen Volkspartei. Es ist beabsich tigt, eine Erweiterung nach rechts und nach links durch die Hinzuziehung von Vertrauensleuten der Rechten bzw. der Linken vorzunehmen. Vor der Rücktrittserklärung des Kabinetts erließ die Deutschnationale Volkspartei einen Aufruf, in dem es heißt, daß das Regierungssteuer nach rechts geworfen werden muß. Die Deutsch nationalen fordern: Schluß mit der Koalitionspolitik! Fort mit den Sozialisten aus der Regierung! Wir ver langen endlich eine Regierung, die sich bewußt auf die nationalen Kräfte im Volke stützt. Der „Vorwärts" schrieb, bevor das Schicksal der großen Koalition besiegelt war, u a.: Wenn die gegenwärtige Regierung stürzt, so ist kaum noch eine verfassungsmäßige Neubildung einer Regierung möglich. Man spricht im Reichstag bereits allgemein von einer Auflösung des Reichstages, ohne zu sagen, wer die Auf lösung vollziehen soll, und wann die Neuwahlen statt zufinden hätten. Offenbar rechnet man mit einer außer parlamentarischen Diktatur, die unter deutschnationa lem Einfluß nach bayerischem Muster steht. Auf dem Wege nach Berkin. Nach Mitteilungen der Rigaer Presse haben sich im Zusammenhang mit der Möglichkeit von Umwälzungen in Deutschland die bolschewistischen Kommissare Stutschka, Danischewski und, wie verlautet, auch Radek nach Berlin begeben. Auch der sowjet- russische Gesandte in Lettland, Aralow, ist auf dem Wege nach Deutschland. MW WOOer md smMWe Regie. Die Bedingungen, von denen die Regie die Wiedereinstellung der deutschen Eisenbahner abhängig machen soll, sind u. a.: 1. Die deutschen Beamten werden auf die alliier ten Regierungen vereidigt. 2. Es werden nur solche Beamten eingestellt, welche am Orte ihrer Tätigkeit geboren sind. 3. Aeltere Leute sind von der Wiedereinstellung überhaupt ausgeschlossen. Nur jüngere kommen in Frage. 4. Die ausgewiesenen Beamten werden nicht wieder eingestellt, sondern die Ausweisungen auf recht erhalten. 5. Insgesamt darf nur ein Drittel des bisherigen deutschen Beamtenstandes wiedereingestellt werden. Wie dazu bemerkt wird, handelt es sich im Ruhr gebiet aber meist um ältere Leute, da bei der Schwierig keit des Verkehrs Versetzungen unterblieben. Die in Essen zwischen der französischen-belgischen Eisenbahnregie und den deutschen Eisenbahnergewerk schaften geführten Verhandlungen sind vorläufig auf einen toten Punkte angelangt. Die Gewerkschaf ten und Veamtenverbände haben beschlossen, den Dienst nicht eher wieder aufzunehmen, als die Franzosen auf die Forderung des Diensteides und der Abgabe der Pflichterklärung gegenüber den Militär- und Zivilbe- . Verschlungene Wege. Roman von Walter Burkhardt. 43. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Würde das nun immer so weiter gehen; war sie gezwungen, die unangenehme Gegenwart dieses Menschen zu dulden, mußte sie seine Anmaßungen schweigend hin nehmen — einzig und allein des Dienstes wegen, den er ihr geleistet hatte? Ob Lukas die Gedanken ahnte, welche seine schwei gende junge Wirtin quälten? Jedenfalls beachtete er sie nicht. Er schlug einen leichten' Konversationston an, den er meisterhaft be herrschte. Schließlich mußte Hermione ihm doch aus seine Fra gen antworten, nach und nach wurde sie auch etwas leb hafter und zugänglicher, denn die Unterhaltung inter essierte sie trotz allem, und dann — das Frühstück war nun bald vörüber. Bald würde sie also von ihrem unwill kommenen East befreit sein. Da konnte sie ihm wohl noch ein freundlicheres Wort gönnen. In dem Augenblick, als Lukas sich nun wirklich von Hermione verabschieden wollte, brachte ihr Josef einen Bries. Hermione griff schnell nach dem mit großen, charak tervollen Buchstaben überschriebenen Kuvert. Sie war rosenrot geworden, und ihre Augen leuchteten in Heller Freude. Da wandte sie sich wieder zu Lukas. Bleich bis in die Lippen stand er vor ihr, mit starrem Blick, als hätte er ein Gespenst gesehen. Aber noch ehe Hermione eine ängstliche Frage an ihn richten konnte, drückte er stumm ihre Hand und ging schnell hinaus. Draußen schlug er sich mit der Hand vor die Stirn, als wollte er sich selbst zur Besinnung bringen und mur melte: „Es ist ja unmöglich — ganz unmöglich — und doch — ich hatte meinen Kopf darauf wessen können, — daß es — seine — Handschrift war!" VH. Durch die Straßen von Berlin geht der kalte, düstere Dezembertag und klopft mit eisigen Regenschauern gegen die Fenster der Häuser. Viel Elend sehen die großen Tropfen, während sie langsam an den Scheiben herniederrinnen, aber auch viel Glück und Behaglich keit, wie hier im Wohnzimmer der Baronin Hortense von Rühling. Die Lampen sind angezündet, im Kamin knistern die Hellen Flammen und werfen rotgoldene Neflere auf die s weichen braunen Haarwellen, die das Antlitz der schönen, ; jungen Frau umgeben. In schimmernde rosa Seide ge- s kleidet ruht sie lässig in einem bequemen Sessel. Ihre s feinen Füßchen finden einen Stützpunkt aus Puck's Rücken; es ist dies die einzige Leistung, die vom verzärtelten Lieb- s ling gefordert wird; er muß seiner reizenden Herrin manch- s mal als Fußkrssen dienen. Frau Hortense fühlt sich sehr zufrieden, sehr behag- j lich und hat so gar keine Lust, sich über unangenehme Dinge zu erregen, wie jhr Gemahl, der sich eben jetzt in endlosen Reden über die .Vernunft seines Vaters' ver breitet, der .dieses Mädchen, diese Schauspielertochter' in sein Haus genommen hat. „Aber sie ist das Kind deines eigenen Bruders", warf Hortense mit leichtem Gähnen ein, in der Hoffnung, den Redestrom Richards dadurch etwas zu hemmen. „Na ja — aber deshalb braucht sie doch nicht wie eine Prinzessin in Röcknitz ausgenommen zu werden. Es ! ist unglaublich, was mein alter Herr alles mit ihr an hörden verzichten. Weiter wird die Rückkehr sämt licher Ausgewiesener verlangt. Die Eisenbahnhauptwerkstätten in Witten wurden von den Franzosen besetzt. Frankenwährung im Ruhrgebiet Am 2. Oktober ist die Verfügung durch die die Frankenwährung auf den Regiebahnen im Ruhrgebiet eingeführt wird, in Kraft getreten. Die Folge ist, daß viele Personen an den Schaltern um kehren, weil sie aus deutschem Boden nicht den Franken bezahlen wollen. Diejenigen, welche fahren wollen oder müssen, sind nicht in der Lage, die nötigen Franken zu beschaffen. Sogenannte wilde Geldhändler haben den Franken bereits in der Umgegend der Bahnhöfe auf 80 Millionen getrieben, indem sie die Notlage des reisenden Publikums ausnützen. Die Züge fahren infolgedessen meist leer. Die Erbitterungin der Bevöl kerung, die schon in der letzten Woche, infolge der Art und Weise wie die Franzosen das Nachgeben Deutsch lands ausgenommen haben, eingesetzt Hal, wird durch diese Verfügung nur weiter gesteigert. Görges in Cayenne deskortiert. Frankfurt a. M., 4. Oktober. Der Landwirtschafts lehrer Paul Görges, der seinerzeit wegen eines Eisen bahnattentats von den Franzosen zum Tode verurteilt, dann aber zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt wurde, wurde zunächst vom Mainzer Kriegsgericht nach Nancy gebracht und von dort nach Fresnes an der Seine weitertransportiert. Jetzt haben seine Eltern in Frank furt die Nachricht erhalten, er solle nach Cayenne ge bracht werden. * Frankreich und die Wiederaufnahme der Reparationsleistungen. Der französische Wiederaufbauminister Reibel hat auf eine Anfrage, ob die Naturalleistungen an Frankreich nach der Aufhebung des passiven Wider standes in derselben Weise wie vor dem 11. Januar wie der aufgenommen werden, geantwortet: Wir werden jetzt den guten Willen Deutschlands auf die Probe stellen und beabsichtigen in der Tat bei den deutschen Lieferanten wieder Ve st ell ungen zu machen. Wir werden das Gilletabkommen wieder in Anwendung bringen. Dann werden wir sehen, ob das Reich den Lieferanten die ausgeführten Bestellungen be zahlen wird. SMim, Ns Land der Mlitmemlie«. Es rinnt wie Feuer durch die Adern der Spa nier — das zeigt schon das gewaltige Stück Weltge schichte, das dieses nicht allzu nicht bevölkerte Lund vor uns hat abrollen lassen, fest es zum Bewußtsein seiner Weltgeltung gelangt ist. Römer, Westgoten, Griechen, Karthager und Türken waren abwechselnd im Besitze der Pyrinäenhalbinsel und ihrer Bevölkerung, 17 Mil lionen von Seelen, die von jeher in einer ewigen Mobil machung begriffen ist. Spanien qab der Welt Feuern geister wie die Kaiser: Trajan, Hadrian, Marc Aurel, Theodosias. Die erste Revolution, die die spanische Ge schichte aufweist, vollzog sich 710 nach Christi. Da mals wurde der Westgvtenkönig Vitiza von dem Klerus und dem Adel gestürzt und gerötet. Mit dem Tode Vitizas endete auch die Herrschaft der Westgoten über Spanien, die 300 Jahre gewährt hatte. Nun erober ten die Mauren Spanien, womit das Land sich in einen förmlichen Revolutionsherd verwandelte. Bald paßte den aufgebrachten Spaniern der oder jener Statt halter nicht, bald wurde ein Kalif gestürzt, und im mer gingen derartige Umwälzungen vom Klerus und vom militärischen Adel aus, die zusammen die stärkste Partei des Landes ausmachten. Bis zu dem Emporkommen christlicher König reiche in Spanien wurde das Land zerrissen und lag ost wie ein brandroter Fetzen zu den Füßen der gewal tigen Sieger. Als endlich 1233 Ferdinand UI. von Kastilien Spanien von den Arabern säuberte, begann stellt. Er konnte ihr ja eine Rente aussetzen, aber im übrigen hätte sie bleiben können, wo sie war und hin gehört." „Dann würde sie wahrscheinlich als Schauspielerin mit irgend einer Truppe umherreisen. Sehr angenehm für die Familie. „Meinetwegen kann sie ja auch in Räcknitz bleiben", gab Richard zu „aber daß er sie uns nun aufbürdet, das geht denn doch zu weit!" „Vielleicht", meinte die Baronin gutmütig, „viel leicht ist sic ganz nett; außerdem bleibt sie ja wohl auch nicht ewig hier." „Lange genug, meine Liebe; es wird dir bald lang weilig werden, wenn du die Prinzessin ins Theater be gleiten und für ihr Vergnügen sorgen sollst." „Warum hast du denn deinem Vater nicht geschrieben, daß wic für den Besuch danken, Richard?" „Ich kann mir meinen Vater nicht so vor den Kopf stoßen. — Unsere Jungens hätten darunter zu leiden." „Wie meinst du das, bitte?" „Aber liebste Hortense, begreifst du denn nicht, es handelt sich doch natürlich um die Erbschaft. Mein Vater hat ein bedeutendes Privatvcrmögen gesammelt, über das er frei verfügen kann. Ich glaubte immer, es würde unsern Kindern zufallen; jetzt haben sie mit einer dritten zu teilen, das steht fest. Wenn wir aber die Unklugheit begehen würden, den alten Herrn zu ärgern, dann kann es leicht passieren, daß dieses Mädchen das ganze Vermögen bekommt." (Fortsetzung folgt.)'