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Baldwin und Poineark stimmen überein. Das englisch-französische Zusammenarbeiten nicht in Frage gestellt. Die angekündigte Aussprache zwischen PoincaräundBaldwin hat am Mittwoch vor mittag im Anschluß an ein Frühstück im englischen Bot schafterpalais in P a r i s stattgefunden. Hierüber wurde folgendes Kommunique ausgegeben: Paris, 18. Sept. Heute nachmittag hat eine Zu sammenkunft der Ministerpräsidenten Frankreichs und Großbritanniens stattgefunden, die zu einem Mei nungsaustausch über die allgemeine politische Lage führte. Man konnte nicht erwar ten, daß Poincacä und Baldwin in einer einzigen Aus sprache endgültige Entscheidungen treffen würden, aber die beiden Ministerpräsidenten sind glücklich darüber, daß sie eine Uebereinstimmung ihrer allgemei nen Anschauungen feststellen und erkennen konnten, daß zwischen ihnen in keiner Frage eine Diffe renz weder in ihren Zielen noch in ihren Grundsätzen besteht und daß die Zusammenarbeit der bei - denLänder, von der in so hohem Matze die Beruhi gung und der Friede der ganzen Welt abhängt, nicht in Frage gestellt ist. Eine gleichlautende Kundgebung wurde von der englischen Botschaft verbreitet. Am Quai d'Orsay er klärt man sich außerstande, weitere Angaben über die Zusammenkunft zu machen. Man macht jedoch kein Hehl aus der o p t i m i st i s ch e n Beurteilung der durch die Konferenz geschaffenen Lage. Englisch-belgischer Schritt in Paris. Unmittelbar vor dem Eintreffen Baldwins in Pa ris ergriff der offiziöse „Temps" das Wort, umneue Anklagen gegen das Kabinett Strese mann zu richten und die Vertrauenswürdigkeit der deutschen Negierung erneut in Zweifel zu ziehen. Es scheint, als ob in Paris zur Stunde eine überaus ge reizte Stimmung herrscht. Es soll dies zurückzuführen sein auf eine Demarche des englischen und belgischen Gesandten, die sich in der vorigen Woche bei Herrn Poincarä einstellten und im Auftrag ihrer Regierungen darauf hinwiesen, daß die deutsche Regierung Rücksicht zu nehmen habe auf den Reichstag und auf die öffentliche Meinung. Man sagte Herrn Poincarö ziemlich deutlich, daß er den Verhältnissen Rechnung tragen müsse und hin sichtlich des Ruhrkampfes an Deutschland keine Forde rungen gestellt werden dürften, die einfach unerfüllbar seien. Es wurde von dem englischen Botschafter und dem belgischen Gesandten fernerhin die Bitte an Poincarö gerichtet, dem Kabinett Stresemann gegenüber eine versöhnlichere Haltung einzunehmen und ihm die Beilegung des Ruhrkonfliktes in einer Weise zu er möglichen, die nicht für Deutschland demütigend und für die öffentliche Meinung annehmbar sei. Noch keine PekhanhlWSWMaze. Von unterrichteter Seite wird im Gegensatz zu un richtigen Meldungen, die über den Stand der Fühlung nahme zwischen Berlin und Paris verbreitet wer den, darauf verwiesen, daß bekanntermaßen der pas sive Widerstand von vornherein nicht Selbstzweck sein sollte, sondern daß er nur dazu dienen sollte, zu Verhandlungen zu ge langen. Die Voraussetzungen für den Abbau des Widerstandes sind von den Parteien und Gewerkschaf ten usw. wiederholt festgestellt und in den verschieden sten Kundgebungen niedergelegt worden. Ueber die Einzelheiten ist mit allen beteiligten Stellen in Ver handlungen eingetreten worden. Nähere Angaben über den Stand dieser Verhandlungen lassen sich im Augenblick noch nicht machen. — In diesem Zusammen hang wird auch darauf hingewiesen, daß verschiedent lich die Wiederbesetzung des Botschafterpostcns in Pa ris gefordert worden ist. Dazu wird offiziös bemerkt, daß die Entsendung eines Botschafters nach Paris nur dann in Frage kommen kann, wenn eine Ver handlungsgrundlage geschaffen ist, die ein ersprießliches Arbeiten für den neuen Botschafter möglich erscheinen läßt. Das ist bis zum Augenblick aber noch nicht der Fall. Vor ernsten Entschlüssen. Reichsinnenminister Sollmann erklärte bei der Einweihung des Kölner Stadions u. a.: Die neueste Rede Poincarös^ dürfte manche Illusion zerstört haben, die in den vergangenen Wochen — aller dings nicht bei der Reichsregierung — entstanden war. Ich glaube aber nicht, daß die Rede die große Entschei dung im Westen hinauszögern wird. Es werden bin nen kurzem ernste Entschlüsse zu treffen sein. Das Kabinett ist mit Stresemanns außenpolitischer Führung vollkommen einverstanden. Man wird sich auch im Volke, wo man die Augen nicht gewaltsam schließt oder aus Parteipolitik Lügen verbreitet, überall darüber klar jein, daß der Kampf an der Ruhr nur mit einem für Deutschland sehr harten Frieden beendigt werden kann. Es ist viel zu lange mit dem Anfang der Verhand lungen gewartet worden. Die Reichsregierung wird nur in enger Verbindung und in voller Ein mütigkeit mit den besetzten Gebieten handeln und handeln können. Von einem Mangel an Verständnis für die Rheinlande kann bei dieser Regierung keine Rede sein. Man wird aber auch am Rhein dafür Verständnis haben, daß von Berlin, wo die trostlose Finanzlage des Reiches unmit telbar vor uns steht, die Dinge manchmal etwas anders angesehen werden als im Westen. Gefährlich wäre es, wenn die Rheinländer etwa glauben sollten, mit dem Ende des Ruhrunternehmens und dem Beginn der Ver handlungen sei die Hauptsache geschafft. Auch die lang wierigen Verhanolungen werden die Bevölkerung und uns vor ganz weittragende Entschlüsse stellen. Mir scheint die Einigkeit der rheinischen Parteien und wirtschaftlichen Organisationen, soweit die reale Poli tik in Betracht kommt, niemals so notwendig gewesenzu sein, wie in den kommenden Wochen. Wer diese Front zerreißt, besorgt die Geschäfte der Im perialisten Frankreichs. Die Deutschnationalen zur Ruhrpolitik. Die Deutschnationale Volkspartei teilt mit: Die vereinigten deutschnationalen Fraktionen des Reichs tages und des Preußischen Landtages haben in An wesenheit von Vertretern der Bayerischen Mittelpartei (Deutschnationale Volkspartei in Bayern) beschlossen, folgende Erklärung zu veröffentlichen: „Wir erheben in letzter Stunde scharfen Ein spruch gegen die von der Regierung Stresemann un ter dem Wechsel des Kurses eingeschlagene Politik, die offensichtlich eine Verständigung um jeden Preis mit dem haßerfüllten und unversöhnlichen Frankreich er strebt. Solche Politik kann nur zur vollen Kapitulation führen. Eine Preisgabe des Wider st andes an Rhein und Ruhr durch Zurückziehung der An ordnungen der Regierung müßte uns dem fran zösischen Diktat widerstandslos unter werfen. Durch zweideutige und unverbindliche Zu sagen des Gegners dürfen wir uns darüber nicht täu schen lassen. Als Ergebnis auf dieser Grundlage ge führter Verhandlungen kann nur erwartet werden, daß der Raub von Rhein und Ruhr durch eine deutsche Un terschrift mit dem Schein des Rechtes umkleidet wird, und daß Frankreich aufs neue wahnsinnige und uner füllbare Reparationsforderungen festlegt, zu deren Erfüllung Deutschland sich dann durch seine Unterschrift gebunden hat. Damit kann dem deutschen Volk nicht geholfen und der wirtschaftliche und politische Zusam menbruch nicht aufgehalten werden. Kapitulation und Unterschrift heben nicht die Not, sondern fügen zur Not auch noch die Schande. Wir aber wissen, daß unser Volk noch stark genug ist, um sich der Schande zu erwehren. Die Deutschnationale Volks partei lehnt vor dem deutschen Volk und vor der Ge schichte die Verantwortung für jede Politik der Schwäche und der Scheu vor der letzten Entscheidung ab. Sie er klärt feierlich, daß sie deren Ergebnisse niemals aner kennen würde." Das neue Währungssystem. Als der Dollar am Dienstag, den 18. d. Mts., durch starke Intervention der Regierung aus einen amt lichen Mittelkurs von 150 Millionen Mark „gedrückt" ' wurde, war er im Freiverkehr bereits bis zu 370 Mil lionen hinaufgesprochen worden. Das bedeutet, daß eine Million Papiermark nicht viel mehr als ein Frie denspfennig darstellt, daß die Mark auf das Sowjet- rubelniveaü gesunken ist, wie ja auch die Notierung der Mark im Airsland kaum noch mehr als eine Formsache darstellt. Ist das neue Währungssystem des Kabi netts Stresemann noch imstande, die deutsche Finanzwirtschaft zu retten? Nach dem jetzt bekanntge gebenen Plan sollen fürs erste drei verschiedene Zah lungsmittel nebeneinander bestehen, nämlich 1. das so genannte Sachwertgeld, das allein als gesetzliches Zah lungsmittel gelten soll; 2. die Papiermark, die nur noch als Scheidemünze, also mit Annahmepflicht bis zu einer bestimmten Höchstgrenze, fungieren soll, und 3. die Eold- note als Zahlungsmittel für den wirtschaftlichen Eroß- verkehr. Also ein sehr verwickeltes System, das in die sem Nebeneinander nur für eine Uebergangszeit ertrag bar ist. Die Hauptfunktion soll der zu schaffenden Sach wertnote zufallen, die einmal das Finanzierungs mittel des Reiches sein soll und des weiteren für den normalen geschäftlichen Verkehr, für Gehalts- und Lohnzahlungen usw. bestimmt ist. Da nun der Etats bedarf des Reiches fürs erste noch nicht durch Steuern und Anleihen zu decken ist, der bisher beliebte Noten druck, mit seiner wirtschaftvernichtenden Inflation aber auf die Dauer nicht fortgesetzt werden kann, soll dem Reiche von der Wirtschaft ein Fonds aus deren Sachwert substanz in Gestalt einer Vermögensabgabe zur Verfü gung gestellt werden, deren Erträge in Form von ver zinslichen Eoldobligationen in einer zu errichtenden Währungsbank angelegt werden sollen, welche dem Reiche die von ihr herauszugebenden Noten nach Maß gabe des Bedarfs und der vorhandenen Deckung zur Verfügung stellt. Um hierbei eine erneute Inflation zu vermeiden, soll das Sachwertgeld in bezug auf Menge und Zeit der Herausgabe begrenzt werden. Das hat freilich zur Voraussetzung, daß einmal die angekündigte „stärkste Einschränkung der Ausgaben im Haushalt" endlich tatkräftig dürchgeführt wird, und daß zweitens alle verfügbaren Steuerquellen noch weit schärfer als bisher herangezogen werden. Denn anderenfalls wür den wir mit dem Sachwertgeld in absehbarer Zeit da anlangen, wo wir mit der Papiermark aufgehört haben. Neben dem Sachwertgeld soll, wie schon betont, die Papiermark nur noch als Scheidemünze, also nur noch für kleinere Zahlungen dienen, wozu eine scharfe Denomination, d. h. die Streichung einer ganzen An zahl von Nullen, erforderlich wäre, um die bisherige Umständlichkeit des Millionenrechnens zu beseitigen. Die Eoldnote, das Zahlungsmittel für den Eroß- verkehr, soll von der Reichsbank, die von der Verpflich tung, für die Zwecke des Reiches Schatzwechsel zu diskon tieren und Noten auszugeben, befreit wird, auf Grund der Eoldwechsel von Industrie, Handel und Landwirt schaft, sowie auf effektive Gold- und Devisendeckung ge stützt, ausgegeben werden. Es handelt sich also um ein außerordentlich ver wickeltes System, dessen Durchführung sich in der Praxis keineswegs so einfach gestalten wird, und das ja auch nur als eine Zwischenlösung gedacht ist, bis es einmal gelingt, den Neichshaushaltsetat zu balanzieren, und bis zweitens eine Lösung des Reparationsproblems ge lingt, welche die Finanzwirtschaft des Deutschen Reiches von der kostspieligen Finanzierung des Kampfes im Ruhrrevier, die trotz der revidierten Handhabung noch immer Billionen verschlingt, befreit. Die neuesten Re den Poincarös sind in dieser Beziehung freilich nicht ge eignet, optimistisch zu stimmen. Die Wirtschaft und das neue Geld. Berlin, 20. Sept. (Eiq. Drahtber.) Halbamt lich wird mitgeteilt: Das Projekt zur Schaffung eines wertbeständigen Geldes wurde mit den Vertretern der Wirtschaft im Reichsfinanzministerium erörtert. Das Projekt fand in seinen Grundzügen allgemeine Zustim mung. Ueber verschiedene Einzelheiten schweben noch Verhandlungen. WentW EWmkiW da AsMMM. Vor einer starken Erhöhung der Einfuhrzölle. Die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse haben eine wesentliche Einschränkung der Ausfuhrkon trolle erforderlich gemacht. Eine Bekanntmachung der zuständigen Ministerien setzt daher mit Wirkung vom 27. September 1923 alte bisherigen Aus- fuhrnerboteaußerKraft und bringt eine neue Liste der Waren, die in Zukunft einer Ausfuhrbewilli gung bedürfen. Demnach sind alle nicht in dieser Liste erwähnten Waren nunmehr a u s f u h r f r e i, d. h. sie bedürfen keiner Ausfuhrbewilligung mehr. Damit ent fällt auch die Ausfuhr in der erleichterten Form der Bekanntmachung des Reichskommissars für Aus- und Einfuhrbewilligungen vom 19. Mai 1923 mit Devisen ablieferungserklärungen. Die neue Verbotsliste umfaßt im wesent lichen nur noch Nahrungsmittel, Rohstoffe und gewisse Halbfabrikate, an denen die deutsche weiterverarbeitende Industrie besonders interessiert ist. Mehr als bisher ist aber zum Schutze der Währung erforderlich, daß alle Ausfuhrgegenwerte in hochwerti ger Valuta ins Inland übergeführt und soweit irgend möglich an die Neichsbank abgeliefert werden. Nachdem infolge der starken Einschränkung des Ausfuhrverbotes dieses Ziel nicht mehr mit den Mit teln der Außenhandelskontrolle erreicht werden kann, wird durch eine gleichzeitig veröffentlichte Verordnung auf Grund des Notgesetzes die Fakturierung und Zah lung von Exportwaren in hochwertiger Valuta sowie die Verwendung der Gegenwerte im Interesse der deut schen Wirtschaft und auch die Ablieferung an die Reichsbank vorgeschrieben. Grundsätzlich soll die Preis stellung in der Währung des Empfangslandes erfolgen. Unabhängig davon sind aber allgemein die vielge- brnuchlichen internationalen Währungen, der Dollar, das Pfund, der holländische Gulden und der Schweizer Franken, zugelassen. Als Mindestmaß der Ablieferung sind durch weg 30 v. H. der Exportdevisen vorge schrieben worden. Diese neue Regelung wird die Erfassung von Export- deviscn wirksamer gestalten und die Ablieferungs kontrolle insbesondere auch auf alle ausfuhr freien Waren erstrecken, was bisher nicht möglich war. Es ist noch darauf hinzuweisen, daß alle anderen Ausfuhrverbote und sonstigen für die Ausfuhr gelten den Bestimmungen, soweit sie auf anderer Rechtsgrund lage als der Verordnung über die Außenhandelskon trolle beruhen (wie z. B. für Kriegsgerüt, Opium, Fie berthermometer) unberührt bleiben. Die „beliebte" Regie. In Wattenscheid kam es am 17. September zu Reibereien zwischen Arbeitern der französischen Regie und dem Publikum, so daß die Polizei einschrei ten mußte. Die Bevölkerung ist über die Vorfälle sehr erregt. — In der Münzstraße in Dortmund be schlagnahmten die Franzosen einen Handkarren mit Kohlen, die eine Frau auf den Straßen g e - sammelt hatte. Die Straßenpassanten gerieten hierüber in große Erregung und wollten die Franzosen angreifen. Ein deutscher Polizeibeamter versuchte, die Menge zu zerstreuen. Die Franzosen forderten dann diesen Beamten auf, die Handkarre mit Kohlen zu ziehen, was dieser natürlich ablehnte. Darauf wurde er verhaftet. Le Troquers Besuch der Nuhrzechen. Der französische Minister für öffentliche Arbeiten, Le Troquer, besuchte im Verlaufe seiner Inspek tionsreise durch das Ruhrgebiet auch die Zeche „Vic tor", die erste deutsche Zeche, die unter französischer Regie arbeitet und auf der 1200 deutsche und polnische Arbeiter beschäftigt sind und auf der täglich 1000 Ton nen Kohlen gefördert werden. Hierauf besuchte der Minister die von den Franzosen eingerichteten Kokereien in Recklinghausen. Französische Fahrkunst. — Bestialische Mordtat. Gelsenkirchen, 20. Sept. (Eig. Drahtber.) An der Blockstelle „Ruhrtal" der Strecke Oberhausen-West We dau stießen zwei Regiezllge zusammen. 30 Wagen wur den vollständig zertrümmert. — Zwei Marokkaner von der Garnison Kirn a. d. Nahe verschleppten den 22jähri- gen Ludwig Desbessel nachts bis zur Mühle an der Krebsweiler Chaussee und schlachteten ihn buchstäb lich ab.