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An PMerW Sachsens erläßt das Gesamtministerium folgenden Aufruf: Insolge^der rasenden Geldentwertung ist in der letz ten Zeit eine große Teuerungswelle durch das Land ge gangen. Untergehende Schichten des Mittelstandes, Ar beiter, Angestellte, Beamte, Erwerbslose, Sozial- und Kleinrentner rufen um Hilfe und sind in verzweifelter Stimmung. Rasch und schnell muß daher geholfen wer den. Die vielgerühmte freie Wirtschaft hat alle m eine große Notlage versetzt. Die Teuerung ist uner träglich und gerade die wichtigsten Nahrungsmittel, wie z. V. Fettstoffe, landwirtschaftliche Produkte usw. sind überhaupt kaum noch zu haben. Das sächsische Wirt schaftsministerium hat schon vor langem die Neichsregie- rung auf die bevorstehenden Gefahren hingewiesen und Norschläge zur Abwendung des Unheils gemacht, leider ohne Erfolg. I)ie Kaufkraft mutz gehoben werden. Deshalb sind die Löhne und Gehälter der stür misch fortschreitenden Geldentwertung und Preissteige rung für alle Lebensunterhaltkosten a n - zup assen. Wo es die Unternehmer bei den Lohn verhandlungen an dieser sozialen Einsicht fehlen lassen, hat das sächsische Arbeitsministerium die Schlichtungs ausschüsse bereits angewiesen, darauf hinzuwirken, daß Schiedssprüche herbeigeführt werden, die eine Anpassung der Löhne und Gehälter ermöglichen. Am Montag jeder Woche wird im Arbeitsmimsterium ein Lebens hai tun gsind er für Sachsen ausgestellt werden, der als Entwertungsfaktor für die Lohn- und Gehaltsempfänger zu gelten hat. Für die Erwerbslosen und So zialrentner hat die sächsische Regierung sich ständig bei der Reichsregierung eingesetzt. Ihren Bemühungen ist es nun endlich gelungen, die automatische Anpas sung der Erwerbslosenunterstützung an die Inder- zif.fer zu erreichen. Das ist auch für die Inva liden- und Altersrentner sowie Kleinrent ner vom 16. August an zu erwarten. Die von der sächsischen Regierung beantragte Nachzahlung hat dis Reichsregierung bereits zugesagt. Die Auszahlung der Renten bezöge soll zukünftig halbmonatlich er folgen. Die Arbeitsämter bzw. Arbeitsnachweise in ein zelnen Gemeinden sind verpflichtet, sich sofort mit den Vertretern von Industrie, Handel und Gewerbe in Ver bindung zu setzen, damit die Einführung der Erwerbs losen in den Produktionsprozeß erfolgt. * Vor mehreren Wochen hat das sächsische Wirtschafts- Ministerium erfolgreich Vorstellungen beim Reichswirt schaftsminister und beim Neichsbankpräsidenten wegen Freigabe von Devisen, besonders für die Margarine verteilung, erhoben. Beinr Reichsernährungsminister sind Vorschläge für die Linderung der Fettnot gemacht worden. Danach sollten Großbanken, Großindustrie und Großhandel veranlaßt werden, die Summen an Devisen aufzubringen, die erforderlich sind, um unverzüglich große Mengen an Fett aus dem Auslände nach Deutsch land einzuführen. Am 7. August haben die Spitzen vertretungen der deutschen Großindustrie und der Groß banken 50 Millionen Goldmark in Devisen zu diesem Zwecke bereitgestellt. Verhandlungen mit dem Reichssinanzministerium wegen einer großen Kreditaktion zur Beschaffung von Herbstkürtoffe In sind im Gange. Verhand lungen mit den Spitzenvertretungen der sächsischen In dustrie, der Landwirtschaft und der Banken sind einge leitet. Große Beträge hierfür sind bereits in sickere Aussicht gestellt. Sachser hat sich bei seinem Vorgehen der Unter stützung verschiedener anderer Länder versichert. Schon am 7. August haben die Länder Sachsen, Thüringen, Braunschweig und Anhalt gemeinsam beim Neichsernäh- rungsminister beantragt: 1. die Wiedereinführung der Eetreideumlage; 2. Festsetzung einer Kartoffelumlage! 3. Sicherstellung der Säuglings- und Krankenmilch und Festsetzung von Höchstpreisen, für Milch und Butter für das ganze Deutsche Reich; § 4. Beibehaltung der öffentlichen Bewirtschaftung des > Mundzuckers; 5. weitere Dcvisenbereitstellung zur Fettversorgung . durch Großbanken und Schwerindustrie. ! Die sächsische Negierung hat alles getan, und wird auch weiter alles tun, was im Rahmen ihrer Befugnisse und ihrer Kraft möglich ist, die Not der Bevölkerung zu lindern. Da Sachsen jedoch Zuschußland und in der Haupt sache auf die Zufuhr von Lebensmitteln aus außersäch- iischen Ländern angewiesen ist, erwartet dir Regierung von der Bevölkerung, daß nicht durch Gewalt maßnahmen die Lebensmittelzufuhr nachSachsengefähedet wird. Verschärfte Nah rungsmittelnot und Hunger würden die unausbleib lichen Folgen eines solchen Vorgehens sein. Das vielfach gestellte und wohlgemeinte Verlangen der Beschlagnahme von Lebensmitteln zum Zwecke der Rationierung ist leider in Sachsen des halb nicht an gezeigt, weil die im Lande befind lichen Nahrungsmittel kaum länger als auf einige Tage reichen dürften. Dagegen würde eine Beschlagnahme dieser Bestände sofort die ständige Zufuhr von außerhalb Sachsens unterbinden und noch größere Not heraufbe schwören. Zu Lebensmittelbestandsaufnahmen sind die Gemeinden bereits durch eine Verordnung des sächsischen Wirtschaftsministeriums ermächtigt worden. Die sächsische Negierung ist weiter bemüht, die Not der Bevölkerung zu lindern. Deshalb wahrt Ruhe und Besonnenheit! Politische Tagesschau. Die Unterredung Zeigners mit Dr. Stresemann. Der Reichskanzler hatte Freitag in Gegenwart des Reichsinnenministers eine ausführliche Aussprache mit dem sächsischen Ministerpräsidenten. Ge genstand dieser Aussprache waren die Verhältnisse in Sachsen in wirtschaftlicher und politischer Beziehung. Der sächsische Ministerpräsident wies auf die große.Erregung der sächsischen Arbeiterbevölkerung hin, die mit Polizei mitteln nicht allein bekämpft werden könne. Vorwiegend Maßnahmen wirtschaftlicher und finanzpolitischer Art seien erforderlich. Der sächsische Ministerpräsident be tonte ferner den festen Willen der sächsischen Negierung, Ruhe und Ordnung im Lande aufrecht zu erhalten. Uebereinstimmung ergab sich darüber, daß zur Wieder herstellung geordneter Zustände es vermieden werden müßte, die bisherigen bedauerlichen Vorgänge zu poli tischen Zwecken au^ubauschen, wie es zum Teil in der Presse geschehen ist. Im Ganzen stellte der Reichskanzler die volle Zustimmung des sächsischen Ministerpräsidenten dazu fest, im Zusammenwirken mit der Reichsregierung die Grundlagen des heutigen Staates zu schützen. Die Führung der Deutschen Volkspar tei. Die nationalliberale Korrespondenz teilt mit: Führer der gesamten Partei bleibt nach wie vor Dr. Strese mann. Die Reichstagsfraktion der deutschen Volkspartei hat an Stelle des neuen Reichskanzlers Dr. Stresemann den Minister a. D. Dr. Scholz zu ihrem ersten Vor sitzenden gewählt. Die zunächst vorgeschlagenen Mi nister a. D. Dr. Becker und Dr. Heinze hatten den Vorsitz abgelehnt. Bulgarien. Keine To de sur teile in Sofia. Wie der bulgarische Gesandschaftsrat in Berlin mitteilt, ist gegen die Mitglieder drs Kabinetts Stambulijski eine Unter suchung eingeleitet worden, die noch nicht abgeschlossen ist. Eine gerichtliche Verhandlung hat bisher noch nicht stattgefunden. Frankreich. Die neuesten Aufrüstungsversuche. Wie das Pariser „Journal" meldet, hat man in Frankreich Versuche mit einem neuen Bombenflugzeug gemacht, das einen Motor von 600 ?8 habe und einen Torpedo von 700 Kilo Hewicht abwcrsen könne. Der Apparat, der 3360 Kilo wiege, habe eine Geschwindigkeit von 169^ Kilometer erreichen können. Polen. Auch eine Antwort! Der Deutsche Klub im Sejm ist von der polnischen Regierung auf einige seiner Interpellationen im Sejm einer Antwort gewürdigt worden. Die Antwort ist ganz schematisch immer dieselbe: „Die Erledi gung verzögert sich, da die „Erhebungen" noch nicht ab geschlossen sind." Es handelt sich um acht Inter pellationen aus den Monaten März, April und Mai über die Ausweisung evangelischer Geistlicher durch den Wojewoden in Thorn, über die Aufhebung der Zwangsverwaltung, über den Männer turnverein in Tuchel, um das Verbot deutscher Theater aufführungen in Soldau, um das Vorgehen der Behör den gegen die deutschen Vereine und ihre Leiter, um die Liquidation deutscher Güter, um die Beschränkung der deutschen Presse, um die Wegnahme von Grundstücken deutscher Schulgemeinden usw. — Wenn die jetzige Ant wort auch nur rein formal ist, so ist es doch wenigstens ein Anfang — auf zahlreiche andere Interpellationen ist der Deutsche Klub überhaupt ohne jede Antwort ge blieben. Rußland. Informationsreise des deutschen Reichstagsabgeordneten Dr. Haas. In Moskau weilt gegenwärtig der deutsche Reichstagsabge ordnete Dr. Ludwig Haas, der erst kürzlich eine In formationsreise nach Rußland unternommen hatte. Ge genwärtig leitet Dr. Haas eine Gruppe deutscher In dustrieller und Volkswirtschaftler, die sich in Rußland über die gegenwärtigen Zustände orientieren wollen. Dr. Haas betonte gegenüber bolschewistischen Pressevertretern, daß in Deutschland sehr großes Interesse für Rußland vorhanden sei. Ferner unterstrich Dr. Haas die Tat sache, daß er bereits nach seiner ersten Rußlandreise stets und überall in Deutschland der „falschen Ansicht" ent gegengetreten sei, daß es in Rußland angeblich keine Nechtsgarantien für Ausländer gäbe. Er selbst sei fest davon überzeugt, daß Rußland die Verträge, die es mit ausländischen Kapitalisten schließe, in loyaler Weise genau einhalten würde. — Der frühere Reichskanzler Dr. Wirth befindet sich ebenfalls aus einer Studien reise in Sowjetrußland. Aus aller Welt. * Familiendrama. Bei einem Streit zwischen den erwachsenen Söhnen des Landwirts Schurr in Büchen bronn wollte die Mutter den einen Sohn am Abdrücken des Revolvers verhindern. Im gleichen Augenblick ging der Schuß los und verletzte die Mutter tödlich. Als der Sohn sah, was er angerichtet hatte, erschoß er sich selbst. Der andere Sohn erhielt einen Streifschuß. * Während der Eisenbahnfahrt nicht zum Fenster hinauslehnen! Einem verheirateten Versicherungs beamten aus Heidelberg wurde, als er auf der Strecke Friedrichsfeld—Wieblingen zum Fenster eines Eisen bahnabteils hinaussah, von einem vorbeifahrenden Zug die Schädeldecke zertrümmert und starb. Seine Schwe ster, die mit ihm im selben Abteil fuhr, mußte das Un glück mit ansehen. * Drakonische Maßnahmen gegen Kurgäste. Im Kurort Manebach (Thüringen) gab die Ortsverwaltung bekannt, daß wegen Knappheit der Lebensmittel sämt liche Kurgäste, die nach Tausenden zählen, innerhalb drei Tagen den Ort zu verlassen haben. An den Gast höfen sind Plakate des Inhalts angeschlagen, daß an Fremde keine Speisen usw. mehr verabfolgt werden dürfen. * Attentat auf einen Gerichtshof. In Zörbig stürzte sich plötzlich ein Angeklagter, der Industriearbeiter Her mann Schulze, mit einem Revolver auf den Gerichts hof, riß die Akten an sich und flüchtete. Man hat ihn noch nicht wieder verhaften können. * Großzügiger Goldschmuggel nach Ungarn. Wie die Blätter aus Belgrad melden, brachten Schmuggler aus Maria-Theresiopel Gold im Werte von 300 Mil lionen Dinar nach Ungarn. Der Juwelier Friedmann aus Theresiopel wurde verhaftet. * Grubenexplosion in Amerika. Wie aus Wyoming (Vereinigte Staaten) gemeldet wird, hat sich in dem Schacht der Kemmarera-Eruben eine furchtbare Explo sion vollzogen, bei der 200 Bergarbeiter lebendig be graben wurden. Schicksalswende. Roman von A. Seifert. 63. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Sie gingen, beide im Innersten bewegt, durch diese seltsame Fügung. Nahezu glücklich war Mertens darüber, daß er sich zur Reüe entschlossen, daß er — so hoffte er wenigstens — noch zur reckten Zeit kam, um Al- midas Interessen zu wahren, um ihr vielleicht die Nach richt zu bringen, daß sie nicht mehr arm und heimatlos, daß sie eine reiche Erbin sei und in ihr Vaterhaus ZurückN > könne. Eme heiße Angst überfiel ihn plötzlich, daß er zu spät kommen könne. Er war dem Arzt immer einige Schritte voraus. Und dann stand er vor der geschmackvollen, im Schweizer Stil erbauten Villa Harnisch und betrat den Vorgarten, das Haus, wo Almida ihre Kinderjahre, ihre glückliche Jugend, durchlebt hatte. Ganz feierlich wurde ihm zumute. Schön und fried voll war es hier. Aus jenem Erkerfenster hatte sic wohl in die knospende Frühlmgspracht hinausgeschaut, auf dem Altan sich mit Lesen' und Handarbeiten be schäftigt. Ucber die im Sonnenlicht weiß erglänzenden Kieswege war ihr kleiner Fuß geschritten. O, wie er sie auch im Entsagen noch liebte, die keusche, liebliche Deem, die es ihm so angetan hatte! .. . . Kaum fünf Minuten waren die Herren aus dem Doktoehauk fort, da klingelte das Telephon. Der Herr Doktor wolle eiligst nach der Villa Harnisch kommen. Das Befinden des Kranken habe sich zusehends verschlech tert. Es scheine zu Ende zu gehen. Die Wirtschafterin konnte mitteilen, daß der Herr Doktor unterwegs nach der Villa Harnisch sei; denn Doktor Martin hatte ihr Bescheid gesagt. Als die Herren das Krankenzimmer betraten, war Franz soeben wie tot in die Kissen gesunken. Er hatte einen furchtbaren Anfall gehabt. Dokter Martin stellte das Thermometer ein, fühlte den Puls und ließ üch von der Pflegerin berichten. Franz hatte getobt und war kaum zu bändigen gewesen. Die Pflegerin sagte, daß sie nicht allein mit dem Patienten bleiben könne, sie brauche Hilfe. Doktor Martin nickte schweigend. Er gab dem Kranken eine Einspritzung. Nun ging dessen Atem ruhiger. Die Augen waren geschlossen, sie lagen tief in den Höhlen. Das Gesicht erschien spitz und eingesunken, die Lippen weG von der Fieberglut, die nahezu den höchsten Grad erreicht hatte. Lange, schwer lastende Minuten verstrichen. Doktor Martin hielt in der einen Hand die Uhr, mit der an deren fühlte er den Puls des Patienten. Das Gesicht des Arztes war sehr ernst. Als Mer tens ihn stumm fragend ansah, zuckte er nur mit den Achseln. Totenstille lag über dem Raum. Vor den Türen schlichen die erschreckten Dienstboten. Sie hatten nicht vis! Freundlichkeit durch Franz erfahren. Trotzdem bangten sie um das Leben ihres Herrn. Wenn er starb, gingen die Leute einer ungewißen Zukunft entgegen. Sie befanden sich sämtlich in vorgerückten Jahren. Tic Rente, auf die sie beim Ableben des Kaufherrn so be stimmt gerechnet hatten, war ihnen nicht zugefallen; sie alle hatten duldsam die Launen, das hochfahrende Wesen des Erben ertragen. Aber er geizte weder mit dem Lohn, noch mit der Beköstigung; die, welche hier im. Dienst ergraut, waren zufrieden. Wenn jedoch der junge Herr starb, dann stand cs böse um sie alle. Bange flüsternd standen sie beieinan der, und unbegreiflich erschien es ihnen, daß ein junger, kräftiger Mann, welcher sich keinen Wunsch zu ver sagen brauchte, so plötzlich aus den Tod erkranken konnte. Aus dem Krankenzimmer tönte jetzt ein heiserer Schrei herüber. Franz begann wieder zu rasen in wilden Selbst anklagen, in Vorwürfen gegen das Schicksal, im Triumph, daß ihm der Betrug so vollständig geglückt. „Heute noch trete ich eine Reise nach dem Aus lände an!" schrie Franz, „ich will etwas erleben, die Schönheiten der Welt sehen, ich will die drückende Last los sein! . . . Jetzt wirst du erkennen, Almida, wie mir zumute war, als du vom Oherm umhegt und ver zärtelt wurdest und ich wie em Verstoßener daneben stand'! Arbeiten sollte ich --- arbeiten" — der Fie bernde lachte in sich hinein, „danach stand auch gerade mein Sinn — wozu ist man da, wenn man das Leben nicht genießen soll? Ich will cs genießen, ich will. . !" Er machte verzweifelte Anstrengungen, aus dem Bett zu springen. Der Arzt hielt ihn mit Hilfe der Schwester zurück. „Es geht zu Ende", urgte Doktor Martin, „hier vermag menschliche Hilfe nichts mehr. Er erlangt die Besinnung nicht zurück." Es war Mcriens nicht anders, als habe er einen furchtbaren Schlag empfangen. Mit einer beschwören den Bewegung packte er den Arm des Freundes. „Ich bitte dich um Gottes willen, es hängt das Glück eines jungen hoffnungsvollen Mädchens davon ab, daß Har nisch testiert!" sFortiekuna iolat.)