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Die Konferenz der Ernährungsminister Verlängerung der Markenbrotversorgung bis 15 Oktober. Im Reichsministerium für Ernährung und Land wirtschaft traten die Ernährungs- und Land wirtschaftsmini ft er der Länder zu einer Konferenz zusammen, die sich mit den Schwierigkeiten auf den verschiedenen Gebieten der Ernährung und den für die Versorgung zu treffenden Maßnahmen beschäf tigte. Die eingetretenen Schwierigkeiten fanden eins eingehende Würdigung in den einleitenden Worten des Reichsministers Dr. Luther sowohl wie in den Dar legungen der Vertreter der Länder. Im einzelnen war die Versorgung mit Getreide und Brot, mit Kartoffeln, Zucker, Fett und Milch besonders Gegenstand der Be ratung. Die Vertreter der Länder stimmten dem Reichs- Minister darin bei, daß die Markenbrotver sorgung vom 15. September bis 15. Oktober verlängert werden soll. Ein entsprechender Antrag ist dem Neichsrat zugegangen. Weiter wurde erörtert, ob eine Erhöhung der für das Wirtschaftsjahr 1923/24 in Aussicht genommenen Reserve von einer Million Tonnen erforderlich und ob die Versorgung der großen Verbrauchsbezirke über den 15. Oktober hinaus besonders zu sichern sei. Beide Fragen wurden bejaht. Dabei wurde von einzelnen Ländern eine Erneue- rungderUmlage angeregt; dieser Gedanke wurde jedoch von der Mehrheit der Konferenz abgelehnt. Für die Kartoffelernte sind die Aussichten nach Berichten aus den verschiedenen Landesteilen nicht ungünstig. Für eine weitere günstige Ent wickelung scheint allerdings warme Witterung not wendig. Eine Hauptschwierigkeit für die Versorgung liegt auf dem Gebiete der Finanzierung. In dieser Be ziehung wurde Mitteilung gemacht von der Grün dung einer Kartoffelkreditbank, welche die Finanzierung des Kartoffelhandels sich zur Aufgabe macht. Ferner ist vor kurzem mit den Städten Fühlung genommen worden, um zu erreichen, daß sie in Ver bindung mit dem ortsansässigen Han de l gleichfalls die Finanzierung fördern. Eine weitere wichtige Frage für die gute Versorgung mit Kartoffeln ist die Ueberivindung der Verkehrsschwierigkeiten. Mit dem Verkehrsministerium besteht bereits seit längerer Zeit ein enges Einvernehmen, um den Transport im Herbste möglichst zu beschleunigen. Das Verkehrsministerium wird Kartoffeln und Getreide an erster Stelle be fördern. Auf eine Anfrage hinsichtlich der Verbrennung der Kartoffeln zu Spiritus erklärte der Reichsminister, daß noch nicht zwei Prozent der vorigen Ernte zu Vrennereizwecken verwandt seien, Die Her stellung von Spiritus zu gewerblichen Zwecken sei eine wirtschaftliche Notwendigkeit, aber die Freigabe von Kartoffeln zu diesem Zweck würde nur nach sehr sorgfältiger Prüfung erfolgen. Im Anschluß an die bereits im Frühjahr ge pflogenen Verhandlungen über die Zuckerwirtschaft 1923/24 wurde die Zuckerversorgung im laufen den Jahre und die Aussichten für die nächste Ernte ein gehend erörtert. In der Aussprache wurde überein stimmend die Notwendigkeit einer Hebung des Zuckerrübenbaues betont. Daneben wurde die Frage erörtert, ob und auf welche Weise es möglich sei, bei einer Freigabe der Wirtschaft die Zuführung des Mundzuckers an die Bevölkerung zu sichern und Vor kehrungen gegen übermäßigen Ankauf durch die Zucker verarbeitenden Industrien und gegen die Spekulation mit Zucker zu treffen. Sehr eingehend wurde dann noch die Frage der Fett- und Milchversorgung behandelt. Die Notstände, die in der letzten Zeit bei der Fett- Versorgung zutage getreten sind, sind nach überein stimmender Auffassung auf den Mangel an Devi- s e n zurückzuführen. Die Bemühungen des Reichsmini steriums in Verbindung mit der Reichsbank, hier Ab hilfe zu schaffen, wurden anerkannt. In den letzten Tagen ist eine starke Erleichterung eingetreten, die sich bereits auf dem Markte fühlbar macht. Die Konferenz sprach sich einmütig dahin aus, daß für die Versorgung mit den notwendigen Mengen an Fett die Zuteilung von Devisen unbedingt erfolgen müsse, um eine Er gänzung der nicht ausreichenden inlän dischen Fette zur Befriedigung des notwendigen Bedarfs herbeizuführen. In der Erörterung über die Milchversorgung wurde mehrfach das Bedauern ausgesprochen, daß die Verhältnisse in der Versorgung und die Preisgestaltung im Reiche sehr verschiedenartig seien. Es wurde anerkannt, daß die Mittel, die zur Verbilligung zur Verfügung gestellt sind, für einen Teil der Bevölkerung Erleichterung gebracht haben und daß die weitere Bereitstellung derartiger Mittel not wendig erscheint. Zum Schutze der Mark. Von unterrichteter Seite wird uns mitgeteilt, daß die Neichsregierunq von einer Verlängerungder Wirkungsdauer der Zulassung der Zahlung in effektiven Devisen bei Jnlandslieferungen von ausländischen Waren oder überwiegend aus auländischem Material hergestellter Waren über den 15. August 1923 hinaus Ab stand genommen hat. Maßgebend hier für war die Befürchtung, daß die Verlängerung der Vergünstigung dazu führen würde, das Kursrisiko im mer mehr auf den Kleinhändler abzuwälzen und den Geltungsbereich der Reichsmark noch mehr einzu schränken. Degoutte verbietet. Nach einer Havas-Meldung aus Düsseldorf hat zur Verhinderung von Sabotageakten in Fabriken, Gruben usw. General Degoutte in allenindustriellen Unternehmungen des Ruhrgebietes, welche für Lieferung auf Reparationskonto in Frage kommen, jede Zerstörung, Fortnahme und Umänderung der Einrichtungen, welche die Produktionssähigkeit ver hindern oder die Qualitäten der Produkte verändern könnte, verboten. Zuwiderhandlungen werden an dem Täter und den ver antwortlichen Direktoren oder Oberbeamten der be treffenden Unternehmungen mit Gefängnis bis zu 20 Jahren und Geldstrafe bis zu 500 000 Gold mark oder einer diesen Strafen geahndet. Die Beauftragten der französisch-belgischen Jnge- nieurkommission sollen das Recht haben, zur Fest stellung etwaiger Veränderungen alle Teile der Jndustrieunternehmungen zu besetzen und sich alle Pläne, Zeichnungen sowie Dokumente, die darauf Bezug haben, vorlegen zu lassen. Falls die Beauftragten behindert oder ihnen die Doku mente nicht vorgelegt werden, so werden die Direktoren oder die Personen, die direkt beteiligt sind, mit Ge fängnis bis zu fünf Jahren und mit Geld strafe bis zu 500 000 Goldmark oder mit einer dieser Strafen bestraft. Der Versuch zu einer solchen Tat, der Befehl dazu, die Unterstützung oder Begünstigung wird wie die Tat selbst bestraft. Von den Franzosen erschossen. Am 17. August abends wurde der Tischler Gustav Werne unter der Eisenbahnbrücke „Friedrichstraße" in Recklinghausen von einem französischen Posten er schossen, weil er angeblich auf den Anruf „Halt" nicht stehen geblieben war. Neuer Zusammenstoß in Datteln. Bei der Auflösung einer verbotenen öffentlichen Versammlung von Kommunisten am Freitag nachmittag wurde die Polizei tätlich angegriffen, so daß sie von der Schußwaffe Gebrauch machen mußte. Es wurden dreiMann dabei getötet, und achtPer - sonen verletzt. Nach dem Zusammenstoß stob die Menge zurück. Neutrale Aktion in Ler Ruhrsrage Elf holländische Vereine, darunter der Bund für Humanität und Gerechtigkeit, der allgemeine niederländische Frauen- und Friedensbund und der Bund der Katholiken haben nach eingehender Beratung über eine gemeinschaftliche Aktion in der Nuhrfrage drei Manifeste ausgefertigt, von denen eins an die Völker Europas und Amerikas, das zweite andieMitgliederdesVölkerbundes und das dritte an die Neutralen gerichtet ist. Die deutschen KohLenpreise über den WettmarkLsätzen. Die für den Bergbau mit Wirkung vom 13. August festgesetzten Lohnerhöhungen haben auf Grund der durch Beschluß des Reichskohlenverbandes vom 9. August d. I. festgelegten Berechnungsweise Zuschläge zu den gel tenden Brennstoffverkaufspreisen ergeben, die vom 20. d. M. ab in Kraft treten. Die Zuschläge betragen u. a. für das rheinisch-westfälische Kohlensyndikat 63,3 Pro zent, für das sächsische Steinkohlensyndikat 56,6 Prozent, für das oberschlesische Steinkohlensyndikar 55,5 Prozent und für das mitteldeutsche und ostelbische Braunkohlen syndikat 62,5 Prozent. Die sich hieraus ergebenden Preise liegen zurzeit nicht unerheblich über den Weltmarktpreisen. Das Ueberschneiden der Weltmarktpreise kann, wenn es länger andauert, für die deutsche verarbeitende In dustrie eine die Wettbewerbsfähigkeit vernichtende Belastung herbeiführen. Der Reichswirtschaftsminister hat sofort veranlaßt, daß die zuständigen Organe der Kohlenwirtschaft bereits am 21. August zusammentreten, um zu der nach seiner Auffassung nicht haltbaren Lage Stellung zu nehmen. Aus gleichen Erwägungen hat die Geschäftsführung des Reichskohlenverbandes bei dem Reichsminister der Finanzen die Aufhebung der Kohlen st euer beantragt. Arbeitszeitverkürzungen in den Berliner Vuchdruckereien. Die Vollversammlung des Vereins Berliner Buch- druckereibesitzer hat am Sonnabend mit Bestürzung von dem Ausmaß der neuen Löhne Kenntnis genommen. Sie sieht keine Möglichkeit, die notwendigsten Mittel dafür aufzubringen. Deshalb, und weil es fer ner unmöglich ist, zu den nunmehr notwendigen Preisen noch Aufträge zu erhalten oder Verlagswerke abzusetzen, empfiehlt die Versammlung auch aus moralischen Rück sichten gegenüber den Arbeitnehmern, schon heute die Arbeitszeitverkürzung anzusagen. Wo Arbeitszeitver kürzung nicht den nötigen Ausgleich geben würde, muß die Schließung der Betriebe, den gesetzlichen s Vorschriften entsprechend, vorbereitet werden. s Allgemeine Wehrpflicht des Besitzes Ein demokratischer Aufruf. Der Hauptvorstand der Deutschen Demokratischen Partei erläßt einen Aufruf: „Allgemeine Wehrpflicht des Besitzes." In dem Aufruf heißt es: „Wir stehen an der entscheidenden Probe unseres Volkstums. Unsere Brüder an Rhein und Ruhr gehen seit fast acht Monaten mit glänzendem Beispiel der Opserwilligkeit voran. Je größer die Not wird, um so größer muß die Opferwilligkeit werden. Jetzt gilt es zunächst, zu zeigen, daß das deutsche Volk nicht nur sein Leben und seine Gesinnung dem Vaterlande weiht, sondern auch sein Geld undGut. Die For derung der Stunde ist die allgemeine Wehrpflicht des Besitzes. Der Reichstag hat schwere Steuern bewilligt. Die Last ist groß, aber sie kann getragen werden, wenn jeder den Vesitzteil opfert, der zum Fortgang seiner Wirtschaft nicht unbedingt nötig ist. Die neue wertbeständige Anleihe des Reiches muß aus politischen Gründen ein großer Erfolg sein. Sie verdient aus geschäftlichen Gründen das höchste Ver trauen, weil sie auf völlig gesicherter Grundlage beruht. Schicksalswende. Roman von A. Seifert. 62. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.') „Seltsam, sehr seltsam! Notieren sie doch, bitte, was" der Patient ausplaudert. Es liegt mir ja fern, den im Fieberwahn geklagten Worten eines Schwerkranken Bedeutung beizu rossen. Er kann einen Roman in den letzten Tagen gelesen haben, als dessen Helden er sich nun betrachtet. Er kann auch das Schicksal eines Be kannten mit seinen eigenen verwechseln. Aber es kann auch — ja, es ist ein besonders schwerer Fall von Ge hirnentzündung, die nur auf ungewöhnliche Gemütser- sclütterungen zurüctzuführen ist." Er versprach, um Tage noch einmal wiederzukommen und ordnete an, daß er geMfen werde, sobald der Zu stand des Kranken sich r erschimmere. Dann ging er. Die Pec.on dieses Patienten be schäftigte ihn noch eine Weile. Aber seine Zeit war heute gemessen. Er kürzte seine Krankenbesuche ab. Ec hatte daheim einen Gast, einen lieben Studien- genossen. Es war Doktor Mertens. Ganz unerwartet war er heute vormittag zu ihm gekommen, nachdem er im Hotel seine Reiseeffekten abgegeben. Sie hatten noch kaum zusammen gesprochen. Aber Doktor Martin freute sich auf das Zusammensein mit Mertens. Sie waren beide Junggesellen geblieben, beide in einem Alter. Wie gem erinnerten sie sich der sorglos fröhlichen Stu dentenzeit! Zu einer bestimmten Stunoe hatten sie sich verab redet im Hause des Doktors. Nach dem Essen saßen sie sich, gemütlich ihre Zi garre rauchend, gegenüber. Doktor Mertens hatte von dem Zweck seiner Reise nichts erwähnt. Am nächsten Tage wollte er die Villa Harnisch aufsuchen. Bei Frau von Herbst war er schon gewesen. Von ihr hatte er erfahren, daß Franz jene Nacht, in welcher der Kaufherr gestorben war, in der Villa Harnisch verbracht hatte. Das konnte seinen Ver dacht nur verstärken. Und was sie über den Charakter und das Wesen des jungen Harnisch sagte, sprach erst recht nicht zu seinen Gunsten. Mertens war überzeugt, dap Franz die Pflege tochter seines Oheims in dec schamlosesten Weise geschä digt hatte. Und er wollte soeben dieses Thema in An regung bringen, da sagte sein Freund: „Ich habe da einen höchst merkwürdigen Fall bei einem Fieberkranken. Er klagt sich im Delirium eines schweren Verbrechens an. Und so absurd es auch er scheint, mir drängt sich die Ueberzeugung auf, daß der Mann eine Schuld auf dem Gew'ssen hat. Wer kann es wissen? Er ist allerdings aus gutem Hause, der Neffe eines verstorbenen Eroßkaufmanns Harnisch —" Mertens war aufgesprungen. „Sprichst du von Franz Harnisch?" Nun war dis Reihe, zu staunen, an dem Arzt. Er legte seine Zigarre aus der Hand. „Kennst du Harnisch?" „Nicht persönlich, doch aus den Schilderungen an derer zur Genüge, um ihm eine böse, arglistige Tat zu zutrauen." „Erzähle, mein Freund, es ist ja möglich, doch nicht wahrscheinlich, daß der Kranke mit dem Leben daoon- kommt! Ehe, der Tod eintritt, wird Hamisch noch sichte Momente haben, vielleicht wünscht er selbst, sein Ge wissen durch ein Geständnis zu erleichtern. Jedenfalls liegt mir daran, zu erfahren, ob der Mann das Ovier starker Einbildungen einer krankhaft gereizten Phantasie ist. oder ob er, ohne es zu wollen, die Wahrheit aus schwatzt." „Vermutlich ist das letztere der Fall. Du wirst ja bald selbst urteilen können." In fliegender Hast, doch mit großer, Ausführlich keit erzählte er nun Almidas Geschichte, wie innig Herr Harnisch sein Kind geliebt hatte, daß sie all sein Glück war, daß ein Testament vorhanden gewesen und dann verschwunden war. Daß Franz das junge Mädchen wie eine Bettlerin aus dem Hause gewiesen hatte, daß sie bei fremden Leuten in Stellung war und ein Zufall es so gefügt, daß ste sich ihm anvertraute. Gespannt hörte Doktor Martin zu. Er rauchte seine Zigarre nicht weiter. Er erhob sich. „Komm wir wollen sofort zu dem Kranken gehen, damit wir nichts ver säumen. Bei dieser hochgradigen Ueberreizung des Ge hirns ist ein Schlag nicht ausgeschlossen. Dann ist er hinüber, ohne feine Schuld gesühnt zu haben. Dann fällt das große Vermögen der Stadt zu und die Pflege tochter, die rechtmäßige Erbin, geht leer aus." „Ich bin sofort b:^ erklärte der Rechtsanwalt. Er zog ein größeres Kuvert aus der Tasche sei Gehrockes und entfaltete ein engbeschriebenes Pam . „Es ist das Schuldbekenntnis des Erbschleichers", sugie er, „ich wollte ihn moralisch zwingen, dasselbe zu unter schreiben. Vielleicht ist er aus seinem Totenbette aus eigenem Antriebe dazu bereit." (Fortsetzung folgt.)