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Kundgebung -er Reichsregierung. Der Reichspräsident und die Reichs- regierung haben folgende Kundgebung erlassen: „Zu der schweren Bedrückung und Entrechtung, der die besetzten Gebiete an Rhein und Ruhr ausgesetzt sind, gesellt sich dort, wie im nichtbcsetzten Deutschland, st e i - gende wirtschaftliche Not. Vis zum heutigen Tage verhindert Frankreich jede Lösung der Repara tionsfrage, die Deutschland auch nur das Leben läßt. Durch den Einbruch in das Ruhrgebiet hat es die Wirt schafts- und Finanzkraft Deutschlands aufs schwerste ge troffen und erschüttert. So ist Deutschland zu einer ungeheuerlichen Vermehrung der Zahlungsmittel gegen seinen Willen gezwungen. Eine unerhörte Geldentwertung ist die Wirkung. Dazu kom men dann jetzt am Ende des Erntejahres natürlich Schwierigkeiten der Ernährungsversorgung, die sich in diesem Jahre, da die Ernte um mehrere Wochen verspüret ist, verschärfen. Alle diese Nöte führen zu schweren körperlichen, schweren seelischen Leiden der Bevölkerung. Nach dem Zeugnis unbe fangen urteilender Politiker und Sachverständiger des Auslandes und auch der Gläubigerstaaten kann Deutsch land zu einer wirklichen Gesundung der Verhältnisse nur durch eine vernünftige Regelung der Reparations frage kommen. Vis dahin aber muß und wird das deutsche Volk sich aus eigener Kraft aufrechterhalten. Die deutsche Regierung wird fortfahren, alle irgend möglichen Maßnahmen zu treffen, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Zunächst gilt es, die Finanzen des Reiches zu stärken, um der ungeheuerlichen Entwertung des Geldes Einhalt zu tun. Bei der Einkommensteuer ist bereits durch entsprechende Vorauszahlung dafür ge sorgt, daß nicht nur von den Lohnsteuerpflichtigen, son dern auch von den übrigen Einkommensteuerpflichtigen schon während des Veranlagungsjahres die Steuer ent sprechend der Geldentwertung geleistet wird. Nach einem den gesetzgebenden Körperschaften zugehenden Ge setzentwurf sollen auch die Vermögenssteuer und die Erbschaftssteuer so gestaltet werden, daß sie der Geldent wertung folgen. Die Vörsenumsatzsteuer ist vor kurzem verdoppelt worden. Bei den Verbrauchssteuern sollen zur Erzielung ihres raschesten Einganges die erst jüngst vom Reichstag verkürzten Fälligkeitsfristen auf das ge ringstmögliche Maß gemindert werden. Dem Reichsrat ist bereits ein Gesetzentwurf zuge gangen, der als Opfer für Rhein und Ruhr auf breitester Grundlage von allen Lei stungsfähigen im unbesetzten Deutschland durch Ver vielfachung der bereits der Geldentwertung ange paßten Einkommensteuer-Vorauszahlungen große Leistungen anfordert. Diese Maßnahmen werden dem Reich rasch sehr er hebliche Geldmengen zuführen. Die Ausgabe einer wertbeständigen Anleihe soll weitesten Volkskreisen die Möglichkeit bieten, das Warenbedürfnis zu befriedigen, sich gegen Entwertung zu sichern und so auch dem unge- ! sunden Ansturm auf Warenvorräte und Devisen ent- gegenzuwirken. Die auf dem Gebiete des Devisenver kehrs beschlossenen Maßnahmen werden dahin wirken, daß Devisen in stärkerem Umfange als bisher dem Reiche zufließen und so für unentbehrliche Einfuhr, insbesondere von Lebensmitteln, reich licher zur Verfügung gestellt werden können. Eine Einfuhr überflüssiger Luxuswaren wird nach Möglich keit gehemmt werden. Die Anpassung der Löhne und Gehälter an die Geldentwertung ist bereits gesichert und wirb weiter festgehalten werden. Die Reichsbank hat Maßnahmen beschlossen, die grundsätzlich die Frage des Goldkredites der Lösung näherbringen. Die hiermit kurz gekennzeichneten Maßnahmen werden, soweit sie der Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften be dürfen, von diesen voraussichtlich im Laufe der nächsten zwei Wochen verabschiedet und sofort in Kraft gesetzt werden. Wenn auch nicht bei jeder dieser Maßnahmen die Wirkung sogleich fühlbar sein wird, als Gesamt ergebnis wird, soweit es an der deutschen Re gierung liegt, dadurch eine Entspannung der Wirtschaftslage eintreten. Das deutsche Volk wird mit diesen Maßnahmen sich selbst in seinem Kampf um Leben, Recht und Freiheit Halt und Stütze geben und zugleich Beweise erbringen, wie stark der Wille ist, sich trotz aller auf ihm lastenden schweren Not in diesem Kampf entschlossen zu behaupten. Angriffe gegen die staatliche Ordnung können die Lage nicht bessern, sondern nur den Weg zur Genesung erschweren. Das deutsche Volk will von solchen Störun gen nichts wissen, es will leben, arbeiten und seine staatliche Ordnung bewahren. Für die Landwirtschaft und den Handel ist es darum staatsbürgerliche Pflicht, so schnell als mög lich und in weitestem Umfange die Ernteerträgnisse dem Verbrauch zukommen zu lassen. Die Lohn- und Gehaltsbemes- sung von Arbeitern und Angestellten muß die Ernährung der Familie ermöglichen. Auf allen Männern und Frauen des ganzen Volkes liegt die Pflicht, in klarer Besinnung die tägliche Arbeit fortzuführen und bei allen Sorgen der Gegenwart d i e Ruhe und Ordnung des Staates als die Grund lage künftigen Aufstieges unseres Volkes zu bewah - r e n. Allen endlich, die im politischen Leben der Par teien, in der Presse oder sonst im öffentlichen Leben tätig sind, obliegt es, das Ihre zu tun, um unser Volk stark zu machen in der Erkenntnis der Ursachen und der Notwendigkeiten unserer Lage. Für Deutschland haben unsere Volksgenossen an Rhein und Ruhr Ungeheures auf sich genommen. Sie mögen unser Vorbild sein. Wir würden sie verraten, wenn wir vom geraden Weg der Pflicht abgingen. Wie sie, müssen wir ihn gehen für Leben, Frieden und Wohlfahrt unseres Volkes, für die Freiheit Deutsch lands." Der KmmmsteM M mW«. Berlin, 30. Juli. (Eig. Drahtber.) Die kommunistischen Demonstrationen am Sonntag gegen den Faszismns sind im großen und ganzen in Berlin und im übrigen Reichs ruhig verlaufen. Auch in Bremen, trotzdem dort bekannt wurde, daß am Sonnabend von der politischen Polizei einige Führer der Kommunisten auf richterliche Anordnung wegen Hochverrates ver haftet wurden. In Berlin haben nach Schätzungen ungefähr 150 000 bis 160 000 Personen, Männer und Frauen, je doch meist Jugendliche, an den Kundgebungen teilgenom men. Die Absichten, der KPD., die Sozialisten für den Antifaszistentag zu gewinnen, sind nicht gelungen. Die einzelnen kommunistischen Trupps hatten sich an ver schiedenen Plätzen gesammelt und zogen mit roten Fahnen in die einzelnen Lokale. Dabei ist es zu ver schiedenen Anrempelungen mit Stra ßenpassanten gekommen, die aufgefordert wurden, die rote Fahne zu grüßen, oder die als Faszisten ange sehen und beschimpft wurden. Besonders vor dem Moabitgefängnis und in der Wieleffstraße wurden die Passanten arg beschimpft und behindert, so daß die Schutzpolizei ihnen mehrmals den Weg ebnen mußte. Die Polizei befand sich seit Sonnabend mittag in erhöhter Alarmbereitschaft, ein ebenso um fangreicher wie unauffälliger Meldedienst sorgte dafür, daß die Polizei in allen Bezirken von den einzelnen Vorgängen genau unterrichtet war. Zu einem ern sten Zusammenstoß zwischen Polizei und jugend lichen Kommunisten kam es in der F e n n st r a ß e, der jedoch auch unblutig verlief. Die Straßen um den Wedding waren mit zirka 6000 bis 7000 Demonstran ten besetzt. Die Schutzpolizei, die die Aufhebung der Massen nicht bewirken konnte, rief die andere Polizei zur Verstärkung. Ein Schuß, der plötzlich abgegeben wurde, gab das Signal zur Flucht. Ohne wenig Mühe wurde darauf die Fennstraße gesäubert. Die bisher ein geleiteten Untersuchungen haben noch nichts wesent liches ergeben. In den zeitigen Nachmittags stunden nahm das Berliner Straßenbild wieder die allgemeine Form an, was in den Vormit tagsstunden unmöglich geworden war. — Insgesamt wurden wegen Beteiligung an verbotenen Veranstal tungen in Verbindung mit Widerstand und versuchter Gefangenenbefreiung 108 Personen fest ge nommen; 98 wurden nach Feststellung ihrer Namen sofort wieder entlassen. Die restlichen 10 wurden der Abteilung 1o zugeführt, jedoch nach Aufnahme des Tat bestandes auch wieder auf freien Fuß gesetzt. Dresden war das Ziel der Kommunisten auch aus der näheren und weiteren Umgebung. Auf dem Alt markte hatten sich ungefähr 10000 Personen versammelt. Unter den Demonstranten bemerkte man auch kom munistische Abgeordnete des Landtages und des Dresd ner Stadtverordnetenkollegiums. Zwei Kommunisten sprachen vom Siegesdenkmal aus. Einer führte unter anderem aus: „Daß die in der nächsten Zeit kommende zweite Revolution hätte nicht kommen brauchen, wenn man 1918 den Faszisten nicht nur die Achselstücke, son dern auch die Köpfe heruntergerissen hätte." Danach begab sich der Zug nach dem Schlltzenplatze, wo noch ein mal Halt gemacht wurde. Von hier aus marschierten die einzelnen Züge nach den Vororten und lösten sich auf. Zu irgendwelchen Zusammenstößen ist es nicht ge kommen. In Leipzig sand vormittags 10 Uhr auf dem Augustusplatz eine Kundgebung statt, an die sich ein Demonstrationszug anschloß, der sich durch die Straßen der inneren Stadt nach der Südvorstadt bewegte. Ruhe und Ordnung wurden dabei vollständig aufrecht er halten. Der kritische Sonntag ist in Breslau nach den bisherigen Feststellungen ohne Zwischenfälle verlaufen. In allen Städten des besetzten Ge bietes ist der gestrige kommunistische Propaganda sonntag ruhig verlaufen. In Herne war der Straßenbahn'verkehr wegen des kommunisti schen Umzuges verboten worden. Da in Dort mund mit der Möglichkeit gerechnet wird, daß in den nächsten Tagen ein kommunistischer Putsch stattfindet, haben sich die Besatzungsbehörden damit einverstanden erklärt, daß die Polizei, einschließlich der Schutzpolizei, auf zwei Tage ihre alte Bewaffnung anlegen darf. Für diese beiden Tage ist auch der öffentliche Fernsprechver kehr in Dortmund freigegeben. Der Polizei wurde an heimgestellt, die gesamte Schutzpolizei aufzurufen. Der Polizeioberinspektor Kleinen ist am 28. Juli vor mittags aus dem Gefängnis entlassen worden mit der Begründung, daß er sich am 30. Juli 8 Uhr vormittags wieder zu stellen habe. Kleinen ist entlassen wor den, um die Organisation des Polizeischutzes während dieser beiden Tage in Dortmund zu übernehmen. * Blutige Unruhen in Neuruppin. 2 Tote, 7 Schwerverletzte, etwa 15 Verhaftete. Am Sonnabend nachmittag versammelten sich in Neuruppin am Markt und in den Straßen große Menschenmengen, die von der Reichsregierung Maßnahmen gegen die Teuerung verlangten. Nach Schluß dieser Kundgebung zog die 3000 bis 4000 Men schen fassende Menge vor das Gefängnis, um dort die Freilassung politischer Gefangener zu verlangen. Die Beamten wiesen die Aufforderung zurück, sperrten die Tore ab, und riefen telephonisch die Schutzpolizei zur Hilfe. Gleichzeitig wurde von der Polizei in Potsdam Verstärkung erbeten. Die Menge begann dar auf d a s G e f ä n g n i s z u st L r m e n. Die Schutz polizei, die inzwischen eingetroffen war, gab erst eine Drohsalve ab und als diese nicht fruchtete, schoß sie aus die An stürmenden. Dabei wurden zwei Mann getötet, während sieben Personen schwer verletzt wurden. Eine große Anzahl Leichtverletzter nahm sofort prioatärztliche Hilfe in Anspruch. Etwa 15 Schicksalswende. Roman von A. Seifert. 50. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Und Mertens staunte, wie eingehend Almida sich in den paar Wochen informiert hatte. Olga ging ohne Interesse an all dem Seltenen, Sehsnswiirdigen, das Wengdorf sich alljährlich ein Kapital kosten ließ, vor über. Man hätte sie nur fragen sollen! Wenn sie alle- -eit frische Rosen auf ihrem Tisch hatte, war sie zufrie den. Alles andere kümmerte sie nicht. Sie betraten das Treibhaus, wo sich in vollendeter Anordnung der köstliche Blumenflor präsentierte. Mahnert fand nicht Worte genug, um Mengdorfs Kunstsinn zu preisen. Almida aber spähte beständig nach dem Gärtner aus. Wenn er doch wenigstens nicht dazukam! Und sie wagte schon, aufzuatmen. Vielleicht ging die Gefahr glücklich an ihr vorüber. Sie wollte Mertens jetzt mit der Bitte ins Haus schicken, das Mädchen zu beauftra gen. den Teetisch herzurichten. Da kam Mahnert ihr zuvor. Er sagte: „Allen Respekt vor Ihren botanischen Kenntnissen, mein gnädiges Fräulein. Aber Sie hatten an Ihrem Papa, meinem lieben, unvergeßlichen Freund Harnisch den besten Lehrer. Er war vertraut wie keiner mit der heimischen und ausländischen Flora. Ich hatte noch verschiedene Fragen an ihn auf dem Herzen wegen der Rosenkultur, die zurzeit ja in höchster Blüte steht." Nun war das Gefürchtete geschehen, der Rat hatte den Namen Harnisch ausgesprochen, nun war ihr Ge heimnis offenbart. Welches würden die Folgen sein! Almida stand wie betäubt, sie tupfte mit dem Va- tisttuch den kalten Schweiß von ihrer Stirn und die Tränen aus den Augen, die Furcht vor der Zukunft und banges Weh ihr erpreßte. Wie Schuppen fiel es von den Augen des Rechts anwalts. Sie war Huberts heimliche Braut, war Al- mido Harnisch, und sie war hier, um sich die Zuneigung von Huberts Eltern zu erwerben. Und er hatte glauben können, diese köstliche Rose sei Mr ihn, gerade für ihn, den alternden Juristen da, warte darauf, von ihm gebrochen zu werden! Diese Stunde bewies dem Rechtsanwalt, wie töricht und hinfällig sein Hoffen gewesen war! Ob nun Hubert Wengdorf oder ein anderer, für ihn, den vorgeschrittenen Junggesellen prangte dieses ent zückende, junge Menschendasein nicht. Sie hatte An spruch auf ein vollwertiges Glück, auf einen Mann, wel chem auch ihr Herz ungestüm entgegenschlug! O, Paul Mertens, wo warst du mit deiner Logik, deinem von all deinen Klienten gepriesenen Scharfsinn? All deine bessere Einsicht war untergegangen in dieser wonnevollen großen Liebe, die dich verzaubert, die dich über dich selbst hinausgetragen hatte! Eine Sekunde hatte gnügt, ihn zur Vernunft zu bringen. Die Liebe, nein, die konnte er so schnell nicht aus dem Herzen reißen, aber die eigenen Wünsche schwie gen. Und dieses geliebte süße Geschöpf sah mit scheuer, banger Bitte zu ihm auf. „Herr Doktor, verraten Sie mich nicht, ich bin Almida Harnisch, nein, auch das bin ich nicht, aber doch Huberts Braut. Er will nicht von mir lassen, und da ich darauf bestand, mir eine Stelle zu suchen, und Herr Wengdorf eine Gesellschafterin für seine Frau suchte, so bat Hubert mich, zu seinen Eltern zu gehen, wo ich am besten geborgen sei." „Der Tod meines geliebten Papas hat mich arm und heimatlos gemacht, Herr Rot. Er hatte mich an Kindesstatt angenommen und erzogen und mir nie ver raten, daß ich nicht sein rechtes Kind war. Als ich nach seinem Tode erfuhr, daß ich weder berechtigt bin, seinen Namen zu führen, noch sein Erbe anzutreten, glaubte ich anfangs nicht, die furchtbare Enttäuschung zu über leben. Es war ein zu grausamer Schlag." Mahnert schüttelte den Kopf. „Ich wußte nichts von diesen Dingen, gnädiges Fräulein, aber was der > selige Harnisch sich da geleistet hat, ist ja eine Gewissen- ! losigkeit, die ihresgleichen sucht. So kannte ich den be dächtigen, fürsorglichen Mann gar nicht! Er sollte Sie hilflos Ihrem Schicksal überlassen haben, wo er Sie verwöhnt hat wie eine Prinzessin? Das kann ich nicht glauben. Hat er Sie in seinem Testament vollständig übergangen?" „Er hat überhaupt nicht testiert, Herr Rat. Jeder mann staunt darüber, daß auch das Hauspersonal leer ausgegangen ist. Allerdings hat er Hubert gesagt, daß ich Üniversalerbin sei, und Hubert hat auch das Testa ment gesehen, er wußte sogar, in welchem Fach es ausbe wahrt wurde. Aber nach Papas Tode war das Fach leer und kein Testament aufzufinden. Papa hatte Hu bert alles anvertraut, auch, daß er am nächsten Tage das Ndoptionsgesuch einreichen wolle. Als Hubert um mich anhielt, ist es Papa erst deutlich zum Bewußtsein ge kommen, was er versäumt hatte dadurch, daß er es un terlassen, mir rechtskräftig seinen Namen zu geben. Er hat es sehr bereut und wollte diese Angelegenheit so fort ordnen. Ebenso hatte er wohl die Absicht, ein neues Testament aufzusetzen, und hat daher das vorhandene vernichtet. Anders kann es ja doch nicht sein.^ (Fortsetzung folgt.)