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Nuntius Paeelli beim Kanzler. Besprechung über einen Schritt des Papstes betreffs der Sabotageakte. Nom, 4. Juli. (Eig. Drahtber.) Der Papst hat, veranlagt durch den Anschlag auf der Duis burger Eisenbahnbrücke, den Nuntius in Berlin be auftragt, entschieden dahin zu wirken, datz die deut sche Negierung ein für allemal solchen verbreche rischen Widerstand verurteile, der vom heiligen Vater selbst verurteilt werde. Dieser Auftrag des Papstes ist überflüssig. Er ist nur dazu geeignet, Irrtümer hervorzurufen be treffs der Auffassung der Bezeichnung: Verbrecherischer Widerstand. Zweifellos meint der Papst Handlungen über den Rahmen des passiven Widerstandes hinaus, die von der Reichsregierung von Anfang an als ver brecherisch verurteilt wurden. Infolge des neuen Schrit tes des Papstes hat sich der d e u t s ch e B o t s ch a f t e r beimHeiligenStuhl zum Vatikan begeben und ist vom Papst empfangen worden. Er legte ihm die Haltung seiner Regierung zur Ruhrfrage dar und wies darauf hin, datz siedenblutigenEewalttaten fern stehe, zu denen die Bevölkerung der besetzten Gebiete in der Verzweiflung über das Gewalt regime getrieben werde. Die deutsche Regierung könne meistens nicht einmal den Umfang und den Charakter der blutigen Zwischenfälle im besetzten Gebiet genau feststellen lassen, da sie von dessen Verwaltung ganz aus geschlossen sei. Sie wisse auch nicht, ob das jüngste Un glück die Folge eines Sabotageaktes oder irgendeines unglücklichen Zufalles sei, da sich der Verkehr in diesem Gebiet unter außer gewöhnlichen Verhält nissen abspiele. Der deutsche Vertreter hat den Papst auch um Aufklärung ersucht, ob das Telegramm an den Nuntius das Bedauern des Heiligen Stuhles über den passiven Widerstand ausdrückte, den die Ruhr bevölkerung der französischen Regierung entgegensetze, oder ob es sich nur auf die Verurteilung der Ausschrei tungen einzelner beziehe, wie seine Regierung nach dem Wortlaut annehme. Diese Auslegung wird nun durch eine Mitteilung aus dem Vatikan bestätigt, wonach es ein Irrtum wäre, die Vorstellungen des päpstlichen Vertreters in Berlin als eine Verurteilung des passiven Widerstandes zu betrachten. Der Papst habe sich nicht dagegen ausgesprochen, noch die deutsche Negierung zur Aufgabe des passiven Widerstandes auffordern wollen, da er sich über den deutsch-französischen Gegensatz stelle. In Ausführung des päpstlichen Auftrages sprach gestern nachmittag Nuntius Paeelli beim Reichskanzler vor. Der Vertreter des Heiligen Vaters brachte den Wunsch des Papstes zum Ausdruck, datz die Regierung sich gegen die Sabotageakte wenden möchte. Hierzu ver lautet halbamtlich aus Berlin: — Die Reichsregierung ist um so eher in der Lage, die sem Wunsche zu entsprechen, als gerade der Reichs kanzler sich zu wiederholten Malen gegen diese Akte ausgesprochen hat. Heute wird eine neue Besprechung zwischen dem Reichs kanzler Dr. Cuno und dem Nuntius Paeelli stattfinden. Gestern wurden auch die Fllhrerder Sozialdemo kratie, der bürgerlichen Arbeitsgemeinschaft und der Deutschnationalen vom Reichskanzler und dem Außen minister empfangen. In den Besprechungen über die außenpolitische Lage wurden auch die Fragen, die mit dem päpstlichen Nuntius besprochen wurden, erörtert. Es ist damit zu rechnen, datz die Regierung sich in einer offiziellen Veröffentlichung durch die Presse gegen Sabotageakte wenden wird. Gleichzeitig werden auch die rheinischen Abgeordneten, voraussicht lich mit Ausnahme der deutschnationalen Abgeordneten, eine ähnliche Erklärung abgeben. Innerhalb der Sozial demokratie war der Wunsch nach einer außenpoli tischen Aussprache im Reichstage noch vor Beginn der Ferien laut geworden. Der Reichskanzler machte die Führer der Fraktionen auf die außen politischen Folgen aufmerksam. Heute wird in einer Sitzung darüber entschieden werden, ob auch die sozialdemokratische Fraktion sich die Ansicht ihrer Führer, die der Meinung des Reichskanzlers sich nicht verschließen konnten, zu eigen macht. In den Besprechungen war von dem Abgeordneten Dr. Stresemann der Vor schlag gemacht morden, den Reichskanzler oder auch den Außenminister über die mit Paeelli verhandelten Fragen in einer Sitzung des Auswärtigen Ausschusses des Reichstages sprechen zu lassen. Dieser Vorschlag wurde von der Regierung abgelehnt. Auch wünscht der Reichs kanzler keine groß angelegte innerpoli tische Aussprache, die sich heute oder morgen im Reichstage bei der Erörterung der Steuervorlagen ent- spinnen könnte. Die belgische Antwort. Der Außenminister Belgiens hat vorgestern den belgischen Gesandten in London beauftragt, die bel - gische Antwort auf den englischen Frage bogen zu überreichen. Auf dem Bogen befinden sich die beiden Fragen: Was versteht Belgien unter der Be endigung des passiven Widerstandes? und welche Form der Besetzung soll an der Ruhr eingeführt werden, wenn dieser passive Widerstand aufhört? Die Antwort der belgischen Regierung auf diese Frage ist gleichlautend mit der französischen Antwort. Unter der Beendigung des passiven Widerstandes versteht die belgische Negierung, daß die bekannten Vorschriften der Reichsregierung an die Bevölkerung zurückgezogen werden. Ebenso sollen Bezahlungen aufhören, die gemacht wurden, um die Streikenden zu unterstützen. Außerdem soll die deutsche Regierung die Leute auffordern, die Arbeit wieder aufzunehmen. Die deutsche Regierung müsse die notwendigen Maß nahmen nennen, durch die die Sicherheit der Belgier an der Ruhr gewährleistet werde. Wenn Deutschland sich dazu formell bereit findet, soll die Be setzung eingeschränkt und die Zahl auf die absolut not wendige Zahl beschränkt werden. Poinear6 will sich nicht binden. Londoner Kreise beobachten strenges Still schweigen über die gestrigen Unterhandlungen zwi ¬ schen Lord Curzon und den Botschaftern Frankreichs und Belgiens. Sicher ist nur, daß sich England auf ein längeres Fortspinnen der begonnenen Unterhandlun gen, worauf Poincarä hinzielt, nicht einlassen will. Nichtamtliche Kreise bezeichnen das Ergebnis gleich Null und sehen einen Vorteil nur in dem gelieferten Beweis, daß Poincarö keinerlei bindende Antwort geben will. Die Resolution des Völkerbundes. Die in der gestrigen Nachmittagssitzung des Völker bundes angenommene Resolution über die Ausfüh rung des englischen Antrags lautet folgender maßen: „Der Völkerhundsrat, der den Antrag Groß britanniens, die kürzlich im Saargebiet eingetretenen Ereignisse einer Prüfung zu unterwerfen, beraten hat, beschlieht, um allen Mißverständnissen und Dis kussionen, die darüber entstanden sind, ein Ende zu bereiten, selbst im Laufe der gegenwärtigen Session diese Prüfung vorzunehmen. Er beauf tragt das Sekretariat des Bundes, unverzüglich die Mitglieder der Regierungskommission einzuladen, sich nach Genf zum Völkerbundsrät zu begeben und alle nvtwendigen Dokumente mitzubringen." Wenn auch über den Antrag Branting, die Ver treter oer Saarbevölkerung anzuhörep, nicht beschlossen wurde, so befindet sich immerhin bereits jetzt schon eine saarländische Volksvertretung in Genf, nämlich eine Delegation des Landrates, darunter dessen bekanntestes Mitglied, der Industrielle Hermann N öchl in. Ein internationaler Gerichtshof soll entscheiden. In der gestrigen Sitzung des Völkerbundsrates stand auch die polnr sch-Danzig er Streitfrage aus der Tagesordnung. Es wurde beschlossen, die strittigen Punkte einem internationalen Gerichtshof zu unterbrei ten. Den gleichen Beschluß faßte der Völkerbund be- - züglich der Streitigkeiten zwischen Ungarn und Rumänien. Schwerste Verkehrsfperre über Gladbeck. Ohne daß vorher irgend eine Ankündigung er folgte, verhängten die belgischen Vesatzungsbehörden gestern nachmittag gegen 5 Uhr eine neue scharfe Ver kehrssperre über Gladbeck. Belgische Soldaten ziehen in Trupps durch die Straßen und schließen sämt liche Wirtschaften sowie sonstige Lokali täten. Die Straßenbahnlinien mußten den Verkehr einstellen und durften nicht einmal die Wagen in die Depots zurückbringen. Der Grund für diese neue Ver kehrssperre ist nicht angegeben worden. Angeblich soll der belgische Stadtkommandant auf der Straße angerempelt worden sein. (Allerdings ein „großes Malheur!") Englische Grenzverkehrserleichterungen. Seitens der englischen Besatzung wird aus die französischen Kontrollstellen dahin gewirkt, daß Per sonen mit dem englischen Paßvisum die Reise aus dem englisch besetzten Gebiet ins französisch besetzte Gebiet gestattet wird. Zahlreiche Personen hoben gestern bereits mit dem englischen Paßvisum die Sperre passieren können. Der Güter- und L e b e n s m i t t e l v e r k e h r ist bei den Kontrollstel len und im Sperrgebiet noch regelmäßig. Von gestern ab wurde auch den Bergarbeitern die Ein- und Ausreise über die Grenze zur Erreichung ihrer Arbeits stellen verboten. Ohne Gewalttaten geht's nicht. Aus Hamm wird gemeldet: Beim Ueberschreiten der Grenze in der Nähe von Derne—Lanstrupp wurde ein 13jähriger Schüler aus dem besetzten Gebiet er schossen. In Recklinghausen wurden gestern abend 6 Uhr der stellvertretende Landrat Matuschka aus einer Sitzung des Kreisausschusses heraus verhaf tet, angeblich auf Veranlassung der Belgier wegen der Vorfälle in Marl. Der genaue Grund wurde nicht angegeben. In Bottrop wurde Amtsgerichtsrat Meies aus völlig unbekannten Gründen verhaftet. In Wanne verhafteten die Franzosen zehn deutsche Arbeiter, die mit den Franzosen zu sammen arbeiteten. Gestern nachmittag drangen französische Soldaten in das Amts Haus von Hörde ein, erbrachen die Schränke, warfen Tische und Stühle um und zerstörten zum größten Teile die Einrichtungsgcgenstände. Die Ge walttaten erfolgten auf Grund einer kommunisti schen Denunziation, daß in dem Amtshause Wa-fsen des Selbstschutzes dort versteckt gehalten würden. In Kronepberg beschlagnahmten die Fran zosen in der Nacht zum 1. Juli einen großen Posten Schmuggelware. Ausreiseverbot für einen Kölner Gesangverein. Dem Kölner Männergesangverein „Polyhymnia" wurde seitens der französischen Behörde die Ausreise nach Wien verboten. Der Gesangverein wollte i n Wien vaterländische Konzerte veranstal ten. Die Stadtgemeinde Wien hatte bereits umfassende Empfangsvorbereitungen getroffen, Schicksalswende. Roman von A. Seifert. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Mmida hatte in hoher Verehrung zu ihrem Daker aufgesehen. Sein reiches Wissen, sein klares Urteil - waren der stets frisch sprudelnde Quell gewesen, aus dem ihre Jugend schöpfte, durch den ihre Unerfahrenheit sich bildete und bereicherte. „Wobt stehe ich mit unseren Klassikern aus vertrau tem Fuß", äußerte sie bescheiden, „und auch die vor nehmen Geister unserer modernen Literatur sind mir wohlbekannt; ob ich aber imstande bin, von meinem geistigen Vermögen so viel abzugeben, daß es einem andern Menschen zustatten kommt, muß» tch Loch be zweifeln." „Schon ihre Sprache bürgt mir dafür, daß sic es können, mein Fräulein. Ich erwarte ja von ihnen keim -hofmeisterliche Tätigkeit. Aber wenn sie beständig be müht sind, meine Frau, welche sich leicht in Alltäglich keit und Frauenbasereien verliert, abzulenken, auf ein etwas erhöhtes geistiges Niveau hinüberzuretten, so wird der Erfolg sicher nicht ausbleiben." „Ich will es versuchen, will mich gern in ihrem Sinne bemühen, Herr Wengdorf." „Ich danke Ihnen! Sie werden mir Wort halten. Und noch ems: Ueber alle in meinem Hause vorkom menden Angelegenheiten, die einer Erörterung wert sind oder dec Erledigung bedürfen, entscheide ich, und ich bitte sie, sich danach zu richten. Alles andere über lasse ich ihrer Klugheit und ihrem Taktgefühl." Mmida erhob sich. „Ich will mich in ihrem Sinne bemühen, Herr Wengdorf, mehr kann ich ja nicht ver- fprechen." „Ihr guter Wille genügt mir, Fräulein —! Ich habe ihren Namen wohl überhört." „Alma Eröper", sagte sie leise, mit bebender Stimme. „Also auf Wiedersehen, Fräulein Gröper. Ich ver lasse mich darauf, daß sie pünktlich am Sonntag vor mittag zur Stelle sind." Mmida verneigte sich zustimmend und zugleich ab schiednehmend. Draußen rang sie nach Fassung. Cs war zu viel des Neuen, Ungewöhnlichen, was aus sie einstürmtc. Sie kämpfte mit e'nem Schwindelgefühl. Doch da erschien der Diener und führte sie bis zum Ausgange. Sie ging. Die Hausfrau — Huberts Mutter — hatte sie Nicht zu Gesicht bekommen. Sie erreichte noch zur rechten Zeit den Zug, und als sie bequem in ihrem Abteil saß, siegte die Elastizität ihrer Jugend. Sie schauderte nicht mehr vor der Fremde, in die sie hinaus sollte, zurück. Das Leben dort draußen mit seinen überraschenden Eindrücken gewann Reiz für sie. Erst als sie sich ihrem Wohnort nckherte und die Gedanken an den stillen Schläfer daheim sie umspann ten, wurde sie wieder traurig, und trostlos erschien ihr die Gegenwart wie die Zukunft. Im Trauerhause hatte sich inzwischen jene unheim- i liche düstere Regsamkeit entfaltet, die mit der Aufbah rung eines Toten verknüpft ist. Der Sarg war gebracht worden, die Dekoration von grünen Blattpflanzen wurde hereingeschafft, der Naum mit schwarzem Flor verhangen. Ms Mmida zurückkam, war alles erledigt und tiefe Ruhe im Hause. Sie gmg zu ihrem Toten und kniete an seinem Sarge, und wie sie stille Zwiesprache mit ihr hielt, da stand er wieder vor ihr als Lebender, gütig und verehrungsmürdig wie selten einer, und sie flüsterte ihm alles zu was ihr junges Herz bewegte, daß sie in treuer Liebe nach wie vor mit Hubert vereint sei, und daß sie ausharren, daß sie alles daransetzen wolle, um sich das Vertrauen und die Zuneigung der Schwiegereltern zu erwerben. . Plaudernd saß sie mit Frau von Herbst zusammen. Dann kam ein Imtges Telegramm von Hubert mit tröst lichen, innigen Worten, die Liebe atmeten, den Kummer beschwichtigten und heimliche Seligkeit in Mmida aus lösten. Inzwischen war Franz in Begleitung des ältesten Prokuristen, welcher das unbedingte Vertrauen des Herrn Harnisch besessen hatte, in die Villa gekommen und harte von Frau von Herbst die Schlüße! zum Arbeitszimmer des Verstorbenen, sowie zur Bibliothek gefordert. In Gegenwart jenes vertrauenswürdigen, ehren werten Mannes ordnete Franz sämtliche Papiere seines Oheims. Diese Arbeit nahm nur wenige Stunden in An spruch. Es handelte sich nur um geschäftliche Korre spondenzen. Privatbriefe hatte der Verstorbene beizeiten vernichtet. In einem Geheimfachs fanden sich Mmidas Ge burtsschein sowie der Impfschein, auf den Namen Alma Eröpec lautend. Franz erklärte dem Prokuristen, daß Mmida nur ein angenommenes Kind und nicht erbberechtigt sei. Der Prokurist bewegte bedauernd den Kopf, er staunt darüber, daß sein Chef kein Testament hinterlassen. Da hatte ia doch Frau von Herbst sowie das ge samte Dienstpersonal auf eine letzte Verfügung zu ihren Gunsten gehofft. (Fortsetzung folgt.)