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Entspannung der Ruhrstreiklage. Die Gelsenkirchener Bergleute beschlossen ohne Widerspruch die Arbeitsausnahme. Nach den bei zuständiger Berliner Stelle eingetrof- fenen Nachrichten aus dem Ruhrgebiet ist dort im Laufe der letzten 24 Stunden eine wesentliche Entspan nung der Streiklage eingetreten. Ein Teil der wirt schaftlichen Streits dauert Mar noch fort, doch ist anzunehmen, daß mit dem Bekanntwerden der Einigung über die Lohnerhöhung für die Bergarbeiter diese Streiks rasch abnehmen werden. Soweit es sich um politische Streiks handelt, hat die Wiederauf nahme der Arbeit schon jetzt f a st auf allen W e r - ken erfreuliche Fortschritte gemacht. Nur in Dort mund kam es auf dem Westenhellweg im Laufe des Dienstag-Nachmittages zu neuen Zusammen- stößen zwischen D e m o n st r a n t e n und blauer Polizei Es war versucht worden, einige Geschäfte zu plündern, was jedoch durch das tatkräftige Eingreifen der Polizei verhindert werden konnte, die den Westenhellweg absperrte. Da die Massen der Auf forderung der Polizisten, auseinanderzugehen, nicht sofort Folge leisteten, waren diese gezwungen, blank zu ziehen. Die Ladeninhaber hatten sofort ihre Geschäfte geschlossen und ihre Auslagen durch Gitter usw. ge sichert. Schliesslich gelang es der Polizei, die Menge auseinanderzutreiben. Tote und Verletzte waren bei diesen Zwischenfällen nicht zu verzeich nen. Nach Erkundigungen an amtlicher Stelle ist der Dienstag in Dortmund und in den Landbezirken sonst ruhig verlaufen. Der Selbstschutz ist jetzt zumeist in allen Orten des Ruhrgebietes überall paritätisch zusammenge setzt, auch hat sich eine w e s e n t I i ch e b e s s e r e Ver teilung der noch vorhandenen Polizeistreit- kräfte ermöglichen lassen, mit deren Hilfe eine wei 1- gehendeBeruhigungdes Gebietes durchgeführt werden könnte. Der S t a b d e r A u f r ü h r e r, der im Landkreise Dortmund die Putsche leitete, ganz besonders aber die Zechen Preußen 7 und Ik. Scharnhorst und Eneisenau und Karl unsicher machte, wurde von der Kriminal polizei in Lünen-Süd verhaftet. Bei dem ju gendlichen Arbeiter Paul Bäumer, der schon in dem Mühlheimer Putsch eine Rolle gespielt hat und seitdem verborgen gehalten wurde, wurden Dum- Dum-Geschosse gefunden. Arbeitsaufnahme in Gelsenkirchen. Am Dienstag trat die S t r e i k k o m m i s s i o n der Bergarbeiter zu einer mehrstündigen Bera tung zusammen, in deren Verlauf beschlossen wurde, den Arbeitern die Wiederaufnahme der Ar beit bis zum 31. Mai vorzuschlagen. Maßgebend hierfür war die Ueberzeugung, daß im Augenblick bei den Lohnverhandlungen nicht mehr zu erreichen sei. Für den Augenblick müsse man sich mit dem Erreichten be gnügen. Zn einer nachfolgenden Versammlung der Bergleute wurde diesem Beschlusse zu ge stimmt und der Beschluß ohne Widerspruch genehmigt. Damit hat der Streik, der so viele Opfer ge funden hat, sein Ende erreicht. * Schikanierung der Arbeiterschaft. In Höchst a. M. haben die Franzosen den Rad fahrern verboten, über die Besetzungsgrenze zu fahren, während andere Fuhrwerke die Sperre noch passieren können. Dieses Verbot trifft die Arbeiter und die kleinen Geschäftsleute besonders hart. Außerdem verweigerte der französische Delegiere 600 im unbesetzten Gebiet wohnhaften Arbeitern, die aber in Höchst a. M. tätig sind, dasPaßvisum und vernichtet so ihre Existenz. ' «MI MMWNWU'HI« 'w« Teuerung, Folgen Der Reichsarbeitsminister wird umgehend mit den beteiligten Kreisen über die Auswirkungen der im Zuni bevorstehenden Brotpreiserhöhung be raten und insbesondere ihre Folgen für den Haushalt der Arbeitnehmer feststellen. Das Ergebnis wird den in Frage kommenden Organisationen und Behörden als Unterlage für die kommenden Lohnverhandlungen mit geteilt werden. Der Reichsarbeitsminister ist sich be wußt, daß eine so starke Verteuerung des wichtigsten Volksernährungsmittels nicht zu Lasten der Arbeit nehmer gehen darf, daß die eintretende unmit telbare und mittelbare Belastung viel mehr bei den Lohnverhandlungen, die in folge der gesunkenen Kaufkraft der Löhne ohnehin not wendig werden, voll abgegolten werden muß. Der Neichsarbeitsminister hat gleichzeitig mit dieser Veröffentlichung den Arbeitgeber- und Ärbeit- nehmeroerbänden seine Stellungnahme mitgeteilt und sic ersucht, ihr ihre besondere Aufmerksamkeit zuzu wenden. Ebenso wird die Fürsorge für die Sozialrent ner, Kleinrentner, Kriegsbeschädigten, Kriegshinter bliebenen und Erwerbslosen der durch die Brotpreis- erhöhung eintretenden Verteuerung der Lebensverhält nisse an gepaßt werden. Der Reichsarbeitsminister hat auch die hierfür erforderlichen Maßnahmen bereits eingeleitet. Sie werden beschleunigt zum Ab schluß gebracht werden, damit die Berechtigten baldigst in den Bezug der erhöhten Unterstützungen gelangen. Ein Mahnwort der sächsischen Regierung. Die Nachrichtenstelle in der Staatskanzlei gibt fol gende amtliche Verlautbarung bekannt: Die derzeitige rapide Geldentwertung schafft außer ordentlich schwierige Markt- und Preisverhältnisse. und Bekämpfung. . Kaufkraft und Verbrauchsauswand zeigen eine klaffende Differenz. Die Bevölkerung ist mit Recht von Sorge und Unruhe erfüllt. Aus der begreiflichen Erregung, den volkswirtschaftlich richtigen Bestrebungen, diese Dif ferenz durch Forderung nach rascher Lohn- und Gehalts erhöhung zu verringern, können sehr schwere Störungen und Schädigungen der Volkswirtschaft und des Produk- tionssortganges resultieren. Maß und Besonnenheit, Erkenntnis der wirkenden Ursachen, rasche Bereitschaft zu Entgegenkommen müssen in allen Kreisen der Land wirtschaft, der Industrie, des Handels, des Handwerks, der Lohn- und Gehaltsempfänger sich auswirken. Devisenwaren, ausländische Rohstoffe, reine Auslandsware müssen sich notgedrungen jeder Devisen- bcwegung angleichen. Inlandswaren, aus ausländischen Rohstoffen mit Inlandslöhnen hergestellt, dürfen ihr nur mittelbar folgen. Allen Bestrebungen auf rücksichts lose Konjunkturausnützung wird aufs schärfste entgegen getreten werden. Die gerade in Sachsen sehr ausgebaute Preisprüfung auf Grundlage breiter vom Vertrauen der am meisten durch die Not betroffenen Bevölke rungsschichten getragenen Kontrollorganisationen bie ten die Gewähr dafür. Angesichts der Gesamt- luge ist rücksichtsloses Bereichern heute einVerbrechenanStaatundÄolk. Auf der anderen Seite ist die Bewahrung von Ruhe und Ordnung und geordnetem Markt- und Han delsverkehr unbedingte Voraussetzung für die Versor gung und Erhaltung des Wirtschaftsganges. Willkür- liche Eingriffe, Selbsthilfe durch Preisdiktate von un berufener Seite vertreiben die Ware und können nur katastrophale Störungen Hervorrufen. Die Bevölke rung kann der scharfen Kontrolle durch Preisprüfungs behörden und raschen Zugriffen der Wucherverfolgungs behörden versichert sein. Das Garantieangebot der deutschen Industrie. Der Reichsverband der deutschen Industrie ver öffentlicht nunmehr den Wortlaut des Briefes, den sein Präsidium am 25. Mai an den Reichskanzler in der Earantiefrage gerichtet hat. Der Reichsverband macht in diesem folgende Vorschläge: 1 Erstschuldner für die Reparationen sind nach dem Versailler Vertrag Reich und Länder. Reichen deren Einnahmen nicht aus, ist die Gesamtheit des Volkes heranzuziehen, bevor einzelne Teile zu Sonderlasten aufgefordert werden. Die Wirtschaft bekennt sich zu der für jeden Bürger selbstverständlichen Verpflichtung, für das im Staat verkörperte Vaterland bis an die Grenze der Tragfähigkeit einzutreten mit dem Ziel, die politische und wirtschaftliche Freiheit wiederzuerhalten. 2. Erhaltung der vollen Substanz der staatlichen Vermögensobjekte und Wahrung der Zollhoheit ist Voraussetzung. Danach sind die im Eigentum von Reich und Län der befindlichen V e r m ö g e n s o b j e k t e nach wirt schaftlichen Gesichtspunkten auszunutzen. Sie können nach Meinung der Industrie in absehbarer Zeit jährlich etwa WO Millionen Goldmark, bei günstiger Entwickelung der Wirtschaft eine Milliarde Goldmark und mehr erbringen. Ihnen zur Seite tritt das Angebot der privaten Wirtschaft. Sie verpfändet trotz größter Be denken für eine entzMtige Lösung ihre Sach werte in einer Höhe, die die Hälfte des heu tigen Verkausswertes des gesamten priva ten Jmmobilienbesitzes darstellt, und nimmt aus 3V Jahre eine Rente von jährlich 500 Millionen Goldmark auf sich, von denen die Industrie 200 Millionen übernimmt, während der Nest auf Landwirtschaft, städtischen Hausbefitz, Handel und Banken zu verteilen bleibt. Die Umlage im einzelnen bleibt zu klären. Die Rente soll als dingliche Verpflichtung auf das unbewegliche Vermögen eingetragen werden; wo solches nicht vor handen, sollen Titel für persönliche Haftung geschaffen werden. Ablösbarkeit dieser Belastungen durch steuer - freie Kapitalleistungen an das Reich ist not wendig. Die Aufbringung der zu garantierenden Rente muß der privaten Wirtschaft dadurch erleichtert werden, daß die allgemeinen Lasten des Volkes durch Spar samkeit in der Staatsverwaltung ver ringert werden und die Wirtschaftspolitik grundsätzlich auf Produktionssteigerung eingestellt wird. 3. Voraussetzung für die Erzielung derartiger Lei stungen, die ein Land wie Deutschland im wesentlichen nur aus dem Export erarbeiten kann, ist die Gleichberechtigung und Meistbegünsti gung für die deutschen Waren im Aus land. Für die Voraussetzungen im Innern fordert die Industrie insbesondere grundsätzliche Fern haltung des Staates von der privaten Eütererzeugung und Verteilung, unbe schadet schärfster Bekämpfung wirklichen Wuchers, Auf hebung der Kriegs- und Zwangswirtschaft, Erhaltung des Betriebskapitals, Hebung der Steuermoral, Schaf fung eines klaren, den Spürsinn anregenden Steuer systems und letzten Endes voller Einsatz der vorhandenen Arbeitskräfte bei grundsätzlicher Aufrecht erhaltung des Achtstundentages. EegendiefenVorfchlag, den dieFUhrer der Mittelparteien unter Hervorhebung der industriellen Opferbereitfchaft anerkennen, fäll sich die sozialdemokratische Partei lebhaft da gegen gewandt haben, daß man versuchen wolle, in ver kappter Form den Achtstundentag und andere soziale Errungenschaften umzustotzen. * Garantieleistung der Landwirte. Am Dienstag nachmittag haben sich auch die Ver tretungen der deutschen Landwirtschaft mit der Earantiefrage beschäftigt. Der Reichsausschutz der deutschen Landwirtschaft und der Neichslandbund sind zu endgültigen Beschlüssen gekommen. Die Schicksalswende. Roman von A. Seife rt. 20. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Almidas liebliche bezaubernde Schönheit hatte nie Eindruck auf ihn gemacht. Immer war sie, die Ver hätschelte, Bevorzugte, ihm im Wege gewesen. Danach gelechzt hatte er oft, ihr etwas Schlimmes, sie tief Ver wundendes anzutun. Er hatte es nicht gewagt, denn der Oheim ver stand, wo es sich um die Niedertracht seines Neffen han delte, keinen Spaß. Er durfte keinen der Dienstboten schlecht behandeln, wurde gezwungen, in den Bureaus jedem Beamten, bis zum Diener herab, mit Höflichkeit zu begegnen. Hätte er sich jedoch gegen Almida etwas zuschulden kommen lasten, so würde Harnisch ihm sein Haus verboten haben. Franz hatte sich mit heimlichem Zähneknirschen ge fügt. Er hatte sich daran gewöhnt, äußerlich ein glattes, geschmeidiges Wesen zur Schau zu tragen und all die ihn beherrschenden Instinkte zu verbergen. Nun brachen sich die gewaltsam unterdrückten Lei denschaften Bahn. Auf eine Weise mußte er seiner Bos heit und Schadenfreude, seiner grenzenlosen Verbitterung Raum gönnen. Almida wich unwillkürlich vor seinen glühenden Augen zurück. „Was ist mit dir?" wollte sie fragen, doch kein Ton rang sich von ihren erblassenden Lippen. Ls war das erstemal, daß sie einen Menschen in dieser sinnlosen Verfassung sah. Franz umfaßte mit schmerzlichem Druck ihr Hand gelenk. ..Deine Rolle ist ausgejpielt, du falsche Prin zessin," zischte er, „du verschmähtest meine Werbung, das wird dir noch bitter leid tun! Ich nehme dich nicht mehr, und weun du auf Knien bittend vor mir lägest! Jetzt übe ich Vergeltung für alles, was ich durch dich erduldet! Ich werde sorgen, daß du dahin kommst, wo hin deinesgleichen gehört, in die Eesindestube, an den Plättisch, da magst du deinen Unterhalt verdienen! Und was du an Zuwendungen von meinem Oheim erhalten, das ziehe ich bei Heller und Pfennig ab von deinem Lohn! Dann dämmert es dir vielleicht, was ich bisher gelitten unter dem Götzendienst, der mit dir, du arm seliges Wesen, getrieben wurde!" Es war der Blick einer Schlange, mit dem Franz das junge Mädchen hypnotisierte. Kein Laut kam von ihren bebenden Lippen. Sie glaubte, er sei wahnsinnig geworden und flehte in ihrer Herzenseinsalt Gott um Hilft an. Doch Franz ließ ab von ihr. Er hatte wohl mehr gesagt, als es seine Abjicht gewesen. Aber es reute ihn nicht, daß er Almida so maßlos erschreckt hatte. Er hatte ja nichts zu fürchten! Vielleicht gelang es ihm sogar, ein Schweigegeld von seinem Oheim zu er pressen. Ja . jetzt hatte er es heraus! Vorteile, viel Geld sollte ihm die Kenntnis des Erlauschten einbringen! In dem Bemühen, Almida zu schonen, würde der Oheim zahlen, welche Summen auch gefordert wurden! Franz beschloß, nicht wieder ins Bureau zu gehen, sondern sich einen vergnügten Tag zu machen, und diesem einen sollten viele andere folgen. Almida starrte in Halder Betäubung dem sich lang sam Entfernenden nach. Sie zitterte wie Espenlaub und fürchtete, er t me umkehren, und ihr ein Leid antun. Erst allmählich erholte sie sich von dem furchtbaren Schreck. Sie wankte nach einer Bank. Dort saß sie reglos, die peinliche Szene schwebte ihr beständig vor, es war, als hätten die bösen Worte des Vetters ein endloses Echo geweckt, dieselben tönten ihr fort und fort in den Ohren, sie konnte sich nicht davon befreien. Wie war er wohl zu diesem schmachvollen Betragen gekommen? War er schon am frühen Morgen be trunken gewesen? Ja. so mußte es sein, denn eine an dere Erklärung fand sie für den Ausbruch des Hasses nicht. Sie wußte, daß Franz dem Alkohol fleißig zu sprach, daß es deswegen bereits zu heftigen Auseinan dersetzungen zwischen ihrem Vater und dem Vetter ge kommen war. Sie hatte sich noch nicht von dem furchtbaren Ein druck erholt, als sie Hubert erblickte, welcher rasch näher kam. Er sollte es nicht sehen, daß sie litt, daß ihr etwas Häßliches begegnet war; die wenigen Stunden, die ihrem Zusammensein noch blieben, sollten durch keinen Mitz- ton gestört werden. Hubert schloß Almida in tiefster Erschütterung in die Arme. Er fand es nur natürlich, daß sie ernst war, daß sic bebend an seiner Brust ruhte. Sie ließen sich auf einer Bank nieder und küßten sich, und vergaßen nachgerade beide, was jeden von ihnen drückte und waren selig. Er sagte ihr wieder und wieder, daß er sie mehr liebe als sein Leben, und daß nichts sie scheiden solle als dec Tod. Almida konnte es nicht oft genug hören. (Fortsetzung folgt.)