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Der französische Druck verschärft. Neue Besetzung und Beraubung von Privatbetrieben. Die Franzosen haben am Mittwoch die Ludwigs- Hafener Anilinfabriken sowie das ganze Ge lände der Fabrik, einschließlich der Anlagen in Oppau, der Beamtenkolonie in Friesenheim, durch eine Postenkette mit Maschinengewehren und aus gepflanzten Bajonetten umstellt. Die Direk tion der Fabrik wurde von der Besetzung nicht un terrichtet. Es ist ihr auch späterhin keine Mittei lung zugegangen. Während die Besetzung schon im Gange war, wurden der Oberbürgermeister, der Poli zeirat und der Vezirksamtmann von Ludwigshafen über den Zweck der Besetzung benachrichtigt. Die Franzosen bezwecken mit der Besetzung der Ani linfabriken die Beschlagnahme der um fangreichen Farbprodukte und der u n - geheueren Vorräte, die in dem Werke auf gestapelt sind. Die Franzosen werden nach ihren eigenen Aeußerungen diejenige Menge an Farbstoffen beschlagnahmen und wegbefördern' aus die Frankreich und Belgien laut Friedensvertrag Anspruch haben. Die Beschlagnah mung der Betriebe und die Aussperrung der Arbeiter wird infolgedessen wenigstens acht Tage in Anspruch nehmen. Die Vorräte an Farbstoffen und Stickstoff in den Lagerräumen der Fabriken und a u ß eror deutlich groß und stellen Militär- denwerte dar. Wegen der durch die französische Rheinzollgrenze hervorgerufenen Ausfuhrsperre in das rechtsrheinische Deutschland und in das Ausland war fast der gesamte Fabrikbetrieb der Anilin- und Soda- Fabriken auf Lagerarbeit eingestellt. Besetzung weiterer Jndustriewerke. Nach in Frankfurt a. M. eingelausenen Nachrich ten sind noch weitere Betriebe im besetzten Gebiete von den Franzosen besetzt worden. So wird auch die große Zementfabrik Dycker hoff u. Wid mann bei Mainz genannt. In Mannheim haben die Franzosen das Rheinische Rheinkohlensqndikat sowie das Lager der Anthrazytwerke, Kohlen- und Kokswerke, besetzt. Tags zuvor wurde das Kohlen lager von Hugo Stinnes in Rheinauhafen be schlagnahmt. Die Franzosen besetzten in Uerdingen die Che mische Fabrik Weilerter Meer. Stärkere Besetzung Gelsenkirchens. Gestern morgen erschienen drei französische Offiziere und 2V Mann beim Gelsenkirchener Oberbürgermeister und erklärten, daß die Stadt nunmehr auch eine ftär - kere und dauernde Besetzung erhalten werde. Es würden drei Bataillone nach Gelsenkirchen gAegt, und zwar eins sofort; die beiden andern würden unmittel bar folgen. Kettwig ausgeraubt. Gestern sind in Kettwig starke französische Truppen- abteilnngen eingerückt. Das Rathaus wurde umstellt und mehr als 100 Millionen Mark be schlagnahmt. Weiter wurde ein Geldschrank mit einem Inhalte von zwölf Millionen Mark versiegelt. Die französische Aktion hatte den Zweck, die der Stadt Kettwig auferlegte Geldbuße einzutreiben. Der Dienstag morgen besetzte Bahnhof D o r st e n und die Blockstellen Zweckel und Holthausen sind gegen 4 Uhr nachmittags unter Mitnahme von zwei Personenzügen und 150 beschlag- namten beladenen Güterwagen und einigen Lokomotiven von den Franzosen wie der geräumt worden. Schwere Uebergriffe der Franzosen gegenüber dem schwedischen König. ie erst setzt bekannt wird, haben sich die Fran zosen in Offenburg schwere Uebergriffe gegen König Gustav von Schweden und Großherzog Friedrich von Vaden erlaubt. Dem „Mannheimer Generalanzeiger" wird darüber berichtet: Aus Anlaß der Beerdigung der Großherzogin Luise von Baden kamen der König von Schweden sowie der frühere Eroßherzog von Vaden durch Offenburg. Dort wurden sie von der französischen Besatzung an gehalten und zur Kommandantur ge führt, wo sie vom Kommandanten einige Stunden verhört und gefangengehalten wurden, bi- es schließlich der Einsprache des Königs von Schweden ge lang. die Freiheit wieder zu erlaiMn. Der französische Kommandant Taszaus hat Offenburg verlassen und dürfte vermutlich nicht mehr auf seinen Pocken zurückkehren. Da die Festnahme des Königs von Schweden eine schwere Verletzung seiner Svuvcränitäts- rechts bedeutet, wird der Vorfall noch ein diplomatisches Nachspiel haben. Hundert Familien vertrieben! Sp«his reiten rücksichtslos in die Menge. Den Bewohnern eines Einwohnerblocks im nörd lichen Stadtteil von Ludwigshafen ging gestern nachmittag von den Franzosen die Weisung zu, ihre Wohnungen bis nachmittags 4 Uhr zu räumen. Ueber kW Familien werden von dieser grausamen Maßnahme betroffen. Die Lage in der A n i l i n f a b r i k ist unverän dert. Die Lohnzahlung an die Arbeiter und Beamten soll heute erfolgen. Bei der gestrigen Absperrung der Fabrik durch Spahis wurden mehrere Personen leicht verletzt, da die Araber rücksichtslos in die Menge hineinritten. Vertreibung der Lehrer. Ausgewiesen wurde in Wiesbaden wiederum ein Dutzend Oberlehrer und Lehrer. Lehrer Kohl haas, der auf eine a n o n pme Anzeige hin in Haft genommen und über drei Wochen ohne Ver nehmung im Gefängnis gehalten wurde, rst mit seiner Familie ausgewiesen worden. Neue deutsche Protestnote. Den Regierungen in Paris, London und Brüssel ist eine Protestnote überreicht worden, die sich g e g e n d i e Vertreibung deutscher Eisenbahner aus ihren Dienst- und Privatwohnungen und gegen ihre Ausweisung richtet. Gleichzeitig wird gegen die Urteile der Kriegsgerichte Verwah rung eingelegt, die immer grausamer würden, ob wohl die betreffenden Eisenbahner nichts getan hätten, als das weder mit dem Völkerrecht noch mit ihrem Diensteid vereinbarte Ansinnen abzulehnen, für die nach französisch-belgischer Regie übernommenen Eisen bahnen des besetzten Gebietes Dienst zu tun. 30 Deutsche nach Belgien abtransportiert. Aus den belgischen Gefängnissen in Duisburg und Aachen sind etwa 30 Gefangene nach Verviers ab- transportiert worden. Daraufhin hat sich das Deutsche Rote Kreuz an das Internationale Komitee des Roten Kreuzes in Genf gewandt mit dem Ersuchen, für die naw Perriers nansvoruenen Gefangenen eine F ü r - sorgeaktio n einleiten zu dürfen. Die bayerische Notverordnung. Die von der bayerischen Regierung am Himmel fahrtstage erlassene Notverordnung wurde gestern vom Ministerpräsidenten Dr. von Knilling im Haus haltsausschuß des Landtages mit einer längeren Rede gerechtfertigt. Der Ministerpräsident sagte: Wer die Entwicklung der Verhältnisse in Bayern unvorein genommen betrachtet habe, werde nicht in Abrede stel len können, daß der Schritt der bayerischen Regierung einem unbe st reitbaren Bedürfnis entspreche, namentlich im Hinblick auf die Geschehnisse am 1. Mai Die Dinge hätten nicht so weiter gehen können, wenn das Volk nicht an der Staatsgewalt irre werden sollte, und wenn die öffentliche Meinung nicht der Gefahr ver fallen sollte, einer Art Anarchie zuzutreiben. Eine Regierung, die sich ihrer Pflicht bewußt sei, müsse gegen Vorkommnisse mit allen gesetzlichen Mitteln vor gehen. Entgegen allen Ausstreuungen stelle er fest, daß es der Regierung nicht am wenigsten zu verdanken ist, wenn alle Befürchtungen sich als grundlos erwiesen hätten. Der gegen landesverräterische Umtriebe im be setzten Gebiet gerichtete 8 1 der Notverordnung sei namentlich auf dringende Anforderung der pflälzischen Bevölkerung eingesetzt worden, nachdem leider alle Versuche der bayerischen Regierung, die Reichsleitung zu einem entsprechenden Vorgehen zu veranlassen, bis her nicht zu einem Erfolg geführt hätten. Wenn die Neichsregierung doch noch für das ganze Reich eine gleichartige Bestimmung erlasse, dann würde die baye rische Bestimmung gegenstandslos werden. Die wei teren Bestimmungen sollten den Polizei- und Strafver folgungsbehörden eine rechtliche Handhabe gegendie Auswüchse des Versammlungswesens geben. Es werde in die Hand der einzelnen Organisa tionen gestellt, sich nach Maßgabe der neuen Verordnung klaglos zu verhalten. Diejenigen Organisationen, die dagegen verstoßen, verfallen der Gefahr der Auslösung. Verbot der proletarischen Hundertschaften in Preutzen. Der preußische Minister des Innern hat einen Erlaß her ausgegeben, wonach auf Grund des Gesetzes zum Schutze der Republik die sogenannten proletarischen Hundertschaften sür das -preußische Staatsgebiet aufgelöst und verboten werden. Zu widerhandlungen werden bestraft. In der Begründung wird an geführt, daß die proletarischen Hundertschaften sich im Sinne des Reichsstrafgesetzbuches als Verbindungen darstellen, zu deren Zwecken und Betätigung es gehört, Maßregeln der Verwaltung durch ungesetzliche Mittel zu verhindern und zu entkräften. Nach den öffentlichen Werbungen angeblich nur bestimmt, der Ab wehr rechtsgerichteter Organisationen und Kundgebungen zu dienen, seien die proletarischen Hundertschaften tatsächlich aus ersehen einen offenen Kampf vorzubereiten und zu führen, der keine staatserhaltende Ziele habe. Die prole tarischen Hundertschaften seien staatsfeindliche Verbindungen, bestrebt, die verfassungsmäßig festgestellte republikanische Staats- sorm des Landes zu untergraben. Worowskis Fahrt nach Moskau. Die Leiche des in Lausanne ermordeten Sowjetdele gierten Worvwiki ist mn Mittwoch vormittag auf dem Anhalter Babnhoj in Berlin eingetroffen. Bor dem Bahnhof hatten sich einig e tausend Mitglieder der Kommunistischen Partei cingefunden. Aus dem Bahn steig war das gesamte Botschaftspersonal, der russische Geschäftsträger Krestinski und die Handelsab teilung der in Berlin ansässigen Sowjetkommission ver sammelt. Nach einer kurzen Ansprache des Botschafters wurde der Sarg auf einen Leichenwagen gehoben. Der Leichenzug bewegte sich nach dem Botschaftsge bäude Unter den Linden, wo eine Trauerfeier stattfand. Später wurde der Sarg nach dem Schle sischen Bahnhof gebracht. Nach Moskau werden drei Mitglieder der russischen Botschaft mitfahren. Die Aussagen des verhafteten Russen. Der in Gens verhaftete Russe Talunina, von dem der Eeldbrief an Conradt mit 100 Franken her rührt und der nach der russischen Revolution in der Weißen Armee als Offizier diente, behauptet, daß es sich bet der Geldsendung um einen Vorschuß handele, den er einem alten Waffe ngefährten zugesandt habe. An deni Attentat in Lausanne sei er in keiner Weise beteiligt. Bei seiner Vernehmung stellte sich mich heraus, daß Conradi vor Anigen Wochen in Eens gewe,en ist. Ueber den Beweggrund der Reise konnte nichts festgestellt werden. Neue Erhöhung der Eisenbahntarife. In der gestrigen Sitzung des ständigen Ausschusses des Reichseisenbahnrates wurde zunächst die Frage be handelt, ob ein allgemeines wirtschaftliches Bedürfnis sür eine Frachtermäßigung der Braunkohle gegenüber der Steinkohle anzuerkennen sei. Der Ausschuß kam nach eingehender Besprechung zu dem Ergebnis, daß eine Tarifermüßiguna für Braunkohle nicht durchgeführt werden könne. Der Ausschuß war ferner der Ansicht, daß auch rechtzeitig für die Deckung der notwendigen Ausgaben durch Tariferhöhungen gesorgt werden müsse. Während für die P e r s o n e n l a r i f e eine Erhöhung um hundert Prozent zum nächstmöglichen Zeit punkt für erforderlich gehalten wurde, war der Aus schuß der Ansicht, daß die Gütertarife in solchem Aus maße erhöht werden müssen, daß auch die durch die be vorstehenden Gehalts-. Lohn- und Kohlenpreis erhöhungen verursachten Mehrausgaben alsbald Dek- kunfl finden. Der Umfang der Eütertarif- erhöhuna. der non dem Zeitpunkte seines Inkraft tretens abhüngt, läßt sich heute noch nicht übersehen, müßte jedoch auf Grund der heutigen Preisverhältnisse bereits über 40 Prozent sein. Politische Tagesschau. Ein A m n e st i e g e s e tz sür Sachsen. Dew sächsischen Keiamtminickerium siegt der Entwurf eines Gesetzes über eine Amnestie für Not- und Abtreibungs delikte vor, der in den nächsten Tagen dem Landtag? zugehen wird. Die „Sächsische Slantszeitung" schreibt dazu: Die Nachprüfung zahlreicher Gnadengesuche Hai in den letzten Monaten in immer steigendem Maße ergeben, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse der straffällig gewor denen Volksgenossen vhne deren Verschulden von Tag zu Tag sich trostloser gestalten. Deshalb schlägt dec Entwurf des Amnestiegesetzes vor, Strafen wegen Ver fehlungen, sie aus Not — aus ernster wirtschaftlicher Be drängnis — hegangen worden sind, zu erlassen, wenn sie von sächsischen Gesehen cechtsiräftig erkannt worden jmd und die erkannte Strafe nur in Festung oder Ge fängnis von höchstens eurem Jahre oder in Geldstrafe vou höchstens 8U000 Marl besteht. Unter denselben Voraussetzungen werden Strafverfahren wegen solcher aus Not begangener Straftaten niedergeschlagen. Im all gemeinen rechtfertigt sich auch eine Amnestie mit Straf erlaß oder Niederschlagung wegen Abtreibungshandlungen in den Grenzen der Strafmaße, wie bei Notdeliktsn. Anhängige Sachen, die voraussichtlich unter das Am nestiegesetz fallen werden, sollen vorläufig nur insoweit fortgesetzt werden, als die Erörterung von Tatsachen in Frage kommt, welche die Anwendung oder Nichtan wendung des Amnestiegesetzes zu begründen geeignet sind Der Nachfolger v. Braun- im Reichstage. Nachfolger im bayerischen Neichstagsmandat des ver storbenen Staatsrates und Präsidenten des Reichswin- schaftsamtes Edler v. Braun ist dec Berliner Geheimrat v. Kahl von der .Deutsches Voilspartei, die mit den Deutschnationalen in Berlin eine gemeinsame Wahlliste hatte. Waldeck-Manasse f. Der sozialdemokratische Abgeordnete im Preußischen Landtag, Waldeck-Manassr, ist am Montag in Berlin nach kurzer Krankheit gestorben. Der Verblichene ist als politischer Schriftsteller wieder- holt hervorgetreten und war auch als ausgezeichneter Redner der freireligiösen Gemeinde Berlins bekam«. Der neue PolizeipräfidentvonMünchen. Zum Polizeipräsidenten von München ist einstweilig der bisherige Oberregierrmgsrat bei der Regierung von Schwaben, Mantel, ernannt worden. Mantel ist politisch bisher in keiner Weise hervorgetreten. Kurze politische Mitteilungen. In der Aussprache, welche die Parteiführer mit dem Reichskanzler hatten, wurde mitgeteilt, daß die Reichs- rcgierung beabsichtige, über einige Stellar der englischen Note nochmals Rückfragen nach London zu richten und danach ihre weiteren Entschlüsse zu gestalten. Sie sei geneigt, sich dann nochmals mit einer Note an die alli ierten Mächte zu wenden. Der Eisenbahnerstreik in Belgien hat einen großen Umfang angenommen, der zu militärischem Eingreifen nötigt. Im Reichsiagsausschuh für Sozialpolitik brachten die Sozialdemokraten einen Entwurf zu emem Notgesetz wegen Entlassung und Wiedereinstellung von Arbeitern und An gestellten im besetzten Gebiet ein. Der sozialistische „Populaire" ist bisher das einzige Pariser Blatt, das den Mut suchet, gegen das Urteil des Werdener Kriegsgerichts zu protestieren. Wie die Humanitck mitteilt, hat der kommunistische Abgeordnete Hollein in Paris mit dem Hungerstreik be gonnen. Er hat die Absicht kundgegeben, ihn fortzu- setzen, bis er freigelasien wird. Tschitscherin schob bei der Trauerkundgebung in Moskau zu Ehren Worowskis, an der eine ungeheure Menschenmenge teilnahm, die moralische Verantwortung an dem Attentat auf die Regierungen Englands, Frank reichs und Italiens. In Neuyork wird mitgeteilt, daß Belgien sich end gültig weigere, die Regelung seiner Schulden von 4V- Milliarden Dollar zu disiutieren. Präsident Harding widersetst sich aber einer Löschung dieser Schuld. Auch von Japan ist auf das deutsche Angebot mit Ablehnung geantwortet worden. Da die japanische Ne gierung feststem, dKß ihr Interesse an oer Reparationsfrags nicht so groß ist, kann man ihrer Antwort, die sich höf licher diplomatischer Wendungen befleißigt, nur formelle Bedeutung beMgen.