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Redaktioneller Teil. 84, 11. April 1916. die Spur; denn man weiß, daß Wilhelm Langewiesche <1807 bi?- 1884>, der Großvater von Wilhelm Langewiesche-Brandt, jener westfälische Verleger gewesen ist, der mit Freiligrath jene Verlagsnöte hatte, die sein Enkel nun so humorvoll schildert. Wie dieser Enkel, der jetzt Fünfzigjährige — er erblickte am 18. März 1866 als Sohn des Buchhändlers Robert Langewiesche das Licht der Welt —, war auch jener Großvater literarisch tätig, und wir wissen, daß er unter zahlreichen Pseudonymen sein« Arbeiten veröffentlichte und vor allem eine »Lehre von der deutschen Dichtkunst« schrieb, di« ihn mit zahlreichen Dichtem und Gelehrten in Persönlichen und schriftlichen Verkehr brachte. Von diesem Großvater, dem Gründer der Buchhändler- Dynastie Langewiesche also, erzählt sein Enkel, daß er stets ein Stubenhocker und Bücherwurm gewesen, und daß seine Be rufswahl daher von srühauf feststand. Er wollte Buchhändler werden. Eine tleine Reihe von Jahren tat er sich in der Welt um und hätte sich als noch nicht Fllnfundzwanzigjähriger verhei ratet. Nachdem er bei der Regierung in Arnsberg die zu jener Zeit für Buchhändler noch vorgeschriebene Prüfung bestanden hatte, erhielt er die Erlaubnis, in einer der aufblühenden Städte seiner belgischen Heimat eine Buchhandlung zu gründen. Wir wissen, daß das 1830 in Iserlohn geschah, und daß er sie 1837 nach Barmen verlegte. Sein Enkel berichtet: »Einsichtig und tat kräftig brachte er diese zu schönem Gedeihen, wobei ein Wagen mit zwei anspruchslosen Maultieren und einem alten Kutscher namens Fürst nicht wenig mithalf. Er bediente weit und breit im belgischen Lande die Ärzte, Geistlichen und Lehrer, die sich zu fachwissenschaftlichen Lesezirkeln zusammengeschlossen hatten. Dabei wußte er manchen Auftrag einzuhcimscn, wenn ihm auch besonders die medizinischen Büchertttel zuweilen be trächtliche Schwierigkeiten inachten. Fürst war ein treuer Mensch und hatte den Ehrgeiz, niemals etwas zu vergessen. Als ihn einmal ein Pastor der Vergeßlichkeit und dann gar der Lüge zieh und ihm das Sirachwort vorhielt: .Die Lüge ist ein häß licher Schandfleck an einem Menschen und ist gemein bei unge zogenen Leuten', da antwortete der bibelfeste Kutscher aus den Sprüchen Saloinos: .Einem Fürsten stehet nicht an, daß er lüge' und verließ zornigen Schrittes das Haus, war auch nicht zu bewegen, jenen weiter zu bedienen, bis aus des Großvaters Ver mittelung und Bitte der Pastor den ungerechtfertigten Vorwurf zurücknahm.« Der Enkel erzählt weiter, wie im Wuppertal« zwei verwandte Mächte wohnten: Glaube und Dichtung. Der junge Buchhändler, von friihauf ein Schöngeist, erlag Wohl der Versuchung, Verse zu machen, auf di« Richtung des Verlegers aber gewann der andere der Wuppertaler Sterne den bedeutenderen Einfluß. Seine persönlichen Beziehungen zu den oft wechselnden Geistlichen des kirchenreichen Tales ermöglichten wertvolle Unternehmungen, und in dem von Jahr zu Jahr wachsenden Verlagsverzeichnis waren bald die besten Namen der theologischen Wissenschaft ver treten. Im Sommer 1837 wurde das Gutenberg-Denkmal in Mainz enthüllt. Wer immer es vermochte, wollte sich an Meister Guten bergs Ehrentage zu seiner schwarzen Kunst bekennen; auch der Barmer Buchhändler reiste dorthin, und sein Enkel vermag aus einem langen Briefe, den jener von der Reise an seine Frau schrieb, eine sehr hübsche Schilderung der Festlichkeiten wieder- zugebcn. Besonders interessant aber sind die vertagsbuchhändlerischen Beziehungen des Barmer Buchhändlers zu Freiligrath, der »von Amsterdam aus als Kontorist nach Barmen in das von Eynernschc Geschäft gekommen war und dort zwischen Journal und Haupt buch manches Gedicht niederschrieb«. Natürlich war er mit dem poetischen Buchhändler bald bekannt geworden. Und nun erzählt der Enkel: »Ende der dreißiger Jahre er schien ein zchnbändiges, mit Stahlstichen geschmücktes Werk -Das malerische »nd romantische Deutschland'. Der Großvater traute seinen Augen nicht, als er sah, daß Westfalen darin fehlte, wahr scheinlich weil man es weder für malerisch noch für romantisch genug gehalten hatte. Sofort beschloß er, zur Ehrenrettung der 418 geliebten Heimat in gleicher Ausstattung ein Buch .Das malerische und romantische Westfalen' erscheinen zu lassen und wandte sied an seinen Freund Freiligrath, ob dieser den Text schreiben wolle. Freiligrath, der jene Schmach lebhaft empfand, war da mals schon ein berühmter Dichter, wenn auch die Zeit noch nicht gekommen war, die ihn zum demokratischen Tyrtäus seines Volkes machen sollte. Chamisso und Schwab hatten den Dichter des ,Löwenrittes' eingeführt, der nun mit Vergnügen sah, wie .sein Licht sich durch den Scheffel brannte'. Ader mochte er auch scherzen, daß der Pegasus dasjenige Roß sei, das am wenigste» abwerfe, so litt er in Wahrheit doch schmerzlich genug unter der Notwendigkeit, den verhaßten Kontorschemel weiter reiten zu müssen. Er sah daher in dem Anerbieten des Großvaters die ersehnte Tür zur Freiheit und ging freudig darauf ein. Und wenn der Verleger ihm auch keine Reise zu den Wunder» des Orients ermöglichen konnte, von denen der Dichter Tag und Nacht träumte, so trat Freiligrath doch mit frohem Herzen und reichlichem Vorschuß, den guten Weißdorn in der Hand, Ende Mai 1839 seine monatclange Wanderung durch das Land der roten Erde an, dessen malerische und romantische Reize er ver herrlichen sollte. Ein junger und sehr melancholisch drein schauender Maler aus Düsseldorf, Schlickum, von Freiligrath .Schlickus Pictor' genannt, ward ihm beigegeben. Der Maler war fleißig, aber der Dichter, seines Ruhmes und der ge wonnenen Freiheit froh, widerstand der Versuchung nicht, sich Len ihm überall entgegengebrachten Ehrungen mit Behagen hin zugeben. Denn natürlich wetteiferten die Honoratioren der westfälischen Städte und Städtchen, einem so berühmten Wanderer alle Gunst zu erweisen, wobei der offen und gutmütig aussehende, wohlgenährte junge Mann sich den Männern durch eine erstaun liche Trunkfestigkeit empfahl, während die Frauen und Mädchen die feurigen Augen des Lockenkopfes anschwärmten.« Der humorvolle Erzähler berichtet nun, wie bei allerlei zarten Abenteuern im malerischen und romantischen Westfalen die Arbeit an dem Buche nicht gefördert wurde. »Immerhin konnte der Großvater zu Beginn des Winters die erste Lieferung des Werkes erscheinen lassen. Leider aber war mehr von Freilig rath nicht zu erhalten, den die Unruhe des Herzens und des Lebens nicht dazu kommen ließ, seine Eindrücke und Notizen zu verarbeiten. Von Woche zu Woche, von Monat zu Monat ward der Verleger, der Vorschuß auf Vorschuß gezahlt hatte, hinge halten und vertröstet. Endlich, im Spätsommer des folgenden Jahres, zog Freiligrath sich mit seinem Hunde .Strolch' nach Unkel am Siebengebirge zurück; hier in der Stille und Einsam keit wollte er die Arbeit vollenden.« Aber die Besteller des Werkes waren längst unruhig ge worden ; sie wollten das Geld für die erste Lieferung zurllckhaben. Alles Bitten, Drängen, Drohen des verzweifelten Verlegers half nichts, und schließlich machte sich dieser selbst auf den Weg, um wenigstens das Manuskript einer Lieferung zu holen. »In Unkel«, so erzählt der Enkel, »begrüßten ihn vor Freilig- raths Zimmertür ganze Batterien geleerter Weinflaschen und ein fröhlicher Lärm. Eingetreten, sah er sich von der heitersten Ge sellschaft empfangen: der Dichter, ein paar literarische Freunde und Verehrer, Studenten aus dem nahen Bonn hießen ihn will kommen, und sogar Strolch, der Hund, schien über seinen Besuch erfreut. Man überschüttete ihn mit Liebenswürdigkeit, beglück wünschte ihn zu solchem Autor und diesen zu solchem Verleger, jubelnd nahm man ihn in die Mitte, und fort ging's auf die Rheinterrasse des Gasthauses, wo ihm sein Lieblingstrank, eine Pfirsichbowle, angesetzt werden sollt«. Auch dort ließ man ihn kaum zu Worte kommen: die paar goldenen Stunden sollten der Freude gehören, das Manuskript für die zweite Lieferung läge bereit, es müßte nur noch einmal llberlesen werden, würde dann morgen oder übermorgen abgeschickt werden, und auch die Wetter führung der Arbeit wäre jetzt gesichert. Reden auf die Frauen, die Poesie, den Dichter und den Verleger, den Rhein und den Wein begeisterten zum Trinken; Freiligrath trug seine neuen Gedichte vor, heitere und melancholische Lieder wurden gesungen, — und ehe er's dachte, kam die .Prinzessin Marianne' im schönen Bogen herangeschwommen, die der Großvater bis Köln zur Heimreise