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Vie Votsckaft cies I^anrlers. " Von unserem O-Mitarbeiter wird uns geschrieben: Eine neue Note in dem Konzert, das in der Regierung Cuno langsam für das deutsche Volk angestimmt war. Der Reichsernährungsminister Dr. Luther setzte sich hin, als er einen überblick über unsere Ernährungsfrage ge wonnen und die Notwendigkeit erkannt hatte, mit dem Brotgetreide fehr bald wieder tüchtig in die Höhe zu gehen, und schrieb einen Artikel, den er allen irgendwie nur er reichbaren Pressevertretern zustellen ließ. Er kam sich nicht zu gut vor für die Rolle eines „Zeitungsschreibers", da es sich um eine Frage handelte, von deren richtiger Auffassung und Würdigung der innere Friede im Lande, wie er sehr wohl weiß, zu einem starken Teile abhängen muß. So sicherte er sich für das, was er in den engeren Kreisen der Sachverständigen, der Interessenten, ddr Beiräte dieser oder jener Herkunft vielleicht schon bis zur Ermüdung ge predigt hatte, die größte Resonanz in Stadt und Land, in Hütten und Palästen, in Fabriken und Werkstätten, und man empfängt auf di sse Weise den Eindruck eines Mannes, der mit lebendiger Anteilnahme dem Denken und Fühlen der Massen zu folgen versteht und in frischer Initiative zu packt, wo er nur Gelegenheit findet, um auf dieses Denken und Fühlen zum Besten des Volksganzen Einfluß zu ge winnen. Nun ist vor wenigen Tagen der Reichskanzler diesem Beispiel nachgefolgt. Mit Reden hat er sich bisher im Reichstag, im Verein Berliner Presse und im Reichs wirtschaftsrate vernehmen lassen. Ein ruhiger, fachlicher, verständig sprechender Staatsmann, der es sich zutraut, das Beste, das er ehrlich will, mit den bewährten Methoden eines weitblickenden Geschäftsmannes in Angriff zu neh men und auch Widerstrebenden durch zielsichere Beharrlich keit aufzunötigen. Nun hat auch er zur Feder gegriffen und in einer kleinen, der ganzen Presse durch das offiziöse Telegraphenbureau zugänglich gemachten Weihnachtsbe- betrachtung eine neue Probe seiner Art, die Dinge anzu sehen und zu beurteilen, gegeben, von der man nur sagen kann, daß sie alle in ihrer schlichten Einfachheit wahrhaft angenehm berühren muß. Nichts überwältigendes, durch aus nicht; keine Blender, keine Zünder. Nur ein paar aufrichtig empfundene Worte eines deut schen Mannes, der eine schwere Zentnerlast auf feine Schultern genommen hat, und bei seinen Landsleuten da für werben möchte, daß sie ihm Helsen, sie zu tragen. Denn für sie, für sein Volk, ist er in die Bresche gesprungen, will er versuchen, ob wir unser Schicksal noch in letzter Stunde zum Besseren wenden können. Dazu braucht er die verständnisvolle Mitwirkung aller deutschen Brüder und Schwestern, und so mag der Wunsch in ihm entstanden sein, an diesen stillen Weihnachtstagen Eingang in ihre Herzen zu finden, auf daß sie sich ge schlossen hinter ihm zusammenscharen zu gemeinsamem Schutz und Trutz, zu einmütiger Verteidigung dessen, was uns der Zusammenbruch der letzten Jahre noch an ideellen und materiellen Gütern zurückgelassen hat. * Zus clem Aufruf vr. Lunos. geben wir folgende Hauptstellen im Wortlaut wieder: „Wenn ich denen, die mich um einige Zeilen zu Weih nachten ersucht haben, wie anderen, die mich zu hören bereit sind, ein Wort zum Fest sagen soll, so kann cs kein anderes sein, als ein Wort vom Frieden und zum Frieden der Men schen und Völker. Es gibt kaum ein Volk der Erde, das tiefere Sehnsucht nach Frieden hat, als das deutsche Volk. In mitten einer qualvollen Unsicherheit der Wirt schaft, die Millionen dem Schicksal der Ungewißheit preis gibt, will es sich mit den äußersten Notwendigkeiten des Lebens abfinden; nur Frieden will es und Gerechtigkeit. DaS gilt nach innen wie nach außen. Kein Zweifel darüber, daß diese Gerechtigkeit im inneren Wirtschaftsleben eines Volkes schwerer nach erzwingbaren Regeln zu sichern ist, als irgend wo sonst. Um so notwendiger ist es, daß ein anderes einsetzt, was stärker ist: die tätige LiebevonMensch zu Mensch, von jedem einzelnen zum Nächsten und Fernsten, die an Kin dern und Greisen, an Notleidenden und Verzweifelnden, so viel tun kann, und zu der Weihnachten uns mahnt. Nie mehr als jetzt ist solche unpolitische, rein menschliche Pslichtbettachtung zugleich der stärkste politische Dienst an der Nation und ihrer Einheit. National sein heißt vor allem, Liebe zum Volke haben und an seiner Versöhnung arbeiten, heißt, unnützen Streit begraben oder vertagen, heißt, das gute Alte verehren, andie Zukunft glauben, dw Gegenwart tragen und nützen. Kann, ja muß nicht in solcher Auffassung nationaler Pflichten, Nachspiel. Skizze von Hana Zunk- Friedenau. (Nachdruck verboten.) Der Schwurgerichtssaal war bis auf den letzten Platz besetzt. Heute soll der „Fall Petermann" zu Ende geführt werden, diese Kriminalaffäre, welche durch ihre Undurch dringlichkeit der Polizei und der Justiz der Hauptstadt viel Kopfzerbrechen verursacht hatte. Bis endlich die 5000 Mark Belohnung und der Zufall drd Täter erwischen ließen. Hinter den Schranken sah man sie, den schlanken, vornehmen Gentleman und die zarte Blondine, seine Schwester. Eine sympathische Erscheinung. Das reiche Haar, in der Farbe des reifen Weizens, umschlang nach Defregger-Art ganz der Mode entgegen, in dicken Zöpfen das zierliche Köpfchen. Lichte Löckchen kräuselten sich über der weißen Stirn, unter der tiefblaue Augen wie verträumt in die Ferne zu blicken schienen. Ein schmales, leicht ge bogenes Näschen über glutroten Lippen. Der Teint zart und rosig; die Untersuchungshaft hatte seiner Frische noch nichts genommen. Und dieses Mädchen entlarvte man als eine abge feimte Hoteldiebin, die auch vor dem Mord durch Be täuben mit Äther nicht zurückgeschreckt war. Ihr ganzes damenhaftes Äußere, das einfache Ge wand mit dem steifen Halskragen und den weißen Man schetten ließen eher eine Zugehörige der gebildeten Welt vermuten als eine Verbrecherin. Sie schien ganz jung; nur die dünnen Striche in den Augenwinkeln und die feine Linie von der Nasenwurzel zum Munde verrieten die Jahre. Beide Menschen stammten aus gutem Bürgerhause, aber früh vaterlos geworden, beschnitt eine allzu nach sichtige Mutterhand nicht zeitig genug die Auswüchse der Eitelkeit und Genußsucht. „Angeklagte," fragte der Richter das Mädchen, „waren Sie vor 6 Jahren in Wiesbaden?" „Ja." — Es klang zögernd. „Haben Sie zu den Diebstählen im Kurhause, hei denen die Gäste nachts von einer Person in schwarzen sich gerade fetzt das deutsche Volk zusammenfinden, wo schwere und schwerste Entscheidungen bevorstehen, die der Welt wirk lichen Frieden bringen oder versagen werden? Damit wird zu gleich die Entscheidung darüber fallen, ob die Wirtschaftskraft Deutschlands vor dem Zusammenbruch gerettet, für uns und für die Welt nutzbar gemacht, oder ob sie neuerlich zum Schaden des deutschen Schuldners wie seiner Gläubiger durch einen politischen Tendenzen dienenden Zwang geknebelt werden soll, der d egen den Vertrag von Versailles verstößt und den hinzunehmcn keine vom Volkswillen getragene Regierung bereit sein kann. Was immer in unseren Kräften steht, um der Welt schwerstes Unheil zu ersparen und den Weltfrieden zu verwirklichen, soll geschehen. Wir sind entschlossen, schwere Opfer an Gut und Geld auf uns zu nehmen, um der Freiheit deutschen Blutes und um der Gleichberechtigung und der fried lichen Arbeit mit anderen Völkern willen." Also Opfer sollen wir bringen bis zur äußersten Grenze der Wirtschaft und der Wahrhaftigkeit. Man sieht, der Mann, der aus der Mitrs-Haft kommt, denkt nicht daran, sich auf die Wirtschaft zu beschränken, er weiß, daß Brot allein nicht satt macht, ebensowenig wie Mangel an Brot allein uns hungrig macht. Er, der das Wort ge sprochen von dem Kriege, den wir verloren, aber nicht verschuldet haben, er kennt sehr genau die seelischen Regungen des Volkes, er weiß, daß es hungert nach Recht und Gerechtigkei und daß er es nur sich ge winnen kann, wenn er die Grenzen nicht überschreitet, die wir unserer Selbstachtung, unserer Würde, unserer natio nalen Ehre schuldig sind. Der Kanzler zeigt sich geneigt, an materiellen Opfern das Schwerste auf sich zu nehmen, was uns noch zugemutet werden kann. Aber die Freiheit deutschen Blutes will er nicht weiter antasten lassen und drückt dies besonders in einer Wendung in den Schluß zeilen des Aufrufes aus, wo er des Landes am Rhein gedenkt. Man fühlt es zwischen seinen Zellen heraus, daß für ihn hier der Punkt gegeben ist, wo alles Feilschen und Handeln ein Ende hat. Um dieser Gesinnung willen ver dient er die Unterstützung, die er braucht, und er wird sie finden, sofern nur die Überzeugung sich festigt, daß er auch der Mann ist, an seinen Worten unverbrüchlich festzuhalten. Die F ü hrung ist es, auf die jetzt alles ankommt. Zeigt sie sich ihrer geschichtlichen Aufgabe gewachsen, dann wird auch das deutsche Volk, an das dieser Weihnachtsgruß ge richtet ist, hinter seinen Zielen nicht zurüSbleiben. Vie gesickerte VrotvsrlorMNg. Keine Streckung durch Kartoffeln. Der Reichsernährungsministsr Dr. Luther empfing bei seinem Weihnachtsbesuch inEfse n die Vertreter der Zechen und bestätigte seine Erklärung, daß bei Anspannung aller Kräfte und selbstverständlich einschließlich der vorgesehenen und zum erheblichen Teil bereits bewirkten Auslandsein fuhr die Brotversorgung für den Winter gesichert sei. Streckung durch Kartoffeln komme, wenn überhaupt, nur in geringem Umfang in Frage. Als ernsteste Ange legenheit dieses Winters bezeichnete er die Milchversorgung und wies auf die Notwendigkeit von Erleichterungen zu gunsten unseres Nachwuchses, besonders in den kinder reichen Familien, hin. Der Minister bat, alles zu tun, damit die Bevölkerung die wirtschaftlichen Zusammenhänge richtig erkenne, und be tonte, daß die Frage unserer Ernährung, besonders auch in der Zukunft, so ernst sei, daß sie ans jeder Parteipolitik ausgelöst und rein sachlich behandelt werden müsse. politische Aunäseksu. oeutkcklsnL Sofortige Bezahlung des Umlagegetreides. Der Preis für das dritte Sechstel der Getreideumlage ist bekanntlich festgesetzt worden für Roggen auf 165 000 Mark, für Weizen auf 180 000 Mark, für Gerste auf 150 000 Mark und für Hafer auf 140 000 Mark je Tonne. Um den Landwirten schleunigst zu dem von ihnen dringend be nötigten Geld zu verhelfen, ist die Neichsgetreidestelle an gewiesen Worden, den Kommunalverbänden für das von ihnen auf -das dritte Sechstel bereits abgelieferte Getreide, das bisher nur auf der Grundlage des Preises für das erste Umlagedrittel abgerechnet werden konnte, sofort den Unterschiedsbetrag zwischen den neuen Preisen und den für das erste Drittel in bar auszuzahlen. Die Neichsgetrerde- stelle hat die Zahlungen für einen großen Teil bereits ge leistet und wird es für den Nest in den nächsten Tagen tun. Sammelmappe für bemerkenswerte Tages« und Zeitereignisse. * Die Beratungen über die deutschen Vorschläge in der Re- parationssrage sind von einigen Ministern und Sachverständi gen auch während der Weihnachtsfeiertage fortgesetzt worden und werden voraussichtlich Ende des Monats abgeschlossen sein. * In Essen erklärte Reichsernährungsminister Dr. Luther, daß die Brotoersorgung für diesen Winter wahrscheinlich ohne Streckung mit Kartoffeln gesichert sei. * Der Reichsrat lehnte den vom Ausschuß angenommenen Anttag auf Erhöhung der Zulagen in der Unfallversicherung ohne Prüfung der Bedürftigkeit ab. * Eine deutsche Fluggesellschaft richtet einen Flugzeugdienst zwischen Havana und Santiago de Cuba ein. * Der Papst hat eine politisch bedeutsarüc Enzyklika erlassen, in der er die Völler Europas zum wahren Frieden aufruft. Die deutschen Sachlieferungen. Die Neparationskommission beschäftigte sich mit der Sachlieserungsfrage. Auf Grund des Moratoriums vom 21. März hatte Deutschland im Laufe des Jahres 1922 für 950 Millionen Goldmark Sachlieferungen an Frankreich und für 500 Millionen an andere Staaten zu liefern. Frankreich hat nicht entfernt seinen Anteil in Anspruch ge nommen, anders die übrigen Beteiligten. Die Nepara tionskommission untersuchte, ob durch die Sachlieferungen an andere Staaten als Frankreich der genannte Betrag von 500 Millionen gedeckt ist. Wenn nicht, soll die Ver wendung des ausstehenden Restbetrages festgesetzt werden. Verhaftung eines rheinischen Sonderbündlers. Der Führer der sonderbündlerisechn republikanischen Volksgemeinschaft, Kaffine, wurde in Ems von den Ameri kanern verhaftet, weil er in Kadenbach eine öffentliche Ver sammlung abgehalten hatte, die bei der französischen an statt bei der amerikanischen Besatzungsbehörde angemeldet war, obwohl Kadenbach zu der amerikanischen Besatzungs- zone gehört. fnankreick. Ein Ministerium Clemenceau? Da Clemenceau noch immer auf dem Posten ist, fo behauptet man, daß er mit der festen Absicht nach Frankreich zurückgekehlt sei, in das politische Leben zurückzukehren. Er habe die Sicher heit, daß der Präsident der Republik Millerand seinen Wünschen entgegenkommen würde, da Millerand selbst mehrfach erklärt habe, daß nachPoincarö einzig und allein ein Mann vom Schlage Clemenceaus an der Spitze der Re gierung möglich sei. Man rechnet in Kreisen, die Clemen ceau nahestehen, stark damit, daß Clemenceau alle An strengungen machen wird, um der Nachfolger Poincarvs zu werden. Auch die französische Presse beschäftigt sich bereits mit diesem Gedanken. Bekämpfung der Zwangsmaßnahmen gegen Deutsch land. Der kommunistische Abgeordnete Marcel Cachin teilt mit, daß seine Partei einen Aktionsausschuß eingesetzt hat, um gegen die Zwangsmaßnahmen, die gegen Deutschland ergriffen werden könnten, Widerstand zu leisten, namentlich aber, um sich gegen eine Besetzung des Ruhrgebiets zu wenden. * Berlin. Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Hantel von Haimhausen ist zum Vertreter der RelchS- regierung in München ernannt worden. Berlin. Der Abteilungsleiter im Auswärtigen Amt, Wirk licher Legationsrat Rümelin, ist zum Gesandten in Sofia ernannt worden. Berlin. Der bisherige italienische Botschafter Alfredo Frassati bat Berlin verlassen. Sein Nachfolger Graf Bos - dart trifft in diesen Tagen ein. Berlin. Wie verlautet, hat die Botschafterkonferenz den litauischen Staat äs fürs anerkannt. Dieser Schritt der Botschasterkonferenz erfolgte erst so spät, weil Polen mit größter Energie gegen die Anerkennung Litauens als selb ständiger Staat gearbeitet habe. Frankfurt a. M. Der Magistrat beschloß, aus Anlaß des 75. Jahrestages der deutschen Nationalversammlung in der Paulskirche eine Gedenkfeier zu veranstalten. Die Feier soll im März stattfinden. Ahen. Der ehemalige Gesandte in Konstantinopel, Kanello- pulos, ist zum Gesandten in Berlin ernannt worden. Trikots und gleicher Maske beraubt wurden in Beziehung gestanden?" Frieda Petermann schickte ihre Blicke durch den Saal. Da, plötzlich stutzte sie. In der ersten Reihe des Zuschauer raumes senkten sich dunkle Frauenaugen in die ihren. Fra gend, angstvoll. Aus Zügen, die durch die schwarze Trauer kleidung der Trägerin fast geisterhaft wirkten. Nur eine Sekunde. Dann schatteten die langen Wimpern wieder den Blick der älteren Dame. Der Richter wiederholte seine Frage. „Nein, ich weilte kurze Zeit zur Erholung dort." „Wer war der Herr, in dessen Begleitung Sie öfter gesehen wurden? Ihr Bruder lebte damals in Berlin!" „Ich kann mich an einzelne Personen nicht mehr er innern, mein Verkehr war ein ausgedehnter, in engeren Beziehungen stand ich zu niemand." Die Beweisaufnahme war geschlossen. Staatsanwalt und Verteidiger hatten ihre Plädoyers beendet, nun zogen sich die Geschworenen zur Beratung zurück. Als Frieda Petermann die erste Reihe im Zuschauerraum mit den Augen streifte, war der Platz der Dame leer. Draußen auf dem Korridor mühte sich eine Gestalt in Trauerklei dung, festen Schrittes den Ausgang zu gewinnen. Zwei Stunden später wurde das Urteil über die Ver brecher gesprochen. Der Mann bekam lebenslängliches Zuchthaus, die Frau 20 Jahre schweren Kerker. Keiner von beiden erhob Einspruch. Eines der Autos, die draußen täglich vor d'er großen Freitreppe des Gerichtes halten, brachte Frau Elli Stein rück nach ihrer Wohnung im stillen Westen. Oben, am Fenster der ersten Etage, lehnte ein junges Mädchen, das sofort, als der Wagen vor dem Hause bremste, die Treppe hinunterlief. „Aber Mama, wie siehst du aus! Mein Gott, wird denn das ewige Gelaufe zu den Prozessen nicht einmal auf hören? Wenn ich nur wüßte, was dich nach Papas Tode immer dorthin treibt!" „Kind, Kind, laß mich jetzt! Ich muß Ruhe haben! Diesmal war es das letztemal, ich verspreche es dir!" Oben betteten die sorglichen Hände Lisbets die Stief mutter auf die Chaiselongue. Dann stellte sie der Er schöpften ein Glas Wein auf das Tischchen, nötigte sie zum Trinken und ließ die Rolljalousien am Fenster nieder. „So, nun schläft die böse Mama! Nachher fahren wir etwas in die frische Luft, und von morgen geht ein ge regeltes Leben an!" „Du liebes, gutes Kind, du! Nicht mein eigenes Töchterchen könnte besorgter um mich sein!" Zärtlich küßte die ältere Frau, die jetzt in dem lichten Schlafrock nicht mehr so entsetzlich bleich anssah wie in der Trauerkleidung im Gerichtssaal, das junge Mädchen. Am nächsten Tage bat sie Lisbet zu sich ins Schlaf zimmer. „Sieh, Liesel, du hast dir durch deine Liebe um mich ein Recht auf mein Vertrauen erworben! Ich will dir die Geschichte meiner Ehe mit deinem Vater erzählen. Einer Ehe, die mich so glücklich, so unendlich glücklich ge macht hat, bis — doch das kommt später. Als deine ver storbene Mama Papa allein gelassen hatte, zog er sich von allem Verkehr zurück. In unser Haus führte ihn ein Halsleiden, von dem ihn mein Vater kurierte. Ich war schon ein Mädchen in Jahren, aber sein Herz wählte mich. Ich kannte nichts Höheres, als ihn wieder zu einem heite ren, frohen Mann zu machen. „Du bist mein Sonnen strahl", sagte er manchmal zu mir, „es tut mir leid, wenn eine Geschäftsreise uns trennt." — Das kam selten vor. Bis wir in Wiesbaden vor sechs Jahren, — du lebtest noch in der Pension — oben in der griechischen Kapelle ein junges, schönes Mädchen kennen lernten. Frieda Petermann." „Dieselbe, gegen die heute das Gericht verhandelte?" „Dieselbe, mein Kind; darum ging ich hin. Sie hatte im Knrhause ein elegantes Zimmer mit Bal kon gemietet. Mich quälte mein altes Nervenleiden jetzt von neuem, sie saß an meiner Chaiselongue und pflegte mich, bis ich sie ins Freie schickte, deinen Vater bat, sie zu begleiten." „Mutti, hör' heute auf; du erregst dich zu sehr," bat Lisbet.