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Ottendorfer Zeitung : 15.09.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-09-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-192209154
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19220915
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19220915
- Sammlungen
- LDP: Bestände der Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-09
- Tag 1922-09-15
-
Monat
1922-09
-
Jahr
1922
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 15.09.1922
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6olä statt Papier. über das Problem der Überführung der deut schen Papierwährung in eine neue Goldwährung, welches dieser Tage den volkswirtschaftlichen AuA schütz des Reichstages eingehend beschäftigte, wird uns von einem volkswirtschaftlichen Mitarbeiter geschrieben: Es erscheint heute auf den ersten Blick fast grotesk, von einer deutschen Goldvaluta zu sprechen, denn noch nie war bei uns der Wert des Geldes so gering und so schwankend, nie war die Anhäufung von Papiergeld notwendiger als jetzt, wo bedruckte Papierzettel das einzige Mittel sind, um gegen die Preisslitt anzukämpfen und die Massen nicht hungernder Verzweiflung anheimfallen zu lassen. Es muß gedruckt werden, weil die äußere Entwertung der Mark diesmal das innere Preisniveau im höchsten Maße nach sich gezogen hat und auch nicht daran zu denken ist, daß die mangelnde Kaufkraft im Lande die Preissteigerungen, die sich täglich, ja stündlich höher schrauben, eindämmen könnte. Rechnen wir mit rund 250 Milliarden Papiermark, die im Umlauf sind, so ergibt sich bei einem Kurswert um 1500 Mark für den Dollar nur 0,7 Milliarden Goldmark wert, selbst bei einem Kursstand von 1000 kaum eine Milliarde, gedeckt, abgesehen von allem anderen, durch eine reale Goldmarkmilliarde bei der Reichsbank. Das ist ein Beweis für die vollkommene Grundlosigkeit und Un sinnigkeit der Markentwertung und gegen die Fabel, daß Deutschland sein Valutaunglück selbst verschuldet habe. So einfach liegt aber die Sache doch nicht, daß wir nur auf Grund von einer Milliarde Golddeckung drei Milliarden Goldnoten ausgeben könnten, die bisherigen Massenauf lagen einziehen und frühere Zustände wiederherstellen könnten. Wohl wäre vielleicht eine Stabilisierung der Mark zu erwarten, sobald sie in einem festen Verhältnis in Goldmark eingewechselt werden kann. Aber es ist durchaus ungewiß, welches Schicksal die neue Goldmark nehmen würde, wenn nach Umtausch der papiernen Zahlungsmittel, der rund eine halbe Milliarde in Anspruch nehmen würde» der Einsatz an Werten sich nicht als stark genug erweist, um die Wirtschaft, die heute in einer undurchdringlichen Mischung von Gold- (oder Sach-) und Papierwert vege tiert, auszufüllen. Es kommt hinzu, daß das Reich nicht frei über die Goldmilliarde verfügen kann und daß die un sinnigen Reparationen die ganze Aktion von Anfang an so schwer belasten würden, daß der Goldkurs der nach dem ge setzlichen Prozentsatz tatsächlich gedeckten drei Milliarden nur so lange zu hatten wäre, als nicht alle Noten in Um lauf sind. Ohne Fundierung der äußeren Schuld wäre mithin keinerlei Goldvaluta auf die Dauer zu halten. Die größeren Schwierigkeiten und Widerstände liegen jedoch in der inneren deutschen Wirtschaft, denn es ist klar, daß mit einer halben Goldmilliarde die Werte nicht aus gefüllt sind, die sich heute im Notenumlauf repräsentieren. Aber dieser niedrige Wert des gesamten Geldumlaufs, selbst wenn man dazu noch das im bargeldlosen Verkehr befindliche mobile Kapital hinzurechnet, bedeutet die ernsteste Gefahr für die Aufrechterhaltung der Produktion, denn unsere deutsche Wirtschaft hatte einen natürlichen Zirkulationsbedarf von sechs Milliarden Goldmark, der durch die Abtretung namhafter Gebiete wohl etwas ein geschränkt ist, aber auch im jetzigen Bereiche des Deutschen Reiches noch immer etwa 5 Milliarden ^Goldmark beträgt, und bei geringerem Geldumlauf mutz sich naturgemätz die Produktionskraft verringern. Das ist geschehen, wir haben gegenwärtig in Deutschland einen Tiefstand der Produk tion erreicht, daß die Stillegung zahlreicher Betriebe be reits eingetreten ist und ganz allgemein droht, da eine nennenswerte Rentabilität nirgends mehr besteht. So geht es nicht weiter. Entweder muß die Noten presse unzählige neue Papiermilliardrn herausschleudern, damit wenigstens die Menge des Geldersatzes den Zah- lungsbedarf auffüllt, oder (und das ist das wirksamere Mitte!) eine neue Währung muß die zusammengebrochene ablösen. Dadurch, daß die bestehende Währung zu einem höheren Kurse eingelöst wird, der durch die bedeutenden allen Werte gerechtfertigt wird, die noch in unserem Papiergelde stecken, kann langsam der Wirtschaft frisches Blut zugeführt werden, wodurch die Produktion gekräftigt würde. Auch der Flucht vor der Mark in Sachwerte oder Devisen wäre durch eine deutsche Goldvaluta ein Niegel Vorgeschoben. Wenn ferner auch die ausländischen Mark- bcstände zurückfluten würden, wäre das eine durchaus ge sunde Ablösung einer Schuld von ungewisser Höhe durch eine fcstbegrenzte Schuld. Die Frage ist die, ob man mit der Schaffung der Goldvaluta warten muß, bis unser« Neparationsschuld revidiert und herabgesetzt ist und bis ein kangfrkstigeS Moratorium zustandegekommen ist. Deutschland könnte vielleicht gezwungen sein, von der neuen Währung sofort größere Reparationsbeträge abzu führen, wodurch die Stärkung der eigenen Produktion ge mindert würde. Einem Devisenankauf mit der neuen Goldvaluta steht die Erfahrung entgegen, daß dadurch ein ungeheurer Druck auf dm Kurs des Geldes ausgeübt würde und die Entente nur eine neue schwerere Zahlungs unfähigkeit Deutschlands zwangsläufig, herbeiführen würde. Wenn indessen maßvolle Beträge in deutscher Goldvaluta gezahlt würden, wäre der Zustand noch immer für die gesamte Volks- und Staatswirtschaft erträglicher als irgend eine Belastung mit produktiven oder unproduk tiven Pfändern, und diese sind für ein langfristiges Mora torium ganz und gar unvermeidbar. Die Auffüllung der deutschen Produktivkraft ist — will man den Zusammenbruch vermeiden — unbedingt notwen dig, sie ist möglich bei Schaffung einer neuen Goldvaluta. Eine Erhöhung der Produktion würde nicht nur zur Stär kung des deutschen Kredits führen, sondern würde auch eine beachtliche Erhöhung der politischen Weltgeltung Deutschlands bedingen. Es ist deshalb eine ernste Pflicht der Neichsregierung, diesem Problem unverzüglich näher- zutretcn. * Die tägliche Papiergeldproduktion. Auf eine Anfrage wegen der Zahlungsmittelnot hat die preußische Finanzverwaltung mitgeteilt, daß in den letzten zehn Tagen für 23 Milliarden Zahlungsmittel ge druckt und in Umlauf gesetzt worden sind; das sind insge samt 10 Prozent des gesamten Notenumlaufs Deutsch lands. Die Tagesleistung der Reichsdruckerei ist setzt auf 2,6 Milliarden Papiermark gestiegen; sie wird noch im Laufe des Monats September auf nahezu 4 Mil liarden Papiermark täglich gesteigert werden, wodurch man dann die Zahlungsmittelnot endgültig zu beheben hofft. Der unvermeidliche Notendruck. „Manchester Guardian" schreibt in einem Leitartikel, wenn man erkläre, daß Deutschland seine AusgabevonPapier- geld steigere, um die Alliierten zu b e t r ü g e n, so sei es das selbe, als wenn man sage, daß ein Verhungernder einen Laib Brot wegnehme, um den Bäcker zu ärgern. Das Blatt fragt, wenn infolge einer neuen alliierten Konferenz der Wert der deutschen Währung sich wieder um die Hälfte vermindere, ob sich dann immer noch Leute finden würden, die den Karren vor das Pferd spannen, indem sie erklären, Deutschland drucke Noten, um die Alliierten zu ärgern und sich seinen Verpflich tungen zu entziehen. Vie äeutlck-belqilcken Verhandlungen. Vorbereitungenfürdie „große" Konferenz. Die Verhandlungen mit den belgischen Dele gier t e n in Berlin sind in Form zwangloser Besprechun gen fortgesetzt worden. Es wurde von feiten der Belgier ein bemerkenswerter Optimismus an den Tag ge legt, während die deutsche Negierung in größerer Zurück haltung vor allem betont, daß in der Garantiefrage die Inanspruchnahme des Goldes der Reichsbank nicht in Betracht kommen könne. Bemelmans erklärte einem Pressevertreter: „Die deutsche Regierung geht von dem gleichen Stand punkt aus wie wir, nämlich davon, das? die praktische Lösung der Entscheidung der Reparationskommission die große Konferenz, die in Brüssel vor Ende des nächsten Jahres stattfinden soll, vorbereiten under- mö glichen soll. Ich habe die Überzeugung, daß die deutsche Regierung uns ernsthafte und genügende Sicher heiten bieten kann, die uns davon entbinden werden, die Goldreserve der Reichsbank in Anspruch zu nehmen, ein Mittel, zu dem wir nur in der äußersten Notwendigkeit unsere Zuflucht nehmen würden." über diese kommende Beratung verlautet nach eng lischen Blättern, daß eine interalliierte Konferenz über die gesamte Frage der Reparationen und interalliierten Schul den zu einem Zeitpunkt vor dem 1. November ver einbart werden wird. * Frankreich und der Stinnrsvertrag. Das Materiallieferungs-Abkommen zwischen Stinnes und Lubersac findet in Paris eine sehr günstige Beurteilung. To erklärte der Minister für die befreiten Gebiete, Reibel, zu diesem Abkommen könne er sich nur beglückwünschen. Es sei ganz sicher, daß, wenn Stinnes und die deutsche Groß industrie zu begreifen anfangen, daß es ebenso ihr Interesse Wie das ihres Landes ist, endlich aus der Lage herauSzukom- Sammelmappe für bemerkenswerte Tages- und Zeitereignisse. * Reichswirtschaftsminister Schmidt hielt im Volkswirtschafts ausschutz des Reichstages eine eingehende Rede über die wirt schaftliche Notlage, insbesondere über die der Presse. * Die neue interalliierte Konferenz über das Reparations problem soll noch vor dem November stattfinden. * Auf der Völkerbundsversammlung in Genf hielt Lord Cecil eine bedeutende Rede über die gesamtpolitische Lage und über die Aufgaben des Völkerbundes. * Der französische Ministerrat beschloß die Abschaffung des Achtstundentages für die staatliche Handelsflotte und die Eisen bahner. * Bei Smyrna steht eine Entscheidungsschlacht zwischen den Griechen und den Türken bevor. König Konstantin hat angeb lich Athen verlassen, wo Unruhen ausgebrochen sind. * Die griechische Südarmee wurde von den Türken gefangen- genommen. Der türkische Heeresbericht meldet die Gefangen nahme des griechischen Oberbefehlshabers Trikupis. men, welche die Nichtbezahlung der Reparationen schafft, dann daraus nur eine En tspannung zwischen beiden Ländern sich ergeben wird, die für Frankreich wie für Deutschland nützlich ist. Politische KurEckau. veutlÄürnä. Der Reichspräsident in Flensburg. Bei einem Besuch der Stadt Flensburg sagte Reichs präsident Ebert in einer Rede u. a.: „Es sind nicht die Güter des wirtschaftlichen Lebens allein, die durch den Versailler Vertrag in Not gekommen sind; auch deutschem Volkstum und deutscher Kultur sind in der Rordmark schwere Wunden geschlagen. Deutsche Volksgenossen sind Wider ihren Willen und trotz ihrer Proteste von uns ab getrennt worden, und auch jetzt noch wird in den deutsch verbliebenen Teil Schleswigs immer wieder politische Be unruhigung hineingetragen. Wir wollen es als unsere gemeinsame Aufgabe ansehen, mit den geistigen Waffen einer zielbewußten kulturellen Deutsch- tumspflege allen Versuchungen und Verlockungen ent gegenzutreten. Die besten Grundlagen unserer Hoffnung auf wirtschaftlichen und geistigen Wiederaufbau find die großen Mächte der Heimatstreue und der Vater landsliebe." Die Abgeltung der Schäden in Oberschlesten. In einer Verfügung des preußischen Ministers des Innern wird um beschleunigte Behandlung der Anträge geschädigter Oberschlesier ersucht. Die vor dem 10. Fe bruar 1920 durch innere Unruhen entstandenen Schäden werden als Tumultschäden zu behandeln sein. So weit Vorprüfungsstellen der vereinigten Verbände heimattreuer Oberschlesier noch nicht errichtet sind, erfolgt die Anmel dung für solche Geschädigten, die ihren Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt in Ober- oder Niederschlesten haben, bei den Vereinigten Verbänden heimattreuer Oberschlesier in Breslau, Neue Taschenstraße 10, für die übrigen Ge schädigten bei der Geschäftsstelle dieser Vereinigten Ver bände in Berlin, Schloß Bellevue. Veutfck-Österreick. Beruhigung in der Finanzlage. Im Finanz- und Budgetausschuß erklärte Finanzminister Segur, es sei der Finanzverwaltung möglich gewesen, den Bedarf für den Monat August tatsächlich zu decken. Zweifellos wür den die Ausgaben im September noch höher sein als im August. Er erwarte, daß es möglich sein werde, wenn nicht besondere Ereignisse eintreten, auch im September auszu kommen. Die laufenden Einnahmen würden eine ge wisse Erhöhung ersahren, insbesondere feien aus der Erhöhung der Zölle neun bis zehn Milliarden monatlich zu erwarten. Bis zum 8. September werde eine neue Er höhung der Eisenbahntarife eintreten, und auch die Er höhung der Tabakpreise werde sich voll auswirken. Dazu kämen die ausländischen Kredite. * Berlin. Eine Kommission der Berliner Gastwirte hat beim preußischen Ministerium des Innern Einspruch da gegen erhoben, daß die neue Verordnung gegen die Schlem merei, die man als wirkungslos betrachtet, ohne vorherige Fühlungnahme mit dem Gastwirtsgewerbe erlassen wurde. Kenntt cku äas LaM... Roman von Hedda v. Schmid. 23s Mackdruck verboten.) „Nun, ich denke, das solltest du doch wissen," erwiderte sie befremdet. „Du hast es mir außerdem versprochen, mich nicht in der Ausübung meines Talents zu behindern," fügte sie in aufsteigender Erregung hinzu. „Ich habe mein Versprechen nicht vergessen." Damit wandte er sich ab und seiner Arbeit zu. Jettys freudige Stimmung war dahin. Zum ersten Male zürnte sie Klas ernstlich. Sie hatte Teilnahme und freudige Zu stimmung von ihm erwartet. Und wenn seine 'Mutter zu rückgekehrt sein würde, dann konnte sie darauf gefaßt sein, stumme Mißbilligung in dem alten faltigen Gesicht zu lesen. Hatte Professor Weidekamp am Ende doch recht? Gab es in Ehen, wo beide Teile einem künstlerischen Beruf nachgingen, immer derartige Reibungen, Mißver ständnisse und gar Streitigkeiten? Vielleicht auch noch Eifersucht, wenn einer der Gatten mehr Erfolg hatte . . . Kann die Liebe, die man zueinander empfindet, wirklich unter dem Kämpfen, dem Streben nach dem Gipfel künst lerischer Vollkommenheit leiden oder gar verblassen . . .? Jetty hatte es sich wundervoll gedacht, gemeinsam zu arbeiten, an Klas einen Führer und Lehrmeister zu haben. Er aber vermied es, sie zu unterweisen und zu beeinflussen bei allem, was ihre Kunst anbetraf. Sie schob die Schuld hierin seiner Mutter zu. Es konnte ja gar nicht anders sein — die alte Frau, die nur immer den Alltag gelten ließ, hetzte sicherlich im stillen. „Nun aber erst recht," sagte sich Jetty, und ihre Seele breitete sehnsüchtig ihre Schwingen aus, nach dem Lande, dessen Wunder sie nun zu kennen glaubte, dessen Tore ihr aber noch immer verschlossen waren. Eine Ahnung stieg in ihr auf, daß es vielleicht niemals eine glänzende Erfüllung für die Sehnsucht nach jenem fernen Lande des wunsch losen Glückes gibt, so wie man es sich in einer holden Selbstenttäuschung so gern erträumt. Jetty war noch weit entfernt von der richtigen Einsicht, daß im Sichbescheiden, im Auskosten des Guten, des Sonni gen, das die Gegenwart uns bietet, in der Dankbarkeit, von schweren Schicksalsschlägen verschont zu bleiben, im Sorgen für di«, welche unserem Herzen nahestehen, das höchste menschliche Glück liegt, das wir uns selber bereiten können, um dann nicht mehr das unfruchtbare Sehnen nach etwas Unerreichbarem zu empfinden. Ihr Gatte war nicht dazu geschaffen, sie einer verstän digeren Auffassung zuzuführen. Zuerst hatte seine Ver-, liebtheit ihn seiner Frau gegenüber blind gemacht — nun, wo er begann, kritischer zu urteilen, hatte er zu wenig Zeit und auch keine Lust, gegen ihren passiven Widerstand anzu kämpfen. Sie entglitt ihm immer mehr und mehr. Ebenso wie sie sich als Kind ihrer häuslichen kleinen Pflichten bei Lehnkes zu entziehen gewußt hatte, so machte sie cs auch jetzt; wenn sie etwas nicht sehen oder hören wollte, so stellte sie sich taub und blind. Damals hatte sie instinktiv gehandelt — jetzt tat sie es voller Überlegung. Sie war doch, das sagte sie sich immer wieder — in erster Linie wer dende Künstlerin, dann erst Hausfrau und Gattin. Diesen Standpunkt wollte sie beibehalten und in rastlosem Eissr malte sie mehrere Male in der Woche bei Thomas Mönk. An einem sonnigen Maitage fuhr Thomasine mit ihrem Onkel Thomas durch den Tiergarten. Voller Entzücken über den Frühling, der sich von Tag zu Tag mehr entfal tete, fchaute sie um sich. Da blieb ihr Blick plötzlich auf einem Paar haften das aus einem der Laubgänge hervar trat. Beide, die Dame und der Herr, waren in Reise kleidern. Der hellgraue Tüllschleier der jungen Frau be deckte ein so zartes und blasses Gesicht, daß man es mit einem weißen Blumenblatt vergleichen konnte. Die schmäch tige Gestalt stützte sich schwer auf den Arm des Herrn, der, als Thomasine langsam vorüberfuhr, seinen Hut zog und grüßte. Es war Malte Holten. Also das ist seine Frau, dachte Thomasine. Ihr Herz pochte ganz ruhig, sie empfand weiter nichtß als ein tiefes Mitleid mit der jungen Frau, die so aussah, als könne der nächste rauhe Windhauch sie umblasen. Sie hatte Maltes Gruß freundlich erwidert: sie freute sich dieser Begegnung, die ihr bestätigte, daß sie längst schon und ohne viel harte Herzenskämpfe ihre erste Neigung überwunden hatte. Es dünkte ihr unmöglich, daß sie noch jemals zum zweitenmale lieben könnte, und sie war entschlossen, niemals zu heiraten. Ihr Leben floß eben so schön, so ohne Stürme dahin, und sie wünschte nur, daß es ihr recht lange vergönnt sein möchte, für ihre Mutter und Onkel Thomas zu borgen. Und späterhin würde Oda ihrer Hilfe bedürfen. * * * An einem Oktoberabend wurde Klas Heininger ein Sohn geboren. Jetty lag in einer Frauenklinik; sie hatte darauf bestanden, und Klas, der es lieber gesehen hätte, wenn sie sich zu Hause hätte pflegen lassen, hatte zu allem Ja gesagt, um sie nicht aufzuregen. „Ich will lieber sterben, als mich von deiner Mutter pflegen lassen," hatte sie ihm unbeherrscht entgegenge schleudert. Er hatte stumm das Zimmer verlassen. Nachher hatte sie ihn um Verzeihung gebeten: „Nimm nicht alles so genau, was ich jetzt sage," chatte sie gebettelt. „Im Grunde bin ich deiner Mutter ja dankbar, daß sH mir alle Pflichten in der Wirtschaft abnimmt. Jetzt kann ich ja doch nichts tun, und nachher werde ich für mein Kind da sein." Sie betonte das „Mein". In die Pflege und Erziehung ihres Kindes würde sie sich natürlich nicht dreinreden lassen, weder von Klas, noch von seiner Mutter. Dazu war sie fest entschlossen. Sie hatte unzählige Bücher über Kinderpflege gelesen und wußte nun, davon ivar sie über zeugt, ganz genau, wie solch ein kleines Wesen von seinem ersten Schrei an behandelt werden mutzte. Frau Heininger sah vor einem Berg Flickwäsche, hatte ihre alte, in Silber gefaßte Brille aufgesetzt und stichelte etwas mühsam an einer Damastserviette. Die Arbeit ging langsam vonstatten — sie dachte immer nur daran, daß vor vielen Stunden schon die Botschaft aus dem Krankenhause gekammert war. (Fortsetzung folgt.)
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