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Friedensschlutz in Lausanne. Zn Lausanne ist eine Einigung erreicht worden. Gestern nacht Ve2 Uhr wurde nach einer langen Reihe von Zusammenkünften zwischen den Alliierten und den Türken den Pressevertretern mitge teilt, das; die Konferenz ein erfolgreiches und friedliches Ende erreicht habe. Zn der letzten Woche war die Zahl der strittigen Punkte auf drei ver mindert worden: Die ottomanische Schuld, die Kon zessionen, die vor dem Kriege gewährt worden waren und die Räumung türkischen Gebiets durch die alliierten Truppen. Diese drei Fragen sind stets zusammen behandelt worden, namentlich in den beiden ersten haben die Türken äußerste Hartnäckigkeit gezeigt und an ihnen drohte die Konferenz schon mehrmals zu scheitern. Guter Wille und diplomatische Geschick lichkeit auf beiden Seiten haben schließlich auch diese Klippen überwunden. Konstantinopel wird sechs Wochen nach der Ratifikation des Friedensver trages durch die Nationalversammlung geräumt werden. Der Friedensvertrag wird in acht bis zehn Tagen unterzeichnet werden. Dazu wird Lord Curzon in Lausanne eintreffen. Auch die Sowjetregie- rung wurde eingeladen, Vertreter dazu zu entsenden. Sofort nach Unterzeichnung des Friedensvertrages wird der türkisch-amerikanische Handels- und Freundschaftsvertrag unterzeichnet werden. Lebhafte Befriedigung in England. Die Nachricht von dem Friedensschluß in Lausanne wird mit lebhafter Befriedigung von der britischen Presse verzeichnet. Man hofft, daß damit endlich ein langes und gefährliches Kapitel der osteuropäischen poli tischen Lage abschließt. Für ein günstiges Zu sammentreffen hält man es, daß gleichzeitig die französische Kammer das Washingtoner Abkommen rati fiziert hat. Die Matter erklären, d i e n ä ch st e F r a g e, die geklärt werden müsse, sei die Lage im Weste n. * Deutsche diplomatische Handlung in London und Rom. Die deutschen Botschafter in London und Rom haben Weisung erhalten, bei der britischen und der italienischen Negierung wegen der unerträglichen Schwierigkeiten und ernsten Gefahren Vorstellungen zu erheben, die sich aus der von den Fran zosen und Belgiern verhängten Grenzsperre zwischen dem besetzten und dem unbesetzten Gebiete er geben. Dabei wird namentlich betont, daß durch die Unterbindung jeder Verkehrsmöglichkeit die rheinischen Abgeordneten an der Ausübung ihrer verfassungsmäßi gen Funktionen verhindert worden sind, sowie daß der Reichstagsabgeordnete Most aus Duisburg unter Nicht achtung seiner Immunität sogar als Geisel festgenom men worden ist. Ferner hat die Neichsregierung die Botschafter in London und Rom angewiesen, mit allem Nach druck die Todesurteile zur Sprache zu bringen, die am 29. Zuni vom französischen Kriegs gericht in Mainz wegen angeblicher Eisenbahnsabotage gegzn sieben Deutsche ergangen sind. Weitere geeignete Schritte sind auch an anderen Stellen unternommen worden, um die Vollstreckung der Urteile zu verhüten. Die Anschauungen der Londoner Presse. Während die englische Regierung abwartet, ob sich nicht noch in zwölfter Stunde die Haltung des franzö sischen Kabinetts ändere und ob etwa der tschechische Außenminister Benesch Mitteilungen Poin - car 6 s überbringen könnte, gehen im großen und gan zen die Anschauungen der Londoner Presse dahin, daß England gezwungen sein werde, einen Son derschritt in der Reparationsfrage einzu lei ten. Der Londoner Berichterstatter des „Petit Pa- risien" erfährt, Baldwin wird am Donnerstag im Un terhaus erklären, die englische Regierung sei aus wirt schaftlichen Gründen immer gegen die Ruhrbesetzung. Sie wurde in ihren Erwartungen enttäuscht. Infolge dessen müßten andere Mittel gesucht werden, um die Reparationsfrage zu lösen. Am geeignetsten ist eine internationale Sachverständigenkommission, die zur Festsetzung der Leistungsfähigkeit Deutschlands und zum Studium des Problems der interalliierten Schulden einzusetzen ist. Auf das letzte deutsche Re parationsangebot muß unbedingt geantwortet werden. Infolgedessen will das englische Kabinett an alle Alliierten, auch an Frankreich, eine Note absen den, die eine internationale Untersuchungskommission vorschlägt. In London wird angenommen, daß jeden falls Italien, sowie die Kleine Entente, ferner auch die Neutralen und Amerika diese Kommission beschicken werden. Für den Vorsitz ist ein Amerikaner vor gesehen. Falls die amerikanische Regierung die Er nennung eines solchen ablehnen würde, so würde der Senator Eliot Root gebeten werden, zu präsidieren. Deutschlands Botschafter bei Curzon. Große Bedeutung wird einer Besprechung beigeinessen, die gestern Lord Curzon mit dem deutschen Botschafter hatte. Nach Mitteilung des Londoner Korrespondenten der Pariser Zeitungen soll Lord Curzon dem deutschen Vertreter erklärt haben, die Reichsregierung solle alles tun, um die Sabotageakte zu verhindern, wie er auch dem Wunsch Ausdruck gab, dis Reichsregierung müsse Sabotageakte öffentlich desavouieren. Italiens Reparationsstandpunkt. Eine amtliche italienische Erklärung gibt den Standpunkt Italiens in der Reparationsfrage wie folgt wieder: Die italienischen Botschafter in London und Paris machen ihren Einfluß geltend, um die Regierungen, bei denen sie beglaubigt sind, für das italienische Memo- randpm zu gewinnen. Ztalien unterstützt weder den englischen noch den französischen Standpunkt; es verfolgt im Gegenteil seine eigene Politik, und diese besteht darin, die Frage der Reparationen und die des Schuldenausgleiches miteinander zu verbinden. Es ist bis jetzt durchaus nicht ausgeschlossen, daß Eng land sich dieser Frage anschließen wird. Italien ver sucht, dem französischen Standpunkt insofern gerecht zu werden, als es die Notwendigkeit ansieht, daß die sieg reichen („") Staaten, besonders Frankreich, die fest gesetzten Reparationen von den Besiegten erhallen müsse. Besonders ist Frankreich sowohl aus moralischen als auch aus materiellen Gründen unbedingt darauf angewiesen, von Deutschland Genugtuung zu erhalten. Italien versuche, anscheinend nach diese: Ansicht, bei den bevorstehenden englisch-französischen Auseinander setzungen bei einer event. Einigung nicht zu kurz zu kommen, um zusammen mit Frankreich auf England einen Druck wegen der interalliierten Schulden auszuüben. AWbUU der öMid« Mr Buer. Die Leidenszeit der seit Beginn der Be setzung besonders hart geprüften Stadt Buer scheint, wenigstens für die nächste Zeit, eine Milderung zu erfahren. Außer den bereits mitgeteilten Er leichterungen sind jetzt auch die leider noch bestehenden Sanktionen aufgehoben worden. Vor allem dürfen die Gtratzenbahnen wieder verkehren. Die Sperrzeit ist in sofern gemildert, als die öffentlichen Lokale wieder bis 10 Uhr geöffnet sein dürfen. Worauf die Aufhebung der Sanktionen zurückzu führen ist, war bis zur Stunde noch nicht zu ermitteln. Jedoch wird sie von verschiedenen Seiten dahin ausge legt, daß die Untersuchung des Duisburger Un glücks zu Ergebnissen geführt haben soll, die das gänzliche Fernsein Deutscher beweisen. Es sollen als Täter mehrere Belgier verhaftet worden sein, was folgende Verlautbarung ausdrückt: Nach in Berlin eingetroffenen Meldungen erhält sich in Duisburg das Gerücht, daß die Unter suchung des Unglücks auf der Hochfelder Nheinbrücke überraschende Ergebnisse gezeitigt habe. Als Täter sollen niehrere Belgier verhaftet worden sein. Die Belgier halten das Ergebnis der Untersuchung noch geheim. Bian erwartet in Duisburg mit Un geduld die weitere Untersuchung durch eine neutrale Stelle. Schmachvolle Behandlung der Geiseln. Deutsche als Geiseln auf Regiezügen. Eine Verfügung der Vesatzungsbehörde ordnet an, daß in jedem Personenzug Buer — Ober hausen, der in französisch-belgischer Regie fährt, 5 b Deutsche als Geiseln mitfahren müssen. Am Sonntag ist zum ersten Male ein solcher Zug mit Geiseln gefahren. Die ausgesuchten Persönlichkeiten ge- hörem den besten Kreisen der Bürgerschaft an. Die aus Anlaß der letzten Vorkommnisse in Duis burg zahlreich festgenommenen Geiseln dürfen keinen Besuch empfangen. Selbst der Eeistlichkeit wurde der Besuch in schroffstem Tone abge schlagen. Den Geiseln ist es weiter verboten, Seife, Zahnbürsten, Wäsche zum wechseln und dergleichen in Besitz zu haben. Erschütternde Bilder. Der Kellner Kruse in Oberhausen wurde von einem belgischen Soldaten angehalten und nach seinen Papieren gefragt. Er wies diese vor. Darauf führte ihn der Belgier um das Wohnhaus herum und tötete ihn durch drei Schüsse. Die Ehefrau des Ermordeten sah den ganzen Vorgang vom Fenster aus mit an, war jedoch nicht in der Lage, ihrem Manne zu Hilfe zu kommen und hörte nur noch die Rufe: Meine Frau! Meine Frau! Erschütternde Bilder bot ein Zug ausgewie sener Eisenbahner, der dieser Tage auf dem Kölner Hauptbahnhof verpflegt wurde. Eine ältere Fra u aus Aachen, die an Lungenent zündung schwer erkrankt war und erst vor wenigen Tagen die Krise überstanden hatte, war darunter. Sie wurde, da sie g l e i ch z e i t i g schwer an Rheumatismus leidet und daher nicht b e w e g u n g's f ä h i g ist, in Aachen mit einem Krankenauto zum Zuge gebracht, wo sie mit abgeschoben werden sollte. Ihr Mann, ein Eisenbahnobersekretär, war vier Tage vorher, jäh vom Krankenbett der Frau gerissen, ausgewiesen worden. Ein fast noch ergreifenderes Gegenstück hierzu bil dete ein acht Wochen alter Säugling, der nur drei Pfund wog. Der Vater war vier Tage nach der Geburt seines Kindchens ausgewiesen worden und so mußte es, dazu noch in Sommerhitze, allein mit der Mutter die Fahrt ins unbesetzte Deutschland antre ten. Unter 60 Ausgewiesenen waren diesmal 25 Kin der, darunter drei Säuglinge unter acht Wochen und zwei von wenigen Monaten. Km-BW -es WWMMimstelS. Neichsfinanzminister Hermes hat unter dem 7. Juli an die Angehörigen der Reichs fi n a n z v e r w a l t u n g folgende Kundgebung er lassen: Am 10. Juli 1923 sind es sechs Monate, daß der schwere Kampf um den Bestand des Vaterlandes und uin die deutsche Ehre an Rhein und Ruhr begonnen hat. Wie in den ersten Tagen, so stehen auch heute noch die Angehörigen der Reichsfinanzverwaltung in Treue zum Vaterlande. Noch Anfang Juli sind weiter über hundert Angehörige der Reichsfinanz verwaltung mit ihren Familien ausgewie sen worden. Alle Leiden haben nicht vermocht, den Schicksalswende. ' ' Roman von A. Seifert. 41. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Almida, welche es nicht anders kannte, als daß Vas Mahl unter munterem Erzählen eingenommen wurde, empfand dieses Schweigen als eine Pein. Aber sie hatte Appetit bekommen und ließ es sich schmecken. Auch Frau Wengdorf aß tüchtig. Sie füllte ihren . Glasteller noch einmal mit Obst, als sie bemerkte, daß Almida still dasaß und vor sich hinsah. „Wenn sie fertig sind, können sie vom Tisch ausstehen Fräulein, das erlaube ich Ihnen ein für alle mal." „Ich danke ihnen, gnädige Frau, und wünsche ge segnete Mahlzeit." „Mahlzeit", klang es einsilbig zurück. Almida saß wieder in ihrem Zimmer. Sie war nun frei für den ganzen Rest des Tages. Doch kein angenehmes, oder gar frohes Gefühl wollte sich ein stellen. Es lastete schwer aus ihr. Wie sollte sie dieses triste, eintönige Leben auf die Dauer ertragen! Und was sollte sie Hubert schreiben, der sehnsüchtig aus ihren Bries wartete und so glücklich war, daß sie in seinem Elternhause ein Unterkommen gefunden! Sie versank in Nachdenken. Am vergangenen Sonntag waren sie noch beide mit ihrem geliebten Vater vereint gewesen und hatten alle drei einen Ausslug per Auto unternommen, in der aus gelassensten Stimmung. Dann hatten sie vor dem „Schwanenhaus" gemein sam Kaffee getrunken. Der Papa hatte danach behag lich seine Zeitung gelesen, Alnzida und Hubert hatten auf dem Schwanenteich gerudert, sie durften zusammen scherzen, sich in die Augen sehen, wieder und wieder, so oft sie nur wollten. Sie waren glücklich gewesen. Ihr Leben war wie in Sonne getaucht gewesen. Jeder war bemüht gewesen, ihr Liebes zu erweisen. Hu bert hatte zu ihr von der Zukunft gesprochen wie von einem Blumengarten, in welchem sie die umhegteste süßeste Rose sein sollte. Sie war es gewohnt gewesen, überall gefeiert zu werden, den Mittelpunkt zu bilden. Sie nahm all das Liebe und Schöne, das sich ihr darbot, wie etwas Selbstverständliche-, ihr Gebührendes, hin. Sie war bei aller Verzärtelung gütig und beschei den geblieben, immer bemüht, auch anderen Liebes zu erweisen. Und heimlich, ganz heimlich, hatte sie es sich ansgemalt, wie schön das sein müsse, wenn sie hier in Hu berts Elternhause weilte, als seine Braut, wie sie alle durch ihre Liebenswürdigkeit bezaubern werde. Nun war sie hier, unbeachtet, widerwillig geduldet. Während einer kurzen Woche hatte sich ihre Lebens- sonnr verdunkelt, waren dunkle, drohende Wolken am Horizont ihres Daseins heranfgezogen, hatte das Schick sal ihr alles geraubt, alles!. Den Vater, den Geliebten, ihr Vermögen, ja, sogar ihren Namen! Sie begann zu weinen, leise und bitterlich. Sie hatte Heimweh nach allem, was bisher zu ihrem Glück gedient hatte. Oh, wenn sie nur einen Tag noch in ihrem won nigen Boudoir hätte verbringen können in dem Bewußt sein, daß der Vater jeden Moment heimkommen müsse, der Geliebte in der Nähe sei! Nur einen einzigen Tag! Aber das Schick,al war grausam gegen sie, es ließ ihr nichts als Schmerz und Tränen, es erlaubte ihr nur noch, an Erinnerungen zu zehren! Sie weinte sich aus. Die Müdigkeit wollte u übermannen, aber sic wollte nicht schlafen. Nein, sic wollte tapfer sein. Sie trocknete ihre Tränen und ging die Treppe hinunter, um das angcsangene Strickzeug zu holen. Damit wollte sie sich in den Garten setzen und probieren, ob sie das Stricken noch nicht ganz ver lernt hatte. Frau Wengoorf hatte ihren Platz am Fenster wie der eingenommen. Almida bat um Entschuldigung, wenn sie störe. Sie wolle nur das Strickzeug holen und im Garten sich damit beschäftigen. „Ja, wollen sie es wirklich versuchen? Um so besser. Ich glaubte schon, ich hätte ihnen zu viel damit zugemutet und habe das Strickzeug fortgelegt. Aber hier ist es!" In diesem Momeiu vernahm man draußen Herrn Wengdorfs laute scheltende Stimme: „Sie wissen von nichts? Na, da soll ja gleich — wo ist die gnädige Frau?" „So, zu Hawe?" Die Tür wurde ausgerissen und Herr Wengdorf stürmte herein. „Was soll das heißen, Olga, daß du meine Anordnungen einfach ignorierst?" „Es bedeutet, daß du es mir früher zu melden hast, wenn du Tischgäste mit nach Hause bringst!" „Die Herren sind vor zwei Stunden unerwartet Hainburg eingetrofsen —" „Dann müssen sie eben im Hotel speisen!" (Fortsetzung folgt.)