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SckwÜ unä for1ket2ung. Von einem unserer politischen Mitarbeiter wird uns geschrieben: Genua ist nun endlich „in Schönheit gestorben", aber schon ist die nächste Konferenz in Aussicht, auf die sich die Hoffnungen der Völker richten. Frankreich und Belgien sind bei dem Programmvorschlag für den Haag abseits geblieben, Deutschland ist ausgeschlossen und zahlreiche kleinere Staaten sind nicht beteiligt, weil sie nicht in der politischen Kommission vertreten waren. Kurzum, aus der europäischen Konferenz ist eine Sonderverhandlung von sieben Staaten auf der einen, Rußland auf der ande ren Seite geworden. Schon diese Tatsache allein beweist, daß der schöne Traum vom Wiederbeginn des „europäi schen Konzerts" verflogen ist. Tschitscherin gab unver hohlen seiner Enttäuschung über diese Entwicklung Aus druck, er bedauerte das System der Zweiteilung zwischen Gläubiger und Schuldner unter den Nationen, aber er akzeptierte es als Tatsache. Er protestiert gegen den Aus schluß Deutschlands und bleibt bis zum Schluß der Kämp fer für das Recht und die Autorität Rußlands, als der er sich gleich bei Eröffnung der Konferenz bewiesen bat. Die Konferenz im Haag ist durch die Beschlüsse der 8 Staaten wenig vorbelastet, aber es kommt hinzu, daß sie als Fortsetzung von Genua auch an die Beschlüsse von Cannes gebunden bleibt. So hat Frankreich, ohne daß eS sich aufS neue verpflichtet hat und ohne daß es an den Be ratungen im Haag teilzunehmen braucht, doch alle Mög lichkeiten in der Hand behalten, eine Einigung zu hinter treiben. Schon der Zeitgewinn ist für PoincaröS Politik ein Triumph. Man kann nicht beurteilen, was bis zum 26. Juni in unserer bewegten Zeit noch geschehen kann. Auf jeden Fall hat Frankreich verhindert, daß unmittel bare Sonderabkommen der anderen Mächte mit Rußland seine Interessen beeinträchtigen können. Sechs Punkte enthält die Vereinbarung, die außer dem „kleinen Burg frieden" nur Formfragen regelt, und auch dieser einzige positive Gegenstand ist noch kein fertiger Vertrag zwischen den Mächten. Trotz des Widerstandes Japans gegen Tschitscherins Absicht, auch die anderen mit Rußland ver bundenen Regierungen auf dem alten russischen Terri torium in ihren Pakt hineinzuziehen, ist der russische Standpunkt durchgedrungen, und Lloyd George hat aus drücklich noch versichert, daß sich der Burgfrieden nicht nur auf Europa, sondern auch auf die ganze übrige Welt erstreckt. Das bedeutet für Rußland insofern einen Vor teil, als dadurch auch die Kämpfe zwischen Japan und der Republik Tschita unterbunden sind, aber durch die einst weilige Regelung wird die Bedrohung des Weltfriedens nicht beseitigt. Die russische Frage ist also vertagt, und die übrigen Arbeiten der Genueser Konferenz können nur in begrenz tem Maße als Vorarbeit für die künftige Konferenz im Haag bewertet werden. Ganz allgemein stellt das Pro gramm für den Haag die Fragen der Schulden, des Privateigentums und der Kredite als Be ratungsgegenstände auf. DaS ist nur ein Teil der russi schen Frage, und daß die neuen Kommissionen sich be mühen sollen, gemeinsame „Empfehlungen" zu finden, be deutet, daß noch nicht einmal eine Übereinkunft über die Fragen gesunden wurde, in denen die Gegensätze bei den Verhandlungen in Genua unüberbrückt geblieben sind. Der ganze Ballast wird aus Genua nach dem Haag hin übergeschleppt. Er behindert dort von Anfang an den freien Meinungsaustausch. Das ist eine schwere Be lastung, die dadurch nur noch Weiler erschwert wird, daß Frankreich und Belgien sich abseits halten, nachdem sie ihre Sonderwünsche in das Memorandum an Rußland hineingezwungen haben. Nur der energische Wille Ruß lands und Englands, irgendwie vorwärts zu kommen und die Verhandlungen nicht ganz scheitern zu lassen, hat da zu geführt, daß noch ein letzter Rest von Hoffnung hinüber gerettet wurde. Wieviel davon verwirklicht werden kann, hängt davon ab, welche Fortschritte inzwischen die Re vision des Friedens in Paris macht. Amerikas Lurückkrltung. Hermes und die Reparationskommission. Auf der Versammlung der Handelskammer der Ver einigten Staaten legte der Handelssekretär Hoover dar, welche Schritte notwendig seien, um die Welt wieder dem normalen Zustande entgegenzuführen. Dazu gehöre eine politische Verständigung über die Beziehungen Am die Heimst. (Roman von Bruno Wagner. 831 (Nachdruck verboten.) lind so war auch Gesine im Schulhause nicht zu ent behren. Sie hatte gleich bei des Vater Tods erklärt, sie wollte bei einem Bailern in einem entlcgenercn Dorfe eine Stellung als Wirtschafterin annehmen. Aber dann hätte man im Schulhause eine bezahlte Magd halten müssen. Karoline war eifrig auf den Gedanken eingegangen; aber Johannes hatte Gesine gebeten, zu bleiben. ES war ja schlechterdings nicht möglich, ein Mädchen ins Haus zu nehmen. Wo sollte das Geld Herkommen? lind der Schulacker war so ungünstig verpachtet, daß Jessen sich entschlossen hatte, dis Bewirtschaftung vom nächsten Herbst an sechst in di« Hand zu nehmen. Da würde ihm Gesine «ine wertvolle Hilse sein. Aber leider war das Verhältnis zwischen den beiden Schwägerinnen ganz unerträglich geworden. Johannes litt darunter, obwohl er noch lange nicht alles erfuhr. Gleich zu Anfang war es zum offenen Zwist zwischen den beiden ge kommen, als Gesine den Postabschnitt gefunden hatte, Ler zu der Geldsendung gehörte, die das Stuttgarter Verlags- Haus als Honorar für die Erzählung vom Seekönig ge schickt hatte. Sie hatte der Schwägerin auf den Kopf zu gesagt, daß sie daS Geld heimlich für sich behalten habe. Karoline hatte geleugnet; denn es war zu spät, Lie Wahrheit einzugestehen. Einen Teil des Geldes hatte sie nämlich schon ausgegeben, um sich in Ratzeburg im Mode geschäft von Hannchen Munsmann eine entzückende Feder boa zu kaufen. Am Tage darauf hatte Gesine den Brief träger abgefangen, und nun war die Wahrheit anS Licht gekommen. Es hatte «ine furchtbare Szene zwischen den Schwägerinnen gegeben. Karoline hatte sich in ihrem Schlafzimmer Lingeriegelt, und Gesine in ihrer Angst, dis Schwägerin könnte sich ein Leid antnn, Lie Tür aufge brochen. Ein Glück, daß Johannes gerade in Poggenhagen «Mesen wapj - der europäischen Nattonen sowie Herabminderung der Rüstungen als Beweis friedlicher Absichten wie auch im Interesse von Ersparnissen. Nötig sei auch Fest setzung der zwischen den Negierungen bestehenden Schuld verpflichtungen einschließlich der von Deutschland zu zahlenden Reparationen auf einer Grundlage, die das Vertrauen erwecke, daß die Zahlung der Zinsen und des Kapitals gesichert sei. Diese bedeutsamen Äuße rungen werden in England ganz richtig in dem Sinne aufgefaßt,daß Amerika den Europäern gegenüber sehr zurückhaltend bleibt. Wenn Hilfe gewünscht werde, so müsse man sich an die amerikanischen Kapitalisten wenden. Dazu aber müsse Europa allgemein den gestellten Bedin gungen nachkommen. Die wichtigste Bedingung bleibt natürlich die vernünftige Regelung der Reparationsfrage. Die Verhandlungen, die Minister Hermes zurzeit über diesen Gegenstand in Paris führt, haben noch kein greifbares Ergebnis gebracht. Dubois hat den deutschen Minister um neue genauere Angaben ersucht. Man ver sichert jedoch bereits in Paris, wenn nicht ganz Unvor hergesehenes einträte, werde Frankreich Anfang Juni nicht in Deutschland ein rücken, und wenn die künftigen Verhandlungen einen normalen Verlauf neh men, werde Frankreich kein gesondertes Vorgehen wegen Verletzung der finanziellen Bestimmungen des Versailler Vertrages unternehmen. Politische KunUscbau. 0eutkkl-n<t. Rheinischer Appell an Genua. Die Abgeordneten der Wahlkreise Düsseldorf Ost und West, mit Ausnahme der Unabhängigen, haben gemein sam ein Telegramm an den Präsidenten der Genueser Konferenz de Facta gerichtet, in welchem sie die Konferenz und durch sie alle friedliebenden Voller der Erde ersuchten, für die sofortige Aufhebung der rechtswidrigen Be se tz u n g der drei rheinischen Städte Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort einzutreten. Sie betonten dabei, daß selbst von alliierter Seite anerkannt wurde, daß mindestens seit Mai 1921, dem Zeitpunkt der Annahme des Ultimatums durch Deutschland, diese als Sanktionen vorgesehenen Be setzungen ausgehoben werden mußten. Die friedliche Be völkerung erwarte endlich drei Jahre nach Friedensschluß die Beseitigung dieses unerträglichen Unrechts und Kriegs zustandes. DaS kommende AuslieferungSgesetz. Im Reichssustizministerium wird, wie der Vorwärts berichtet, ein Auslieferungsgesetz vorbereitet, das den ganzen Komplex der Auslieferungsfragen klären soll. In der Hauptsache wird die Zuständigkeit festzustellen sein, um die bei jeder Auslieferung imm^r wieder auftauchende Frage, ob das Reich oder die Länder zuständig seien, ein für allemal zu regeln. Die Entscheidung darüber, ob eine Auslieferung zulässig ist oder nicht, wird den Ge richten übertragen. Das Auswärtige Amt hat dann zu entscheiden, ob die Auslieferung erfolgen soll. Hat aber das Gericht entschieden, daß die Auslieferung nicht zulässig ist, so kann das Auswärtige Amt die Auslieferung nicht betreiben. Ferner wird das Gesetz zu bestimmen haben, was als politisches Verbrechen zu betrachten ist. Brotversorgung und Landwirtschaft. Der Reichsausschuß der deutschen Landwirtschaft hat einen Beschluß zur Frage der Brotversorgung gefaßt, in dem es heißt: Angesichts der Unmöglichkeit, der Land wirtschaft eine erneute Sondersteuer aufzuerlegen, fordert der Reichsausschuß von der Regierung eine bestimmte Erklärung darüber, daß sie bereit ist, eine Verbil - ligung des Brotpreises für die wirtschaftlich Schwachen durch die Gesamtheit der wirtschaftlich Lei stungsfähigen herbeizuführen. Für diesen Fall ist die Landwirtschaft bereit, eine Gewähr dafür zu über nehmen, daß die zur Sicherung der Brotversorgung er forderlichen Mengen Brotgetreide in Verbindung mit Ein käufen von Auslandsgetreide aus der inländischen Er zeugung fortlaufend rechtzeitig in freiem Ver kehr zur Verfügung, gestellt werden. Furcht vor „strategischen" Bahnen. Einen ebenso unbegründeten wie empörenden Be schluß hat die Pariser Botschafterkonferenz gefaßt, die eins Mitteilung an die deutsche Regierung richten will, in der Sammelmappe für bemerkenswerte Tages- und Zeitereignisse * Tschitscherin hat sich damit einverstanden erklärt, daß di« nächste Konferenz im Juni im Haag stattfindet. * Die deutschen Vorschläge in der Reparationsfrage werden von den Franzosen als ungenügend angesehen. Minister Hermes wurde von der Reparationskommission um genauer« Angaben ersucht. * Der Völkerbundsrat hat den Bericht über die Beschwerden des Deutschtums in Polen der polnischen Regierung zur Fest stellung des Sachverhalts überwiesen. die Einstellung der Arbeiten an gewissen Schie nenwegen von strategischer Bedeutung im Rheinlands und die Beseitigung oder Abänderung gewisser strategischer Eisenbahnlinien vor Ablauf der Besetzungsperiode ver langt werden soll. tznglanck. Eine Niederlage der Regierung. Während Lloyd George in Genua nicht nur die englische, sondern die europäische Außenpolitik in neue Bahnen zu lenken suchte, hat seine Regierung in drr Heimat ganz plötzlich eine Niederlage im Parlament erlitten. Es handelte sich um eine Abstimmung im Unterhause über Ersparnisse bei der Besoldung der englischen Lebrer, bei der die Negierung nur eine Minderheit der Sttsmen erhielt. Man betrachtet diese Zufallsniederlage allerdings nicht als einen aus reichenden Grund für einen Rücktritt der Regierung, aber sie läßt doch einen Blick in die Zersetzung der englischen Parteiverhältnisse zu, die leicht eine ernsthaftere KrisiS nach sich ziehen kann. München. Nachdem die Verhandlungen zur Beilegung des Melallarbeiterstreiks so weit gediehen sind, daß die An wesenheit des Ministerpräsidenten bei diesen Verhandlungen nicht mehr als unbedingt notwendig erscheint, hat Graf Ler ch e n f e l d seine geplante Reise in die Pfalz angetreten. Trier. Der Nachfolger des Bischofs Korum, Bischof Bor newasser, hat unter großer Anteilnahme der Bevölkerung seinen Einzug in Trier gehalten. Mainz. Wie verlautet, sind Dr. Dorten und Dr. Liebing auS der Rheinischen Volkspartei ausgeschlossen worden. Gegen beide soll Anzeige wegen Betruges erstattet werden. Wien. In Baden bei Wien ist der ehemalige Chef der öfierreichisch-u igarischen Kriegsmarine Admiral Graf Monte« cucoli im Alter von 79 Jahren gestorben. für beut unä morgen. Oberschlesische Berdrängungsschädeu. Die Vereinig ten Verbände heimattreuer Oberschlesier teilen mit: Die kürzlich verbreitete Aufforderung des Ostbundes, die öst lichen Verdrängungsschäden (auch die oberschlesischen) bei der Geschäftsstelle des Ostbundes in Breslau anzumelden, ist irreführend. Die oberschlesischen Verdrängungsschäden sind, was von maßgebenden Regierungsstellen festgestellt wird, bis jetzt noch nicht geregelt. Diese Regelung kann erst nach der endgültigen Teilung Oberschlesiens erfolgen. Erst dann wird ein Gesetz ergehen, an dessen Durchführung (Vorprüfung der Schäden) die Vereinigten Verbände heimattreuer Oberschlesier als anerkannte Interessenver tretung der oberschlesischen Flüchtlinge mitzuwirken be rufen sind. Die gesetzlichen Bestimmungen, auf die sich der Ostbund beruft, haben nur Gültigkeit für die bereits abgetretenen Gebiete, also für Posen, Westpreu ßen usw., nicht aber für Oberschlesien. Die oberschlestschett Flüchtlinge müssen also mit der Anmeldung ihrer Ver drängungsschäden (nicht zu verwechseln mit Tumult- und Aufstandsschaden) noch einige Zeit warten. Die Vereinig ten Verbände heimattreuer Oberschlesier werden rechtzeitig alle notwendigen Maßnahmen zur wirksamen Interessen vertretung der oberschlesischen Flüchtlinge treffen und be kanntgeben. Alle früheren Schritte sind zwecklos. Posteirrlieferungsbelege als gültiger Rechnungsbeleg, Bisher war bei Zahlungen durch Postanweisung an nicht amtliche Empfänger, an öffentliche in- und ausländische Behörden und Kassen, staatliche wie nichtstaatliche, bis zum Betrage von 1000 Mark der Posteinlieferungsschein als gültiger Rechnungsbeleg anzusehen. Nunmehr ist eins Änderung dahin getroffen worden, daß der Betrag der Zahlungen durch Postanweisung, für die der Posteinliese« rungsschein als gültiger Rechnungsbeleg anzusehen ist, auf 2000 Mark erhöht wird. Natürlich hatte Karoline den Nest des Geldes heraus geben müssen. Und damit Johannes Lie Wahrheit nicht er fuhr, hatte Gesine von den wenigen Spargroschen, die sie besaß, das Fehlende hinzugefügt, — nicht um der Schwäge rin zu helfen, nein, wahrhaftig, deswegen nicht; das hatte sie ganz bestimmt erklärt, sondern um ihrem armen Bru der die Schande zu ersparen. Und so hatte Johannes zwar über die Vergeßlichkeit seiner kleinen Frau bei der Ablieferung des Geldes den Kopf geschüttelt, aber doch einen Tag reinen Glücks gehabt, als er den ersten Lohn seiner Schriftstellerei vor sich sah. Und in seiner Freude war er so unvernünftig gewesen, Karoline und jeder seiner beiden Schwestern von dem Gelds abzugeben, um sich einen besonderen Wunsch erfüllen zu können. Kaum aber hatte Gesine die Schwägerin ohne Zeugen getroffen, so hatte sie sie gezwungen, ihr dies Geld heraus zugeben. Seit der Zeit haßten sich die beiden auf den Tod; und Gesine hätte ihren Gedanken, eine Stellung anzuueh- men, vielleicht längst ausgeführt, wenn sie nicht glaubte, über ihres Bruders Wohl wachen zu müssen, das seine eigene Frau zu bedrohen schien. Karoline hatte schon nach den ersten Wochen vngefan- gen, sich unglücklich im Schulhause zu fühlen. Sie kam sich so überflüssig vor. Johannes hatte seine Arbeit, die ihn den Tag in Anspruch nahm. Aber sie, — sie stand müßig herum. Das wäre ihr nun an und für sich nicht als das Schlimmste erschienen, wenn sie nur Gelegenheit gehabt hätte, sich die Zeit zu vertreiben, wie es ihre Art war. In Ratzeburg waren Lie Freundinnen gewesen und die Promenade am Markt und an schönen Tagen gemein same Ausflüge in die reizvolle Umgegend. Es hatte nie au Bewunderern gefehlt. Aber hier? Was nützten ihr ihre schönen Kleider, wenn niemand da war, dem sie sie zeigen konnte? Anfangs hatte sie sich für Johannes geputzt, und er hatte sich über seine hübsche kleine Frau gefreut. Ader auf die Dauer wurde ihr das langweilig. In Len ersten Wochen hatte es ihr noch Spaß ge macht, in Neuendamm ihre schönen Sachen zur Schau zu ! tragen. - ZU füllen daMe tz- dabei an Stahmer. Die ! Knechte, die Mägde, sogar die Kinder guckten ihr nach. Denen war die neue Lehrerssrau eine Art Weltwunder. So etwas hatte man hier noch nicht gesehen. Aber dis alteren Leute schüttelten Lie Köpfe. Eines Tages hatte Frau Pastor Mergenthten eine» Besuch im Schulhause gemacht. Karoline war gerade dabei gewesen, im Wohnzimmer einige ihrer hübschen Kleider anzuprobieren, die sie zur Aussteuer bekommen hatte. Rein zum Spaß tat sie es, um sich einmal wieder im Spiegel zu sehen. Auf allen Stühlen lagen Kleidungsstücke hemm. Die junge Frau stand ge rade vor dein großen Pfeilerspiegel, den Mama Diestel ihr hatte schenken müssen, und sand sich im blauseidenen Jupon mit modischem seidenen Mieder, aus dessen Spitzenbesatz die zarte Büste und die weichen kräftigen Arme reizend her vorschimmerten, selbst so hübsch, daß sie vor ihrem Spiegel bilds einen graziösen Knix machte. Da ging die Tür auf, und die Frau Pastor stand im Zimmer, ganz Hoheit und Würde. Mit raschem Griff warf Karoline ein duftiges blaues Kaschmirkleid, das für den Sommer berechnet war, vom Sofa auf die Erde und bat den Besuch, Platz zu nehmen. Dann verschwand sie selbst im Hinterzimmer, um nach wenigen Minuten in einer Weißen Spitzenbluse wieder zu erscheinen, wie sie die Frau Pastor noch nie unanständiger gesehen zu haben glaubte; denn nicht nur di« Arme, son dern auch Hals und Nackenansatz schimmerten in ihren Um rissen durch den zarten durchbrochenen Stoff. Frau Pastor Mergenthien nahm kein Blatt vor den» Mund, um der jungen Frau den Standpunkt klar zu machen. Erstens sei Lie Putzsucht überhaupt ein Laster, zweitens geb« sie dem ganzen Dorfe ein Ärgernis, und drittens paß ten so kostbare Toiletten ganz und gar nicht zu der beschei denen Stellung einer Lehrerssrau, die mit jedem Grosche» rechnen müsse, wenn sie auskonunen wolle. (Fortsetzung folgt.)