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l^risenluft. Nachstehende Betrachtungen eines unserer politischen Mitarbeiter beleuchtete die Lage in Genua unmittbar nach Barthous Rückkehr. Sie dürften, obwohl man inzwischen ein paar Schritte weiter gekommen ist, auch jetzt noch be achtenswert erscheinen. Unser Gewährsmann schreibt: Barthou ist nach Genua zurückgekehrt und hat sofort mit Lloyd George die Pläne, die in Paris entworfen wurden, besprochen, bevor Frankreich sich wieder in der Konferenz und in den Kommissionen blicken ließ. So wenig Frankreich von seiner bisherigen Politik abzugehen gedenkt, so sehr ist es doch bestrebt, einen offenen Zerfall der Entente zu vermeiden, und da Lloyd George Herrn Poincarü nur die Wahl zwischen dem Fortbestands der Entente und einer neuen europäischen Konstellation ge lassen hat, so dürfte man wohl in Paris Bedenken be kommen haben, weiter auf der äußersten Linie mit Belgien allein zusammen zu marschieren. Die Unterredung Lloyd Georges mit den deutschen Delegationsführcrn und hinter her mit den Nüssen hat ihren Eindruck in Paris nicht ver fehlt. Man braucht sich keinen Illusionen hinzugeben, daß Lloyd Georges Politik etwa darauf hinaus gehe, bereits jetzt eine engere Zusammenarbeit mit Deutschland und Rußland in die Wege zu leiten, aber er weiß ganz genau, daß er Frankreich durch keine andere Art dazu zwingen kann, seine äußerste Obstruktion aufzugeben. Bemerkenswert ist, daß Belgien in der Frage deS . russischen Memorandums bereits einzulenken beginnt, um - Frankreich die Entscheidung darüber zu ersparen, ob es seine Unterschrift weiterhin verweigern soll. Das Memo randum an Rußland verlangt nur in allgemeinen Aus drucksformen die Garantie für die Güter und Rechtsan sprüche ausländischer Kapitalisten, nicht aber ihre tatsäch liche Rückgabe. Daran hatte sich Belgien gestoßen, offen sichtlich von Frankreich getrieben. Indessen steht die Entente in diesem Punkte den Russen nicht unverwundbar gegenüber. Die Sowjets könnten darauf Hinweisen, daß die Entente selbst in viel schärferer Form Privatgut ent eignete und gar nicht daran denkt, es tatsächlich zurückzu geben, sondern Deutschland zwingt, alle Entschädigungen für die Liquidationen während des'Krieges seinen Staats angehörigen zu bezahlen. Insofern ist also der Stand punkt der Russen durchaus nicht ohne" innere Begründung, und seitdem England den Modus der Entschädigung und nicht der Rückgabe anerkannt hat, hat es auch wenig zu bedeuten, daß das offizielle Amerika in diesem Punkte mit den Engländern nicht mitgeht. Hier scheint nach der Rückkehr BarthouS eine Ände rung eingetreten zu sein. Tatsächlich besteht gerade in dieser Frage für die Franzosen die Gefahr, vollständig isoliert zu bleiben, denn alle andern Mächte, die das Me morandum unterzeichnet haben, und die auch bereit sein dürften, auf dieser Grundlage im allgemeinen mit sich reden zu lassen, dürften ohne Zweifel mit den Russen zu einem Einvernehmen gelangen körnen, und in der Frage der russischen Vorkriegsschulden sind, da der größte Teil der russischen Staatspapiere sich in französischen Händen befindet, die übrigen Mächte weit weniger interessiert, so daß Frankreich von etwaigen Konzessionen auf diesem Gebiete für seine eigenen Kapitalisten die schwersten Ge fahren zu erwarten hätte. Diese Gesichtspunkte scheinen das französische Kabinett dazu veranlaßt zu haben, nicht starrsinnig an der bisherigen chauvinistischen Politik festzu halten und Barthou auf seinem Posten zu lassen. Die Un zufriedenheit war groß, sie hat sich indessen gelegt, und wenn auch Barthou für alle Fragen einen Koffer voll In struktionen mitbekommen hat, so wird er vielleicht in Zu kunft doch etwas freier entscheiden können als vorher. Lloyd George hatte bereits sür die Rückkehr des fran zösischen Delegationsführers eine Besprechung auch mit den Führern der deutschen Delegation vorbereitet. Es liegt vollständig im Dunkeln, was damit beabsichtigt wird. Deutschland 'und Frankreich haben nur in einer Richtung ein annähernd gemeinsames Interesse, und das ist die Frage der internationalen Anleihe. Es sieht so aus, als ob parallel zu den Pariser Verhandlungen, die Reichsminister Hermes führen wird, in Genua eine Füh lungnahme erfolgt, die teilweise auch die Probleme regelt, die nach dem 31. Mat zur Debatte stehen, und gegen deren Erörterung die Franzosen vorher entscheidenden Wider stand geleistet haben. Keine Nation hat ein besonderes Interesse daran, die Konferenz von Genua zum Scheitern zu bringen, und äußerst geschickt hat Lloyd George die Dinge immer darauf hinausgespielt, jedesmal denjenigen Staat als das schwarze Schaf zu brandmarken, der seinen Wünschen entgegenhandelte. Nachdem er jetzt ausdrücklich Frankreich vor die Mahl zwischen der Freundschaft Belgiens oder Großbritanniens gestellt hat, dürste die ent scheidende Schwenkung (natürlich auf französischen Wunsch) bei Belgien liegen. Barthous neue Marschroute wird in folgedessen wahrscheinlich dahin gehen, eine mit franzö sischen Sonderwünschen belastete Einigkeit gegenüber einer freien Entschließung der übrigen großen Konferenz mächte durchzuführen. , Eine so MUiLröen-Znlelke? Derenglisch-italienische Reparationsplan. In Genua sieht man trotz aller Krisen der weiteren politischen Entwicklung mit einer gewissen Ruhe und Sicherheit entgegen. Dazu trägt vor allem die Hoffnung bei, daß es gelingen wird, eine Verständigung über den 31. Mal herbeizuführen, und zwar vielleicht auf Grund eines eng lisch-italienischen Vorschlages. Dieser Plan will die deutsche Schuldsumme, die per 1. Januar 1922 auf 110 Milliarden beziffert wurde, ittzwei Teile zer legen. Für die ersten 65 Milliarden würde sich Deutsch land zur Zahlung von Kapital und Zinsen nur in dem Fall zu verpflichten haben, wenn einer der alliierten Gläubiger die Zahlung seiner Kriegsguthaben von einem allterten Schuldner einfordern sollte. Die andern 45 Milliarden sollen in der Höhe von 5 Milliarden in eine englische A n leihe umgewandelt werden. Die übrigen 40 Milliarden sollen mit einem Zinsfuß von fünf Prozent in Raten von je sechs Monaten gezahlt werden. Inzwischen müßte sür Deutschland eine internatio nale Anleihe von 30 Milliarden beschafft werden, während Deutschland sichere Garantien für seine Verpflichtungen geben müßte. Diese würden umfassen den Ausgleich des Etats bis 1924, Stillegung der. Notenpresse, Unabl "w.gig- keit der Neichsbank und Festlegung des Kohlenpreises auf drei Viertel des Weltmarktpreises. Man nimmt in Genau an, daß es gelingen wird, mit der Reparationskommission über die Bedingungen des Moratoriums zu einer Verständigung zu gelangen, auch wenn die Ausschreibung neuer Steuern im Betrage von 60 Milliarden undurchführbar bleibt. Auch die Aussichten der Anleiheverhandlungen in Paris, die für die weitere Entwicklung ausschlaggebend sind, werden nicht ungünstig beurteilt, hat doch Lloyd George selbst nachdrücklich „Klugheit und Mäßigung" bezüglich der am 31. Mai fälligen deutschen Verpflichtungen angeraten. Ob die Franzosen diesem Rat folgen werden, steht allerdings noch auf einem andern Blatt. politische kuncilcbau. VeutkcklsnL Der Stenerantefl der Länder und Gemeinden. Nach einer Blättermeldung über die Würzburger Fi nanzkonferenz sollen nach den dort aufgestellten allgemei nen Richtlinien die Länder und Gemeinden künftig drei Viertel statt wie bisher zwei Drittel der Reichsein kommensteuer erhalten. Der Fehlbetrag des Reichs- Haushalts soll unter Umständen durch eine weitere Er höhung der Umsatzsteuer gedeckt werden. Die Vorschüsse, die das Reich seit Anfang 1921 für die Beam tengehattserhöhungen den Ländern und Gemeinden ge geben hatte, sollen in feste Beiträge des Reiches umge wandelt werden. Der Bau von Bergmannswohnungen wurde im Hauptausschuß des Reichstages besprochen. Es Wurde darauf verwiesen, daß die zur Ermöglichung der Vorschußzahlung zur Errichtung von Bergmannswohnun gen erforderlich gewesenen Mittel im Gesamtbeträge von 1,8 Milliarden Mark vom Reiche nur im Kredit Wege beschafft werden konnten und dafür 5 Prozent Zinsen ouf- gewendet werden müßten. Seit Beginn der Bautätigkeit seien rund 25 000 Wohnungen begonnen, aber erst rund 12 000 beendet — angesichts der Belegschaft von rund einer Million bedeute dies nicht weiter als einen Tropfen auf einen heißen Stein. Die Erhebung der Zwangsanleihe. Eine vorläufig noch nicht amtlich bestätigte Meldung über den Entwurf zur Erhebung einer Zwangsanleihe, der dem Neichsrate vorgelegt wird, enthält folgende Ein zelheiten: Die ersten 100 000 Mark Vermögen sind steuer« Sammelmappe für bemerkenswerte Tages- und Zeitereignisse * Barröre erklärte in einer Verbalnote an de Facta, daß Frankreich seine Unterschrift zu dem Russen-Memorandum so lange nicht gebe, als Belgien die seine verweigere. * Die Anleiheverhandlungen werden auf Grund eines neuen englisch-italienischen Neparationsplanes verhältnismäßig gün- ftig beurteilt. * In München trat der Reichsverband der deutschen Presse zu seiner Jahreshauptversammlung zusammen, zu der der Reichspräsident ein Begrüßungstelcgramm sandte. frei, bet höheren Vermögensbeträgen sollen die Sätze der Reichsvermögenssteuer mit Zuschlägen Anwendung fin den. Diese neuen Anleihezuschläge betragen für die ersten 250 000 Mark 4 Prozent, für die zweiten 6 Prozent, für die dritten 8 Prozent, darüber hinaus 10 Prozent. Ein zahlung, Verzinsung, Beleihungsmöglichkeit, Strafbe- stimmungen regelt im einzelnen der Entwurf der Anleihe, deren Ertrag man auf mindestens 60 Milliarden Mark schätzt. Der preussische Landtag nahm in seiner Sitzung am 6. Mai nach kurzer Debatte die an den Vortagen beratenen Kirchengesetze an und zwar in dritter Lesung gegen die Stimmen der Sozialdemokraten. Dann vertagte sich das Haus auf den 15. Mai. Die Gross-Hamburger Frage. Der besondere Ausschuß des Preußischen Landtages, der kürzlich eine Besichtigung in der Umgebung Hamburgs vorgenommen hat, beriet jetzt mit Vertretern des Ham burger Senats über die Groß-Hamburger Frage. In ein gehenden Darlegungen wurden namentlich die Hafen- und siedlnngstechnischen Gründe für die Notwendigkeit einer Gebietserweiterung dargclegt und betont, daß eine bal - digebefriedigendeLösungder Groß-Hamburgrr Frage im Interesse des deutschen Wirtschaftslebens drin gend geboten sei. clngain. Da8 neue Oberhaupt des Hauses Habsburg Die Habsburgerpropaganda in Ungarn scheint in ein neues Stadium zu treten. Erzherzog Friedrtchist mit seinem Sohne Albrecht in Budapest eingetroffen. Der zehnjährige Erzherzog Otto, der älteste Sohn des verstorbenen Kaisers Karl, ist von den Habsburgern als Oberhaupt der Familie anerkannt worden. — Erkaiserin Zita wird mit ihren Kindern in den nächsten Tagen als Gast des Königs von Spanien in Sa n S ebastian Wohnung nehmen. Ckma. DaS Ende deS Bürgerkrieges? Nach einer schweren Niederlage ist der Marschall Tschang-Tso-Lin in der Rich tung auf Mukden geflohen, das geschlagene Heer zieht sich in Unordnung auf Tientsin zurück. Damit ist der Bürgerkrieg wahrscheinlich beendet. General Wu-Pei-Fu allerdings beabsichtigt, seinen Sieg bis zum Äußersten auszunutzen, er habe erklärt, er werde sich nicht eher zu- friedengeben, als bis er den Kopf Lschang-Tfo-Lins habe. * Berlin. Der Reichspräsident hat an den zu einer Bundes- tagnng in Dortmund versammelten „Saarverein' ein Be- grüßungstelegramm gerichtet, worin er dem Bunde zu den Bestrebungen, die geistigen und kulturellen Beziehungen zu den Volksgenossen an der Saar auch während der Zeit der Ver waltungstrennung zu Pflegen, die besten Wünsche übermittelte. Königstein (Taunus). Der Bürgermeister hat die Vertre ter der umliegenden Gemeinden zusammenberufen und sie ange wiesen, sich zur Einquartierung weiterer französischer Truppen bereitzuhalten. . Paris. Im Finanzausschuß stellte ein Abgeordneter den Antrag, in Anbetracht der Finanzlage das Gehalt der Mi nister und der höheren Beamten sowie die Entschädigung für die Parlamentsmitglieder herabzusetzen. Volkswirtschaft. Erhöhung der Bierprcise? Nach Blättermeldungen sollen gegenwärtig innerhalb der maßgebenden Organisationen deS Braugewerbes Erörterungen im Gange seien, die auf eine neue Erhöhung der Bierpreise abzielen. Den Anlaß dazu gibt eine innerhalb des Braugewerbes jetzt mit großer Schärfe ein- setzende Lohnbewegung. Der Absatz von Bier zeigt gegen über dem Vorjahre eine Steigerung. Ilm die Heimat. Roman von Bruno Magnet. 43? (Nachdruck verboten.) Es durchfuhr sie heftig. Das hatte sie nicht beab sichtigt. Sie hatte ihn au seine Braut erinnern wollen. Aber nun verneigte er sich gegen sie und führte sie zum Tanzplatze. Die Reihen lichteten sich; das war man dem gnädigen Fräulein schuldig. Und nun tanzte sie, fast allein in der Runde, mit dem Manne, den sie in ihrem Herzen liebte. Hinter dem hohen Knick an der großen Kleekoppel, di- zu Heinrich Stahmers Hof gehörte, schritten zwei Men schen den schmalen Fußpfad hiu. Der war so eng, daß sie sich dicht aneinander drängen mußten. Es duftete so süß nach Honig von all den tausend Blüten. Fernher vom Waldsaum drang auS den niedrigen Büschen das Schluch zen der Nachtigall. Die beiden hörten es nicht. Sie atmeten tief nach der Anstrengung des' Tanzes. Heinrich Stahmer hatte den rechten Arm um Karoline Diestels Taille gelegt, und sie ließ eS sich willenlos ge fallen. Mit heißen Lugen blickte sie vor sich ins Dämmer- grau der hereingebrochrucn Sommernacht. Ihre Glieder waren ihr schwer von einer wohligen Müdigkeit. Das Lärmen der Musik und d-r Tanzenden drang verworren an ihr Ohr. Es war ganz dich! dabei; aber die Hecke ent zog sie allen Blicken. ,Mir ist so heiß,' sagte sie und blieb stehen. Da schlang er beide Arme um sie und küßte sie, wohin er traf, — auf den Mund, die Augen, die Wangen, den Nacken. Sie hatte leise aufgeschrien im ersten Schreck. Einen Augenblick wehrte sie sich. Dann ließ sie die Arme sinken. Und nun gab er sie frei. „Du süße, süße Deern!' sagte er und sah sie mit begehrenden Augen an. Da schlug sie die Hände vors Gesicht und sing an zu weinen. „Warum haben Sie das getan?' sagte sie kläg lich. „Was wird nun Johannes sagen?" Stahmer lachte rauh; und es kam mit hartem Klang ans seinem Munde. „Gar nichts wird er sagen. Denn wir werden es schön bleiben lassen, ihm was zu erzählen.' Sie weinte noch immer. „Ich mag ihn gar'nicht mehr ansehen," sagte sie. „Ich mag ihm nicht mehr unter die Augen gehen." — Stahmer faßte ihren Kopf mit beiden Händen. „Du kleines Dummerchen," sagte er. „Hast du denn noch nicht einen anderen Mann geküßt?" Sie schrak heftig zusammen. „Me können Sie so was von mir denken, Herr Stahmer?" sagte sie mit jämmer licher Miene. Aber im selben Augenblick fiel ihr der Leut nant ein, der sie am Parkrande von Poppenhagen geküßt hatte. Nein, das war ganz etwas anderes gewesen. Da hatte sie nichts dafür gekonnt. Aber jetzt . Sie sah unwillkürlich mit einem Lächeln unter Tränen zu Hein rich Stahmer auf. _ — Und mm lachten sie sich Leide an; und dann küßten sie sich wieder. Dieses Mal. hielt sie nicht nur still, sie gab den Kuh zurück. Da faßte sie Stahmer plöülich mit beiden Armen um den Leib und hob sie hoch in die Höhe, daß sie hätte ausschreieu mögen vor Angst «nd Entzücken. Eirk Taumel der seligen Lust war über sie gekommen. Und auf einmal, als ihr Kopf gerade in gleicher Höhe mit dem seinen war, fuhr sie ihm mit den Händen in das kurze Haar und schmiegte ihr Gesicht dicht an seines. Da setzte er sie rasch nieder. „Donnerwetter! Da ist wer!" raun!« er hastig. Hinter dem Knick hatte es ge- rausht. Sie hörten, wie jemand versuchte durchzubrechen. „Mach, daß du fortkommst," sagte Stahmer leise; und sie lief, waS sie laufen konnte, in der Richtung, aus der dis Musi! kam. Gesine Jessen stand hinter der dichten Hecke. Sie hatte die beiden vom Tanze fortfchleichen sehen und war ihnen nachgegangen. IM Dunkel hatte sie sie aus den Augen verloren. Aber sie war dem Knick gefolgt, und dann hatte sie auf der anderen Sette Küsse und Flüstern gehört. Das mußten sie sein. Eine haßerfüllte Schaden freude überkam das alternde Mädchcn. Ihr waren die Männer nie nachgelaufen. Was mußte diese Karoline für ein verworfenes Geschöpf sein! Und dann dach!« sie an Johannes. Der würde Augen machen! Ob sie ihn leise herbeihotte? Gesine liebte ihren Binder in ihrer rauhen Art. Es tat ihr leid, daß man ihn hinterging. Wer hatte er es anders haben wollen? Diese Karoline HM« doch nie zu ihm gepaßt. Besser schon, es nahm jetzt gleich ein Ende. Nun hörte sie wieder das Flüstern. Sie wollte sich doch selbst überzeugen, was da vor sich ging, und so begann sie di« Zweige auseinander zu biegen. Da wurde es still drüben, und jetzt war ihr, als liefe dort jemand fort. „Karoline! Karoline!" rief sie halblaut. Da trat plötz lich ein Mann durch die Lücke in der Wand von Büschen, — ganz dicht neben ihr. Obwohl er im Schalten stand, erkannie sie ihn sofort. „Sind Sie es, Herr Stahmer? Sie sollten sich WaS schämen!" Er lachte fröhlich heraus. „Fräulein Jessen, wo kom men Sie denn her? Aber das finde ich nett von Ihnen, daß sie mir auf den Strich passen —" Sie unterbrach ihn zornig. „Wie Sie so reden können! Mo haben Sie meine Schwägerin Karoline? Ach, was sage ich; meine Schwägerin wird die nicht, wenn ich es hindern kann." Er machte ein erstauntes Gesicht. „Fräulein Karoline Diestel? Die tanzte doch eben mit dem Leutnant von Gudow! Wie sollte sie hierher kommen?" Gesine stand wie augedonnert. Sollte sie sich doch ge irrt haben? „Nein, nein!" sagt« sie wütend. „Ich habe sie deutlich erkannt." Da lachte er vergnügt. „Des NachtS sind alle Katzen grau! Und Pastors Miuchen hat beinahe dieselbe hübsche Figur wie Fräulein Diestel. Ich Litte Sie nur, verraten Sie nichts; das arme Mädchen fliegt bei Herrn Pastor Mergenthren sofort aus dem Dienste." Dann kam ihm eint tolle Idee. Er faßte Gesine am Arm. „Und jetzt kommen Sie; nun wollen wir beide zu sammen tanzen!" Sie stieß ihn entrüstet zurück und machte, daß sie fort kam. Aber ihre Sicherheit war erschüttert. (Fortsetzung folgt)