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Ottendorfer Zeitung : 22.03.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-03-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-192203220
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19220322
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19220322
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-03
- Tag 1922-03-22
-
Monat
1922-03
-
Jahr
1922
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 22.03.1922
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Vernickel' Aeickstag. ! (Aus der 185. Sitzung.) Die Erledigung einer größeren Zahl Kurzer Anfra gen bildete wieder den Anfang der Verhandlungen. Zu er wähnen ist aus diesen Anfragen, daß der Abg. Brüning haus (D. Volksp.) sich nach der Stärke der französischen Kolonialtruppen erkundigte und daran die Frage knüpfte, ob es richtig sei, daß die deutsche Regierung noch nie mals Einspruch gegen die Verwendung farbiger Truppen er hoben habe. Darauf erwiderte ein Rcgierungsvertreter, die Zahl der farbigen französischen Truppen übersteige erheblich die Zahl von 18000, im Sommer steige sie sogar aus über 25 000. Einspruch dagegen ist wiederholt erhoben worden. Auch der Abg. v. Schoch (D. Volksp.) verlangte Aufklärung über das Verhalten farbiger Soldaten im besetzten Gebiet. Darauf ließ die Regierung erklären, daß in jedem Falle geeignete Maßnah men ergriffen würden, um Übergriffe Farbiger klarzustellen und zu sühnen, aber meistens würden von den Besatzungs behörden Auskünfte nicht erteilt. Abg. Bartz (Komm.) er kundigte sich nach Maßnahmen gegen den Ankauf der diesjähri gen Ernte zu ungeheuer hohen Preisen, die einen Brotprcis von 50 bis 60 Mark verursachen würden. Daraus wurde von feiten der Regierung geantwortet, daß diese Gerüchte nicht be gründet seien. Diese Gerüchte seien auch aus inneren Gründen unrichtig, weil im Auslande genug Getreide zu haben sei. Falls bestimmte Tatsachen vorlägen, 'würde rücksichtslos einge schritten werden. WeiterberaLung des Etats des Neichswehrministers. Abg. Schöpflin (Soz.) erklärte, daß die Reorgani sation der Reichswehr eine rühmliche organisatorische Leistung des Ministeriums sei. Allerdings müsse gegen den hier und da immer wieder auftretenden Freikorpsgeist und sonstige Erscheinungen vorgegangen werden. Das sei eine gebieterische nationale und militärftche Pflicht. Gegen Mißhandlungen müßten sich die Soldaten wehren. An die Verfassungstreue der Reichswehr glaube auch die Partei des Redners. Eine Putschgesahr drohe von dieser Seite nicht. Allerdings würden sich die Arociterklassen zum Schutze der Republik jedem Putsch entgegenstellen. Im Volke findet der Ncvanchegedanke keinen Boden. Abg. Heike (Dem.) erklärte das Einverständnis seiner Par tei mit den Worten des ReichswehrminiftcrZ. Wir bedauern, daß cs nicht mehr möglich ist, für Deutschland eine Wehr zu haben, die in der Tat ein Volksheer ist. Der Begriff des Volkshecres ist tatsächlich ein urdemokratischcr Gedanke. Abg. Etting (Zentrum) warf die Frage auf, aus welchem Grunde Wohl Frankreich sich so nationalistisch benehme. Frank reich will draußen in der Welt Stimmung gegen uns machen, und dazu müsse die Reichswehr herhatten. Trotz aller inter nationalen Kundgebungen bleiben die Chauvinisten in Frank reich maßgebend. Abg. von Gallwitz (Deutschn.) erklärte, unsere Heeresver waltung stehe gar zu sehr unter der Einwirkung der Entente. Die darauf beruhenden Maßnahmen sind meist übereilt, z. B. die Munitions- und Wassenvernicktung im vorigen Jahrs und die Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit. Durch den Erlaß, das Tragen der Uniform einzuschrünken, ist den alten Offizieren ein Makel angetan. Der Erlaß wird als verletzend und un gerecht empfunden. Er verstößt gegen den Schutz wohlerwor bener Neckte, der durch die Verfassung gewährleistet ist. Abg. Brüninghaus (D. Volksp.) sprach seine Zustimmung zu den Grundsätzen des Reichswehrministers aus. Die Politik muß von der Truppe ferngchalten werden. Auf diese Weife wird sie ein geeignetes Mittel zur Aufrechterhaltung der Ord nung werden. Die gute alte Tradition darf man nicht unter schätzen. Schärfster Protest müsse erhoben werden, wenn sich die Überwachungskommission sogar in unsere Reglements einmisch:. Abg. Künstler (Ü.-Scz.) beschäftigte sich zuerst mit Besol- dungsfragcn und ging dann auf allerhand Einzelheiten der Reichswehrvcrhättnisse ein. Er behauptete u. a., daß es put- schistischc Gehcimbündc gebe und daß die Soldatcnschindereicn «och immer nicht aufgehört hätten. Reichswehrminister Geßler erklärte die Mitteilungen des Abg. Künstler über Geheimorganisaticnen in der Reichs wehr für haltlose Spitzelberichte. Was die Frage der Soldaten schindereien anlange, so könne er zu den einzelnen Fällen keine Stellung nehmen, bevor sie durch das Gericht aufgeklärt und sestgestellt worden seien. Die Angaben des Abg. Künstler dürf ten zumeist auf Klatschereien früherer Angehöriger der aufge lösten Freikorps beruhen. Abg. Thomas (Komm.) bezeichnete die Rede des Neichs- wehrministers als vom Geist von Potsdam erfüllt. Das Auf treten der Franzosen in "Deutschland verurteile auch seine Partei. Das Gehalt des Ministers wurde daraus bewilligt. Vom ^oKnKLMpfplLt?. Berlin. (Überschreitungen des Achtstunden tages strafbar.) Durch mehrere Zeitungen und Zeitschrif ten ging die Nachricht, daß sich nach einem Urteil des Reichs gerichts Arbeitgeber, die Arbeitnehmer mit ihrer Zustimmung länger als achl Stunden beschäftigen, nicht strafbar machen. Den Veröffentlichungen liegt ein auch schon früher unrichtig wieder gegebenes Urteil des Reichsgerichts zugrunde. Das Urteil bringt jedoch lediglich zum Ausdruck, daß sich bei Überschrei tung der gesetzlich zulässigen Arberrszeit nicht der Arbeitnehmer, sondern nur der Arbeitgeber strafbar macht. Die Fest stellung der Rechtslage erscheint notwendig, um den gezogenen irrigen Folgerungen und den daraus erwachsenden Weiterun gen entgegenzutrurken. Die von den zuständigen Stellen ge nehmigten Überstunden werden davon nicht betroffen. Magdeburg. (St r e ik b e i le g u n g.) Der Metallarbei terstreik in Magdeburg, an dem rund 18 600 Arbeiter beteiligt waren, ist nach zehntägiger Dauer durch Vergleich beendet wor den. Es bleibt bei der Entscheidung des Schlichtungsaus schusses, der eine Stundenzulage von 1,50 Mark für Februar und von 0,75 Mark für die erste Hälfte des März vorsah. Ab 15. März wird den Arbeitern eine weitere Stundenzulage von 0,95 Mark gewährt. Die Arbeit ist wieder ausgenommen. Ein fürstliches Brautpaar: Prinzessin Olga Kronprinz Friedrich von Griechenland. von Dänemark. Zusammenbruch des llufruhrs in Südafrika. Johannesburg wiedercrobert. Die Bekämpfung des bewaffneten Aufstandes der Weißen Minenarbeiter im Kapland war nach dessen be drohlicher Ausdehnung in die Hände des bekannten Gene rals Smuts gelegt worden, der mit der bei den Englän dern üblichen Schärfe und Rücksichtslosigkeit den Aufruhr auch binnen kürzester Zeit blutig unterdrückt hat. Mit ver stärkten Truppen ist er auf allen Punkten Erfolgreich vor gegangen und hat Johannesburg völlig von den Auf ständischen gesäubert. Vor allem hat er Militärflug zeuge zur Bekämpfung der Streikenden verwendet. Wo Polizeiposten von den Streikenden belagert werden, er scheinen Militärflugzeuge und werfen Bomben ab. Wenn dann die Reihen der Streikenden in Unordnung geraten, greifen die Polizeitruppcn mit Maschinengewehren an. Den Negierungstruppen gelang es, 2200 Streikende gcfangenzunehmeu. Von I>iak und fern. Eine elfhundertjährige Kirche. Die Michaelskirche zu Fulda, die neben dem Aachener Tom wohl die älteste Kirche Deutschlands ist, feiert in diesem Jahre zum 1100. Mal den Tag ihrer Weihe. Die Kirche, deren Bau 820 vom Abt Eigil in Angriff genommen wurde, wurde 822 vollendet. Aus dieser frühesten Zeit stammt nur noch der Rundbau, sowie die Krypta unter der Kirche. 50 Abiturienten relegiert. Auf Ministerialbeschluß ist 50 Primanern der Staatlichen Bildungsanstalt in Berlin-Lichterfelde, der früheren Kadettenanstalt, von denen ein Teil bereits das schriftliche Abiturienteneramen hinter sich hatte, eröffnet worden, daß sie die Anstalt zu verlassen hätten. Sie hatten eine der in der Anstalt tätigen Hausdamen, die sie für politisch linksstehend hielten, schwer beschimpft und tätlich anzugreifen versucht. Eine Krankatastrophe. Im Hafen der Zeche „König Ludwig" bei Gelsenlirchen wurde infolge eines Sturmes der große Brückenkran von seiner Verankeruna losgerissen. Auf seinen Schienen fortlaufend, fand er an dem am anderen Ende befindlichen Abschluß nicht genügend Wider stand. Der gewaltige Kran stürzte mit Donnergetöse in die nahen Waldungen und ist mit seinen sämtlichen Mo toren fast vollständig zerstört. Man schätzt den Schaden auf mehrere Millionen. Ein Muttermörderin. In Lechhausen bei Augsburg ist die Fabrikarbeiterfrau Karoline Erber von ihrer arbeitsscheuen, wiederholt vorbestraften Tochter und dem Geliebten der Tochter in ihrer Wohnküche erstochen wor den, weil sie der Tochter die Abgabe von Kleidern und Wäsche verweigert hatte. Das Mörderpaar ist verhaftet und geständig. Die deutschen Kriegergräber in Dänemark In der deutschen Kolonie in Kopenhagen hat sich ein Ausschuß zur Erhaltung der deutschen Kriegergräber in Dänemark gebil det. Bisher hat er etwa 250 Gräber mit Hilfe der däni schen Behörden, der deutschen Konsulate und des Zentral nachweisamts in Berlin ermittelt; der größte Teil der Gräber bedarf der Instandsetzung. 85 Gedenksteine sind in Deutschland in Arbeit gegeben. Maßnahmen gegen den AutomobilschmMgel. Aus Eupen berichtet man: Von Automobilisten und Rad fahrern, die die deutsche Grenze passieren wollen, wird seit einiger Zeit vom deutschen Zollamt die Hinterlegung einer Kaution verlangt, deren Höhe dem Wert des Wagens oder . Fahrrades entspricht. Für Lastautos werden 50 000 Mark, für Luxuswagen bis zu 100 000 Mark verlangt; für Fahr räder beträgt die Kaution einige tausend Mark. Durch die Sicherheitsforderungen will man verhüten, daß Automo bile und Fahrräder über die Grenze geschmuggelt werden. Bei Rückkehr an die deutsche Grenze wird der hin'crlcgtc Betrag zurückerstattet. Die Angehörigen des Internatio nalen Automobilklubs sind von der Maßnahme nicht be troffen. Eine ganze Familie ermordet. In Branik bei Bratz- wurde der vermögende Uhrmacher Ledecky in seiner Woh nung erschlagen aufgefunden. Im Nebenzimmer f-nd man die Leichen feiner Frau und seiner Tochter. Die Täter haben 50 000 Kronen Bargeld und viele Schmuck gegenstände erbeutet. Ein Flößer ist unter dem dringen den Verdacht, an dem Morde beteiligt gewesen zu sein, verhaftet worden. Flucht vor dem Vesuvausbruch. Der Direktor des Vesuvobservatoriums verständigte die Behörden, daß er die Räumung der am Vesuv gelegenen 13 Ortschaften im Umkreise von 16 Kilometern für notwendig halte. Der Krater des Vesuvs ist von dicken schwarzen Rauchwolken umgeben. Infolge der bedrohlichen Tätigkeit des Vesuvs haben viele Fremde in den letzten Tagen Neapel verlassen. Russische Postgebühren. In Rußland ist für den internationalen Postverkehr ein neuer Portotarif einge führt worden, nach dem eine Postkarte mit 6000 und ein Brief bis zu 20 Gramm mit 15 000 Rubel frei gemacht werden muß. Die Einschreibegebühr beträgt weitere 15 000 Rubel. * Berlin. Der Senat der Freien Stadt Danzig hat für die Opfer des Oppauer Unglücks dem Reichshilfsausschuß für Oppau 10 000 Mark zur Verfügung gestellt. Mainz. Die hiesige Polizei beschlagnahmte Millionen werte von Farbsendungen, die undeklariert und ohne Genehmi gung dem Auslande zugeführt werden sollten. Der angebliche Absender ist ein Hamburger Kaufmann. Paris. Auf einem Schießplatz bei Marseille sind zwei Flugzeugs in einer Höhe von 300 Metern zusammengestoßen; beide Führer wurden getötet. Gericktskatte. Erfolgreiche Revision im Wyneken-Prozeß. Die Strafsache gegen den bekannten Rcformpädagogen Dr. Gustav Wyncken, der am 30. 8. 1921 vom Landgericht in Rudolstadt wegen Sitt lichkeitsverbrechens zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde, beschäftigte jetzt das Reichsgericht. Auf die Revision des Ver urteilten hob das Reichsgericht das Urteil auf und verwies es an das Landgericht zurück, da weder vor Vsrkündung des Be schlusses aus Ausschluß der Öffentlichkeit, noch während der Verkündung der Urtsilsgründe die Verteidiger des Angeklag ten gehört worden seien. Schiebcrprozetz in Köln. Umfangreiche Schiebungen in den Dentzer Gasmotoren- und den van der Zypen-Werken hat ten vor der Kölner Strafkammer ein Nachspiel. Ermittelt werden konnten seinerzeit noch 28 Waggons, die mit wert vollem Eisenmaterial unter falscher Bezeichnung aus den Wer ken gingen. Das auf unrechtmäßige Weise hinausgegangene Material stellte einen Wert von zwei Millionen Mark dar und wurde mit Hilfe von Ingenieuren und Eisenbahnern an Köl ner Großhandlungen verkauft. Das Gericht verurteilte wegen Betruges einen Ingenieur zu 14 Monaten Gefängnis und 30 000 Mark Geldstrafe und die übrigen Angeklagten zu 13 Mo naten, 12, 6 und 4 Monaten Gefängnis. Ende des Prozesses Hiller-Helmhake. Das Reichsgericht hat die Revision des früheren Gerichtsafsessors und Oberleut nants Haps Hiller, der am 18. Dezember 1921 von einem Ber liner Schwurgericht wegen Mißhandlung des inzwischen ver storbenen Füsiliers Helmhake zu 6 Monaten Festungshaft vc» urteilt worden war, verworfen. Sine slurmilcke Werbung. (Nachdruck verboten.) Wilhelm — der später den Namen „der Eroberer" führte — saß als junger, wegen seiner Tapferkeit gefürchteter Graf von der Normandie auf dem Erbe seines Vaters, Roberts des Teufels. Da lernte er, so erzählt ein alter Chronist, seine Ver wandte Mathilde, die Tochter Balduins von Flandern, kennen und lieben und schickte Abgesandte an ihren Vater, um sie zur Ehe zu begehren. Gräfin Mathilde muß, aus zeitgenössischen Schilderungen zu schließen, ein Musterbild von Schönheit, Geist und Geschick lichkeit gewesen sein. Sie wurde gefeiert ob ihrer Gelehrsam keit und Schönheit und war berühmt wegen ihrer Geschicklich keit in Handarbeiten. Da außerdem Mathildes Vater, der Gras von Flandern, mit den meisten Königshäusern Europas ver wandt, dabei reich, mächtig, klug und mutig war, bildete die Gräsin eine sehr „gute Partie". Der Graf von Flandern gab mit Freuden seine Einwilli gung zu der Heirat und versprach Will^lm sogar eine reiche Mitgiit. Aber er stand allein mit seiner Zustimmung. Die Höse: von Frankreich und Burgund widersetzten sich, und die Kirche verbot die Heirat wegen zu naher Verwandtschaft. Der heftigste Widerstand aber ging von der Dame selbst aus, die, wie der Chronist meint, damals in den Banden einer anderen, unerwideven Liebe lag. Mit Hohn und Verachtung wies sie den Antrag zurück. „Sie wollte keinen Bastard zum Manne haben," gab sic ihrem Vater zur Antwort. In der Tat war Wilhelm der Eroberer ein natürlicher Sohn Roberts des Teu fels und einer Kürschncrtochtcr. Natürlich milderte Graf Bal duin ihre Worte den Abgesandten gegenüber und entschuldigte seine Tochter nach Möglichkeit. Aber die Tatsache blieb doch bestehen, daß Wilhelms Abgesandte ihrem Herrn einen regel rechten Korb überbringen mußten. Schon dies erbitterte den Grafen ungemein, aber seine Wut wurde ohne Grenzen, als ihm später die Worte hinterbracht wurden, die die Gräfin in Wirklichkeit in bezug auf ihn ge braucht hatte. Denn betreffs seiner Geburt war Graf Wilhelm äußerst empfindlich, und keiner durste je eine Anspielung aus sie wagen. In Heller Wut bestieg er sein Noß und ritt mit klei nem Gefolge nach Lille, wo der Graf von Flandern damals Hof hielt. Am Palaste angelangt, drang er allein und unge hindert bis in die inneren Gemächer vor. in deren einem er die alte Gräfin mit ihren Töchtern und Damen, bei ihrer Stickerei sitzend, antraf. Ohne Rücksicht ergriff er Mathilde bei ihrem langen, schönen Haar, schleifte sie durch das Zimmer, schlug sie und schleuderte sic zu Füßen ihrer Mutter. Die Damen waren über den plötzlichen Angriff so erschrocken, daß keine daran dachte, Alarm zu schlagen. Graf Wilhelm gelangte ungehindert hinaus, sprang in den Sattel und ritt eiligst heim. Diesen Schimpf konnte Graf Balduin nicht ungcrächt hiü- nehmen. Er fiel in die Normandie ein und tat durch Ver heerungen und Plünderung dem Lande schweren Schaden. Graf Wilhelm setzte sich zur Wehr, und nun folgte eine lange erbitterte Feindschaft, unter der beide Teile schwer zu leiden hatten. Endlich dachten beide, der langen Kämpfe müde, an Frieden, und man einigte sich aus einen Waffenstillstand, wäh rend dessen die Bedingungen für einen Vertrag beraten wer den sollten. Zur größten Überraschung erneuerte Graf Wilhelm seine Anfrage uni die Hand Mathildes. Der Graf von Flan dern sah schon im Geiste seine ganze Hoffnung auf Frieden in den Staub sinken; aber als man der Gräfin von der erneuten Werbung Wilhelms Mitteilung machte, beugte sie zu allgemei nem Erstaunen ihr stolzes Haupt und erwiderte, daß sie ihr sehr genehm wäre. Graf Balduin war erfreut, daß die Sache so freundschaftlich beizulegen war; er gab seiner Tochter eine prächtige Mitgift an Land, Geld, Juwelen und reicher Klei dung. Die Hochzeit würde 1051 im Schlosse Augi mit großem Pomp gefeiert. So endete die stürmische und eigenartige Werbung, und alle Hindernisse waren auf einmal beseitigt. Bei dem auf die Hoch zeit folgenden Bankett fragte Graf Balduin seine Tochter, wie sie dazu käme, in einen Ehcbund zu willigen, den sie zuerst mit Hohn von sich gewiesen hätte. Mathilde erwiderte stolz: „Da mals kannte ich Graf Wilhelm noch nicht so wie heute; nur ein Manu von großem Mute und hohet Kühnheit konnte es wagen, mich in meines eigenen Vaters Palast zu schlagen." Dis Antwort der jungen Frau hatte den vollen Beifall ihres Gatten und ihrer neuen Untertanen. Denn Wilhelm er i tgh daraus daß er auch ihr stolzes Herz durch die Kraft seiner Leidenschaft und seine Willensstärke gewonnen hatte, und daß sein wildes Vorgehen von seiner Braut eher bewundert, als ihm nachgctragen wurde. Und Mathilde von Flandern hatte nie Grund, ihre Kapitulation zu bereuen. Denn ihr Gemahl behandelte sie ihr Leben lang mit zartester Aufmerksamkeit, Hochachtung und Liebe. Polarhunde und zivilisierte Hunde. Der Polarfor scher Roald Amundsen erzählte in seinem Buch „Die Nord- ostdurchsahrt" verschiedene Tiergeschichten. Dabei schilderte er das Verhalten von Polarhunden und zivilisierten Hun den folgendermaßen: Es war merkwürdig, wie es unsere beiden Hunde Pan und Mosse verstanden hatten, sich von aller Zivilisation zu befreien. Ja, sie waren sogar von der Zivilisation viele Stufen zum wilden Tier Hinabgeftiegen. Die Natur hatte sie den Verhältnissen entsprechend ausge stattet, und sie bekamen einen Pelz, der dem der Polll'Hunde nicht nachstand. In intellektueller Hinsicht standen sie über der anderen Rasse, d. h. ihre Intelligenz erstreckte sich über ein weiteres Gebiet. Sie hatten mehr von der Welt ge sehen, und ihr Auffassungsvermögen war größer. So konnte ich ihre Aufmerksamkeit leicht auf etwas lenken, wenn ich mit dem Finger daraufzeigte. Aber wenn ich einem Porlarhund etwas zeigen wollte, indem ich den Finger hochhob, so betrachtete er höchst interessiert den Finger. Weiter konnte ich ihn nicht bringen. Die merk würdigste Ebarakterverschiedenheit kam indessen zutage, wenn sie fraßen. Man sollte doch glauben, daß ein Hund, der wie der Polarhund dem Wolf so nahe sicht, fein Fressen mit Zähnen und Klauen auch gegen Menschen ver teidigen würde. Aber das war nicht der Fall. Ich konnte ohne die geringste Mühe jedem von ihnen das Fressen wcgnehmen. Ganz anders war es bei Pan und Mosse, denen ich doch bessere Manieren beigebracht hatte. Ich hatte ihnen einen Knochen wegnehmen wollen, aber ich habe es vorgezogen, es nicht zum zweitenmal zu versuchen. Ein böses Knurren und zwei Reihen blanker Zähne hatten mich davon überzeugt, daß ich ein Fiasko erleiden würde.
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