Volltext Seite (XML)
7994 Börsenblatt f. b. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 154, 7. Juli 1910. Warenhäuser zu bekämpfen? Die Antwort ist abhängig von der Antwort auf eine andere Frage, nämlich nach der Bedeutung des Warenhauses für die Erweiterung und Ver tiefung des Büchermarkts. Denn nur davon ist die innere Berechtigung, sich als Mittelglied zwischen Produzent und Konsument einzuschieben, abhängig. Nun ist nicht zu leugnen, daß das Warenhaus das »Bedürfnis« in gewissem Sinne und in nicht geringem Maße steigert. Bietet doch das Warenhaus genug Ver lockungen aller Art: die Art der Auslage, die Zugaben, die billigen Preise, die billigen Tage und Wochen, die Ausver käufe, die Lockartikel, die Konzerte, die billigen Ersrischungs- räume, die Photographien, die dem größeren Käufer gratis angefertigt werden, und vieles andere mehr. So ist cs ja zu erklären, daß das Publikum in die Warenhäuser strömt und deren Besitzer in kurzer Zeit zu Millionären macht. Aber diese Steigerung des Bedürfnisses kann als eine ge sunde nicht angesehen werden. Man kann ihr Ergebnis zu sammenfasten in die Worte »Erziehung zum Schund». Das Warenhaus geht nicht in erster Linie darauf aus, Bedürfnisse zu erzeugen, sondern bereits vorhandene Bedürfnisse zu befriedigen, und zwar möglichst billig und — als unver meidliche Folge davon — möglichst schlecht. In der Kon kurrenz der Warenhäuser untereinander wird die Qualität der Ware langsam, aber sicher nach unten gedrückt, und es ist nicht schwer, auf allen Gebieten nachzuweisen, wie im Laufe der Jahre der Gebrauchsartikel immer schlechter und immer schlechter, allerdings auch immer billiger geworden ist, während er andererseits außerordentlich teuer gewordeu ist, sobald an die Qualität gewisse Anforderungen gestellt werden. Es gilt das von Stieseln und Kleidungsstücken so gut wie von Gebrauchsartikeln des Haushaltes und der Küche. Die notwendige Folge dieses Prozesses ist aber, daß das Interesse des Käufers an der schnell verderbenden, un soliden Ware verloren geht; verloren geht ebenso das Ver trauen des Käufers auf die Sachkunde und Reellität des Verkäufers. Im Warenhause kauft ja jeder auf sein Risiko und unter dem Anreiz des billigen Preises. Jede Rekla mation wegen der Qualität findet achselzuckende Abweisung unter dem Hinweis auf die große Billigkeit der Ware. Es ist aber klar, daß bei den außerordentlich verschiedenartigen Bedürfnissen, die heute ja jeder Mensch besitzt, der Käufer nur in seltenen Fällen selbst fachkundig genug sein kann, um zu beurteilen, ob er bei dem Einkauf einen der Qualität angemessenen Preis zahlt oder nicht. Er muß sich also in den meisten Fällen aus die Reellität und auf die Sachkunde des Verkäufers verlassen. Durch den sogenannten »modernen» Betrieb, wie ihn ja die Warenhäuser vorzugsweise pflegen, wird diese Wechsel wirkung zwischen Vertrauen des Käufers einerseits und Ver antwortlichkeitsgefühl des Verkäufers andererseits vollständig ausgeschaltet. Das bedeutet aus die Dauer nichts anderes, als die Vernichtung jeder Solidität und Reellität im Waren verkehr, wie diese bisher in Deutschland zum Segen seiner Volkswirtschaft geherrscht haben. Die vorstehenden im wesentlichen auf die Ware im all gemeinen auzuwendcnden Ausführungen haben nun in ganz besonderem Maße Gültigkeit für das Buch. Das Einzige, was für den Käufer wirklich von Bedeutung ist oder doch sein wollte, ist der Inhalt. Und auf die Verbreitung des Inhalts hat sich deshalb von je die Tätigkeit des Fachbuch händlers gerichtet. Beim Warenhause ist es umgekehrt. Einband, Ausstattung, Preis spielen hier die ausschlaggebende Rolle. Der Inhalt ist Nebensache. So wird das eigentlich literarische Interesse weitester Kreise der Volksschichten unter graben und abgelenkt auf Dinge, die mit dem literarischen Interesse nichts zu tun haben. Es kommt aber noch etwas Weiteres hinzu. Der Buch handelsbetrieb, wie er bisher in Deutschland üblich gewesen ist und wie er eine Intensität der Literaturoerbreitung erzeugt, hat, die unter allen Ländern der Welt beispiellos dasteht, ist darauf gegründet, daß der Buchhändler einerseits Artikel ver treibt, die leicht gekauft werden und an denen er damit einen verhältnismäßig guten und reichlichen Verdienst hat; daß er aber gleichzeitig seine Tätigkeit nachdrücklich einsetzt für eine Literatur, für die Käufer nur schwer heranzuziehen sind, an der er deshalb verhältnismäßig wenig, vielleicht sogar manch mal nichts verdient. Bisher konnte er aber, den geringeren Verdienst bei der letzteren Literaturgattung und den größeren Verdienst bei der ersteren ineinander rechnend, mit dem Ge samtergebnis feines Betriebes zufrieden sein. Nun kommt das Warenhaus und nimmt ihm nach und nach alle Artikel, an denen er reichlich verdient, weg; hütet sich aber selbst verständlich wohl, für den Vertrieb von Artikeln, an denen wenig verdient wird, cinzutreten. Die notwendige Konsequenz ist selbstverständlich, daß die Rentabilität des Sortiments geschäfts außerordentlich sinkt und daß dem Sortimenter der Vertrieb schwer verkäuflicher Literatur geradezu unmöglich gemacht wird, weil eben das Komplement der leicht verkäuf lichen Literatur fehlt. So wirkt der Büchervertrieb des Warenhauses nach zwei Richtungen in der schwersten Weise schädigend auf den Ver trieb der Literatur ein. Er untergräbt das ernste Interests an der Literatur und vernichtet die Geschäftsbetriebe, die dieses Interesse bisher gepflegt und auf seine jetzige Stufe gehoben haben. Aus diesen Erwägungen ergibt sich jedenfalls das gute Recht des Buchhandels, sich der Konkurrenz der Waren häuser mit allen Mitteln zu erwehren. Diese Mittel sind noch kurz zu erörtern. Das extremste Mittel ist jedenfalls die allgemeine Aus schaltung des Warenhauses vom Büchervertrieb überhaupt. Es könnte ja wohl als eine Möglichkeit erwogen werden, daß das gesamte Sortiment sich zusammenschließt und er klärt, sich für Verleger, deren Bücher im Warenhause zu finden sind, überhaupt nicht mehr verwenden zu wollen; daß auch sonst mit allen Mitteln dahin gewirkt wird, dem Warenhause den Bezug von Büchern überhaupt unmöglich zu machen, ja sogar, daß man auch mit anderen Detaillisten kreisen in Fühlung tritt und mit ihnen zusammenarbeitet, um die Konkurrenz der Warenhäuser zu überwinden. Bei näherer Überlegung dürfte aber ein solcher Weg doch als ungangbar erscheinen. Man darf sich nicht verhehlen, daß für manche Verleger das Warenhaus vermutlich schon ein sehr guter Kunde geworden ist, dessen Verlust für ihn einen schweren Schaden, ja vielleicht mehr als das bedeuten würde. Auch für das Leipziger Kommissionsgeschäft hat das Warenhaus bereits angefangen, ein merklicher Faktor zu sein. Indem das Warenhaus gewisse ungangbare Artikel aufnimmt und doch noch an den Mann bringt, bildet es gewissermaßen einen Notanker für den Verleger, der sich verkalkuliert hat und der durch die Mithilfe des Waren hauses seine Verluste wenigstens einigermaßen gemildert sieht. Hiergegen ist freilich einzuwenden, daß es auch im Verlags buchhandel nur reinigend wirken würde, wenn sich jeder Verleger bewußt sein müßte, daß er das volle Risiko für seine Verlagsunternehmungen hat und daß ihm nur die Wahl bleibt, seine Bücher entweder ordnungsgemäß zu ver lausen oder sie einzustampfen. Zwei andere Argumente aber erscheinen durchschlagend. Wenn man den Versuch macht, das Warenhaus vom Buch handelsvertrieb gänzlich auszuscheiden, so würde selbstver ständlich das Warenhaus den Kampf aufnehmen, seinerseits sich die Bücher auf jedem möglichen Wege zu verschaffen