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Ottendorfer Zeitung : 01.09.1915
- Erscheinungsdatum
- 1915-09-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191509019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19150901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19150901
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1915
-
Monat
1915-09
- Tag 1915-09-01
-
Monat
1915-09
-
Jahr
1915
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 01.09.1915
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Der M von Brest-Litowsk. Noch vor wenigen Tagen wies die führende Presse des Vieroerbandes darauf hin, daß Ruhlands Lage durchaus nicht verzweifelt sei, solange sich Brest-Litowsk halte und damit den Brennpunkt der Entscheidungsschlacht biete, die der Großfürst - Heerführer den Deutschen, Österreichern und Ungarn in der Gegend der Festung liefern werde. Und nun ist in überraschendem Ansturm die starke Festung in unsere Hand gefallen. Gewiß, an diese Entscheidungsschlacht haben wir nicht geglaubt, wußten zu gut, daß der Zustand des russischen Hauptheeres, das sich nun seit bald vier Monaten in ständigem Rückzüge befindet, eine solche Schlacht gar nicht gestatte. Wir wußten auch, daß die Russen es auf eine ernst hafte Verteidigung der Festung nicht ankommen lassen würden. Die Erfahrungen von Kowno und Nowo-Georgiewsk haben sie gelehrt, daß auch die stärksten Festungen einer deutschen Be lagerung nur Tage zu widerstehen vermögen. Der Versuch einer solchen Verteidigung aber mußte Brest-Litowsk das gleiche Schicksal be reiten wie Nowo-Georgiewsk. Denn immer enger hatte sich der Ring um die Festung ge legt. Nur die östliche Richtung stand noch offen. In kurzem konnte auch sie gesperrt werden. Deshalb würde — das war klar — Großfürst Nikolai hier nach dem gleichen System verfahren, das ihn seinerzeit Warschau und Iwangorod hatte preisgeben lassen. Dennoch glaubte man nicht, daß der Fall der Festung so nahe bevorstand. Das deutsche Ungestüm, der Drang nach vorwärts, der seinerzeit so kurzerhand Premysl und Kowno erledigte, bewahrte sich auch hier. Mit Brest-Litowssk ist wiederum ein starker russischer Waffenplatz gefallen. Ein neues Glied der russischen Sperrkette — eines der letzten — ist gesprengt, ein neuer für die Versammlung und Verschiebung größerer Heeresmassen be sonders wichtiger Punkt dem Feinde abge nommen. Als Festungsbezwinger stehen unsere Truppen seit dem Anfang dieses Krieges uner reicht da. Im Westen sind neun Festungen in unsere Hand gefallen: Lüttich, Namur, Longwy, Montmedy, La Före, Laon, Maubeuge, Antwerpen und Lille, außerdem sechs Forts: Manonviller, Givet. Les Ayvelles, Hirson, Conde und Camp des Romains. Im Osten hat Rußland dis elf Festungen: Libau. Rozan, Pultusk, Iwangorod, Warschau, Lomza, Ostrolenka, Kowno, Nowo-Geor giewsk, Ossowiec und Brest-Litowsk an uns verloren. Die Wegnahme der festen Plätze in Belgien und Frankreich fällt in die ersten zehn Wochen des Krieges, die der rus sischen Festungen hat — von der Besatzung Libaus am 8. Mai 1915 abgesehen — erst am Ende des ersten Kriegsjahres begonnen. Trotz den in der Zwischenzeit überall ge sammelten Erfahrungen ist aber das Bild in seinen Grundzügen unverändert geblieben: einer regelrechten Belagerung durch deutsche Truppen widersteht kein fester Platz. In kurzer Zeit erliegen die Werke und die Nerven der Besatzungstruppeu der ungeheuren Wirkung der deutschen und österreichisch-ungarischen schweren Geschütze. Lüttich fiel in über- rumpelndem Sturme, Namur nach fünftägiger, Maubeuge nach zweitägiger Beschießung, Antwerpen, „die stärkste Festung der Welt," nach zwölftägiger Belagerung durch verhältnis mäßig schwache Truppen. Einen Teil der ge nannten Festungen und Forts verteidigten die Franzosen überhaupt nicht, ein anderer Teil wurde ihnen nach kurzer Beschießung ge nommen, in mehreren Fällen war ein Jn- fanteriesturm nicht mehr nötig. Ganz ähnlich ist es nun auch im Osten er- aangen. Libau, Rozan, Pultusk, Lomza, Ostrolenka und Ossowiec find ohne regelrechte Belagerung gefallen. Warschau gaben die Russen vreis, als die Bloniestellung von unseren Truppen genommen war, und auch Praga räumten sie nach vier Tagen, Iwan gorod wurde am 13. Tage nach dem Beginn des Angriffs besetzt, Kowno nach zwölftägiger Beschießung. Aber auch die Einnahme der großen Festung Nowo-Georgiewsk mit ihren mehr als 700 Geschützen und über zwei Armee korps Besatzungstruppen hat wenig länger gedauert: am 7. August fiel schon das Fort 6me k)errennLtur. Roman von Henriette v. Meerheimb.*) 1. „Wir wollten doch auf die Jagd gehen, Junge!" Der alte Herr v. Stschow stieß die Tür, die zu dem Zimmer seines Sohnes führte, heftig aui und schrie dem behaglich auf dem breiten Diwan Hingsstreckten die Worte zu. „Komm nur herein, Papa! Mach Lir's bequem — hier, bitte!" sagte Georg v. Stechow, hob kaum den Kops ein wenig von den bunt seidenen Kissen, auf denen er iag, und rollte mst lässig ausgesireckter Hand einen juchten- ledernen Klubsessel dem Vater näher. Der alte Herr lehnte sein Gewehr vor sichtig ,in^ die Ecke. Erst blieb er unschlüssig vor dein Sofa stehen, dann nahm er, auf eine erneute Handbcwegung des Sohnes hin, wirk lich aus dem tiefen Sessel Platz. Seine ge wichtige Person versank in den weichen Polstern, seinem breiten Rücken bot die niedrige Lehne wenig Halt. „Verwünschtes Möbel!" schalt er. „Na — überhaupt die ganze Einrichtung hier! Konntest Lu nicht noch wahnsinnigeres Zeug zusammen- suchsn?" „Eiwas Stilvolleres, mir Behaglicheres jedenfalls nicht." Dabei stieß Georg eins leichte blaue Rauchwolke aus dem Mund. Mit mattem Wohlgefallen sah er an den ebenmäßig blaßgrün- gestrichenen Wänden hoch, von denen sich die eigenartigen Klinger- *) Unberechtigter Nachdruck wird verfolgt. Demos, am 19. August der ganze Piatz in unsere Hände. Bei Brest-Litowsk wurde eine Woche lang um die Vorstellungen gekämpst und dann die ständige Befestigung sofort im Sturm genommen. Wie weit diese Erfahrungen, die sich in so ausfallender Weise nach dem Ablauf des ersten Kriegsjabres erneuern, bereits einen allge meinen Schluß auf den Wert der Festungen im Kriege der Gegenwart zulassen, kann späteren Erörterungen Vorbehalten bleiben. Uns mag vorerst die erfreuliche Tatsache ge nügen, daß unsere Gegner keine auch Nur an nähernd ähnlichen Erfolge im Kampfe gegen Festungen aufzuweisen Haden. Tsingtau und Przemysl sind erst nach einer monatelangen Belagerung voll heißer Kämpfe ruhmreich ge fallen. Die Feste Doyen ist uneinnehmbar geblieben. So sind wir vorderhand berechtigt, die Fähigkeit zur überraschend schnellen Be zwingung fester Plätze als eine besondere Eigenart der deutschen Truppen und unserer Verbündeten anzusehen. Den Führern, die so Großes erzielten, den Tapferen, die es durch stritten, und den Männern, die dazu die ge waltigen Waffen ersannen und fertigten, schulden wir dafür um so mehr Bewunderung und Dank. verschiedene Uriegsnachrichien. Von der mil.Zensurbehörde zugelassene Nachrichten. Deutschlands Finanzkraft. Die Londoner .Times' beschäftigen sich mit dem Gerücht von einer angeblichen Zusammen- iunft des Reichskanzlers v. Bethmann^Holl- weg mit dem Staatssekretär Helfferich, wobei dieser erklärt haben soll, Deutschland stehe vor dem Bankerott, falls nicht bald Schritte zur Erzielung eines ehrenvollen Friedens eingeleitet würden. Das Londoner Blatt verweist solche Enthüllungen in das Fabelreich. Deutschland sei durchaus imstande, die Mittel zur Fortsetzung des Krieges zu finden, solange die deutschen Siege fort dauern. Das englische Volk müsse begreifen, daß Deutschland nicht untergehen werde, so lange der Mut des deutschen Volkes wie jetzt unerschüttert sei. — Das klingt ganz anders, als der Jubel gelegentlich der Ein leitung des Hungerkrieges im November vori gen Jahres. Tie erbeuteten russische» Geschütze. Die größte Geschlltzzahl, die jemals in der Kriegsgeschichte in so kurzer Zeit durch zwei Schläge wie die Eroberung von Kowno und Nowo-Georgiewsk von einem siegreichen Heere er beutet wurde, findet sich in den genannten er oberten Plätzen. Es hat sich nach den bisherigen Feststellungen ergeben, daß zusammen etwa 1350 Geschütze in unsere Hand fielen, und zwar im Verlauf von drei Tagen. Es sind sowohl schwere, wie mittlere und leichte Kaliber, deren Rohre nun vermutlich gegen die Russen selbst ge richtet werden. Die Gesamtzahl der bisher von Rußland erbeuteten Geschütze läßt sich ungefähr berechnen, wenn man die bisherigen Angaben zugrundelegt. Bis Anfang März wurden in Rußland zirka 850 Feld- und schwere Geschütze erbeutet. Von April bis Juni fielen etwa 600 russische Geschütze in unsere Hand. Seit dieser Zeit war man in Rußland besonders be dacht, die Gejchütze rechtzeitig in Sicherheit zu bringen, so daß ini Juli etwa nur 80 Geschütze erbeutet wurden. Dies sind im ganzen rund 2850 Geschütze. Da die Meldungen natürlich nur runde Summen be rechnen. aber sicher eher mit einer größeren wie kleineren Zahl zu rechnen ist, so kann man wohl im ganzen annehmen, daß mindestens 2900 russische Geschütze bisher in unsere Hand ge langt sind. , Polens Verlust — eine Katastrophe. Unter der Wucht der Ereignisse ist unsern Gegnern die Fähigkeit — zu lügen und ver schleiern, verloren gegangen. Während man noch vor der Räumung Warschaus lesen konnte, die teilweise Aufgabe Polens sei ein strategisches Manöver des genialen Großfürsten und wirt schaftlich bedeutungslos. LIingt es jetzt ganz anders. Ein angesehenes englisches Handels blatt erllärt nämlich, der Verlust Polens ist für Rußland vom wirtschaftlichen Standpunkte aus eine Katastrophe. Es ist nicht genau festgestellt, in welchem Maße schen Radierungen in ihren roten Mahagoni rahmen wirkungsvoll adhoben. Auf dem Holzpaneel, das sich an den Zimmerwänden entlang zog, standen Tonabgüsse klassischer Tanagrafiguren und ein paar pompejanischs Vasen, aus denen leuchtendgelbs Narzissen mit spitzgrünen Blättern herauswuchsen. Bücher. Mappen mit Kupferstichen, Aquarellskizzen be deckten die Tisckie. zerstreuten sieb sogar über die Sessel, die teils mit Leder bezogen, teils nur mit lose geworfenen Teppichen behangen waren. Die übrigen Möbel, ein breiter, offener Diplomatenschreibtisch, ein großer Sckrank, der aui kunstvoll gewundenen Säulen stand, waren aus olivgrüngebeiztem Holz ge arbeitet, dessen Maserung wie zartblaue Adern i durchschimmerte. „Stilvoll!" wiederholie der alte Stechow brummig. „Das Wort ist mir direkt verhaßt. Gemütlich will ich's haben, nicht stilvoll. Übrigens heißt ihr modernen Leute von heut zutage alles stilvoll, was vernümtige Menschen verdreht nennen. Und diese Mäüel passen in unser altes einsaches Haus wie die Faust aufs Auge." „Was hat dir denn die Laune so arg ver dorben, Herr Papa?" „Vieles. Erstens das miserable Hunde wetter —" > „Bei dem du doch auf die Jagd gehen wolltest?" „Ich kann nicht den ganzen Tag auf dem Sofa herumliegen und nichts tun, wie —" „Bitte sehr — ich arbeitete." Der alte Stechow lachte spöttisch auf. Er streifte die schlanke, lang ausgestreckle Gestalt seines Sohnes trotzdem mit wohlgefälligem Rußland von den metallurgischen Reichtümern der Gegend bei Sosnowice-Kalisch profitiert. Es sieht aber test, daß wenigstens der sechste Teil der allgemeinen Erzeugnisse Rußlands auf Polen kommt. Veutlcbsr Aeickytag. (Original-Bericht.) Berlin, 27. August. Zu Beginn der heutigen Sitzung teilte Präsident Dr. Kämpf zunächst den Kall von Brest-Litowsk mit. Das ganze Haus nahm die Nachricht mit großem Jubel entgegen. Dann folgte die Debatte über Behandlung und Verpflegung der Mann schaften. Mit Worten rückhaltloser Anerkennung für die Leistung unserer Heere und der Heeres leitung verband der erste Redner, Abg. Stücklen (soz.) eine sachlich ernste, zurück haltende Kritik an der nicht immer korrekten Behandlung der Mannschaften, die auch jetzt im Kriege hier und dort unter verletzenden Redensarten usw. zu leiden haben. Stücklen rühmt die Gefangenenbehandlung, wünscht aber Milderung in der Behandlung der Zivil- gefangenen, tadelt die Verfügung einiger Kur ortverwaltungen über das Betreten der Kur anlagen durch Verwundete und verlangt Ge währung der Kriegslöhnung an alle Feld soldaten, sowie allgemeine Erhöhung der Ver pflegungsgelder auf 1,20 Mk. Gegen einen Tadel-Stücklens, der sich auf verzögerte Bewilligung der freien Urlaubs fahrt richtet, verteidigt sich Reichsschatzsekretär Dr. H e lfferi ch; im Rahmen der vorhan denen Geldmittel werde hier das Möglichste gewährt. Abg. Müller-Meiningen (iortschr. Vp.) erklärt, daß seine Partei allen Anträgen zu stimme, die geeignet sind, die Verhältnisse der Kriegsteilnehmer und ihrer Angehörigen und Hinterbliebenen zu bessern und zeitgemäße Resormen einzusühren. Da aber in der Kom mission bereits alle Beschwerden und Wünsche eingehend erörtert worden seien, verzichtet Redner aus ihre Wiederholung vor dem ganzen Hause. Im Namen ihrer Parteien erklärten dann die Abgg. Bassermann (nat.-Iib.), Spahn (Zentr.) und Kreth (kons.), daß sie an diesem Siegestoge jede Kritik zurückhatten wollen, auf die eingehenden Verhandlungen der Budgetkommijsion hinweisend, in denen ihre Wünsche zum Ausdruck gebracht seien, tz^ren Erfüllung sie bestimmt entgegensetzen. Darauf nahm der Stellvertretende Kriegsminister v. Wandel das Wort: Nach diesen Erklärungen glaube ich es nicht mehr nötig zu haben, zu wiederholen, was ich bereits in der Kommission gesagt habe. Wir werden allen Anregungen, Be schwerden und Klagen nachgehen, so daß wir das nächste Mal dem Reichstage sagen können: es sind Verbesserungen eingetreten, wo sie not wendig waren. Die Militärverwaltung wird im übrigen bemüht sein, nach wie vor das Heer schlagfertig zu erhalten und schlagfertig zu macken für seine große Ausgabe durch eine sorgfältige Aushebung, eine vernünftige Aus bildung, und durch eine Förderung und Er haltung eines Geistes in der Armee, der, unierstützt durch eine angemessene Behandlung, tüchtige Ausbildung und gute Führung heute allein zum Siege führen kann. Es werden dann mehrere Entschließungen einstimmig angenommen, darunter auch die, den Verpflegungssatz für Mann schaften in Heer und Marine ganz all gemein während des Krieges auf 1,20 Mk. für den Tag sestzusetzen. In der nun folgenden sozialpolitischen De batte über die Fürsorge sür die Familien der Krieger, ihre Witwen und Waisen kritisiert Abg. Bauer (soz.) eine Anzahl von Miß ständen. Ministerialdirektor Lewald und General major v. Langermann wandten sich gegen diese Kritik. Lewald erinnert an die 800 Mil lionen Mark, die bis jetzt an Unterstützungen gezahlt sind, und Langermann weist auf die Gelahr hin, daß Verallgemeinerungen und Übertreibungen bei den Kriegern einen ganz falschen Eindruck Hervorrufen müssen von dem, Blick. Schlank und biegsam war der Bengel wie eine Weidengelle — dazu der schmale Nasseikopf mit den feingeschnittenen Zügen, Len großen braunen Augen, die so schläfrig blinzelten, aber doch adlerscharf sehen konnten und fetten ihr Ziel fehlten, wenn der junge Herr nack der Scheibe schoß oder seinen Vater wirklich einmal auf seinen weiten Birsch- wege begleitete. „Du glaubst wohl, daß man nur arbeitet, Papa, wenn man Holz hackt, einen Gaul müde- reitet oder knietief im Acker herumsiampst, um irgend einen armen Hasen vom Leben zum Tod zu befördern?" „Jedenfalls ist das eine nützlichere Be schäftigung wie die halben Tage sich auf dem Sosa berumzuwälzen und Zigaretten zu rcmcken." „Ärgern wir uns nicht unnötig. Papa. Ich sagte dir bereits, daß ich arbeitete — auf meine Weise allerdings. Ich Lächle! Kopf arbeit ist oft viel anstrengender als Hand arbeit." Stechow zuckte nur die Achseln. Seine derbe, vierschrötige Gestalt in der alten ver schossenen Jagdjoppe bot einen grellen Gegen satz zu der eleganten Erscheinung des Sohnes. „Wenn du also „cmsgedacht" hast, könnten wir wohl gehen", schlug er vor. An den Fensterscheiben sickerten immer noch die Regentropfen herunter. Die kahlen Bäume im Garten schlugen klatschend mit den nassen Zweigen zusammen. „Wir machen ja mehr Flurschaden, als die Geschichte wert ist," entgegnete Georg. Er richtete sich auf uns gähnte verstohlen durch seine seine Nase. Im stillen hoffte er, der was daheim an sozialem Httsstneun urw wen» gehender Fürsorge geleistet wird. Auch eine Reihe von Rednern aus dem Hause, wie Lie Abgg. Paasche (nat.-lib.), Malkewitz (kons.), Behrens (wirtsch. Vgg.), Spahn (Zentr.),.später auch Neu- mann-Hofer (fortschr. Vp.) beteiligen sich an dieser Zurückweisung der Anklagen Bauers, der schließlich erklärte, er verkenne durchaus . nicht die großen Leistungen in Ler sozialen Kriegsfürsorge und habe nur auf dis noch nicht überwundenen Mängel und Unzuträglich» leiten Hinweisen wollen, damit auch sie be seitigt werden. Die Kommissionsaniräge auf Teuerungs zulagen an Beamte und Arbeiter mit Jahres bezügen unter 3000 Mark, Gewährung ange messener Löhne an die Staatsarbeiter und Erhöhung der Unterstützungen der Kriegs familien werden angenommen, ebenso der Antrag auf Beibehaltung des Nachtbackver botes über die Kriegsdauer hinaus sowie auf Gewährung von Mitteln für Badekuren ver wundeter Krieger und Ansiedlung von- Feld zugsteilnehmern in Eigenheimen. Einstimmige Annahme findet der Kommissionsantrag über die dreimonaiige Nebeneinanderzahlung von Familienunterstützung und Hinterbliebenen rente. Nachdem dann noch einstimmig ein Antrag auf Einsetzung einer Kommission"zur Beratung aller das Wohnungswesen betreffenden An träge angenommen worden war, vertagt sich das Haus. In seiner heutigen Sitzung genehmigte das Haus nach längerer Aussprache die Änd«« rungen des Vereinsgesetzes (Auf« Hebung der Bestimmungen über die Gewerk schaften, Sprachenparagraphen und die Jugend lichen). Staatssekretär Dr. Delbrück erklärte, daß eine Änderung des Gesetzes sich erst nach dem Kriege ermöglichen lasse, da diese Fragen zur- gesamten Neuorientierung der inneren Politik gehören. Grundsätzlich sei die Regierung mit einer Freistellung der Gewerkschaften einver standen. Es folgte die Besprechung der Presse» zensur und des Belagerungszustan des. Ein Antrag Schiffer verlangte Ein führung von Geldstrafen. Abg. Fischer-Berlin (soz.) erörterte in mehr als einer Stunde einzelne Fälle un gerechter Pressezensur, empiahl sine -sozial« demokratische Resolution auf Aushebung des Belagerungszustandes und nannte die Zensur ein Ausnahmegesetz gegen die Arbeiterklasse. Staatssekretär Dr. D e l b r ü ck -bestMüganz entschieden, daß die Arbeiterklasse anders be handelt werde als alle anderen Klassen. Der Belagerungszustand sei unentbehrlich, eine Beschränkung der öffentlichen-Meinung durch die länge Dauer des Krieges notwendig. Eins Allerhöchste Kabinettsordre habe ein Kriegs- presseamt geschaffen, das eine Verbesserung des bestehenden Zustandes herbeiführen-werde. Die Presse habe sich ohne Ausnahme nach bestem Wissen und Gewissen in den Dienst Les Vaterlandes gestellt. Nach kurzer weiterer Erörterung, in der Staatssekretär Dr. Lis co erklärte, den An trag Schiffer zu befürworten, wurde derselbe in 1. und s. Lesung angenommen« Ein Antrag Erzberger, nachdem die Familienunterstützung noch drei Monate auch neben der Hinterbliebenenrente sezablt werden solle, wurde nach kurzer Erörterung ange nommen. Staatssekretär Dr. Delbrück verlas nun die kaiserliche Botschaft über die Vertagung des Reichstages bis zum 31. November, Präsident Dr. Kaempf hob in seiner Schlußrede die Einigkeit des Deutschen Reichs tages wie überhaupt des deutschen Volkes hervor. Die Sturmkolonnen des Heeres haben eine Sprache geredet. Lie die Feinde verstehen werden. Verheißungsvoll sprach der Kaiser von neuen Bahnen und wie der Reichs kanzler mitgeteilt habe, soll das Reichstags haus (das bisher noch immer keine Inschrift hatte) die Inschrift erhalten: „Dem deutschen Volke". Deutschland werde ein Hort des Friedens sein für dis ganze Welt. Mit einem dreifachen Hoch auf den Kaiser, dos Volk und Vaterland, in das auch einige Sozialdemo kraten einstimmten, wurde die Sitzung ge schlossen. Vater würde ihn nun in Ruhs lassen oder allein seiner Jagdpassion srönen. Der alte Stschow sah als guter Landwirt auch die Berechtigung des Einwandes ein. Er blieb mit einem Seuszer der Enttäuschung sitzen und beschloß, den doch einmal gründlich verregneten Tag noch mit einer unangenehmen Aussprache, die ihm schon lange auf der Seele lag, endgültig zu verderben. Er wußte aber nicht recht, wie er es an- sangen sollte, ohne mit der Tür ins Haus zu sollen. Er begann also, einen selbstkompo- nierten Marsch zu pfeifen, dessen merkwürdige Töne an den reizbaren Nerven seines Sohnes rissen und zerrten. „Hör auf, Papa!" bat Georg endlich ge quält. „Steck dir lieber 'ne Zigarre an." „Was ist denn los?" Der Alte sah ganz verwundert in Georgs verstimmtes Gesicht. Er war sich keiner Schuld bewußt, denn er »erriet niemals, womit er seine reizbare Frau und den gleichfalls nervösen Sohn so oft folterte. „Du wolltest mir etwas sagen," fuhr Georg schnell sort, um Lie Wiederholung des Marsches zu verhindern. Gewiß wolltest du mir eine Rede über zu vieles Geldausgeben halten oder dem ähnliches — ist's nicht so?" „Kannst nicht übel raten. Junker." Stechow lsgts das gelöste Deckblatt einer etwas feucht gewordenen Zigarre umständlich fest. „Also das alte Thema wieder!" Georg ließ sich verstimmt in die Kissen zurückfallen. „Das dauert lange, das kenne ich! Dabei mach ich's mir lieber bequem." „Das tust Lu überhaupt gründlich, mein Freundchen."
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