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Ottendorfer Zeitung : 11.07.1915
- Erscheinungsdatum
- 1915-07-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191507116
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19150711
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19150711
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1915
-
Monat
1915-07
- Tag 1915-07-11
-
Monat
1915-07
-
Jahr
1915
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 11.07.1915
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Mißstimmung im Vierverband. Wenn sich auch die Drahtzieher in London, Paris. Rom und Petersburg alle Mühe geben, der Weit das Bild inniger Gemeinschaft vor- zutäuschen, die gegen das deutsche Barbaren» tum unauflöslich verbunden sei, so können sie doch nicht verhindern, dak immer zuverlässigere Nachrichten etwa das Gegenteil seststellen. Es IW sich eben nicht mehr verbergen: Die Miß» Helligkeiten im Vieroerband nehmen mit jedem Tage zu. Maßgebende russische Kreise beschweren sich aufs lebhafteste darüber, daß Rußland, obwohl es bisher militärisch die Hauptarbeit leistete, während der letzten großen Kämpfe durch die Franzosen und Engländer an der Westfront ganz unzureichend unterstützt wurde, in Paris wächst die Verstimmung gegen England, einerseits wegen zu geringer englischer Nachschübe an der Westfront, wobei es besondere Erregung erzeugte, daß in Eng land jüngst offen ausgesprochen wurde, Eng land werde den Krieg erst im nächsten Früh jahr gänzlich vorbereitet führen können. So lange kann man in Paris nicht warten. Andererseits wirft man den Engländern vor, daß sie im bisherigen Kriegsverlaufe fall nur die Wahrung der eigenen Handelsinter- issen im Auge hatten, und dabei die englische Marine fast leistungsunfähig blieb. In Eng land und Frankreich aber ärgert man sich über Italien, null sich dieses nicht zur Mit hilfe an der Dardanellenaktion entschließen kann. In Paris werden die militärischen Operationen Italiens schon offen verhöhnt. Die italienische Regierung beschwert sich da gegen über die Unzulänglichkeit der ver sprochenen englischen Geldmittel, sowie dar über, daß der montenegrinische und serbische Vorstoß nach Albanien in Paris und London unverhohlen gebilligt werde. Allem Anscheine nach wird die albanische Frage noch zu ernsteren Mißhelligkeiten Anlaß geben. Kurzum, die vielgepriesene Einigkeit im Vieroerband besteht nur in den für die Welt bestimmten Telegrammen. Wenn man die Vorwürfe prüft, die die Verbündeten gegen einander erheben, so kann man ihnen eine ge wisse Berechtigung nicht absprechen. Sie sind eben alle betrogene Betrüger. Im Augenblick ist Rußland am schlimmsten daran. Die ma surischen Schlachten, die von Lodz und Lima« nooa und endlich die in den Karpathen haben eine Massenvernichtung der Russen, über deren grauenhafte Größe die Menschheit schauern wird, gebracht. Insbesondere die Karpathen kämpfe haben die russischen Armeen der besten Truppen beraubt und ihre Artillerie dezimiert. General Dimitriew hatte recht, als er die Russen vor dem Offensivvorstotz über die Kar pathen warnte. War hier einmal die ge waltige Angriffswelle abgeschlagen, so mußte sie zurücklaufen, und es wurde den verbün deten Deutschen und Österreichern jene Kampf stellung ermöglicht, die seit dem Durchbruch von Tarnow die Russen immer in einen Winkel nimmt und einen Angriff immer von zwei Seiten zugleich zuläßt. In dieser schweren Gefahr glaubten die Russen nach ihren ungeheuren Oplern, die sie Ler Entlastung der Westfront gebracht hatten, mit Sicherheit auf die äußerste Krastanstren- gung der Engländer und Franzosen rechnen zu dürfen. Ganz gewiß haben diese Verbün deten seit dem Mai immer wieder alles daran gesetzt, die deutsche Westfront zu durchstoßen, alle ihre Versuche sind aber an der deutschen Tapferkeit und Zähigkeit gescheitert. Man meint in Petersburg (und wohl auch in Paris), England habe noch immer nicht seine ganze Kraft entwickelt und damit die Miß erfolge an der Westfront verschuldet. Un zweifelhaft sind die deutschen Truppen, obwohl in der Minderzahl, ihren Gegnern im Westen überlegen. Engländer und Franzosen können eben den oft angekündigten Durchbruch, der den Osten entlasten müßte, nicht durchführen. Sie macken zwar den Russen keinen Vorwurf, denn sie kennen ihre Lage, aber sie erwarten noch immer von Italien die entscheidende Tat. Die Italiener aber sind durchaus nicht in rostger und unternehmungslustiger Stimmung. Abgesehen davon, daß England sie mit den erhofften Milliarden im Stich gelassen hat, sehen sie sich bei ihrem Vorstoß gegen Öster lich vor die Lösung einer Aufgabe gestellt. deren Schwierigkeiten sie bei weitem unter schätzt haben. Denn ähnliche Bedeutung wie den masurischen und Karvathenschlachten kommt den Kämpfen am Jsonzo zu. Auch hier wird die Siegeszuversicht des Feindes immer schwächer, je vergeblicher und deshalb ver zweifelter die Angriffe und je ungeheuerlicher die Verluste werden. Aussagen von Gefan genen an dieser Kampffront bestätigen, daß Italien solche Verluste, wie es sie in dem ver hältnismäßig winzigen Jlonzowinkel bereits jetzt nach sechswöchentlicher Kriegsdauer erlitt, für den ganzen Feldzug in Rechnung gestellt hat. Auch hier verblutet die beste Truppe wie in Masuren die Garden und in den Karpathen die Sibirjaken. Die englisch-französische Lügen- taktik, die die Berichte der Zentralmächte den Neutralen vorenthielt oder sie verkleinerte, be ginnt in Italien zuerst zusammenzubrechen. Die unstreitig größte Bedeutung für das Verhältnis der Vieroerbandsmitglieder zu einander aber kann das albanische Problem gewinnen. Albanien war ja neben Dalmatien und Trient Italiens eigentliches Kriegsziel. Es zeigt sich jetzt, in welcher frivolen Weise der Dreiverband Bundesgenossen zu werben verstand. Er hat einzelne Gebiets mehreren Bewerbern versprochen in der Hoffnung, sie alle übers Ohr zu hauen, wenn erst mit ihrer Hilfe der Sieg erfochten ist. Italien verdient besonders diese Strafe sür seinen schnöden Verrat. Wir können im Verein mit unsern Bundesgenossen ruhig abwarten, wie sich die Dinge weiter entwickeln. Da weder wir, noch Österreich - Ungarn oder die Türkei einen Beutekrieg führen, ist unsre Einigkeit gesichert. Nur die Vierverbändler müssen um die Beute raufen, die hoffentlich — keiner von ihnen be kommt. v. Verschiedene Rriegsnachrichten. Von der mil.Zensurbehörde zugelassene Nachrichten. Die russische Dampfwalze — ein Traum. Der Pariser .Gaulms' bringt längere Aus führungen darüber, wie man die Ereignisse in Galizien betrachten müsse und was man von den Erfolgen der Feinde in Galtüen zu halten habe. Zum Schluffe sagt er: Begnügen wir uns damit, den Tatsachen kaltblütig und mit Vertrauen ins Auge zu sehen. Unser Fehler bestand darin, blindlings die zu hell gehaltenen Berechnungen der einen oder die schwarz ge haltenen der anderen anzuerkennen. Wir hatten uns zum Beispiel in der trügerischen Hoffnung gewiegt, daß die russische Armee die berühmteDampfwalze sein würde, die den Verbündeten den Weg zu den Toren Berlins epnet. Das sind ja doch alles Träume: man hätte sich damit begnügen müssen, von unseren Verbündeten zu verlangen, daß sie so viel Deutsche wie irgend möglich auf ihrer Front festhiellen und davon an dauernd so viel sie irgend konnten unlchädlich machten. Diese so nützliche Au'gabe Haden sie erjüllt. Ganz gleich, öd sie dabei vor- oder zurückgehen.' sie beunruhigen ja dabei den Feind, sie halten ihn fest und töten ihn. Dies ist das einzige Mittel, um das Ende des Krieges zu beschleunigen. Wachsende Beunruhigung im Zarenreiche. Die Beunruhigung des russischen Volkes über die wahre Kriegslage, die nur teilweise von Ler Presse veröffentlicht werden darf, greift immer mehr um sich. Dem .Rutzki Invalid', dem amtlicken Organ der Militär verwaltung, gingen zahlreiche anonyme Droh briefe zu, worin verlangt wird, daß die Heuchelei jetzt ein Ende haben und Re Kriegslage, wie sie tatsächlich sei, ge- childert werden müsse. Zu der Beunruhigung trägt die Bekanntmachung des Gouverneurs von Lublin bei, wonach alle Männer für den Fall, daß das russische Heer geschlagen wird, von den Behörden gezwungen werden, in das Innere des Landes abzureisen. Sie werden ausgssordert, der Anordnung des Gouverneurs zu folgen, damit sie nicht in die Hände des Feindes fallen und diesem zur Ergänzung seiner Truppen dienen. * Elsast-Lothringen als äusserster Kampf- Preis. Das Glück kann den russischen Armeen nicht lächeln, so führt ein französisches Blatt aus. und wir leiden mit unserem Verbündeten, aber niemand hat das Recht, seinen unerschütter lichen Willen zum Durchhalten bis zur Zer schmetterung des gemeinsamen Feindes anm- zweiseln. Viviani versicherte, daß Frankreich bis zu Ende durchhalten werbe. Er hätte in diesen unbeugsamen Entschluß auch Rußland, England und Italien mit einschließen können. Keine Nation kann daran denken, einen Sonderfrieden zu schließen: die Ehre verbietet es und die Sorge um die Existenz, welche in diesem erbarmungslosen Kampfe der Einsatz ist. Deutschland erklärte neulich, daß es, um die Früchte des erhofften Sieges zu verteidigen das, was es strategische Grenzen nennt, erobern und erhalten müsse, d. h. in Wirklichkeit also Belgien und die be setzten französischen Gebiete. Die Fran zosen würden nie einen Frieden unterzeichnen, d er ihnen nicht min destens Eisatz-Lothringen wieder gibt. „Ob man will oder nicht: ein fauler Friede ist unmöglich, deswegen brauchen wir den Sieg — und wenn wir verstehen, ihn zu wollen, werden wir ihn auch erreichen!" — Wir können es ruhig avwarten. * Zunehmendes Misttrauen gegen die Regierung in England. Die Londoner .Daily Mail' schreibt, daß gewisse Maßnahmen gegen einen Einfall in England getroffen würden. „Werden diese Maßregeln etwas nützen?" fragt das Blatt. „Wir trauen den Behörden nicht. Es sind dieselben, die uns die Dardanellen operationen auf den Hals hetzten. Lord Fisher hat die Admiralität verlassen als Protest gegen den Verlauf des Dardanellen- krieges. Er kehrt nicht zurück, solange gewisse Konfusionsräte zur Regierung gehören. Die Nation sollte sich so etwas nicht gefallen lassen, aber leider weiß die Nation so gut wie nicvts von den eigentlichen Ereignissen. Die Lage ist schlimmer denn je, und nicht einer unter tausend in diesem Land, nicht ein mal die Mehrheit im Ober- und Unterhaus kennt die ganze Wabrheit." Rußlands Widerstandskraft. Das russische Heer zeigt trotz seiner furcht baren Niederlagen, die mit den schwersten Verlusten verbunden sind, eine Widerstands kraft, die in England zu der Anschauung ge führt hak, daß das russische Heer vermöge der Größe und des Volksreicktums Rußland nie ganz bezwungen werden könne. Es fragt sich nun, ob diese Anschauung richtig ist, zumal die Angelegenheit sür das Ende des Krieges von erheblicher Bedeutung ist. Über die Macht und Bedeutung Rußlands sind in diesem Kriege besonders auf der uns feind lichen Seite soviel Ansichten geäußert worden, die sich sväterhin als irrig erwiesen haben, daß man besonders vorsichtig sein muß. Vor» ausgeschickt sei, daß /zu allen den falschen An schauungen Ler Schein verführt hat. Rußland ist groß und scheint unerschöpflich. Als es zu Beginn des Krieges die seit Mo naten vorbereiteten Heere rechtzeitig in Be wegung setzen und manche Erfolge erringen tonnte, jubelten unsere Feinde von einem siegreichen Vormarsch der Russen gegen Berlin. Es erschien unmöglich, daß die un geheure russische Überzahl von einer kleinen deutschen Schar gebändigt und nach Rußland zurückaeworfen werden könnte. Nach all gemeinen menschlichen Ansichten von der Macht der Zahl war es nicht anders möglich. Und doch wissen wir. wie sehr der Schein trog. Hindenburg hat erklärt: „Wer gegen Rußland kämpft, kämpft gegen die Übermacht. Das wissen wir." Trotzdem war er aber durchaus siegesfreudig und ... hat recht be halten. Ähnlich war es in Galizien. Hier war der Schein noch mehr und viel längere Zeit sür Rußlands Sieg. Jetzt erzählen unsere Feinde, daß Rußland zwar geschlagen, aber nie völlig besiegt wer den kann. Wer Rußland kennt, weiß, daß diese Anschauung ebewo irrig ist wie alle anderen. Vermöge seiner starren Reserven kann es allerdings eine Zeitlang Widerstand leisten, während ein kleinerer Staat vielleicht schon am Ende seiner Kräfte angelangt wäre. Aber auch dieser Widerstand ist bereits be trächtlich schwächer geworden und wird auch einmal aufhören. Es sind dafür schon eine Reihe von Anzeichen vorhanden. Ruß lands Geldmangel wird bald eine drohende Form annehmen, und sein Mangel an Kriegsgerät aller Art hat sich schon mehrfach in ganz ungewöhnlicher Art gezeigt. Zwar liefert Amerika Waffen und Geschosse. Aber jetzt ist die Größe des Heeres für Rußland ein Nachteil, denn soviel kann Amerika bei der Beanspruchung seiner Waffen fabriken durch England und Frankreich nicht Herstellen, als Rw land brauchen kann. Das Heer bröckelt täglich stärker ab. und es ist keine Frage, daß selbst von Rußland so ungeheure Verluste nicht völlig ersetzt werden können. Es kommt dazu, daß das russische Ossizier korps nicht in notwendigem Maße ergänzt werden kann. Die Schwächung des russischen Heeres, die nickt nur in seinen schnüren Niederlagen zum Ausdruck kömmt, hat doch — das kann niemand verkennen — seit den Tagen der Karpathenkömpse ungewöhnlich schnelle Fortschritte gemacht und nimmt täglich weiter zu, und wo eine ständige Abnahme zu ver zeichnen ist. ist ein Ende eine Notwendigkeit. Mag es vielleicht noch lange dauern, aber eine völlige Brechung der russischen Wider standskraft und somit eine Gewißheit unseres endgültigen Sieges ist nicht mehr zu be zweifeln. Dabet blieben ganz die inneren Schwierigkeiten des Landes außer Berechnung. Über ihre Größe kann ein Kenner der Ver hältnisse sich daraus ein klares Bild machen, daß der Zar sich zu seinem Ukas veranlaßt ge sehen hat. Diese Schwierigkeiten werden es be wirken. daß die russische Widerstandskraft noch schneller gebrochen ist, als es den Anschein bat. Mnsier«: O. K. L. M.> poliiilcke KurEcbau. Lsterreich-Ungarn. "Die Gesamtsumme der Zeichnungen auf die zweite österreichische Kriegs anleihe beläust sich nach den eingegangenen Meldungen der Zeichenstellen auf 2630 Millionen Kronen. Lie Blätter besprechen mit Genug tuung das glänzende Ergebnis der Kriegsanieihe in Österreich-Ungarn, das um so höher anzuschlagen ist. als die Anleihe in dem Augenbiick aufgelegt wurde, wo es zur Gewißheit geworden war, daß die Monarchie Krieg nach drei Fronten führen müsse. Frankreich. 'Nachdem die französischen Kammern erst kürzlich den Betrag der durch die Bank von Frankreich der französischen Regierung zu leistenden Vorschüsse auf sieben Milliarden zweihundert Millionen Mark erhöhte, berichtet jetzt der Portier Mitarbeiter des .Daily Tele graph', aus zuverlässiger Quelle erfahren zy haben, daß die französische Regierung diese Geldquellen nicht als genügend erachtet und die Aufnahme einer neuen Kriegs- anleihe in unbeschränkter Höhe vorbereite. Italien. '.Perseveranza' schreibt in ihrem Leit artikel: So nachsichtig die Besetzung Skutaris von uns, deren König Schwieger sohn des Eroberers ist, beurteilt werden mag, so sehr es möglich ist, dan Skutart von der Friedenskonferenz den wohlverdienten Monte negrinern zuerkannt wird — die Besetzung ist doch widerrechtlich erfolgt. Vor allem ist dringend zu wünschen, daß die Monte negriner und Serben ihre Versicherung am Schluß des letzten Aufrufs wahlmachen und endlich gegen Österreich marschie ren. Italiens Operationen und nicht minder diejenigen Rußlands, das schon auf sein eigenes Gebiet zurückgedrängt wird, brauchen diese Hilfe. Amerika. ",Petit Parisien' meldet aus New Dork: Als Antwort auf einen offenen Brief des Senators d'Estournelles de Constant erklärte Bryan, er wolle nicht wissen, wer den Krieg begonnen habe, dagegen wünsche er, daß alle kriegführenden Mächte eine Volksabstim- mung über ihre Friedensbedin» gungen veranstalteten und das Ergebnis veröffentlichten. Gleiches 7j Roman von A. L. Lindner. KorMSune.l Ganz unbewußt fing der Professor sogar an zu pfeifen und war schon halb durch die Melodie „'s gibf kxin scköner Leben" hindurch, als er es erst gewahrte, und nun beinahe be schämt abbrach. Jahrelang hatten seine Lebensgeister unter solchem Druck gestanden, daß er sie allmählich sür säst erstorben ge halten hatte. Jetzt merkte er, daß er noch keineswegs so vernünftig und ruhig war, wie er selbst immer angenommen: nein, wahrlich, das Blut floß ihm noch stürmisch genug durch die Adern. Für gewöhnlich hatte Klara ihn in dem kleinen Zimmer empfangen, diesmal fand er sie im Wohnzimmer, an ihrem Nähtischchen sitzend. Die elektrischen Lampen waren ange zündet, aber das junge Mädchen hatte ihre Arbeit nicht wieder ausgenommen. Die Hände lässig gefaltet, träumte sie vor sich hin mit einem ganz neuen, verinnerlichten, weichen Zug im Gesicht, der sie unendlich anziehend wachte. Sie trug heute ein glattes, weißes Wollkleid, das das Mädchenhafte und Keusche ihrer Erscheinung noch erhöhte. Als Olden sie in seine Arme zog, spürte er den Duft eines Straußes später Veilchen, den sie im Gürtel trug. Daß er sich dies holde Weib hatte gewinnen dürfen! „Also dies ist dein gewohntes Arbeits plätzchen." sagte er nach der ersten traulichen Begrüßung mit zärtlichem Interesse. „Zeige und erkläre mir alles, was du tust und treibst. Jede Kleinigkeit ist mir wichtig, sobald sie dich betrifft. O! Etwa schon bei der Aussteuer? Das ist brav." Er nahm mit vorsichtig spitzen Fingern eine kleine Stickerei auf. ein künftiges Eisdeckchen oder ähnliches Stück modernen Hausrats und betrachtete eifrig und sack- kundig die — linke Seite. Als er cs zurück legte. streifte seine Hand eine Photographie unter schwerer.Kristallplatte, die von einem Arbeitskorb halb verdeckt auf dem Tische stand. „Wen hast du denn da, Lieb? Einen jungen Herrn ? Warte, nur, ich bin so arrogant, gerade diesen Platz für mein eigenes Btid zu beanspruchen, sobald es fertig sein wird. Ich kann Ihnen wirklich nicht helfen, mein Herr," scherzte er. „Sie müssen ausziehen. Einer von uns beiden — muß die Hütte meiden. Wer sind Sie überhaupt, und was tun Sie auf dem Tische meiner Biaui?" Klara sah ihm belustigt zu, während er das Bild an die nächste Lampe trug. Diese ausgelassene Laune war ihr an ihm ganz un bekannt. aber sie fand, daß sie ihm durch den Kontrast zu seinem gewöhnlichen Ernst vor züglich stand. — „Wer ist das, Klara?" Sie blickte erstaunt auf. Seine Stimme klang heiser. Lag es nur an der Beleuchtung oder war er tatsächlich so blaß? „Mein einziger, frühverstorbener Bruder." „Dein Bruder? Hattest du einen Bruder?" sagte er mechanisch, tonlos. Noch immer stand er halb vorgebeugt, ohne eine Muskel zu rühren, wie von etwas Ent setzlichem erstarrt, obgleich die jugendliche Ge stalt im flotten, studentischen Wichs ganz un geeignet schien, solchen Eindruck zu machen.. „Habe ich dir noch nicht von unserem Edgar erzählt?" fragte sie. „Nein, ich hatte keine Ahnung." „Ich vergesse eben immer wieder, wie kurz unsere Bekanntschaft im Grunde ist. Mir ist. als müßtest du alles, was mich betrifft, wie von selbst kennen. Freilich, es knüpfen sich sehr traurige Erinnerungen an diesen Bruder, ich kann nie an ihn denken, ohne daß die ent setzlichste Zeit meines Lebens vor mir aufsteht, und als ich dir neulich dennoch davon er zählen wollte, da wehrtest du es mir. Weißt du noch?" „Ich? Ach so! Ja, das heißt —" Der Professor hatte sich jetzt gefaßt. Er richtete sich auf und brachte die Photographie auf ihren Platz zurück. „Und du kannst es ertragen, dies Bild ständig vor Augen zu haben?" fragte er. «O dock. Edgar war mein Abgott. Er war ja viel älter als ich, aber wir hingen dennoch so sehr aneinander. Keine jüngere Schwester kann je stolzer auf einen Bruder gewesen sein als ich auf ihn. Du hättest ihn nur in der Pekesche sehen sollen. Dies Bild gibt keinen rechten Begriff von ihm. Den Ausdruck son niger Lebensfreude in seinem Gesicht könnte keine Photographie wiedergeben. Aber es ist das einzige, das aus seiner Studienzeit existiert. Er war wie dis personifizierte Jugendlust, das ganze Haus schien verändert, sobald er eintrat. Und so jammervoll, so nutzlos zugrunde zu gehen! Es war zu hart." — Olden stand steif und starr, die Hand auf die Lehne eines Sessels gestützt, die Augen auf das Lepvichmuster gerichtet, als ob er dort etwas abläse. Klara sah ihn mii leichiem Er staunen an. sie mochte mehr Teilnahme er wartet haben. In der kurzen Stille, die ein trat, schien ihm das selbst zym Bewußtsein zu kommen. Er zwang sich mit einer Riesen anstrengung zum Sprechen. „Armes Kind," tagte er und strich ihr die Wange, aber sein Ton klang zerstreut und sein Bl.-ck wich dem ihren aus. „Wie kalt deine Hand ist. Bist du nicht wohl?" „O, selbstverständlich. Das hat bei mir nichts zu bedeuten, ich bin ein kaltblütiger Mensch." sagte er mit erzwungenem Lächeln. „Laß mich dir jetzt von meinem Edgar er zählen." fing sie wieder an. „Du weißt ja noch nicht einmal, wie ick hierher kam, so daß wir uns kennen lernen konnten." Sein Atem ging schwer. „Aber wozu denn. Kind. Die Hauptsache ist doch, daß wir uns überhaupt gesunden haben. Ich möchte nicht, daß du irgend etwas tätest, was dir Schmerz machte. Ich bitte dich, laß es. Es scheint sich ja nur um traurige Erinnerungen zu handeln." „Das wohl, aber dennoch ist es mir eine Art Freude, mit dir davon zu reden. Du wirst sehen, daß es nicht leere Worte waren, als ich dir neulich sagie, daß ick schwere Lebenserfahrungen gehabt habe. Es soll ja keine Geheimnisse, keine unerörterten Punkte zwischen uns geben, meine Seele soll ja in rückhaltlosem Vertrauen vor dir liegen wie ein offenes Buch, also sind doch die äußeren Ver hältnisse das erste und geringste, was du kennen mußt, nicht wahr?" Er preßte Lie Lippen zusammen. Es half
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