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Ottendorfer Zeitung : 28.07.1915
- Erscheinungsdatum
- 1915-07-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191507289
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19150728
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19150728
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1915
-
Monat
1915-07
- Tag 1915-07-28
-
Monat
1915-07
-
Jahr
1915
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 28.07.1915
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Rußlands letzter widerstand. Nicht nur in neutralen Blättern, auch in den Zeitungen des Vierverbandes wird jetzt unumwunden erklärt, daß Warschau aufs äußerste bedroht und der Rückzug der russischen Hauptmacht notwendig sei. Freilich im Zarenreiche und bei seinen Verbünde ten wird zugleich behauptet, daß dieser neue Rückzug nur ein Manöver sei. Aber wer vor urteilsfrei die Lage würdigt, kann durch keine Redensarten mehr getäuscht werden. Die deutschen und österreichischen Truppen erringen täglich neue Erfolge und gewinnen täglich Boden. Der Rückzug der an der Weichsel und am Bug geschlagenen russischen Kräfte stößt auf die im Norden der russischen Front liegen den Festungen Iwangorod und Brest-Litowsk. Vor allen Dingen ist die starke Bug-FebMg Brest-Litowsk für die zurückflutenden russischen Massen von größter Bedeutung. Die wichtig sten Verbindungen Brest-Litowsk mit Minsk- Moskau, ferner Brest - Litowsk-Bialystok— Petersburg, von denen die erste nach Nord osten und die andere nach Nordwesten geht, sowie die Linien Brest-Litowsk-Kiew und Brest-Litowsk-Warschau kreuzen sich hier. Von der letzteren Bahnverbindung zweigt sich eine Strecke nach der Festung Iwangorod ab, die südwestlich von Brest-Litowsk gelegen ist. Aus dieser Lage geht die Bedeutung der Bug- Festung klar hervor, da mit Hilfe des sehr gut ausgebauten Eisenbahnnetzes, das alle Teile des großen Russenreiches mit Brest- Litowsk verbindet, der Nachschub an Truppen und Verpflegungsmitteln, sowie Munition ge währleistet iit. Nicht umsonst haben die Russen bei Kras- nik verzweifelten Widerstand geleistet und mit starken Kräften einen verlustreichen Gegen angriff versucht. Sie konnten den Vormarsch der Österreicher nur verzögern, aber nicht zum Stillstand bringen. Der Siegeszug der Ver bündeten geht mit unwiderstehlicher Gewalt immer weiter auf das Herz Rußlands, auf Warschau zu. Denselben Weg, den die Russen im August nach Galizien zu genommen Haden, müssen sie jetzt wiederauf dem Rückzug zurück legen, von dem Sieger unbarmherzig verfolgt. Eine Niederlage von ähnlicher Größe und Bedeutung hat Rußland in der neueren Ge schichte noch nicht erlebt, denn der Krieg mit Japan hat weder so große Kraftanstrengungen heroorgerufen, noch hat er für das Zarenreich und die Welt die große Bedeutung gehabt wie dieser Krieg. Endlich war die Niederlage Rußlands damals bei weitem nicht so schwer als heute. Der Rückzug aus die Linie Jwango- rod—Brest-Litowsk zeigt die ganze Schwere der russischen Katastrophe besser, als es Worte zu tun vermöchten. Man macht jetzt in Rußland, Frankreich und England kein Hehl daraus, daß Iwangorod und mit ihm die ganze Be festigungsfront um Warschau bedroht ist. Durch das Vordringen der Armee v. Woyrsch in den Jlzanka-Abschnitt wurde der Angriff gegen die Festung Iwangorod weiter vor getragen. Es wurden bereits die feindlich ep Stellungen bei Ciepilow gestürmt und bei Kasanow große Erfolge erzielt, die für die Entwicklung der kommenden Ereignisse von weittragender Bedeutung sind. Es ist dabei stets zu berücksichtigen, daß eS sich zwar um einen zähen Gegner bandelt, aber um einen, der bisher sich stets als unterlegen erwiesen hatte, seins Zähigkeit ist demnach nur Lie Kühnheit eines Verzweifelten. Ähnlich wie bei Iwangorod steht es auch aus der Linie Lublin-Cholm—Kowel. Es sind in der Hauptsache wichtige Eisenbahn punkte südöstlich von Iwangorod, um die es sich hier bandelt. Die Eijendahn von Iwan gorod aus sührt in südöstlicher Richtung nach diesen Städten, die augenblicklich durch den Vormarsch der verbündeten Truppen bedroht sind. Durch den Durchbruch bei Krasnostaw wurde eine sehr bedeutsame Entscheidung herbeigeführt, die sich schon in den krampf haften Anstrengungen der Russen, die Scharte wieder auszuwetzen und das Verlorene zurück zugewinnen ausspricht. Eine frische Garde- Diviston, also eine Elite-Truppe, wurde in den Kampf geworfen, um die Entscheidung zugunsten der Russen abzuändern. Aber auch diese Garde-Truppen wurden geschlagen und damit dtzn Russen die letzte Hoffnung ge- nommczr, an der bedeutsamen Niederlage an dieser Stelle etwas zu ändern. Durch den Übergang der Verbündeten über die Wolica bei Grabowic? hat unser Angriff beträchtlich an Ausdehnung gewonnen. Unwiderstehlich streben jetzt unsere Heere dem Ziele zu. während der Feind noch kaum imstande ist, bei der weiteren Entwicklung der Dinge ein Wort mitzusprechen. Er ist so sehr in die Ver- ieidigung gedrängt, daß er an keiner Stelle der langen Front einen selbständigen Entschluß fassen und aus führen kann. Angesichts dieser Sachlage gibt es kein Vertuschen, kein Beschönigen mehr. Sogar der russische Generalstad ist durch die Gewalt der Tatsachen gezwungen — die Wahrheit zu sagen. Wenn er auch hier und da die Dinge mildert, den Geist der Truppen rühmt und von starken Gegenangriffen berichtet, er gibt den Rückzug auf der ganzen Linie zu und gesteht, daß „der Feind sich immer weiter ausbreitet". Wie kam diese Wahrheitsliebe über Nikolai Nikolajewitsch? Er mußte sich zu ihr bekennen, weil weiteres Lügen Wahn sinn gewesen wäre und — Selbstvernichtung bedeutet hätte. Nur noch einen Schritt — dann kann, dank seiner letzten vorbereitenden Berichte, Nikolai dem russischen Volke die Wahrheit sagen: daß er vor einer schlimmen Wahl steht, daß er entweder eine für ihn aus sichtslose Entscheidungsschlacht annehmen oder aber Warschau räumen muß, um weit hinter der jetzigen Front seine Armeen neu zu ordnen. , Neutrale Militärkritiker von Ruf erklären, daß mit dieser Schlacht um Warschau, die mit den großen Flügelsiegen der Verbündeten be gann, für Rußland die Notwendigkeit erstanden ist, einen letzten Widerstand zu leisten. Wird er gebrochen, so dürften für lange Zeit die zarischen Armeen unfähig zu einem neuen irgendwie gearteten Unternehmen, sein. Ruß lands Militärmacht ist gebrochen, mit dem Falle von Warschau wäre sein Ansehen in der slawischen Welt dahin. Der ganze Balkan blickt aus Warschau, und vergeblich bemüht sich die Presse des Vierverbandes, den etwaigen Fall von Warschau als bedeutungslos hinzu stellen. Warschau ist das Symbol der slawi schen Vormachtstellung des Zaren, wenn es jällt, wenn dieser letzte Widerstand gebrochen ist, dann — — bat Rußland den Krieg end gültig verloren, gleichviel, ob es Frieden schließt oder nicht. verschiedene Uriegsnachrichten. Von dermil.Zenfurbehörde zugelassene Nachrichten. Das bedrohte Petersburg. .Russkoje Slowo' schreibt zensiert, daß die Bedrohung Petersburgs nicht mehr zu leugnen ist. Die Dorpaler Universität ist auf Befehl der Regierung in das Innere Rusilands verlegt. Rußlands größere Kriegslasten. - .Daily Telegraph' meldet aus Petersburg: Die Russen klggen, daß Rußland allein den -Krieg ausfechten muß. Diese Klagen stammen nicht nur aus dem Volk, sondern der militärische Sachverständige des ,Rußki Invalid', der zweifellos enge Be ziehungen zum Großen Generalstab unterhält, weist bereits zum zweiten Maie in zwei Tagen auf den Gegensatz der Kämpfe, die Rußland ausfechten muß, zu der Untätigkeit der englischen, französischen und italienischen Heere hin. Zwischen Weichsel und Bugdürstenallein so viel Truppen stehen wie auf dem ganzen west- lichenKriegsschauplatz. Bestürzung in Ost und West. Nach Meldungen Genier Blätter ruft die Wendung, die die Ereignisse auf dem östlichen Kriegsschauplatz nehmen, sowohl in Rußland wie in Frankreich die größte Bestürzung hervor. Es sei unbestreitbar, daß die deut sche» dem Feinde ihren Willen aufzwingen. Der Feind werde überall auf die Defensive beschränkt. Er wisse nicht, wo der Gegner zum Hauptstoß ausholen werde. Die Angst jenseits des Kanals. .Daily Telegraph' schreibt über den deut schen Marsch auf Warschau: Der Gedanke, daß die Deutschen so weit gekommen sind, tut sehr weh. Wenn die deutsche Offenstve an einem der Weichselufer gelingt, und dieses steht in der Tat zu befürchten, dann bleibt dem russischen Oberbefehlshaber nichts weiter übrig, als seine Front in eine gerade Linie zu bringen, dabei Warschau zu räumen, und auf die Desensivlinie tiefer iu Rußland zurückzufallen. Es wäre Unsinn zu leugnen, daß dieses Resultat ein sehr unglückliches sein würde. Man gibt große Provinzen nicht preis, wenn man es verhindern kann. Daran können alle gegenteiligen Veröffentlichungen nichts ändern, zumal die Deutschen es verstehen werden, jeden Vorteil aus ihrem Er- folgzuziehen. * Türkenhetze in Italien. Die Verhandlungen, die General Porro im Auftrage der italienischen Regierung mit Ver tretern der englischen und französischen Re gierung gepflogen hat, haben offenbar die italienische Mitwirkung an den Dardanellen zum Gegenstand gehabt. Italien scheint dem Drängen seiner ver bündeten Geldgeber nun endlich nachgegeben zu haben. Freilich muß dem italienischen Volke zunächst ein neuer Krieg gegen die Türken mundgerecht gemacht werden. Diese Aufgabe hat offenbar die italienische Presse auf sich genommen, indem sie einen schamlosen Lügenfeldzug gegen die Türkei er öffnet. Im belckollenen Keims. . Bilder ,aus der „Totenstadt". Ein Bewohner von Reims, der die Stadt bis jetzt noch nicht verlassen hat, sendet dem Pariser .Petit Journal' eine anschauliche Schilderung von der „Totenstadt", aus der täglich aufs neue Familien flüchten, um den Granaten der deutschen Batterien zu entgehen. In dem Artikel heißt es nach Genfer Blättern: Reims entvölkert sich zusehends. Wer nicht recht zeitig das Weite sucht, muß früher oder später ein Opfer der deutschen Granaten werden. Bei den letzten Beschießungen wurden jedesmal vier bis fünf Personen getötet und viele verletzt. So geht Reims dem sicheren Tod? entgegen. Jeden Tag wird aufs neue ein Haus geschlossen, jeden Tag aufs neue eine Straße verödet und verwüstet. Die Granaten reißen Mauern ein und fegen Häuser vom Erdboden hinweg. Wenn die Beschießung auf einige Stunden verstummt, dann eilt alles herbei, um die Straßen von dem Schutt zu säubern. Da, wo die Brand bomben alles dem Erdboden gleichgemacht haben, sprießt zwischen den Pflastersteinen friedlich Gras empor und neben der unheim lichen Stille, die in fast yllxn Straßen herrscht und die einen das Herz zusammenschnürt, ist M'das wichtigste Zeichen von der Verlassen heit und der Ode der Stadt. Mit dem Anblick der Stadt stimmt der Seelenzustand der Einwohner überein. Man weint nicht und lacht nicht in Reims. Man ist einfach ernst, im Hinblick auf die Gefahr, der man täglich ausgesetzt ist, und in dem Bewußtsein, daß man alle Willenskraft an- strengen muß, um einer nervösen Spannung, die nun schon zehn Monate anhält, zu widerstehen, und mit dem sicheren Ge fühl, daß man morgen und alle folgenden Tage wieder beschossen werden wird. In einer solchen Stimmung kann man weder den Tränen noch dem Lachen Raum geben. Seit Reims sich in der Feuerlinie be findet und ihr so nahe ist, daß man das Ge schrei der anstürmenden Truppen vernehmen kann, ist es von dem übrigen Frankreich ab geschnitten. Briefe und Zeitungen bleiben in Chalons liegen und kommen mit großer Ver spätung an. Man muß sein Gedächtnis ordentlich auffrischen, um sich zu erinnern, daß Reims einst ein Telegraphen- und Telephon amt und einen Bahnhof hatte. Die Wirkung der Beschießung, seit die Deutschen die Stadt fächerartig unter Feuer nehmen, ist furchtbar. Da aber die Bevölke rung jetzt bedeutend weniger dicht ist, ist auch die Zahl der Opfer im Verhältnis zu den früheren Beschießungen geringer. Jene, die noch in der Stadt weilen, hegen Tag und Nacht nur den einen Gedanken: jetzt endlich Reims zu v/tkissen. Seit Monaten nimmt die Zahl der Geburten ab, während die Todesfälle zunehmen, so daß im Juni im Siandesamtsregister 9 Geburten und 85 Todes fälle verzeichnet wurden. Während früher die deutschen Batterien zwischen den einzelnen Beschießungen größere Ruhepausen eintreten ließen und die Beschießungen zu ganz be stimmten Stunden stattfanden, fausen jetzt Tag und Nacht fast unaufhörlich Granaten in die Stadt. Politische KurEckau. England. *Das sozialistische Komitee für die nationale Verteidigung, das sich kürzlich im Gegensatz zur unabhängigen Arbeiterpartei gebildet hat, plant eine große Versammlung, aus der die Haltung Ramsay Macdonalds und Keir Hardies angegriffen werden soll. Das Manifest deS neuen Aus schusses bezeichnet die fried ens freund lichen Sozialisten als Träumer, deutsche Agenten und Pseudosozialisten. Französische und belgische Sozialisten werden an der Versammlung teilnehmen. Norwegen. *Die Gesetzesvorlage, durch welche eine Herabsetzung des wehrpflichtigen Alters von 22 auf 20 Jahre bestimmt und die Dienstzeit der Landwehr von 8 auf 12 Jahre verlängert wird, ist vom Storlhing angenom men worden. Russland. * Aus Petersburg wird gemeldet: Durch kaiserlichen Mas isk die R e i ch s d u m a auf den 1. August einberusen worden. Balkanstaaten. * Der .Franks. Ztg.' wird von ihrem Korre spondenten in Konstantinopel gemeldet: Ich erfahre aus zuverlässiger Quelle, daß Bul garien in London energisch gegen die engli schen B lo cka d em a ß r e g e I n vor den bulgarischen Häfen am Agäifchen Meere als im Widerspruch zu den Rechten der ß Neutralen stehend, Protest erhoben hat. Bulgarien fordert die Aushebung der Blockade und ist entschlossen, falls seine Vorstellungen keinen Erfolg haben sollten, Gegenmaß regeln zu ergreifen. * Schweizer Blätter melden aus Petersburg: Nach einer diplomatsschen Information des ,Rjetsch'haben Äulgarienund Griechen- land das Ersuchen Italiens, die von Ruß land freigelassenen österreichischen Kriegs« gefangenen italienischer Natio nalität durchreisen zu lassen, rundweg ab gelehnt. — Und Rumänien? Ägypten. ' Das Mornsle L'Jtalia'bringt aus Kairo ein Gespräch mit einem Hoden englischen Be amten, der sagte, Ägypten habe nichts zu fürchten. Bis auf wenige "fanatische Beys seien die Araber mit der englischen Herrschaft zufrieden. Außerdem würden wieder hundert tausend Mann neuer Truppen erwartet. Am Suezkanal fänden zahlreiche nächtliche Schar mützel statt, aber sie seien kaum der Rede wert. Alle Deutschen und Öster reicher würden aus Ägypten aus gewiesen; doch würde, vorläufig wenigstens, ihre Habe nicht konfisziert werden. Asien. * Die Petersburger Metsch' schreibt über die Möglichkeit eines Bündnisses Ruß lands mit Japan: „Da Japan jetzt iso liert in der Welt dastehe, England durch die japanische Politik mißtrauisch geworden, Amerika direkt seindselig gemacht wochen sei, suche Japan Anschluß an Rußland, nachdem der Gegensatz im Osten ausgeglichen sei und Japan nichts gegen die Politik Rußlands Ler Türket gegenüber einzuwenden habe, auf die jetzt Rußland das Hauptgewicht lege. Bisher ' sei einem Bündnis die Erinnerung an den früheren Krieg hindernd im Wege gewesen. Jetzt wolle Japan Rückendeckung an Rußland haben, um seine ganze Energie auf den Kampf gegen Amerika ver wenden zu können." Gleiches stlak. 14s Roman von A. L. LindneL s^orliehnng.) „Klara," schrie er auf, „das kann nicht dein Ernst sein. Der Schreck hat dick besinnungs los gemacht. Ich bin kein Mörder. Ich wollt« Eogar nicht treffen, bei Gott! Ich Hobe nie begreifen können, wie es dennoch ge schah. Mein ganzes Leben ist mir durch diese unselige Tat verdüstert und verbittert wor den. Du kannst nicht mehr gelitten haben als ich." Frau von Knorring liefen die Tränen über das Geiicht. Die Szene fing an, ihre Kräfte zu übersteigen, aber daran darbte sie kaum über dem Mitleid mit bcn beiden, die fo plötzlich aus dem vollen Glück hinausgestoßen würden. „O über diese entsetzlichen Duelle!" seufzte sie. „Wie ist denn das Unglück überhaupt ge schehen, lieber Professor?" Trotz seiner maßlosen Erregung empfand er ihren teilnehmenden Ton, aber es war doch nur ein flüchtig wohltuendes Gefühl, all sein Denken galt dem Mädchen, das ihm da in der ganzen Feindseligkeit tödlich gekränkter Liebe gegenüderlaß. Er strich sich über die Stirn. „Wie es kam?" sagte er müde, „ach, wie so was immer kommt, vom heißen Blut, vom Leichtsinn. — Hinterher, wenn das Unglück geschehen ist, meint man wohl, man müsse rein von Sinnen gewesen sein, und kann's nicht begreifen, daß man sich so hat Hin reißen lassen, aber hee —Er hielt inne und zog fröstelnd die Schultern zusammen. „Es handelte sich um eine Frau," sing er wieder an, „wie das so geht. Sie war Sän gerin, eine von jenen, denen nur daran liegt, möglichst viele an ihrem Triumphwagen zu sehen: wo und wie ich sie kennen gelernt, weiß ich kaum noch zu sagen. Was lag ihr an dem knabenhaften Enthusiasmus eines Studenten? Er amüsterte sie nur, und sie hatte ihr Vergnügen daran, die Flamme zu schüren. Sie hielt mich vielleicht für einen harmlosen Pagen Cheiubin, das Spielzeug einer müßigen Stunde vielleicht — und das ist das Wahrscheinlichste —, dachte sie über haupt nichts in bezug aus mich, aber das glaubte ich ja damals nicht. In meiner blin den Torheit dachte ich allen Ernstes, ich könnte sie mir erringen. Um diese Zeit traf ich deinen Bruder einige Maie in dem Lokal, wo die Akavemiker zu verkehren pflegten, aber von Anfang an bestand ein besonderer Mangel an Sympathie zwischen uns. Ich war heftig und empfindlich, wenigstens da mals — und seine hochfahrende frivole Art, über Dings zu spötteln, die mir heilig waren, reizte mich. Ich will nicht entscheiden, auf wessen Seite die Schuld lag, genug, wir paßten nicht zueinander. Besonders war es seine leichtfertige Art, von den Frauen zu reden, die mich allemal in Harnisch brachte." Klara wandte den Kopf und sah Olden mit funkelnden Augen an. „Leichtfertig! Edgar war niemals leicht fertig. Glauben Sie, sich heben zu können, indem Sie ihn herabziehen?" Eine unsäglich kalte Verachtung lag in ihrem Ton. »Klara! Nichts auf der Welt könnte mir ferner liegen. Ich habe mich wahrhaftig nie geschont. Niemand könnte mich schärfer ver urteilen, als ich mich selbst verurteilt habe, aber dein Bruder war leichtfertig. Es war das einstimmige Urteil aller, die ihn kannten. Daß Ihr beiden das nicht bemerltet, ist be greiflich. Du warst noch ein halbes Kind, und welche Mutter kannte ihren Sohn jemals ganz in dem Stück? Aber laß das, darum handelt es sich fetzt ja nicht. Ein glänzendes Kostüm fest sand statt, ein großer Teil der Akademiker und der Bühnenkünstler beteiligte sich daran, auch dein Bruder war dort. Adelheid Stern trat im Kostüm der Loreiey auf, und natür lich drängte sich alles um ihre junge Schön heit. Was war ihr an einem solchen Tage ein junger Akademiker auf den untersten Stufen der Leiter und ohne große Aussichten ? Weniger als nichts, angesichts so vieler be- sternier und beiitelter Verehrer. Ich sah das mehr als deutlich, aber, heftig wie ich war, hatte ich nicht die Kraft, meine Enttäuschung und Eifersucht zu verbergen. Des anderen Tages Leim Frühschoppen neckten mich ein paar Freunde, die um die Sache wußten, mit meinem Mißgeschick. Es verdroß mich, aber von ihnen, weil es harmlos gemeint war, hält' ich's ertragen. Dann kam dein Bruder dazu." — Unwillkürlich machte Klara eine Bewegung mit der Hand ans Ohr, als sei es ihr uner träglich, noch länger zu hören. „Daß er, ein halb Fremder, sich an diesen Neckereien beteiligte, reizte mich namenlos, und sein spöttisch-überlegener Ton machte das Maß voll. Die Stern sei ja wahrhaftig nicht von Stein und Eis, es komme eben nur darauf an. ob man's richtig verstehe usw. usw. Zorn und Eifersucht machten mich blind und toll, und heiß stieg es mir zu Kops. Ein Wort gab das andere, hitzige Rede verursachte noch hitzigere Gegenrede. Ich glaubte endlich, es meiner und Adelheids Ehre schuldig zu sein, und schickte meine Sekundanten. Während des langen Nachmittags und Abends, die folgten, hatte ich Zeit, zur Besinnung zu kommen. In der Stille der eigenen vier Pfähle gewinnen viele Dinge ein ganz anderes Aussehen. Ich überdachte die Vorfälle des gestrigen Festes, und eine Ahnung überkam mich, daß Adelheid Stern so scharfe Maßnahmen höchstwahrschein lich gar nicht verdiene. — Ich habe es bis heute nie begriffen, wie die Ernüchterung sa schnell kommen konnte. Es fehlte nicht viel, so wäre ich mir selbst lächerlich erschienen. Was lag hier vor? Ein Kneipenstreit um einen an sich fragwürdigen Gegenstand, be gonnen in oer Übellaunigkeit eines kaum über wundenen Katers: eine Wortbalgerei, in der jeder kindisch den andern zu übertrumpfen gesucht hatte. Als ich mich nach einer un ruhigen Nacht nervös und abgespannt erhob, stand es in mir fest, daß das Duell, soweit ich in Frage kam, nur eine Komödie sein solle. Ich wollte über den Kopf des Gegners hin- wegseuern, dann war sowohl meiner Ehre als meinem Gewissen Genüge getan. Die Sekundanten kamen, um mich abzu holen. Sie -rangen in ckich, etwas zu ge nießen, weil ich sonst eine unsichere Hand haben würde, aber mir war die Kehle wie zugeschnürt, ich hätte unmöglich essen können. Als wie anlangten, war Edgar schon zur Stelle. Ich jehe das alles noch fo deutlich
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