Suche löschen...
Ottendorfer Zeitung : 07.07.1915
- Erscheinungsdatum
- 1915-07-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191507072
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19150707
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19150707
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1915
-
Monat
1915-07
- Tag 1915-07-07
-
Monat
1915-07
-
Jahr
1915
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 07.07.1915
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
KuMlcke Als im Jahre 1905 in Rußland die Revo lution ausbrach, geschah dies nicht nur, weil das russische Heer geschlagen wurde, sondern weil auch in der Zeit während des Krieges die Propaganda unaufhörlich arbeitete. Auch beute wühlt und gärt es in Rußland, die Ausbrüche des Pöbels werden füglich ver schwiegen, und nur zuweilen dringt etwas davon an die Öffentlichkeit. Zu Ausbruch des Krieges im August des Jahres 1914 vernahm man von einem „ein mütigen Rußland". Diese Einmütigkeit war in der Tat von der Duma und den Abgeord neten in Szene gesetzt worden. Die Revo lutionäre aber horchten mit verhaltenem Atem auf das Kriegsgeschrei, das sich erhob, und bald leiser, bald lauter wurde die Meinung kund, daß der Krieg ein Glück für Rußland sein könne. „Der Krieg ein Glück?" so fragte mancher, der einem Russen im Auslande be gegnete, und die Antwort war dann fedesmai: „Ja, wenn Rußland geschlagen würde, so daß der Druck der Beamten und der Regierung aushöre." Schon in den ersten Monaten wußten diejenigen, die zu der Ausklärungs- partei gehörten, daß die Anarchisten unablässig weiter am Werk sind, um die Bauern über das zu belehren, was der Krieg thnen bringen könne. Man sah, wie zahlreiche Familienväter unter dem Vorwande, sie gehen zu einem Manöver, von den Ihrigen gerissen wurden, ohne daß es ihnen vergönnt gewesen, Abschied von der Familie zu nehmen. Ja, man ver weigerte den Soldaten selbst die Auskunft, daß sie in einen Krieg zögen, und so mancher, der bei den ersten RusseneinsäUen sein Leben lassen mußte, erfuhr erst, als er auf feindlichem Boden stand, daß es sich um einen wirklichen Krieg handele. Gerade hier setzte die Propa ganda ein. Man klärte die Bauern, die einen großen Teil des Heeres bildeten, darüber auf, daß man in einem blutigen Kriege stehe. Man sagte den Frauen, den heranreifenüen Jüng lingen, daß sie ihre Väter, ihre Brüder nie mals wohl Wiedersehen würden. Und dieses Verschweigen war der erste Anstoß zu der Empörung, die sich jetzt allenthalben Luft macht. Die Niederlagen des russischen Volkes wurden den Daheimgebliebenen verschwiegen, immer wieder tauchte das Märchen auf, daß man bereits vor den Toren von Berlin stehe, ein Märchen, das vielfach Glauben fand. Die Zeit schritt fort, aus dem Einzuge der Russen in Berlin wurde nichts, aber die Un wahrheit, mit der man das russische Volk wieder bedacht hatte, war Wasser auf die Mühle der Revolutionäre. Versammlungen fanden statt, freilich im geheimen, unter der Wahrung der äußersten Vorsicht, denn wehe, wenn eine der Versammlungen entdeckt würde. Ungefragt und ungehört würden die Teil nehmer nach Sibirien verbannt werden. Die Niederlage des russischen Heeres in Galizien, die Verfolgung der Soldaten durch die Öster reicher und die Deutschen ist der Anhalte punkt zu der Organisation der russischen Re volution. Die Veranstalter des Volksauf standes fahren auf die Dörfer, indem sie unter einer salkchen Maske dort ankommen, sie stellen den Bauern vor, wie tapfer sich die einzelnen Leute schlagen, wie unbesteglich das Heer wäre, wenn die Beamtenschaft, und zu letzt nicht die Ossiziere besser zu dem Volke stehen würden. Tausende von Geldern, die für Lazarett zwecke bestimmt waren, haben ihren eigent lichen Zweck niemals erfahren, die Verwun deten müssen infolge des mangelnden Sanitäts wesens elend verkommen, nicht immer sind die Ärzte Heiser der Menschheit, sondern sie stecken mit Len Lieferanten zusammen, be reichern sich, unh das russische Volk muß sich elend verbluten. Im Beginn der Revolution des Jahres 1905 hat Plehwe den unseligen Ausspruch getan, daß er die Revolution im Blute der Juden ertränken wolle. Pogrome wurden in Szene gesetzt, Plehwe fiel von einer Mörderhand getroffen, ehe er seinen Plan zur Aussührung bringen konnte. All die Drohun gen Haven nichts genützt. Rußland steht heute wieder vor einer Revolution, die schrecklicher, entsetzlicher sein wird, als wie sie je gewesen. Die Soldaten, die im Kriege waren, und Lie sich zum Zwecke des Urlaubes zu Hause ausoallen. wissen genug davon zu berichten, wie die Offiziere trinken, wie sie es sich haben wohl sein lassen, während der kranke, der verwundete Soldat nicht die geringste Hilse bekam. Sie geben der Propaganda für die Revolution willig neue Nahrung. Die Auf klärung der Bauern ist die Basis, auf der die Revolutionäre fußen, die Intelligenten, die Akademiker schließen sich bereitwillig an. Und doch sind diese Ausschreitungen erst der Be ginn des reißenden Stromes, der jetzt noch unter der Asche glüht, um im Augenblick als sengende Lava hervor-ubrecken. verschiedene ttriegsnachrichten. Von der mil. Zensurbehörde zugelassene Nachrichten. Mistbräuche im französischen Heer. Wie kürzlich in der Deputiertenkammer, so hat der französische Kriegsminister Millerand auch in der letzten Senatssitzung zugestanden, daß bei der Mobilisation und zu Anfang des Krieges in einigen Zweigen Ler Heeresver waltung grobe Nachlässigkeiten im Sanitätswesen und im Jntendantur- dienst begangen wurden. Inzwischen sei aber alles getan worden, um die Mißstände zu be heben. Niemand kenne bester als er die Fehler, die in dieser Beziehung gemacht worden sind. Er habe feine Pflicht auf das strengste erfüllt und keine Fehler mehr durchgelaflen. Außer halb des Frontdienstes seien deshalb 138 Gene - rale sowie 600 höhere Stabsosstziere ver abschiedet worden. * Italiens Abkommen mit dem Dreiverband. Der .Köln. Ztg.' sind Nachrichten über ein Abkommen Italiens mit dem Dreiverband aus durchaus vertrauenswürdiger Quelle zu gegangen, wonach nur sehr hohe An gebote des Dreiverbandes und der Druck der inneren Lage Italien zur Aufgabe der Neutralität bestimmten. Hätte es dieses Opfer nicht gebracht, wäre Ärgeres passiert. Italiens Teilnahme am Krieg bleibt nach der Vereinbarung mit dem Dreiverband auf ein unbedeutendes Mindestmaß be schränkt. Falls Österreich gezwungen wird, seine Kräfte zu verteilen, wovurch der Drei verband anderswo eine Erleichterung des Druckes erwarte, erscheint eine wichtigste For derung des Dreiverbandes erfüllt. Eine Beteiligung Italiens auf dem westlichen Kriegsschauplatz ist aus drücklich ausgeschlossen. Auch ist in der nächsten Zukunft am Jsonzo keinem un gestümen Vorgehen entgegenzusehen. — Nach anderen Quellen soll Italien indessen bereit sein, 40 000 Mann an die Dardanellen zu senden. * Was den Italienern in Libtien bevorsteht. Der ,Pester Lloyd' schreibt: Wie man weiß, tat die Türkei bisher alles, um Libyen in dem Zustand zu erhalten, wie er im Frieden von Lausanne vorgesehen war. Wenn trotz dem auf st ändtsche Eingeborene die italienische Herrschaft schwer erschütterten und die italienischen Streitkräfte unter ernsten Ver lusten in die Küstenstädte zurückwarfen, so kann manschließen, was für die Zukunft dem Eroberer bevor st ehe. Die Senussi sind, wenn erst die Italiener den Krieg mit der Türkei begonnen haben, schwerlich mehr zu rückzuhalten. Jedenfalls muß Italien dann einen zweiten ickwierigen Krieg führen, um das vor drei Jahren eroberte Libyen zu behalten. , Englische Drohungen gegen Griechenland. England beginnt auf die Wahrnehmung hin, daß es in Athen an Sympathien verliert, mit offenem Druck und mit Erpressungsmitteln gegen die öffentliche Meinung zu arbeiten. Die englische Gesandtschaft veröffentlicht durch Athener Zeitungen folgende Anzeige: „Die Verproviantierung der türkisch - deutschen Streitkräfte im Ägäischen Meer besorgen grie chische Schiffe. Die der Neutralität zuwtder- lausende Haltung eines Teils des Helenen volkes wird traurige Verluste, Schällen und Verlegenheiten zur Folge haben, die aber auch den ehrlichen und gutgesinnten Schiff- sahrts- und Handelskreisen zur Last fallen werden." — Die griechische Presse, auch die dreiverbandfreundlfchen Venizelos - Organe, besprechen mit Entrüstung diese an die öffent liche Meinung gerichtete Drohung. * Indische Soldaten gegen England. Türkische Blätter erfahren aus Bagdad, daß die mohammedanischen indischen Soldaten der englischen Armee mit den Waffen in das türkische Lager über laufen und an den Operationen gegen die Engländer teilnehmen. Ein Teil dieser Sol daten wurde nach Bagdad gebracht und zur Bildung einer Gendarmerieabteilung ver wendet. Unter den Überläufern befindet sich auch ein Offizier. Im äeut leben Kelgien. Daß jetzt in Belgien sehr viel deutsches Wesen und deutsche Sprache zu finden ist, dafür sorgen schon unsere braven Truppen, aber in Belgien ist von jeher mehr Deutsch gesprochen worden, als man wohl annimmt, und zwar ist es nicht bas Hochdeutsche, son dern das Vlämische, das in Belgfen gesprochen wird. Mit Vlämisch bezeichnet man die in Belgien gesprochenen niederdeutschen Volks mundarten nördlich von einer Linie, die bei Grevelingen ansängt, sich unter Visö südlich umbiegt und zwischen der Stadt Limburg und Wolkenraad nach Rheinpreußen fortläuft. Der Name Vlämisch ist alt; er belleutete im Mittel- alter, was gut gesprochen und gut getan wurde, sogar gehörte es bei den Oberdeutschen im 13. Jahrhundert zum guten Ton, zu „vlämen". Leider mußten die nieder- lleutschen Vlämen noch bis vor Ausbruch des Krieges im öffentlichen Leben unll im Verkehr mit der belgischen Regierung Französisch reden, aber dieser Zwang hat sie ihrer schönen alten deutschen Sprache nicht zu entfremden vermocht: in ihr reden sie zu ihrem Gott und in ihrer Familie und ver werten sie in neuester Zeit auch wieder mit bestem Erfolg als Literatursprache. Noch sprechen mehr als 3'/s Millionen Menschen in Belgien rein Vlämisch, und mehr als 1 Million sprechen Französisch und Vlämisch. Ohne mit unter recht spaßhafte Einschmuggelungen von etwas Französisch in die vlämifche Umgangs sprache geht es dabei freilich nicht ab. Fragt man in Gent einen Vlämen etwa: „Dauert es noch lange?" so kann man wohl llie Ant wort erhalten: „Noch en lütt Eureken." das heißt: Noch eine kleine Stunde. Eureken kommt nämlich von dem französischen Worte beurs, Stunde. Die meisten Deutschsprechenden in Belgien haben die Städte Brüssel, Antwerpen, Lüttich, Ostende, Veroiers und Berchem aufzuweisen. Aber nicht nur die Sprache, auch die Archi tektur ist hier echt deutsch. In der soliden bau lichen Schönheit vlämischer Städte wie Brügge und Gent steht man noch heute die nämlichen Straßenstuchlen vor sich mit den nämlichen, auf Jahrhundertdauer be rechneten Pafästen voll reicher Bild hauerarbeit, wie sie die deutschen Kaiser Maximilian oder Karl V. sahen. Die Kathe drale Antwerpens kann sich an überwältigen dem Eindruck mit dem Kölner Dom vergleichen. Neigung zur Malerei ist seit des Antwerpener Meisters Rubens Tagen unter den Vlämen erblich, säst jede Stadt hat ihre Malerschule. Echt deutsche Freude an der Natur und na mentlich an Blumen findet sich wie bei den friesischen Bauern auch bei den Vlämen. Übrigens haben wir auch in Deutschland noch Nachkommen echter Vlämen. So lebt noch heute in Thüringen die Erinnerung an die vierschrötigen vlämischen Kolonisten fort, wenn man dort einen etwas plumpen, großen Menschen einen „flämischen Kerl" nennt. Auch in der Mark Brandenburg haben sich Vlämen schon unter Alvrecht dem Bären im zwölften Jahrhundert angesiedelt. Der Fläming, der Höhenrücken an den Provinzen Brandenburg und Sachsen, hat seinen Namen von den hier durch Albrecht den Bären angesiedelten vlämischen Kolonisten: ebenso find die Holländereien, wie man die Milchwirtschaften nennt, auf diese Kolonisten zurückzmühren. Die Stadt Gräsenhatnichen im Kreise Bitter feld, dasselbe wie s'Graoenhag, „des Grafen Haag" oder Gehege, wie die holländische Hauptvadr Haag eigentuch Hergt, rrug zruyer den vlämischen Namen Heuigen, der ebenfalls Haag bedeutet. Die Stadt Niemegk im Regierungsbezirk Potsdam ist von Flücht lingen aus Nymwegen gegründet worden, auch Bitterfelll, Wittenberg, Aken und im An- haltischen Dessau sind nach vlämischen Ansie delungen benannt. Politische Aunälckau. Deutschland. * Die Zivilverwaltung für Russisch-Polen in Kalisch ist erweitert worden und führt jetzt den Namen „Kaiserlich deutsche Zivilverwaltung für Polen links der Weichfel". Von beson derem kommunalpolttischen Interesse ist die soeben veröffentlichte, vom Generalseldmarschall v. Hindenburg erlassene Städteordnung für die unter deutscher Verwaltung stehenden Gebietsteile Ruf fisch- Polens. Die Städteordnung bringt Be stimmungen über das Bürgerrecht, die Ge meindeangelegenheiten, die Finanzen, die Wahl des Magistrats und der Stadtverordneten. Italien. * Wie der Pariser .Herald' aus Rom be richtet, wird Italien gegen die Erklärungen der Befehlshaber der Serben in Durazzo und der Montenegriner in Skutari, die von einer dauernden Besitzergreifung Alba niens durch die beiden Staaten handeln, Vorstellungen in Ntsch und Cetinie erheben. Die italienische Presse rast förmlich vor Wut gegen Montenegro. ,Tribuna', .Jdea Nazionale' »Giornale d'Jtalia' und .Corriere della Sera' vertreten überein stimmend den Standpunkt der Regierung, der dahin geht, daß Albanien keine Bal kanfrage, sondern eine europäische Frage fei und Italien ebensoviel angehe als Montenegro und Serbien, weshalb Liefe dort auch keine als endgültig anzusehenden Veränderungen herbeiführen dürften. Russland. *,Politiken' erfährt, eine mächtige Mo bilisierung der russischen In dustrie stehe bevor. Der Jndustriekongreß, die Semstwos und Städteversammlungen be- schlossen die größtmögliche Verwandlung Ruß- iands in ein Riesenarsenal zum Zwecke der Versorgung des Heeres mit Kriegsmaterial. Zahlreiche Brennereien, Brauereien und Naph» thafabrtken werden dem Kriegsbetrieb über lassen. Balkanstaaten. * Der bulgarische Ministerpräsident Rados lawow berief die Journalisten aller Parteien zu einer allgemeinen Aussprache. Rados lawow berichtete über das Interesse, das Bulgarien an dem Gange der weiteren Ent wicklung zu nehmen habe. Er betonte mit Nachdruck: Das einigende Band aller Par teien im Lande ist unll bleibt Bulgarien selbst. Es gibt in bezug auf die Außenpolitik unseres Landes im Augenblick keine Parteien, sondern nur Bulgaren. Daneben aber bleibt der Blick aller Bulgaren auf Maze donien geheftet, für das unser Land in den Krieg gezogen ist. * Der .Nürnberger Zeitung' wird aus Genf gedrahtet: Der Herald' meldet, den Konsuln in Durazzo wurde von den Serben die dauernde Besitzer greifung von Stadt und Hafen Durazzos einschließlich der Adriaküste Albaniens amtlich mitgeteilt. * Wie der .Corriere della Sera'aus Durazzo meldet, bat Essad Pascha zur Bestrafung von albanischen Aufständischen ein Sondergericht eingesetzt. Das Ge richt hat bereits mehrere Todesurteile aus- gefprochen. Amerika. * Nach einer Meldung der .Associated Preß' aus Washington teilt jetzt die amerikanische Regierung dem deutschen Marineamt durch die amerikanische Botschaft die Ab reise eines jeden amerikanischen Personendampsers. die vermutliche Zeit seiner Durchreise durch Lie Kriegszone sowie Vie getroffenen Vorsichtsmaßregeln mit, damit Lie Befehlshaber der deutschen Untersee boote die amerikanischen Schiffe nicht mit eng lischen verwechseln. Gleiches MK. bj Roman von A. L. Lindner. (Fortsetzung.) Es fiel Klara beinahe schwer, sich selbst in so sonderbar veränderter Denkweise wiederzu erkennen. Seitdem sie Olden das Jawort ge geben, sehnte sie ihn fast ungestüm herbei, ganz schutzlos und vereinsamt kam ste sich fern von ihm vor, sie, die auf ihre Unabhängigkeit und Furchtlosigkeit immer so stolz gewesen war. „Ich muß ihn später fragen, wie er es an gefangen hat, mich so zu unterjochen, diesen Hexenmeister, mit seinem halb weichen, bald herrischen Wesen." sagte sie vor sich hin. Eine feine Röte stieg ihr dabet ins Gesicht und ihre Augen schimmerten feucht. Sie beugte sich vor und sah auf den Weg hinaus, der zur Stadt führte. In einer Stunde würde Olden kommen, in einer Stunde begann für sie ein neues Leben. Aber dieser Gedanke verursachte ihr keinerlei Beklemmung, nichts als jubel volles, bräutliches sehnen. Sie war ja ihres Glückes so sicher, und die Überzeugung, recht getan zu haben, gibt immer eine große Ruhe. Sie schreckte aus ihrem Sinnen auf, als eine Hand sich auf ihren Arm legte. „Schon fertig, Klara? Laß dich einmal an schauen." Frau von Knorring legte ihre beiden Hände auf die Schultern und sah ihr mit halb schelmischem, halb gerührtem Ausdruck in die Augen; dann glitt ihr Blick prüfend über den Anzug der Pflegetochter. „Das ist gut," sagte sie befriedigt. „Ganz «eine taktvolle, diskrete Klara. Chik. aber um Simmeiswillen nicht geputzt, so ist's recht sür die Gelegenheit. Das hellgraue Kleid mit den Stahlborden steht dir vorzüglich, und der weiße Chiffoneinsatz verhütet auch. Laß es dich zu blaß macht." „Es freut mich, daß du mit mir zufrieden bist, Tantchen." „Wann erwartest du ihn?" „Nun, ich denke gegen halb fünf, wenn seine zweite Sprechstunde vorüber ist." Frau von Knorring lachte leise. „Es wird ihm heut nicht ganz leicht werden, seine Gedanken dabei sestzuhalten, aber wir wollen im Interesse seiner Patienten das Beste hoffen. Er ist ja immerhin ein Mann in ge setzten Jahren. Wie alt mag er wohl sein?" „Er sprach gelegentlich von sechsunddreißig." „Ach! Ich hätte ihn für älter gehalten, aber freilich, bei diesen mageren, scharfge- schnittenen Gesichtern ist das Alter schwer taxierbar." Eine kleine Pause trat ein. Plötzlich streckte Frau von Knorring dem jungen Mädchen beide Hände entgegen. „Mein einziges Klärchen! So soll ich dich also hergeben! Ich muß sagen, selbst auf die Gesahr hin, für eine selbstsüchtige alte Tante zu gelten — es wird mir doch sehr schwer." Klara schlang den Arm um die Pflege mutter und lehnte den Kopf an ihre Schulter mit einer Zärtlichkeit der Bewegung. Lie kein Fremder je, von ihr vermutet hätte. „Tantchen," sagte sie leise, „wenn ich ihn nicht so lieb hätte, ich würde dich nicht ver lassen : aber es ist etwas in mir, dem ich nicht widerstehen kann." Die alte Dame streichelte ihr Haar. „Werde nur recht glücklich, Kind, mehr wünsche ich gar nicht. Es ist unrecht von mir, dir mit solchen Worten das Herz schwer zu machen. Es ist ja alles, wie es sein muß." „Weder mit Worten, noch mit der Tat kann ich dir je genug danken für alles, was du an der Waise getan, mein Leben wäre nicht lang genug dazu. Wenn ich denke, wie du mich damals fandest, verlassen, ver bittert —" „Kind, ich bitte dich, laß das. Ich weiß ja, du sprichst jetzt schon weit seltener davon als früher, aber laß es jetzt ganz ruhen. Es war ja freilich eine böse Zeit, aber sie ist vorüber. Plan muß auch einmal vergessen können, sonst würde die Bürde im Laufe eines langen Ledens zu schwer." „Ihre Spuren haben sich mir aber zu tief eingeprägt, und selbst an einem Freudentag. wie heute, übermannt es mich, wenn ich nur an jenen Menschen denke. Meine arme, süße, wie würde sie heute mit mir —" „Ich kann es wirklich nicht dulden, daß du mir mit diesen Dingen die Stimmung ver dirbst. So manches stille, behagliche Jahr, wie du es seitdem genossen, kann schon für etwas entschädigen, und jetzt kommt gar noch Las volle Glück. Du bist doch glücklich?" „Würde ich Olden sonst mein Jawort ge geben haben? Ich habe nur eins an ihm auszusetzen, und das ist sein Vorname. Ich glaube kaum, daß ich Lust haben werde, ihn oft Max zu ru'en, aber dafür läßt sich wohl irgend ein Auskunftsmittel finden." „Ich gestehe, daß er auch auf mich einen Vertrauen erweckenden Eindruck macht. Ich glaube, ich kann ihm mein Kind ohne Sorge überlassen." Ein stolzes Lächeln glitt über Klaras Ge sicht. „Ohne rückhaltloses Vertrauen würde ich niemals heiraten. Ich könnte nie einem Manne angehören, der für mich und meine Eigenart keine völlige Autorität wäre. Ich kann mich nur da beugen, wo ich verehre." „Liebste Klara, laß dich nur einmal recht ansehen. Bist du es denn auch wirklich, di« mir das alles sagt? Du scheinst mir völlig ausgetauscht. Gott gebe, daß alle deine Er wartungen sich erfüllen. Nickis ist so schmerz, sich als die Entdeckung, daß man einen liebe« Menschen zu hoch taxiert hat." Klara richtete sich auf. „Ich bin ja nicht so verblendet. Olden für völlig fehlerfrei zu halten," sagte sie etwas ab weisend, „dann hätte ich allerdings eine Ent täuschung verdient. Es handelt sich auch nicht um das, was er für andere sein mag, deren Natur der meinen vielleicht total entgegen gesetzt ist, sondern was er für mich selbst be deutet. Ich bade keinen Zweifel, daß gerade er sür mich das Richtige ist, klüger als ich, besser als ich, gerade so, wie er sich gibt, klar, wahr und ohne Hinterhalt, und ohne einen Punkt in seiner Vergangenheit, dessen er sich zu schämen hätte." Frau von Knorring lächelte. „Idealistin! Was füllte aus Ler Welt werden, wenn alle Frauen so hohe Ansprüche stellten?" Klara zuckte die Achseln. „Ick Haffe alles Halbe, und w-nn ich vollends mein ganzes Selbst hingeben soll.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)