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Ottendorfer Zeitung : 27.01.1915
- Erscheinungsdatum
- 1915-01-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191501271
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19150127
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19150127
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1915
-
Monat
1915-01
- Tag 1915-01-27
-
Monat
1915-01
-
Jahr
1915
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 27.01.1915
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Amerikas Maffenkanäel. Deutschland hat vor einiger Zeit — das geht aus einer halbamtlich veröffentlichten Notiz hervor — der Regierung der Ver. Staaten eine Denkschrift überreicht, die sich eingehend mit den amerikanischen Waffen lieferungen an den Dreiverband belaßt. Die jetzt veröffentlichte Note widerspricht der in Amerika lautgewordenen Auffassung, als habe sich Deutschland mit diesen Kriegslieferungen abgefunden. Die angeführte Denkschrift räumt nur ein. daß nach den geltenden Grundsätzen des Völkerrechts Deutschland gegen Kriegs lieferungen neutraler Privatpersonen an seine Feinde keine Handhabe zu einem rechts förmlichen Einspruch hesitzt, so daß die Ver. Staaten zur Duldung solcher Lieferungen .an sich befugt" sind. Selb" verständlich sind aber die Ver. Staaten nach völkerrechtlichen Grundsätzen gleicher maßen befugt, den ganzen Konterbandehandel mit allen kriegführenden Ländern durch Er laß eines Waffenausfuhrverbots zu unterdrücken, zumal der international un erlaubte Waffenhandel mit England und Frankreich einen Umfang angenommen hat, der die Neutralität zwar nicht der ame rikanischen Regierung, wohl aber des ame rikanischen Volkes, tatsächlich in Frage stellt. Am Schluffe dieser Erklärung wird darauf verwiesen, daß die Versorgung der Gegner Deutschlands mit amerikanischen Waffen zu einer der stärksten Ursachen für die Verlänge rung des Krieges wird und deshalb im Widerspruch mit den wiederholten Versiche rungen der Ver. Staaten steht, daß sie eine baldige Wiederherstellung des Friedens wünschen und dazu mitwirken wollen. In ganz Deutschland wird man es mit Genug tuung begrüßen, daß die Regierung diese heikle Frage einmal in aller Öffentlichkeit behandelt. Wenn man bedenkt, daß England seinen Gegnern alle Zufuhr sperrt, daß es nicht nur die Versorgung der Heere, sondern vor allem die von Zivilpersonen verhindert, so wird man nur schwer begreifen, daß wir ein lebhaftes Interesse daran haben, diesen Waffenhandel durch eine Maßnahme der amerikanischen Regierung unterbunden zu sehen. Wir befinden uns den Ver. Staaten gegen über etwa in derselben Lage wie 1870. Auch damals hat die amerikanische Regierung mit einer weit über die Grenzen einer wohl wollenden Neutralität hinausgehenden Lang mut und Nachsicht den Verkauf und Trans port von Waffen und Munition nach Frank reich zugesehen. Damals allerdings war die Sache noch schlimmer, denn nicht nur Privat leute waren die Lieferanten, sondern die Re gierung selbst, die ein gutes Geichäst sah, ver kaufte Waffen, deren sie noch eine große An zahl aus dem großen Unabhängigkeitskriege besaß. Auch damals bemächtigte sich wie jetzt der amerikanischen Bürger deutscher Abkunft eine große Erregung. Auch heute sieht das Deutschtum in Ame rika die Nachsicht der Regierung mit wachsender Beunruhigung. Präsident Wilson, der wieder holt den Wunsch geäußert hat, der Krieg möge bald beendet sein, kann sich der Tatsache nicht länger verschließen, daß nur ein allgemeines Waffenausfuhroerbot den Begriffen von Neu tralität entsprechen würde. Gewiß, einem Teile seiner Landsleute ginge damit ein smartes Geschäft verloren, aber wenn die Behinderung der Waffenausfuhr das Ende des Krieges be schleunigt, so wird nicht zuletzt das Wirt- ichafssleben der Ver. Staaten davon Vorteil haben, dem jetzt Englands Konterbandepolitik so schwere Wunden schlägt. Ist Herr Wilson erfüllt von jener Gerechtigkeitsliebe, die man ihm nachrühmt, so wird er sich noch jetzt, da leine Mitbürger fast zwei Milliarden am Waffenhandel verdient haben, zu einem Aus fuhrverbot entschließen und damit seinen Willen zur Neutralität beweisen. ^Vsstwsnn. verschiedene ttriegsnachrichten. Von der mil. Zensurbehörde zugelaffene Nachrichten. Joffres Mißerfolg. Auch die neutralen Berichterstatter erklären jetzt, daß der umfassende Angriffsplan General Joffres, Ler die Feinde auf französischem Boden vernichten und sie aus Belgien ver treiben wollte, vollständig gescheitert ist. Der französische Angriff, so schreibt der .Nieuwe Rotterd. Courant', hat sich in einen deutschen Angriff verwandelt. Heldentaten der „Karlsruhe". Die .London News' meldet aus San Juan auf Portorico, daß das deutsche Kriegs schiff .Karlsruhe" immer noch unbehindert den Atlantischen Ozean durchfahre und im Verlauf der letzten vierzehn Tage nicht weniger als elf Handelsschiffe versenkt habe. Auch unser Hilsslreuzer „Kronprinz Wilhelm" ist noch immer ein Schrecken englischer Handels schiffe. * Pariser Stimmungen. In der Hauptstadt Frankreichs streiten die widerstrebendsten Empfindungen um den Sieg. Wer Vertrauen in die Sache der Ver bündeten zeigt, wird leichtgläubig genannt. Wessen bedurfte es, um die Beunruhigung heroorzurufen? So fragt ein Pariser Blatt. Erstens des Rückschlages von Soissons. der längst auf seine wahre Bedeutung zurückge- sührt wurde. Zweitens des Erlasses über die Verdunklung von Paris. Der Polizei- präfekt hatte, ohne die Bevölkerung zu be nachrichtigen, die Beleuchtung herabgesetzt und niemand hatte sich darüber gewundert. Jetzt aber haben die Alarmisten, die deutsche Agenten (!) sind, die Gelegenheit benutzt und ängstlichen Gemütern Furcht eingeflößt. Das Wirken für den Frieden nimmt zu. Es werden insgeheim Flugschriften verbreitet, z. B. mit dem Titel „Man täuscht uns", zum großen Leidwesen des .Echo de Paris", das in dieser Maßnahme ein deutsches Manöver erblickt und die Polizei zur Hilse ruft. Diese soll gegen eine soeben verbreitete neue Flug schrift „Man belügt uns" energisch einschreiten. In dieser Flugschrift wird die deutsche Armee gegen die Beschuldigungen der amtlichen fran- zösijchen Untersuchungskommisston über an gebliche deutsche Grausamkeiten verteidigt. Die Flugschrift enthält auch schwere Anklagen gegen die französischen Soldaten. 17 Fliegerangriffe auf Nancy. Der Genfer .Courriere' läßt sich melden: über Nancy haben seit dem S. Januar 17 deutsche Fliegerangriffe stattgesunden. In allen Fällen gelang es den Deutschen, erheblichen Schaden an militärischen Baulichkeiten und an Menschenleben zu verursachen. Ein großer Teil von Nancy ist durch die fortgesetzten Lustbom bardements zerstört. England beginnt zu fürchten. Das Stockholmer .Soenska Dagblad' ver breitet einen Aussatz des englischen Russen freundes Dr. Dillon im ,Daily Telegraph'. Zwischen den Zeilen, schreibt .Soenska Dag blad'. glaube man lesen zu können, daß es so aussieht, als ob England der Krieg zu lang, zu kostspielig und zu ergebnis los werde, und daß man deshalb vielleicht schon setzt daran denken müßte, ob es nicht möglich wäre, schließlich einen Ausgleich zu stande zu dringen. Es ist das erstemal wäh rend des Krieges, daß ein solcher Gedanken- gang von einer Zeitung von der Haltung des »Daily Telegraph' veröffentlicht wird. * Ruffcnflucht im Kaukasus. Aus Konstantinopel wird halbamtlich ge meldet: Sowohl Tiflis wie Kars ist voll ständig von der Bevölkerung geräumt worden. Die Regierungsgebäude. Moscheen, die Kirche und die großen Vrivatgebäude sind in Laza rette verwandelt worden. Infolge des Steigens der Lebensmittelpreise herrscht großes Elend. Selbst die russischen Offiziere sind überzeugt, dass Ruhland den An griffen der Deutschen im Norden und der Türkei im Kaukasus nicht widerstehen kann, sondern geschlagen werden wird. Nachrichten zufolge, die aus unterrichteten türkischen Kreisen stammen, versuchen die Eng länder jetzt, die eingeborene indische Bevölke rung für sich zu gewinnen, indem sie ihr bis her verweigerte Freiheiten zugesiehen. Aber die Zunahme der Gärung ze ge, daß alle diese Maßnahmen und angeblichen Sympathien der Engländer jür die Indier ungenügend seien. solange ihnen nicht eine unabhängige Ver waltung zugeiagt werde. Zeppelinlckrecken in England. Augenzeugen über den Luftschiff-Angriff. Wie aus Amsterdam gemeldet wird, haben die Londoner Blätter schon am Morgen nach dem Zeppelin-Angriff auf die englische Ost küste waltenlange Berichte über das Bom bardement gebracht. Sie lassen deutlich die Bestürzung und den Schrecken erkennen, den das Erscheinen des Feindes über eng lischem Boden hervorgerufen hat. Aus dem Bericht der .Times" aus Aarmouth sei folgen des wiedergegeben: „In Darmouth gab es abends Vs9 Uhr einen Knall, als wenn eine große Kanone in der Hauptstraße der Stadt abgeschoffen worden wäre. Ohne Rücksicht auf die Vorsichtsmaß regeln. die ihnen die Behörden erteilt hatten, verließ der größte Teil der Einwohner die Häuser und eilte auf die Straßen, um zu sehen, was es gebe. Gleich darauf wurde Geschrei in fünf oder sechs Gegenden der Stadt gehört. Die Behörden ließen sofort das elektrische Licht auslöschen, und die Menschen in den Straßen suchten, so gut es in der Dunkelheit ging, ihre Wohnungen auf. Es war klar, daß die Ursache dieses Wirr warrs ein Luftfahrzeug war. Von welcher Art, ließ sich zunächst nur vermuten, aber man nahm allgemein an, daß es ein Luft schiff war, denn es waren Scheinwerfer in großer Höhe gesehen worden. Das feindliche Luftfahrzeug wurde nicht wieder gesehen. Es wurde auch in Uarmouth gegen den Angreifer nichts unternommen, denn die Truppen halsen der Polizei, die Be schädigungen festzustellen. Eine große Zahl von Gebäuden weist starke Risse auf. Eine Bombe fiel wenige Fuß von der St. Peters« kirche nieder. Metallstücke, vermutlich von den Bombenhülsen, wurden nach allen Seiten ge schleudert. Der Angriff war nach zehn Mi nuten vorüber, und nach zwei weiteren Minuten waren auch die Ambulanzen unter wegs. Die Feuerwehr trat in lebhafte" Tätig keit, aber dis jetzt ist nirgends Feuer ausge brochen. Ein großer Teil der Hausbewohner befolgte die Anweisungen der Behörden und verbarg sich in Kellerräumen und anderen geeigneten sicheren Orten. Die Extraschutz mannschaften wurden aufgerufen und waren sogleich zur Stelle." Um Mitternacht berichtet derselbe Korre spondent, daß sich unter den Getroffenen ein Soldat mit einer schweren Brustwunde be findet. Eine Dame erzählte: „Ich ging ge rade die Hauptstraße entlang, als ich um 8 Uhr 30 Minuten das bekannte Surren von Propellern hörte. Ich glaubte, es seien Aero plane und blickte in die Höhe. In diesem Augenblick gab es einen schrecklichen Knall, ein bedeutender Lärm entstand und sogleich blitzte es am Himmel auf, wie von einem Scheinwerfer. Ich eilte in meine Wohnung und war glücklich, dort alles unversehrt zu finden." Ein anderer Berichterstatter meldet, daß eine Bombe auf dem Südkai niederfiel und eine der Granitvlatten auf der Straße zer splitterte. Er erzählt, daß er gerade htnzuge- kommen sei, und die Bombenstücke noch warm waren, als er sie angefaßt habe. Es sei ihm aber unmöglich gewesen, den Charakter und die Grüße des Geschosses aus diesen Stücken festzustellen. Häuser waren dabei nicht be- 'chädigt worden. Dicht dabei stand eine Schildwache. Der Posten erzählte, eine Bombe sei auch bei ihm niedergefallen, habe aber keinen Schaden angerichtet und nur die Straße getroffen. Er habe sofort auf das Luftschiff gefeuert. Alle Menschen, die in der Nähe waren, sahen eine große Flamme, und dann gab es einen schrecklichen Knall. Wieder holt blitzten dann noch Lichtstrahlen am Himmel auf. In Sheringham passierte ein Luftschiff um 8 Uhr 48 Minuten, es umkreiste die Kirche und war dabei mit bloßem Auge sichtbar. Eine Bombe, die aus dem Luftschiff geworfen wurde, traf ein Eckhaus der Winöhamstreet, dessen Dachspitze abgerissen wurde. Die Bombe schlug die Decke durch, ohne zu explo dieren. fiel dabei in ein Zimmer, wo ein Mann mit Frau und Kind sich aufhielten, die wie durch ein Wunder dem Tode entgingen. Der „Zeppelin" fuhr dann seewärts, und' die Einwohner, die sich in großer Menge auf der Straße aufhielten, beobachteten ihn, bis er verichwand." Politische Kuncilckau. Deutschland. * Reichsbankpräsident Havenstein, der kürz lich von der philosophischen Fakultät der Universität Bonn zum Ehrendoktor ernannt worden ist, richtete an die Universität ein Dank schreiben, in dem sich unter anderem folgende bemerkenswerte Äußerung befindet: „Heute hoffe ich nicht bloß, sondern ich weiß, daß wir auch auf finanziellem und wirt schaftlichem Gebiet dieses ungeheure Ringen durchhalten können und werden, und jedem Anspruch und jeder Dauer des Krieges gewachsen sind." Italien. "Aus Catania werden schwere Aus schreitungen im Gefolge derBrot« verteuerung gemeldet. Die Menge ver anstaltete Umzüge mit Fahnen und Jn- schristtaieln durch die Stadt uns veranlaßte die Bäcker zur Schließung der Läden. Sechs mit Mehl beladene Wagen wurden zerstört und im Hafen eine Anzahl Warenkisten ins Meer geworfen. Ein großes Mehlmagazin wurde gestürmt und in Brand gesteckt, wobei eine Anzahl Polizisten und Karabinieri ver letzt wurden, darunter drei schwer. In Ober italien hat die Arbeitslosigkeit bedeulend ab genommen, und dje Mailänder Stadtverwal tung beschloß deshalb, die Unterstützung der Arbeitslosen einzustellen. Schweiz. " Die .Neue Zürcher Zeitung' gibt einen Auszug aus der Freiburger,Liberls' wieder, die unter anderem der von westschweizerischen Blättern aufgeworfenen Frage der Rohstoff versorgung der Schweiz Aufmerksamkeit schenkt. Darin heißt es: In der Schweiz, wo man die seepolizeilichen Maßnahmen Englands sehr fühlt, beginnt man, gegen die miß bräuchliche Beschlagnahme von Schiffen und Ladungen zu protestieren. Unsere Industrie hat bereits schwere Verluste erlilten. England muß endlich das Recht der Neutralen auf Leben beachten. Das Recht für seine Sicherheit zu sorgen, findet seine Grenze bei dem Recht des andern, zu leben. Spanien. * Ministerpräsident Dato hat einen parla mentarischen Triumph erlebt, ein Vertrauens votum, das ihm von einer Riesenmehrheit der Kammer dargebracht wurde, und zwar zur erneuien Bekräftigung der grund sätzlichen Neutralität. Die gesamte Opposition, die Republikaner und Karlisten eingeschlossen, beglückwünschten enthusiastisch und patriotisch den Ministerpräsidenten Dato wegen dieser seiner Erklärung. Die Cortes dürfte sich vermutlich sofort vertagen, sobald Entwürfe für Marine und Heer unter Dach sind. Balkanstaate». "Zu der Meldung von der Einberufung rumänischer Studenten in der Schweiz wird in rumänischen politischen Kreisen bemerkt: Auf kriegerische Absichten gegen Osterreich-Un garn ist daraus keineswegs zu schließen. Rumänien mobilisiert, weil der Krieg an den Grenzen wütet, und die Gefahr eines feindlichen Einfalls naherückt. Der Verlauf des Krieges kann jeden Augen blick einen Einspruch nötig machen. Asien. *Wie der römische „Osservatore Romano" mitteilt, hat der Kaiser vonJapan an den Papst ein Telegramm gerichtet, worin er dessen humanen Absichten bezüglich des Austausches kriegsuntauglicher Gefangener beipflichtet, indem er hinzufügt: „Gleichzeitig teilen Wir EiS. Heiligkeit mit, daß augen blicklich kein einziger unserer Soldaten sich kriegsgefangen in einem feindlichen Lande be findet und geben die feierliche Versicherung ab, daß alle in Japan befindlichen Kriegsge fangenen auf das Wohlwollendste behandelt werden und keinerlei Not zu leiden haben." Es braust ein R.uf. Lis Roman von Max Arendt-Denart. Bald hörte man hinter den geschlossenen Fenstern das Feuern der Geschütze und das Knattern der Maschinengewehre. Bange Mi nuten voller Erwartung vergingen. In der kleinen Schenke am Markt saß Vater Lommert und lauschte auf die seltsame Musik. Solange sie noch schießen, sagte er sich, so lange ist immer noch Hoffnung, daß Mülhausen deutsch bleibt. Aus der Ferne scholl von irgendwoher Kanonendonner herüber. Vakr Lommert hörte es kaum. Seit vierzehn Tagen hörte man ja stündlich das Geschützleuer, und die Mülhausener Bürgerschaft war so sehr daran gewöhnt, daß sie gar nicht mehr empfand, wie der bittere Ernst des Krieges auf ihrer Stadt lastete. Freilich, heute war es besonders stark. Das Lazarett, das unter einem deutschen Oberarzt stand, war überfüllt: Franzosen und Deutsche lagen hier friedlich nebeneinander. Auch viele Bürgerhäuser waren mit Ver wundeten belegt. Am Nachmittag war Gene ral Vautier, der Sieger von Mülhausen, der mit 23 000 Mann, darunter zwei Artillerie- Regimenter, gegen 8000 Landwehrmänner mit einer einzigen Batterie gesiegt hatte, in den einzelnen Lazaretten gewesen und hatte ver fügt, daß alle deutschen Verwundeten als Gefangene zu betrachten seien. Darauf waren SOO transportfähige von ihnen nach Beifort überführt worden. So konnte der General »ach Parts einen große» Sieg melden, bet' dem er 600 Gefangene gemacht hatte. Bei der üblichen französischen Übertreibung waren natürlich in Belfort schon 2000 und in Paris 20000 daraus geworden. An das alles dachte Vater Lommert, als er in seiner dunklen verwaisten Gaststube saß und durch das kleine Fenster hinausstarrte in den blauen Himmel, an dem hell und klar der Mond stand. Plötzlich schreckte ihn ein Krachen an der Haustür aus seinem Sinnen. Im ersten Augenblick lähmte ihn der Schreck; ihm fiel das Schicksal des Juweliers Hanke ein, dann beeilte er sich, den ungestümen Mahnern da draußen zu öffnen. Es waren drei französische Soldaten und ein Sergeant. Mit lautem, überstürztem Wortschwall ver lang! en sie Wein. Vater Lommert zögerte. „Es ist mir verboten, nach 8 Uhr Wein zu verkaufen!" „Vvu8 Steg UN kou! Für die Soldaten der xikwcks vLtion gibt's kein Verbot. Nur den Deutschen soll er nichts verkaufen!" „Verkaufen, Renan? Er soll ja nicht ver kaufen. Einschenken soll er und damit basta Vater Lommert merkte wohl, daß hier kein Widerspruch half. Die Soldaten hatten die Macht, ihren Willen Lurchzusetzen. Hatten doch am gestrigen Abend mehrere von ihnen beim Krämer Gottschall die Weinfässer einfach aus laufen lassen, weil er sich geweigert hatte, ihnen umsonst zu schenken. Seufzend nahm Lommert vier Gläser vom Ladentisch und stellte sie vor die wüsten Gesellen hin. Sie tranken gierig aus. „Mehr!" schrien sie. Und Vater Lommert schenkte aufs neue die Gläser voll, in Angst, was die folgenden Stunden bringen würden. Die Soldaten setzten sich an den Tisch und begannen zu singen. Schelmenlieder mit ge meinem Refrain, und mit hämischem Augen blinzeln schauten sie auf den Wirt, der mit schlotternden Knien noch immer am Schenk tisch stand, des Winkes seiner ungebetenen Gäste gewärtig. Mitten in ihrem lauten Jubel hielten die vier plötzlich inne. Auf der Straße hatte ein Automobil schnell hintereinander Hupen signale gegeben. Der Sergeant stürzte ans Fenster. Im Schein der trübe brennenden Laterne sah er, wie aus dem Kraftwagen ein Offizier stieg und auf das Haus zu kam. Er winkte seinen drei Zechgenoffen und machte dem Wirte mit einer Drohung das Zeichen des Schweigens. Vater Lommert war an die Tür getreten, in die jetzt ein französischer Sanitätsosstzier mit zwei Begleitern trat. „Wieviel Zimmer haben Sie hier zur Ver fügung ?" fragte er kurz. Stotternd aniwortete Vater Lommert: „Für meine Familie zwei!" „Wieviel Personen?" „Drei!" „Ihr Schankraum wird geschloffen und morgen für Lazarettzwecke in Anspruch ge nommen. Bis morgen früh muß alles ge räumt sein. Die Heeresleitung wird den Schaden ersetzen." Er wintte einem seiner Begleiter, der dar auf das Haus verließ und mit einer ver schleierten Dame zurücktehrte, die die Sanitäts« armbiude trug. „Diese Dame," sagte der Franzose, „wird alles weitere ordnen. Mademoiselle d'Eströe," wandte er sich an die Dame, „ich werde mich morgen vormittag erkundigen, ob Sie alles nach Wunsch gefunden haben." Er küßte ihr galant die Hand und ging dann mit den beiden anderen hinaus. Vater Lommert musterte erstaunt seinen Gast, der ihm so plötzlich ins Haus ge schneit war. Aber bevor er sich noch zu einer Frage auftaffen konnte, wandte sich Amelie zu ihm. „Ich bereite Ihnen Ungelegenheiten, nicht wabr?" Der Alte war durch ihre Liebenswürdigkeit ganz verwirrt. „Nicht im geringsten." versicherte er. Und als ob er seine Worte bekräftigen wollte, wandte er sich zu einer Seitenlür und rief hinein. „Mach Lichh Anna, wir haben Besuch be kommen !" Eine Helle Stimme antwortete von innen, und gleich daraus trat ein junges Mädchen in das Zimmer. „Die Dame wird heute nacht hier bleiben," erklärte Vater Lommert. „Mach' ihr euer Zimmer zurecht." Anna nickte zustimmend und führte die Fremde in die Nedenstube. Seufzend trat Vater Lommert wieder an das Fenster. Er hatte ganz vergessen, daß im Hinterstübchen noch immer die vier Soldaten warteten, daß er ihnen einen Wink geben sollte. Schließlich klopfte er leise an die Tür. Ohne ein Wort zu sprechen, schlichen die vier wie ertappte Verbrecher von barme«. Nur
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