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Vie Kämpfe im Osten. — Neue- vom Feldmarschall Hindenburg. — In Ergänzung der Mitteilungen über die Kämpfe im Osten wird durch W. T. B. fol gende Darstellung vom Großen Hauptquartier veröffentlicht: Wer den Heldenkampf um die Befreiung und Verteidigung deS deutschen Nordostens recht würdigen will, muß ein besonderes Augenmerk auf die Stelle richten, wo das süd liche Masuren an Westpreuken grenzt. Die Aufmerksamkeit der ganzen Welt war hierher gelenkt, als der General v. Hindenburg den Russen bet Tannenberg die erste vernichtende Niederlage beibrachte. Seitdem sind in dieser Ecke gewaltige Schlachten von weithin klingen den Namen nicht mehr geschlagen worden; wohl aberhaben dort zahllose schwere Gefechte slaltgefunden, die von unseren Truppen äußerste Spannkraft und Widerstandsfähigkeit forderten und daher verdienen, einmal in großen Zügen dargestellt zu werden. Die schwer wiegende Bedeutung eines russischen Ein bruchs auf Osterode—Deutsch-Eylau lehrt ein einziger Blick auf die Karte: es dreht sich um die Abtrennung des deutschen Landes rechts der Weichsel vom Reiche. Das war natürlich nicht nur den Ostpreußen klar, die immer — solange überhaupt noch eine Gefahr bestand — mit mindestens gleicher Sorge nach Süden wie nach Osten blickten, sondern auch den Russen. Diese haben für eine Operation auf den Unterlauf der Weichsel hin günstige Eisenbahnverbindungen. Die drei bei Ostro- lenka endenden Bahnstrecken ermöglichen dort schnelle Ausladungen großer Truppenmassen, und die Linie Warschau—Mlawa—Soldau jührt geradewegs in das Einmarschgebtet hinein. Darum ist der Besitz Mlawas von so hohem Wert. Es klingt glaubhast, daß der russische Oberbefehlshaber im Februar be fohlen haben soll, Mlawa zu nehmen, koste es, was es wolle. Als die Narewarmee, Lie den ersten großen Einbruchsoersuch an dieser Stelle unternahm, ihr furchtbares Ende zwischen und in den südmalurischen Seen gefunden hatte, gingen die Russen längere Zett hindurch hier nicht mit starken Kräften vor. Immerhin hatten die verhältnismäßig wenigen Truppen des Generals v. Zastrow, die in breiter Front die Grenze schützen und während der Vorberei tungen zu dem zweiten deutschen Einfall in Polen die Aufmerksamkeit des Feindes auf sich lenken sollten, eine recht schwere Ausgabe. Sie drangen weit in Feindesland ein, mußten vor einem überlegenen Gegner bis an die Grenze zurückwetchen und gingen kurz vor Weihnachten wieder vor. um Mlawa end gültig zu besetzen. Die Front verlief westöstlich, der rechte Flügel ging also zurück. Da tauchte im Januar bei den Russen ein «neuer gigantischer Plan' auf: sie wollten mit großen Kavalleriemassen, gefolgt von starken Kräften, zwischen Mlawa und der Weichsel nach Westpreußen einbrechen und gleichzeitig von Kowno her im nördlichen Ostpreußen stehende deutsche Truppen um fassend angreifen. Der neue Plan war also im wesentlichen nur eine Wiederholung des alten, im Herbst gescheiterten. Diesmal blieb er jedoch in den ersten Anfängen stecken, da er mit einem schneller durchgeführten deutschen Offensioplan zusammenfiel. Alle versügbaren deutschen Kräfte wurden zu dem großen um« fassenven Gegenstoß bereitgestellt, der dann in der masurischen Winterschlacht zur Vernichtung der zehnten russischen Armee östlich der Linie Johannisburg - Gumbinnen führte. Zugleich wurden auch die deutschen Truppen an der Südgrenze West- und Ostpreußens etwas verstärkt. Die Führung erhielt der General der Artillerie v. Gallwitz. Er hatte den Auftrag, die rechte Flanke der in Masuren angrelfenden Armeen zu schützen und seinen Grenzabschnitt gegen den russischen Einbruch versuch zu sichern. Dazu ging er offensiv vor. Zunächst wurde der rechte Flügel in scharfem Draufgehen nach vorwärts geschoben, bis er Plock erreichte, das inzwischen zu einer starken deutschen Festung ausgevaut war. Garderegimenter und eine Kavalleriedioision ernteten bei diesem schneidigen Einmarsch reiche blutige Lorbeeren in der Gegend von Sierpc und Racionz. Sie trieben einen über legenen Gegner vor sich her und leisteten schließlich einer dreifachen Übermacht erfolg reichen Widerstand. Ein besonderer Glücks« und Ehrentag der Gardetruppen war der von Drobin, wo sie einen bereits geglückten russi schen Überfall in eine schwere Niederlage des Feindes verwandelten, der dabei 2500 Ge fangene verlor. Das war Mitte Februar. Aber General v. Gallwitz plante Größeres. Er wollte durch einen umfassenden Angriff von beiden Flügeln her Orzyc säubern. Der rechte Flügel sollte weiter nach Osten ein schwenken, und die in Willenberg eingetroffe nen Heeresteile erhielten Befehl, vom Orzyc her die offene rechte Flanke deS Feindes zu umgehen. Sie kamen, weit ausgreifend, östlich an Praßnyß vorbei und schwenkten südlich um die Stadt herum, die nur schwach besetzt sein sollte. Da ergab sich aber, daß angesichts des überraschend schnellen Vormarsches der Deut schen eine russische Division nach Praßnyß geeilt war. Der Angriff wurde beschlossen. Inzwischen hatten jedoch die Russen große Lruppenmassen am Narew zusammengezogen und gegen Praßnyß in Maisch gesetzt. Zwei russische Korps gingen gegen den linken Flügel der deutschen Truppen vor. Trotzdem wollten diese auf die grme Beute, die sich bot, nicht verzichten. Ein Teil noch verfügbarer Kräfte wurde zur Sicherung gegen den nahenden, weit überlegenen Gegner im Halbkretie aus gestellt, und unter diesem Schutz stürmte am 84. Februar eine Reservedivision Praßnyß. Über 10 000 Gefangene, darunter 57 Osfiziere, 36 Geschütze, 14 Maschinengewehre und viel anderes Kriegsgerät fielen in die Hand der Steger. Allein es war höchste Zeit, die Beute in Sicherheit zu bringen, denn schon war die russische Übermacht, gegen die ein Widerstand auf diesem vorgeschobenen Posten fruchtlos gewesen wäre, in bedrohliche Nähe gerückt. Unter sehr erheblichen Schwierigkeiten zogen sich unsere Truppen nordwärts in die große Verteidigungslinie im Orzycbogen zurück, nachdem sie den russischen Drängern noch riesige Verluste zugefügt hatten. Der kecke Sturm auf Praßnyß hatte eine sehr beträchtliche Wirkung: er täuschte den Feind, der nun an dieser Stelle den Feld marschall v. Hindenburg selber mit starken Kräften vermutete. Das machte sich in der Folgezeit für die Truppen des Generals v. Gallwitz aufs schwerste fühlbar. Denn nun warfen die Russen immer neue Korps hierher, um die Scharte der masurischen Winterschlacht auszuwetzen und die deutsche Linie Soldau— Neidenburg zu durchbrechen. Unter solchen Umständen konnte der deutsche Führer an die Fortsetzung seiner Offensive nicht mehr denken, sondern mußte eine hartnäckige Verteidi gung vorbereiten, aus deren Gelingen die beteiligten Truppen stolz sein dürfen als auf eine der besten Waffentaten des deutschen Heeres. Unsere Stellung bildete bet Mlawa einen Winkel, da sie einerseits nach Süd westen auf Plock hin, andererseits nach Ostnordost über die Höhen nördlich Praßnyß hinweg verlief. In diesen Winkel schoben Vie Russen Ende Februar-Anfang März ihre Truppenmassen zunächst langsam hinein, dann brachen diese mit unerhörter Wucht vor. Mlawa war ihr Ziel. In dichten, sich ständig erneuernden Kolonnen stürmten sie, ohne jede Rücksicht auf die furchtbaren Verluste, gegen die Stellungen östlich und südlich von Mlawa an. Aber die Menschen wogen brachen sich an dem Felsen deutscher Tapferkeit. Unsere Truppen hielten aus. Bet Demsk, östlich von Mlawa, findet man heute eine lange Reihe flacher, mit weißen Steinen eingefaßter russischer Massengräber vor den deutschen Drahthindernissen — ernste Zeugen des Mißerfolges, den 48 russische Kompagnien im Sturm auf 10 deutsche davon gelragen haben. Der Frost hatte die Sumpf gegend, aus der hier der Orzyc entspringt, gangbar gemacht und so dem Feinde die An näherung an unsere Stellung gestattet. Nachdem über 1000 Geschosse aus schweren Geschützen in und hinter Demsk eingeschlagen waren, folgten die unaufhörlichen Anariffe der Infanterie. In der Nacht des 7. März kamen sie bis unmittelbar an den Stachel draht. Aber unsere Scheinwerfer und Leucht pistolen verbreiteten genug Licht, um nun dem verheerenden Infanterie- und Maschinenge wehrfeuer den Weg zu weisen. Was vom Feinde nicht siel, floh in die nächste Boden falte zurück, wo das Scheinwerierlicht die Ver zweifelten bis zum Tagesanbruch festhielt. Dann ergaben sie sich den vorgesandten deut schen Patrouillen. Viel Munition. 800 Gewehre wurden genommen. Vor der Front fand man an dieser Stelle 800 tote Russen. Einige Kilo meter nördlich aber, bei Kapusnik, wo der Feind in unsere Schützengräben eingedrungen war und durch einen verzweifelten Bajonett» kampf wieder vertrieben werden mußte, liegen 906 Russen begraben — und 164 Deutsche. Im ganzen hatte der Feind bei seinen ver geblichen Angriffen auf Mlawa viele Tau sende verloren: so viel, daß seine Kampfkraft erschüttert schien und General v. Gallwitz mit teilweise frischen Kräften nun seinerseits einen Vorstoß versuchen konnte. Dieser begann am 8. März, kam aber am 12. März nördlich Praßnyß zum Stehen, da auch die Russen von neuem bedeutende Verstärkungen er hielten. Sie waren bald in großer Überzahl. Auf etwa 10 Armeekorps und 7 Kavallerie divisionen wurde ihre Stärke geschätzt. Wir mußten unS wieder auf die Verteidigung ein richten, und unsere Truppen, die zum Teil schon vier Wochen lang in fast ununter brochenem Kampf gestanden hatten, mußten einen neuen harten Stoß aushalten. Der ging diesmal nicht auf Mlawa zu, sondern nordöstlich von Praßnyß am Orzyc und Omulew hinaus. Er wurde nach russischer Eigenart in sehr zahlreichen und sehr heftigen Angriffen geführt. Man zählte vom 13. bis zum 23. März 46 ernstere Sturmver suche, 25 bet Tage, 21 bei Nacht. Fast alle brachen bereits im Feuer unserer Truppen zu sammen, wenige gelangten bis in die deutschen Gräben. Besonders schwere Kämpfe fanden bet Jednorozee statt. Wieder erlitten die Russen erhebliche Verluste, ohne ihrem Ziel näher zu kommen: die Südgrenze Altpreußens war wohl verteidigt und ein Einbruch in die Flanke unserer Oststellung undurchführbar. In der lebten Märzwocke flauten die russischen Angriffe ab, und seit Ostern herrscht an dieser Stelle der Kampffront meist Ruhe. Sie ist dem heldenmütigen Widerstande der Truppen des Generals v. Gallwitz zu danken. Sechs Wochen lang haben sie in Kälte und Nässe, in Schnee und Sturm ruhelos, unermüdlich die Heimat ver teidigt und sich glänzend bewährt. Es war keine Schlacht mit weithin klingendem Namen — aber es waren viele, viele harte Kämpfe, deren Erfolg den mancher großen Schlacht übertrifft. In diesem Sechs-Wochen-Ringen um das südliche Einfallstor in Altpreußen haben die Truppen des Generals v. Gallwitz 43 000 Russen gefangen genommen und gegen 25 000 getötet. Der Gesamtverlust des Feindes überschreitet sicherlich die Zahl 100000. Wer unsere braven Truppen jetzt fröhlich in ihren Waldhütten und geräumigen Schützengräben hantieren fleht, vergißt beinahe, welch harte, blutige Zelt hinter ihnen liegt. Aber die zahl losen Soldatengräber, die über das ganze blühende Land verstreut find, und die Trümmer der Städte und Dörfer halten die ernste Er innerung wach. Auch dieser Teil des Kriegs theaters hat viel Leiden, hat viele Helden ge sehen. verschiedene Uriegsnachrichten. Bon der niil. Zensurbehörde zugelassene Nachrichten. Schwedens Interesse an einem deutschen Siege. Das Stockholmer .Aftonbladet, sagt in einem Artikel, es sei unverständlich, warum Deutschland mit zweijähriger Dienstzeit mili taristischer sein sollte als Frankreich und Ruß land mit der dreijährigen. Die überlegene deutsche Organisation könne man nicht Mili tarismus nennen, und die Disziplin, die beste in der Welt, würde mit gleichen Mitteln wie in den übrigen Ländern ausrechterhalten. Der größte Militarist, allerdings zur See, sei England, das, wie die Geschichte Spaniens, Frankreichs, Hollands beweise, keine ihm gefährlichen Kriegsflotten neben sich dulden wolle. Das sei unverfälschter Mili tarismus. Für dessen Vernichtung, für die Freiheit der Meere kämpse Deutschland, und auch alle anoeren Staaten hätten daran das größte Interesse. Für Schweden sei der eng lische Militarismus viel gefährlicher als dec deutsche, weil die feindliche Übermacht zur See das wirtschaftliche Leben des Landes im Kriegsfälle lähmen würde. Es wäre ein großer Vorteil für Schweden, wenn Deutschland die Neutralisierung der Meere erkämpfen könnte. * Der Aufstand in Tripolis breitet fick, aus. Wie dem Mailänder ,Seco>o' aus Tripolis berichtet wird, hat der Verrat des Scheichs des Stammes der Tarhuna und der Scheichs Saad und Akmed el Sunt auch einige Stämme zwischen Tripolis und dem Gebel zum Auf ruhr veranlaßt. Infolgedessen hat die italie nische Regierung die Räumung des Gebel Nesula und Gebel Garian angeordnet. Die Trupp-n sollen zur Verteidigung der Küste von Tripolis dis zur tunesischen Grenze ver wendet werden. — Damit sind also die Italiener glücklich in die Verteidigung ge drängt/ Politische Kunälchau. England. "DeS Jahrestages der englischen Kriegserklärung an Deutschland soll in ganz England durch patriotische Ver sammlungen gedacht werden. Von allen Rednern soll dem englischen Volke eingeprägt werden, es gelte Englands Zukunft, weshalb alle mit voller Kraft beitragen müßten, den Kampf zu einem schnellen und siegreichen Ab« schlug zu bringen. Italien. * Das voraussichtlich ganz elende Er gebnis der italienischen National- anleihe zwingt die Presse zu den seltsamsten Widersprüchen. Der .Corriere della Sera' drohte bisher den säumigen Zeichnern mit einer kommenden Zwangsanleihe. Heute gibt dasselbe Blatt zu. daß viele Kapitalisten nicht zeichnen, um — für die angedrohte Zwangs anleihe nicht mittellos dazustehen. So muß also jetzt die Drohung überzuckert werden. Das Änleiheergebnis ist jedenfalls nicht mehr zu retten. Russland. "Die Londoner .Morning Post' erfährt aus Petersburg, daß die Duma wahrschein lich am Jahrestage des Kriegsanfangs, also am 1. August, zusammentreten werde. Eine ähnliche Erklärung hat vor einigen Tagen der Äckerbauminister Kriwoschein abgegeben. * Der Petersburger .Rietsch' verlangt, daß die Organe der S elb stv erw altung auf einer freieren demokratischen Grundlage aufgebaut werden sollten, da sie jetzt keineswegs Anspruch darauf erheben dürsten, eine Vertretung des Volkes zu sein. »Rietsch' spricht fernerhin die Besorgnis aus, daß alle Fortschritte, die die Duma erreichen könnte, durch den Reichsrat illusorisch gemacht werden würden. "Das .Hamburger Fremdenblatt' meldet: Zuverlässigen Mitteilungen zufolge dreht es sich bei den eifrig geführten rus s is ch - j ap a- nischen Verhandlungen um den Ab schluß eines Defensiv-und Offensiv- Bündnisses. Rußland sei bereit, weit gehende wirtschastliche Zugeständnisse an Japan zu machen, weil es dadurch größere Unab hängigkeit seinen Bundesgenossen, besonders England gegenüber, zu erlangen hofft. Balkanstaatcn. "Die in Paris einlaufenden Berichte über die Haltung Rumäniens lauten denk bar pessimistisch. Die Pariser Presse scheint die Hoffnung auf ein baldiges Eingreifen Rumäniens in den Weltkrieg aufgegeben zu haben. Der.Progres de Lyon' bringt einen Bericht aus Bukarest, wonach die Stimmung in den dortigen ententefreundlichen Kreisen gedrückt sei. Vor September könne an einen entscheidenden Schritt Rumäniens nicht gedacht werden, und damit sei den Alliierten nicht mehr gedient. .Echo de Paris' schreibt, es sei selbstverständlich, daß ein langer Aufschub der Beteiligung Rumäniens am Kriege die bisherigen Versprechungen des Vierverbandes nichtig mache. Gleiches 10s Roman von A. L. Lindner. (Fortsetzung.) Einmal vor Jahren hatte er die Macht einer starken Leidenschaft an sich erfahren und diese hatte ihn in das größte Unheil seines Lebens verwickelt. Nach dem Sturm, der damals über sein Leben gegangen, schien es, als ob alle die Seilen der menschlichen Natur, die sich den Freuden des Lebens verlangend cntgegensirecken, in ihm erstorben wären. Er glaubte überhaupt keinen Anspruch darauf erheben zu dürfen. Das hatte ihm trotz seiner jungen Jahre beinahe etwas Greisenhaftes gegeben. Verkehr hatte er fast gar nicht unter halten und sich selbst in den Familien seiner Kollegen nicht mehr gezeigt, als die Sitte un bedingt erforderte. Ja. er hatte ein wahres Talent im Erfinden von Vorwänden ent wickelt, um unwillkommenen Gesellschasts- einladungen zu entgehen. So hatte sich all mählich die Meinung berausgedflöet, Professor Olden sei zwar ein Lumen auf dem Gebiete der Augenheilkunde, im übrigen aber ein menschenscheuer Sonderling, den man am besten sich selbst überließe. Nach seiner Verlobung fass er sich nun genötigt, aus seiner Zurückhaltung mehr berauszulreten. Es hieß in Klaras großem Belanntenkreis Besuche machen und erwidern, es regnete Einladungen, die man jetzt nicht einfach adlelmen tonnte. Die Damen der Stadt waren überrascht, Olden bei näherer Be kanntschaft doch ganz anders zu finden, als sie erwartet batten, und er seinerseits wunderte sich, mrk welcher Bereitwilligkeit er sich diesen neuen Anforderungen fügte, ja. daß ihm das ungewohnte Treiben sogar Vergnügen be reitete. Er kam sich vor wie ein aus langem Schlaf Erwachter und war erstaunt, sich nicht etwa als Greis, sondern als heißblütigen Menschen in der Vollkrast des Lebens wieder zufinden. Jahrelang batte er sich in der Reihenfolge alltäglicher Pflichten umgetrieben wie ein Karuffelgaul, der geduldig und unverdrossen die Achse in Bewegung setzt, so lange die Dreh orgel tönt, ohne sich darum zu kümmern, ob sein Karussell sich morgen noch an derselben Stelle drehen wird oder an einer anderen. Die Zukunft hatte ihm kein Kopfzerbrechen verursacht, er hatte sich nichts von ihr ver sprochen und sah allem, was etwa kommen mochte, mit vollendeter Ruhe, beinahe Gleich gültigkeit entgegen. Das war jetzt mit einem Schlage verändert. Er ertappte sich alle Augenblicke beim Bau rosigster Luftschlösser. Und diese lustigen Paläste bewohnte er nicht etwa allein, ein liebes, schönes Gesicht war immer neben ihm, und durch den Schleier der Zukunst, der sie einst- weilen noch verhüllte, schienen fernerhin noch andere liebe Gesichter verheißungsvoll zu winken. Unter diesen erheiternden Einflüssen veränderte sich sein ganzes Wesen in augen fälliger Weise, selbst die spottlustige, akademische Jugend sah keinen Anlaß mehr, ihn «Don Diego' zu nennen. Der Spitzname schien urplötzlich nicht mehr zu passen. «An Professor Olden sicht man so reckt den segensreichen Einfluß des ewig Weiblichen', meinte Heinz von Kruse. Er mußte wohl sachverständig sein, denn besagter Einfluß hatte ihn schon seit den Bänken der Tertia in einem chronischen Zu stande von Verliebtheit erhalten. Klara blühte in ihrem neuen Glück förmlich auf. über ihrem ganzen Wesen lag es wie der Widerschein einer inneren Heiterkeit und Zufriedenheit, und die verhaltene Leidenschaft gab ihren Augen ein eigenartiges Feuer, das das ganze Gesicht verklärte und verschönte. Olden betrachtete sie mit immer neuem Ent zücken, das sich nur schwer in die Zurückhaltung fügen wollte, die ihm in Gegenwart Fremder seine schöne Braut unerbittlich avzwang. Mes, was nur entfernt an eine Schaustellung ihres Verhältnisses gemahnte, widerstrebte ihrer feinsinnigen Natur, und wenn des Nach mitlags ein Besuch den andern ablöste, so machte es ihr scheinbar keinerlei Mühe, nicht anders als durch einen gelegentlich lächelnden Blick von ihrem Verlobten Notiz zu nehmen. Er war ganz anders geartet. Sein starkes Empfinden drängte es ungestüm, sich zu äußern, und es kam bei solchen Gelegenheiten vor, daß er in Hellem Zorn Reißaus nahm, um unter dem Vorwande, nach einem Patienten zu sehen, wie toll in den Anlagen so lange herumzulausen, dis er das Feld frei zu finden hoffte. Er mißgönnte Fremden jedes Wort und jeden Blick, den seine Braut ihnen schenkte, empfand es geradem wie einen Eingriff in geheiligte Rechte, Mit jedem Tag glaubte er sie mehr zu lieben. Es war nicht so sehr ihre Schönheit, die ihn berauschte, als ihr fein- gebildeter hoher Geist, ihre vielseitigen Inter essen, ihr eckt weiblicher Takt. O welch eine Gefährtin würde sie abgeben, wenn endlich der Zwang dieses unerträglichen Interims überstanden war, und er sie mit in jein eigenes Heim nehmen durfte, um sie nie wieder zu lassen. Sie schien ihm die voll kommenste Ergänzung seiner eigenen Persön lichkeit, aus einer Welt von Frauen ausdrück lich für ihn bestimmt. Wie hatte er es eigent lich all die langen Jahre ohne sie ausgehalten ? Ja. unter solchen Verhältnissen lohnte es sich noch zu heiraten. Himmlischer Vater, was waren die Ehen, wie die meisten Menschen sie geschlossen, für ein jämmerlicher Notbehelf, im Vergleich zu dem Paradies, in das er einzu- treten im Begriff stand. _ Er hätte es, wie man sieht, in der Über schwänglichkeit mit jedem Primaner aufnehmen können. Es war das wohl die gewaltsame Reaktion seiner, im Grunde heftigen Natur gegen den Druck, den die Verhältnisse jahre lang auf ihn ausgeübt hatten. Wenn er in Klaras Zimmer trat, so war es ihm, als bliebe alles Unangenehme und Aufreibende seines Privatlebens und seines Berufes weit hinter ihm zurück, als käme er in einen stillen Hasen, dessen ruhige Gewässer kein Sturm je mals zu bewegen vermochte. Und dies Glück sollte ihm bald tagaus tagetn und immerdar beschleben sein, bis der Tod sie trennte. Ein ganzes Leden voll Glück: Der Gedanke hatte etwas Unheimliches, nicht für die gemeine Wirklichkeit Passendes. Ein paar Wochen vergingen, Wochen so voll von heiterer Geschäftigkeit und sonnigem Glück, daß jeder Tag wie ein Fest erschien. Der Professor hatte jetzt eine wichtige Be schäftigung, den Ankauf oder die Miete eines Hauses. Das ist für einen glücklichen Ver lobten keine geringe Sache, und er betrieb sie mit allem Eiser, den die Gelegenheit erforderte.