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Ottendorfer Zeitung : 22.12.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-12-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191212220
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19121222
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19121222
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-12
- Tag 1912-12-22
-
Monat
1912-12
-
Jahr
1912
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 22.12.1912
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Von und fern. Geschenk des Kaisers an eine Hundert jährige. Kaiser Wilhelm ließ der verwitweten Frau Kommerzienrat Wittenstein in Elberfeld anläßlich ihres 100. Geburtstages durch den Oberbürgermeister seine herzlichste Gratulation eusiprechen und zum Andenken an diesen Tag eine aus der Königlichen Porzellanmanufaktur stammende, mit seinem Bildnis geschmückte Taffe überreichen. Eine verschenkte Burg. Der in Berlin lebende Besitzer der Burgruine Stahlberg bei Steeg, Herr v. d. Riesen, hat seine Besitzung dem Verein für Denkmalspflege und Heimat schutz der Rheinprovinz zum Geschenk gemacht. Die erste Untertunnelung des Rheins. Einen interessanten Plan will demnächst die Stadtverwaltung von Koblenz ausführen. Es soll nämlich die Schiffbrücke zwischen Koblenz uud Ehrenbreitstein in den nächsten Jahren durch einen Tunnel unter dem Rhein her ersetzt werden. Typhus beim Hanauer Eiseubahn» Regiment. Bei dem in Hanau garnisonieren» de» Eisenbahn-Regiment Nr. 8 ist eine große Anzahl Soldaten, etwa hundert, an typhus- ähnlichen Erscheinungen erkrankt. Zwei der Er krankten sind gestorben. Von der Militärbehörde find die umfassendsten Maßnahmen getroffen worden, um ein Weiterumsichgreifen der Krank heit zu verhindern. 75 VV« Mark gestohlem Auf der Reichs- bank in Hamburg wurden dem Kassenboten einer Bankfirma 75 000 Mk. in Wertpapieren gestohlen. Der Ruf nach der Prügelstrafe. Mit Rücksicht auf die zahlreichen Fälle, in denen Kaffeehausbesitzer in den Vororten Wiens in der letzten Zeit von Verbrechern überfallen, miß handelt und verletzt worden find, verlangt die Wiener Kaffeesiedergenoffenschast in einer Kund- zebung die Einführung der Prügelstrafe für solche Elemente nach englischem Muster. Geschützexplofionaufeinemschwedische« Kriegsschiff. Während der Schießmanöver der schwedischen Flotte außerhalb von Karls trona ereignete sich ein schweres Unglück. Auf dem Panzerschiffe .Thule" explodierte in einem Geschützrohr ein Geschoß, kurz bevor es ab gefeuert werden sollte, und zerriß dabei das Geschütz. Einem Matrosen wurde der rechte Arm glatt vom Rumpfe gerissen; der Unglück- üche starb einige Stunden darauf. Zwei andre Matrosen erlitten schwere Brandwunden im Gesicht. Auch die im Panzerturm befindlichen Mannschaften, etwa zehn Matrosen, erlitten «ehr oder minder schwere Brandwunden. Brandstiftung und Mord i« einer Petersburger Kaserne. In der Kaserne der Reitenden Artillerie-Brigade in Petersburg brach ein Brand aus, der schnell gelöscht wurde. Als ein der Brandstiftung verdächtiger Unter offizier Tscherwanski verhaftet werden sollte, Verweigerte er den Gehorsam, indem er seine Unschuld beteuerte. Als man ihn nun anfaßte, um ihn abzuführen, schoß er auf den Haupt- mann, der auf der Stelle tot niedersank. Darauf flüchtete der Mörder in das obere Stockwerk. Ms ihm aber der Brigadeschreiber auf den Fersen blieb, wandte er sich um und verletzte den Schreiber durch einen Schuß schwer. Jetzt begann eine regelrechte Belage rung der Kaserne. Die gesamten Offiziere warteten vor dem Gebäude gespannt auf den Ausgang der Affäre. Tscherwanski schoß un unterbrochen in die Offiziersmenge, jedoch ohne M treffen. Im ganzen gab er 70 Schüsse ab. Sonderbarerweise weigerte sich der Brandmajor des Stadtteils, mit Feuerwehrmannschaften zur Überwältigung des schießenden Bombardiers zu Hilfe zu kommen, indem er erklärte, die Feuer wehr sei nur für Brandschäden da. Plötzlich erschien Tscherwanski auf dem Fensterbrett, und Mit dem Ruf: „Mes ist zu Endel Die letzte Kugel gilt mir!" erschoß er sich. l-uMcdiffadrt. — Seit längerer Zeit erregten auf dem Tempelhofer Felde bei Berlin die Vorführungen Sir Edward Grey, Englischer Minister des Äußeren, Ehrenvorfitzender der Londoner Friedenskonferenz. Sir Edward Greh, der englische Staatssekretär des Äußeren, ist ohne Zweifel seiner persönlichen Be gabung nach infolge seiner verantwortungsvollen Stellung ein-r der ersten lebenden Staatsmänner. Er ist erst 50 Jabre alt und hat sein Amt seit sechs Jahren inne. Ihm fiel die Ehre zu, in der ersten Sitzung der Londoner Friedenskonferenz zu präsidieren. Er ergriff sofort bei Eröffnung der Sitzung das Wort und sagte in französischer Sprache, der König habe ihn beauftragt, den Delegierten die Gefühle seines Wohlwollens auszudrücken. Der König hege die aufrichtigsten Wünsche für den Erfolg ihrer Aufgabe. Grey hieß die Delegierten ebenso im Namen der Regierung willkommen. Da der König wünsche, ihnen dis Arbeiten mit allen möglichen Mitteln zu erleichtern, so habe er die Säle des St. James- Palastes zur Verfügung gestellt. Die Regierung werde ihr möglichstes tun, um den Delegierten das zu sichern, was für sie nötig sein könnte. eines Flugdrachens Aufsehen. Der Apparat, der von seinem Erfinder und Erbauer Roloplan genannt wurde, besitzt eine große Tragfähigkeit, die es ermöglicht, drei Personen gleichzeitig in einem Beobach'ungskorb mit dem Apparat in die Höhe zu befördern. Nachdem viele Auf stiege ohne Zwischenfall glatt verlaufen wa-en, bestieg am 17. d. Mts. der Karussell-Besitzer Reisig den Beobachtungskorb und fuhr, seinen Bekannten vergnügt zuwinlend, in die Höhe; er mochte sich in etwa 80 Meter Höhe be finden, als ein heftiger Windstoß den einen Flugdrachen — der Erfinder Weichert hatte wegen des böigen Wetters der größeren Sicher heit halber zwer Drachen aneinandergekuppelt — von seiner Verkuppelung losriß. Der zweite Drachen war allein nicht imstande, bei dem Winde das schwere Gewicht zu tragen, und glitt, zuerst allmählich, dann immer schneller und schneller, zusammen mit dem Beobachtungs korbe in rasender Geschwindigkeit zu Boden. R., der schwer verletzt war, starb bald nach seiner Einlieferung im Krankenhause. — Der Flieger Garros, der Inhaber des Höhenweltrekords, wird demnächst die Über querung des Mittelmeeres versuchen. Er wird in Tunis aufsteigen und nach Marsala (Sizilien) fliegen, um von dort aus französischen Boden zu erreichen. Gericktskalle. Berlin. Das Kammergericht fällte eine Ew- fcheidung von erheblicher Bedeutung. Nachdem ein Notar ein NotariatsgeschäsL vorgerommen batte, be rechnete er nicht nur die Gebühr für die Notariats tätigkeit, sondern liquidierte neben den Auslagen gemäß Art. 14 des Gesetzes betr. die Gebühr für den gesamten Geschäftsbetrieb und gemäß Art. 15 des selben Gesetzes 6,40 Mk. als Pauschalsatz für Auslagen. Als der Zahlungspflichtige Gebührenfestjetzung nach 8 25 der Preuß. Notariatsgebührenordnung forderte, nahmen Amtsgericht und Landgericht an, daß die beanstandete Gebühr und oer zugehörige Pauschalsatz nicht verlangt werden dürfen. Das Kammergericht war aber andrer Ansicht und führte unter Abände rung der Vorentscheidung u. a. aus, wenn ein Notar auch Rechtsanwallsgebühren in Ansatz bringe, so sei das Gericht, das nach 8 25 der Preuß. Ge bührenordnung für Notare zu beschließen habe, nicht befugt, die Rechtsanwaltsgcbühren festzusetzen oder abzuietzen; unerheblich sei es, wenn das Gericht der Ansicht sei, daß das Geschäft, für das die Anwalts gebühr in Frage komme, bereits durch die Notar gebühr abgegolten sei. Die Anwallsgebühr müsse vom Gericht bei der Festsetzung ausgeschieden wer den und darf nicht in Betracht gezogen werden. Es sei nicht zulässig, ein Festsetzungsgesuch auf § 25 der Gebührenordnung für Notare zu stützen. Es müsse dem Rechtsanwalt und seinem Klienten überlassen bleiben, die Streitfrage im ordentlichen Prozetzwege zum Austrag zu bringen. Trier. Ein Loshändler, der einen sich über über ganz Deutschland erstreckenden Serienlos schwindel betrieb, wurde von der Strafkammer zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt. Zwei Helfershelfer von ihm sind bereits im März ab- geurtellt worden. Budapest. Der Abgeordnete Kovacs, der am 7. Juni auf den Grafen Stephan Tisza, den Präsidenten des Abgeordnetenhauses, drei Revolverschüffe abgab und sich dann selbst zu entleiben versuchte, wurde nach kurzer Ver handlung freigesprochen. Nach anderthalb stündiger Beratung verneinten die Geschworenen die Schuldfrage. Kovacs wurde nach sieben monatiger Untersuchungshaft entlassen. Der 6t. James-Palast unä seine Geschickte. Die vielen geschichtlich denkwürdigen Szenen, deren Schauplatz im Laufe der Jahrhunderte der St. James-Palast in London gewesen ist, werden nun um ein neues historisches Er eignis bereichert: die Friedenskonferenz tagt in dieser altehrwürdigen Residenz der englischen Könige. Durch mehr als 200 Jahre hin, seitdem der Palast von Whitehall ebenso wie die mittelalterliche Königs-Hochburg von West minster der Feuersbrunst anheimgefallen war, hat es der reichsten Nation der Welt gefallen, ihre Hofhaltung in diesem architektonisch unbe- deutenoen Gebäude aufzuschlagen. Selbst Königin Viktoria hielt noch, als sie bereits längst in den bequemeren und prächtigeren Buckhingham-Palast übergesiedelt war, die großen Empfangsfeierlichkeiten in den Festräumen von St. James ab; ja die „Levörs" finden noch heute vielfach dort statt. Steigt man bis zur Vorgeschichte dieses Baues, der so eng mit Englands Schicksalen verknüpft ist, herab, so findet man die ersten Spuren einer Ansiedlung an dieser Stätte schon in den Normannen zeiten, als die guten Schwestern des Ordens von St. James hier ein Heim für aussätzige Frauen errichteten. Viele Jahrhunderte walteten die frommen Pflegerinnen ihres segensreichen Amtes, bis schließlich Heinrich VIII. das weite Land, in dessen Mitte das Siechenhaus, ab gesondert von der übrigen Welt, lag, in die Augen stach, de,r Tyrann die Schwestern ver trieb, das Hospital dem Erdboden gleich machte und hier einen gewaltigen Palastbau aufsühren ließ. So ungeduldig war der König, seine neue Residenz zu beziehen, daß er nicht ein mal wartete, bis der Bau vollendet war, son dern mit seinem glänzenden Hofstaat einzog, Während noch weite Teile unfertig lagen. Später ist dann die gesamte Anlage nur notdürftig unter Dach gebracht worden und hat den Charakter des Provisorischen nie ganz verloren. Heinrich VIII. konnte es nicht erwarten, in sein schönes Lusthaus zu kommen, weil er mit der reizenden Anna Boleyn hier die jungen Tage des Liebesglücks genießen wollte. Die Hofdame ward heimlich durch den Park von White hall dahin geführt, um durch eine stille Heirat dem Herrscher verbunden zu werden. Stoch heute zeig: man in den alten Zimmern über dem Kamin das Monogramm von Heinrich und Anna, von einem Liebesknoten um schlungen. Vier kurze Jahre später ward dieser Liebestnoten durch die Axt zerhauen, die der schönen Anna das Haupt vom Rumpfe trennte. Nach den erregten, in glanzvoller Heiterkeit und blutigen Zwischenfällen wechselnden Tagen Hein richs Vm. legte sich eine trübe, schwere Stim mung dumpfer Frömmigkeit und einsamer Stille über den Palast unter der Regierung Maria der Katholischen, die sich häufig nach St. James zurückzog. Geringe Spuren hat die Herrschaft der Königin Elisabeth in dem alten Palast hinterlassen. Mr ihr Prachtbedürfnis war er ihr nicht groß genug; die Türen dünkten ihr zu eng; in den langen dunklen Korridoren stießen sie und ihre Damen mit den weiten Halskrausen und Reifröcken an. So hat sie die Staatsgemächer nur gelegentlich benutzt und ist mit ihren Damen hier und da durch den prächtigen Park geritten. Die eigentliche Ge schichte des Hofes von St. James beginnt mit den Stuarts. Jakob I. hatte eine besondere Vorliebe für den unscheinbaren Palast, der seinen Namen trug. Karl I. hielt hier weiter Hof, und in einem Zimmer dieses Palastes war es, wo er von seinen Kindern Abschied nahm zum letzten Gang aufs Schafott; in St. James schläft er nun seinen letzten Schlaf. Wie düsteres Dunkel mit grellem Licht in Eng lands Geschichte wechseln, so lösen sich auch in den Szenen von St. James Tragödien mit tollen Orgien ab. Der Palast wird zum Schauplatz jener heiteren Lustbarkeiten, die Karl II. nach der Restauration heraufführte. Der genaueste Chronist dieser Zeit, Pepys, der so unermüdlich in sein Tagebuch die „großen und edlen Abwechslungen des Hofes" aufschrieb, hat im Park von St. James und unter dem großen Torbogen des Haupteinganges immer etwas zu bestaunen. Da sieht er die großen Maschinen, die die prächtigen Wasserkünste vom Fluß in den Park leiten, betrachtet den botani schen Garten mit seinen seltenen Pflanzen und freut sich, die Hände sorgfältig im Muff seiner Frau verborgen, am Schlittschuhlaufen auf dem See, das er in diesem frostreichen Winter von 1662 zum erstenmal erblickt. Königin Anna verlegt dann den Sitz des Hofes endgültig nach St. James, während die andern Herrscher noch hier und da in Whitehall residiert hatten. Der alte Bau ist nun nicht nur Mittelpunkt des Hoslebens, sondern auch der hohen Politik, und im 18. Jahrhundert sind die Augen der ganzen Welt gar häufig nach den ver witterten Mauern gerichtet, weil hier über die Geschicke Europas beraten wird. Die lustige Zeit der vier George erfüllt die hohen Gewölbe und die langen Gänge mit Hellem Lachen; Königin Karoline, die Gattin Georgs II., hält hier ihren Salon und bringt einen feineren geistigen Ton angeregter Unterhaltung hinein. Im Empfangssaal von St. James war es, wo die berühmte Herzogin von Hamilton Georg II. ihren geheimsten Wunsch anvertraute. „Ach, ich habe schon so viel gesehen," sagte sie, „nun wünsche ich mir bloß noch eins: eine Krönung in James." Und der alte König nickte seufzend mit dem Kopf und erwiderte traurig: „Ich denke, Sie werden nicht mehr lange zu warten brauchen." Kurz danach hielt Georg III. Hof in St. James und der Wunsch der Herzogin war erfüllt. Unzählige Skandale und Intrigen, prunkvolle Festlichkeiten und aufregende Aben teuer hat fo der alte Palast im achtzehnten Jahrhundert gesehen, bis auch ihn sein Schick sal erreichte. Im Jahre 1809 fiel er einer Feuersbrunst zum Opfer. Nur die Kapelle, das wuchtige Portal mit den beiden gebieterischen Wachttürmen zur Seite und die große Emp fangshalle entgingen dem Raub der Flammen. In dem wiederhergestellten Palast haben sich die Herrscher nicht mehr heimisch gefühlt. Kuntes Hllerlet. Kritik. „Ich habe ein kleines Aquarell ge malt, Männchen, und über deinen Schreibtisch gehängt, wo der Fleck auf der Tapete ist — wie gefällt's dir?" — „Hm, der Fleck gefiel mir besser l" ,Meggendorjer Blättert Entgegenkommend. Herr: „Zwei Mark verlangen Sie für die Stunde — ist das nicht etwas viel?" — Klavierlehrer: „Im Gegen teil; soviel habe ich auch für die Stunde be zahlt — ich gebe sie Ihnen zum Einkaufs preis ! ".Meggendorfer Blätter'. Das Blatt entsank ihrer zitternden Hand. Sie biß die Zähne zusammen, um nicht auf schluchzen zu müssen. — Er war ihr verloren, verloren für immer. — Dann ging sie in ihr Zimmer, schloß sich ein Md weinte still und bitterlich. Aber als sie wieder zum Vorschein kam, iah sie ruhig und gefaßt Ms und mit keinem Wort erwähnte sie des Vorfalles mehr. Selbst als am andern Tage ein herzliches, aber doch endgültiges Abschiedsschreiben vom Grafen kam, selbst da blieb sie fest und stolz und zuckte mit keiner Wimper. Da bekam Kurt zum erstenmal ernsthaft Respekt vor seiner Schwester. Einige Wochen waren vergangen. Noch immer lebte die Familie still uud wie vergessen für sich allein. Die beiden Damen gingen in Schwarz. Sie betrauerten den Vater als einen Toten. Zwar hatte man die Leiche nirgends gefunden, «uch die Nachforschungen, die man von seiten der Familie heimlich hatte anstelle« lassen, blieben resultatlos. Aber dennoch konnte man nur mit der Tatsache rechnen, daß der Unglück liche seinem Leben gewaltsam ein Ende gemacht hatte und fies unten am Meeresboden irgend wo seine letzte Ruhestätte gefunden hatte. Nach und nach war der stumme Schmerz der Angehörigen einer ruhig würdevoll ernsten Haltung gewichen. Ma« mußte sich eben in das Unabänderliche fügen, und da die Sorge um die Zukunft all« drei Nachgebliebenen ernst haft beschäftigte, so fand man sich nach und nach wieder in das Getriebe des Lebens mit all seinen Sorgen und Kümmernissen zurück. Die größte Schwierigkeit bereitete die Frage, was nun aus Kurt werden sollte. Er mußte irgend einen Beruf ergreifen, der ihn in die Lage brachte, möglichst bald Geld zu verdienen. Wie das aber anstellen? Er hatte nie für andres als Militär Interesse gehabt. So sann und grübelte mm und kam zu keinem rechten Resultat. Diel leichter und froher sah Lucie ihre Zu kunft vor sich. Sie würde Klavierunterricht geben. Natürlich mußte man nach geregeltem Abschluß des Konkurses sofort den Ort ver lassen und nach Berlin ziehen. Dort würde sie durch Empfehlung sicher schnell einige Schüler finden. Auch ihr Maltalent würde sie von nun an in irgend einer Art nutzbringend verwenden. Und schließlich konnte sie auch noch Sprach stunden geben. Ihr war um di« Zukunft nicht angst. Mit frohem Mut ging sie in das neue Leben hinein. Nm erst heraus aus dem Städtchen, wo ihr die Steine unter den Füßen brannten, wo sie de« mitleidsvollen Blicken zu erliegen drohte! Nur erst frei und auf sich selbst gestellt sein! Wenn die Mutter sie so von der Zukunft reden hörte, dann legte sie ihren Arm um den HalS der Tochter und sagte voller Wehmut : „Me« armes Mädelchen, wie leib ist es mir um dich! Hast deinen Bräutigam verloren und sollst MN arbeiten wie ein Prvletarierkind. Du, die zur Gräfin erzogen werden sollte — schrecklich ist das dochl" Es war das erstemal, daß die Mutter seit der Katastrophe davon sprach. Und Lucie wurde rot. Wer sie oiß die Zähne zusammen, machte sich hart und fest, und dann antwortete sie: „Eins bitte ich dich, Mütterchen, sprich nicht wieder von meinem Bräutigam; übrigens war er es noch gar nicht; wir hatten uns noch nicht endgültig ausge sprochen; und das war sehr gut; denn unter den obwaltenden Umständen wäre ich niemals seine Frau geworden. Also, bitte, sprich nie mehr davon! Und was das andre, die Arbeit betrifft, deshalb mach' dir nur keine Sorge! Ich arbeite gern; und ich wünschte, es wäre Mr erst jo weit!" Und es kam so bald so wett. Der Konkurs nahm eine Wendung zum guten. Eine große Anzahl überseeischer Montanaktien, die im Besitz der Firma waren und die zur Zeit der Katastrophe durch enormen Kurssturz fast jeden Wert verloren hatten, waren urplötzlich durch eine Entdeckung von neuen Goldfeldern derart gestiegen, daß diese Aktien jetzt ein ganz respektables Kapital bildeten, das natürlich den Gläubigern zugute kam. So ergab es sich denn, als der Ver walter das Fazit zog, daß, nachdem das Grund stück und alle Werte zu Geld gemacht waren, nicht nur alle Gläubiger voll befriedigt wurden, sondern daß auch noch ein paar tausend Mark für die Angehörigen herauskameo. Und das war gut. Denn jetzt, nun die Familie den Ort ver lassen wollte, kam es ihr sehr zustatten, daß sie nicht ganz ohne Mittel in die Fremde hinauszog. Auch dis Stimmung in die Stadt schlug, als > niemand Geld verlor, zugunsten der armen Hinterbliebenen um. Jetzt aber war Fran Luise Braun stolz genug, jeden Kondolenzbesuch kurz weg abzuweisen, und selbst als sich ein paar mitleidige Seelen fanden, die ihr mit Rat und Tat helfend beispringen wollten, lehnte sie höflich zwar, aber doch so entschieden ab, daß jedes weitere Anerbieten unterblieb. Noch wenige Lage, bevor die Familie den Wohnfitz wechselte, kam ein Besuch, der sich durchaus nicht abweisen lassen wollte. Es war Fritz Jensen, der im Hause Braun seine Lehr zeit absolviert hatte; jetzt lebte er in Berlin, wo er bei einer großen Bank als zweiter Kassierer angestellt war. Frau Luise, die gerade allein war, entsann sich seiner noch recht gut als eines braven und tüchtigen Menschen, dennoch empfing sie ihn erst nach wiederholter Bitte seinerseits. Ein wenig zögernd und verlegen trat er ein. Doch er war taktvoll genug, mit einigen geschickten Worten über alles Peinliche hinwegzugeben und gleich den Zweck semes Hierseins zu eröffnen. „Ganz offen heraus, gnädige Frau," sagte er mit treuherzigen, lebensfrohen Augen, „ich habe direkt das Bedürfnis gefühlt, Ihnen dies Anerbieten zu machen. Ich habe hier im Hause, unter der Anleitung meines ehemaligen Chefs, so viel für mein ipäteres Fortkommen gelernt und profitiert, daß ich die Verpflichtung sühle, mich nun in irgend einer Weste für all die Anteilnahme ein wenig revanchieren zu dürfen, indem ich mir gestatten möchte, nun mich für Sie nützlich zu machen. Bitte, büte, gnädige Frau, erlauben Sie mir das!" SW 4 ltzortsetznng jotgt^
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