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Dem äeutlcden Volke. Der Reichstag hat sich nach einer kurzen aber inhalts- und abeitsreicken Sitzung bis zum 30. November vertagt. Die Schlußsitzung endete mit einer feierlichen und hochgemuten Bekräftigung der nationalen Einheit, von der- die Volksvertretung und mit ihr das ganze deutsche Volk beseelt ist. Der unvergeßliche Schlußakt endete mit einer Überraschung, die überall die freudigsie Genugtuung erwecken wird und der ganzen Tagung einen prächtigen, verheißungsvollen Abschluß gab. In seiner ausgezeichneten Schlußrede,, die auch durch ihren Vortrag ungewöhnlich stark wirkte, machte Präsident Dr. Kämpf dem Hause die Mitteilung, daß „auf Anregung und direkten Antrag des Reichskanzlers nunmehr am Reichs tagshause die Inschrift „Dem deutschen Volke" angebracht werden soll. Man kennt die Geschichte dieser Inschrift; sie war in dem ursprünglichen architektonischen Entwurf, der dem Schöpfer Les Reichstags Wallot den Preis eintrug, schon eingezeichnet gewesen, aber auf Höhkren Befehl gestrichen worden. Das erregte damals viel Schmerz und tiefen Mißmut, denn man erblickte darin eine Verneinung der Rechte des Volkes, eine Abweisung der Ansprüche, die das Volk er heben konnte, durch dessen Taten das Deutsche Reich geschaffen worden war, die Einleitung einer Politik, die den Ansprüchen des Volkes nicht entgegenkommen wollte, über zwei Jahrzehnte sind dahingegangen mit ihren Miß verständnissen und Verärgerungen und nun wird jene Inschrift zum Symbol einer eisernen Zeit, das äußere Zeichen, daß von diesem Weltkrieg an, der das deutsche Volk in Freud und Leid, Tod und Not, Niedergang und Er hebung zmammengeschweißt bat, eine neue Zeit innerer Entwicklung anbebt. Nicht nur als ein Hinweis darauf, daß Hinfort Volk und Fürst eins sein wollen in deutschen Landen, wird diese Inschrift wirken, sie wird auch ein dauerndes Erinnern an den Tag von Tannenberg sein, an jenen 28. August 1914, da Generalseidmarschall Hindenburg mit seinem ersten großen Siege über die Russen den Grundstein für die heutigen Erfolge legte, da zum ersten Male seit 160 Jahren eine rein liche Scheidung hergestellt wurde zwischen Deutschland und Rußland. Wir sind von nun an immerdar frei von jedweder Art von Moskowiterjoch und die große Frage, ob Deutschland ein Vorposten Rußlands gegen Europa, oder ein Vorposten Europas gegen das asiatisch-mongolische Zarenreich sein soll, ist ein für allemal dahin entschieden, daß wir das Bollwerk sind gegen die slawische Flut, die seit Jahrzehnten Europa bedroht, jene slawische Flut, die wie Rußland nicht Werte einhandeln und austauschen, sondern ver nichten will. Nunmehr hat im deutschen Lande die Scheidung zwischen Fürst und Volk für immerdar ein Ende. Im Reichstagshaufe wird auch, wenn die neue Inschrift über seinem Portal prangt, der Bundesrat als Vertreter der deutschen Fürsten tagen, wie die Vertreter des Volkes. Fürsten und Volk sind in Deutschland für alle kommenden Zeiten eins. Wir sind ein einig Volk von Brüdern, ein Volk, das sein Daseinsrecht in hundert blutigen Schlachten erwiesen hat. Der Ort, wo diese Einigkeit der Deutschen vor aller Welt bekräftigt ward, wird Hinfort geweiht sein. Und wenn nach dem Kriege auch wieder der Meinungsstreit entbrennt, ihm wird- der Stachel stehlen, der in den letzten Jyhren, ach, so oft verletzte. Denn die Arbeit, die in dem stolzen Reichstagsbau geleistet wird, gilt nicht der Partei, sie gilt dem Vaterlande, dem deutschen Volke.- , . - ' So wird diese schlichte, einst so heiß um strittene Inschrift nunmehr eingemeißelt als ein sinniges Symbol der großen, blutigen, ader auch erhebenden Zeit. Sie wird in stummer aber gewaltiger Sprache dem Volke künden, daß ein neuer Abschnitt vaterländischer Ge schichte begonnen hat. Was einstmals war, ehe diese Inschrift den Bau zierte, das ist die Zeit kleinlicher Fraktionskämpfe unfruchtbaren Parteienhaders, unseliger Mißverständnisse, der immer stärker werdenden Verärgerung, der Verneinung, die endlich nach Zabrrn führte und die wie ein Alp auf der Volksseele lastete. Was aber nun kommt, was jetzt entstehen muß, das ist das einige, in der Wucht und Glut des größten Weltenbrandes zusammen- geschmiedete, in Not und Prüfung, in Gefahr und Tod bewährte deutsche Volk, das die Wunden heilen wird, die der Krieg schlug und das aus dem Leid sieghaft hervorging, wie aus der Morgenröte einer neuen Zukunft ge boren. Das walte Gott. ^VeMmann. Verschiedene Uriegsnachrichten. Von dLlmil.Zensurbehörde zugelassene Nachrichten. Die ersten Legionäre in Warschau. Wie der .Kuryer Warszawski' meldet, fand vor einigen-. Tagen -ist der Kreuzkirche in Warschau ein feierlicher Gottesdienst statt, dem außer der ersten Abteilung der Legionäre ein zahlreiches Publikum beiwohnte. Bei dem Abmarsch der Legionäre wurden diese vom Publikum mit Blumen beworfen. Der Abschied war tief ergreifend. Es waren dies die ersten Legionäre, die sich noch zur Zeit der Nussenherrschaft mn Geheimen ge bildet hatten. * Räumung Petersburgs. Nach Mitteilungen schwedischer Blätter werden in Petersburg auf behördliche Anord nung alle Maßnahmen zur Räumung der Stadt getroffen. Die Gründe der russischen Niederlagen. Das in Warschau erscheinende Blatt .Goniec' schreibt zu den russischen Nieder lagen in einem mit: „So mußte es kommen" betitelten Artikel u. a: „Die russischen Nieder lagen sind dis naturgemäßen F o l g en d e s inneren verfaulten russischen Staats lebens. Die russischen Beamten haben den Sstaat zu Falle gebracht durch ihre grenzenlose Bestechlichkeit vom untersten Diener angesangen bis zu den höchsten Beamtenstellen. Die russischen Niederlagen sind nicht ein Zufall, sie sind die notwendigen Folgen dieser Mißwirtschaft, und wir sind der Ebre teilhaftig geworden, Zeitgenossen derTeilung Rußlands zu sein." * Der Einstand der englisch-französischen Truppen an den Dardanellen. In Konstantinopel eingetroffene Mittei lungen von den Dardanellen berichten, daß die feindlichen Kriegsgefangenen die Moral der Landungstruppen als vollständig erschüttert darstellen. Ein französischer Kriegsgefangener erklärte, die Deutschen würden eher in Paris einziehen, als die Verbündeten in Konstantinopel. Die Kriegsgefangenen sind besonders wegen eines etwa bevorstehenden Winterfeldzuges sehr niedergeschlagen. Sie fürchten, die Truppen würden durch Krank heiten, die schon jetzt Verheerungen anrichten, heimgesucht werden. Kriegsziele der Türkei. Das angesehene Konstantinopeler Blatt ,Saba'führt in einem längeren Artikel aus, die türkische Kriegführung bezwecke, daß jede Spur Englands von der südlichen Küste Arabiens bis zum persischen Golf ver schwinden und dienatürlicheGrenze der Türkei im Kaukasus wtederhergestellt werden müsse. Die Besetzung Cyyerns sowie der die Küste Kleinasiens beherrschenden Insel gruppe (durch Italien und England) müssen aufhören, Tripolis für Italien verlöre». Nach römischen Meldungen der Schweizer Zeitungen wurde die italienische Zivilver - waltung fürdieKolonieTrip olitanien vorübergehend nach Messina verlegt. Die militärische und die örtliche Behörde von Tripolis bleibt in der Stadt Tripolis. Der P o st v e r ke h r ist auch in Ler Stadt Tripolis gänzlich eingestellt. Werweiß, ob nicht auch diese letzten Zeichen italienischer Macht aus dem eroberten Nordafrikareiche bald ver schwinden werden. PoLiMebe ArmÄledau. Frankreich. * .Repubiicain' meldet aus Paris : Eng lische und französische Delegierte begeben sich nach Amerika, um dort eine Untersuchung an zustellen, unter welchen Bedingungen den beiden Regierungen von den Vereinigten Staaten die notwendigen Kredite eingeräumt werden. Die nächste Konferenz der Finanzminister Englands, Frankreichs und Rußlands finden Astfäng September in London statt. Hierbei sollen die in Boulogne ge troffenen Abmachungen erweitert und ergänzt werden. "Nach zuverlässigen Meldungen aus der spanischen Einflußzone in Marokko hat der Auf st and in Französisch-Marokko bedeutend an Boden gewonnen. Auch Süd- Algerien ist nicht mehr sicher und es sollen zwischen den Scheichs verschiedener großer Stämme Abmachungen getroffen worden sein, nach Beendigung der Regenperiode in eine neue Offensive gegen Franzosen einzutreten. Russland. *Nach einer Meldung der ,Times' aus Petersburg haben sich in den letzen Tagen 24 einflußreiche Mitglieder der Duma uud des Reichsrates versammelt, um über die Frage, wie die Regierung des Landes am besten zu reorganisieren sei, zu be raten. Es wurden drei Hauptfragen be sprochen: die Notwendigkeit der Ernennung eines tüchtigenMinisterpräsident sn, ein Abkommen der konstitutionellen Parteien, ihn zu unterstützen, und die Festlegung und Abgrenzung eines Programmes, dessen Durch führung- sofort von der Regierung verlangt werden soll. Was die Person des zukünftigen Ministerpräsidenten betrifft, so ist nur ein Name auf aller Lippen, nämlich Kriwoschein. *Das Kopenhagener.Berlingske Tidende' meldet aus Petersburg: Der erste große Schritt zur praktischen Durchführung der Re formen ist geschehen. Die Befreiung der Iu L en ist Tatsache geworden. Der Minister rat hat gestern endlich beschlossen, den Juden die Erlaubnis zu geben, sich überall im russischen (Reiche, aber mit Ausnahme von Petersburg, Moskau und gewissen anderen Stellen wie in Turkestan und in den Kosaken- dtslrikten am Don, anzusiedeln und unbeweg liches Eigentum zu erwerben. Balkanstaaten. * Oberst Soimescu veröffentlicht im ,kknb versul' eins Darstellung über die von Ru mänien einzunehmende Haltung, in der es heißt: „Da die Russen in Rumänien nichts anderes als die Schwelle zur Verwirk lichung ihrer Absichten bezüglich der Darda nellen sehen, ist es zweifellos, daß unsere nationale Aufgabe eben einem starken DeutschlandundO st erreich-Ungarn eine in ihrem Gebiete gefestigte Türkei erfordert." Soimescu meint schließlich, daß auch die Interessen Bulgariens und Griechen lands sich in dieser Frage mit denen Rumä niens treffen. Es sei die gemeinsame Aufgabe dieser Länder, sich der Verwirklichung Les Testaments Peters des Großen entgegenzu setzen. *Nach einer Sofioter Meldung des ,Az Est' ist die serbische Presse wieder sehr nervös. Das Organ des Thronfolgers und der Mili tärliga Piemont veröffentlicht an der Spitze einen Ausruf, in welchem jeder wahre Serbe zu den Waffen gegen Bulgarien gerufen wird. Die chauvinistische ,Srpska Zastava', die seit einigen Tagen wieder erscheint, verwahrt sich in einem offenbar offiziösen Artikel gegen die Überlassung auch nur des geringsten Stückes von Mazedonien an Bulgarien. * Lyoner Blätter melden aus Saloniki, daß Paschitsch in seiner Anwort an den Vier verband unter anderm auf der Notwendigkeit bestehen wird, an Serbien einenTeil N or d alb an i ens und größere Gebiete der dalmatinischen Küste abzutreten. In der Änwort wird Paschitsch gegen die Ab tretung Monastirs an Bulgarien entschieden Stellung nehmen. * Angesichts der Schwierigkeiten des Ge- treidexportes beschloß Lie rumänische Regierung, den Landwirten Vorschüsse in Höhe von 60 Prozent auf die Ernte zu gewähren. Die diesjährige rumänische Wetzen ernte übersteigt mit 36 Millionen Hektoliter die des Vorjahres um 17 V2 Millionen Hektoliter. Das Vlatt rsenäet l'icd. Beim Ausbruch des Krieges stand Deutsch land nahezu waffenlos einer Lügenburg gegenüber und es schien, als sollte das Volk, dessen militärische Überlegenheit sich sofort auf allen Kriegsschauplätzen zeige, in denk Lügen netz seiner Gegner hoffnunglos erstickt werden. England beherrschte die Kabel und die famose Reuter-Telegraphen-Agentur meldete in alle Welt an Berichten, was sie wollte, ohne daß wir die Möglichkeit hatten, uns zu wehren. Wir waren, was die Presseorganisation anbc- trifft, unseren Gegnern nicht gewachsen. Ein Glück, Laß wir ihnen in allen anderen Organi sationen überlegen waren. So ließen wir die Feinde zunächst also in der Presse reden, was sie wollten und taten unverdrossen unsere harte Kriegsarbeit. Da waren unsere Erfolge bald so groß, daß selbst die faustdicken Lügen unserer Feinde nicht dagegen aufkamen. Die Wahrheit war schließlich doch stärker als die Lüge. " ' Nachdem aber nun unsern Feinden die Luft ausgegangen ist, suchen sie den Spieß umzudrehen und tun uns die Ehre an, uns selbst in der Preßorganisation die Palme zu reichen. Wir lehnen das dankend ab, wenig stens in der Auffassung, wie sie unsere Herren Feinde haben. Aber interessant und be zeichnend ist diese Wendung der Dinge doch. So klagt ein „neutraler" Mitarbeiter der .Times' über die erstaunliche Geschwindigkeit und das Geschick, womit die deutsche Re gierung das neutrale Ausland zu beeinflussen verstanden habe. Die englische Gegenpropa ganda sei in einigen Ländern hoffnungslos. Das englische, französische und russische An sehen müsse mit allem Aufwand von Intelligenz, Energie und Druckerschwärze und um jeden Preis ausrecht erhalten werden, sonst würden die kleinen Nationen, eine nach der anderen, von der Sache der Verbündeten abfallen. Der Korrespondent fährt dann fort: Bei Beginn des Krieges war England in Eurbpa ge fürchtet. Die Neuiralen glaubten, die eng lische Flotte winde sofort die deutsche Flotte vernichten. Sie ließen sich von der vorschnellen Äußerung Churchills über das Ausgrüben der deutschen Flotte überzeugen. Aber deutsche Lügen, die Umtriebe deutscher Diplomaten und die unermüdliche deutsche Werbearbeit bewirkten, daß jetzt die Neutralen den Deutschen fürchten und seine Siege kriecherisch bewundern, obwohl sie. Schweden ausge nommen, Deutschland nickst lieben und ins geheim wünschen, den Verbündeten zu helfen. Die gelegentlichen englichen Ministerreden hätten eine gute Wirkung, aber könnten nicht gegen Lie täglichen Lügen des Wölffscken Bureaus und gegen den unaushörlichen Strom deutscher Kinobilder auftommen. Ziehen wir von diesem Geständnis daS törichte Geschwafel von der deutschen Lüge und dem Strom deutscher Kinobslder usw. äv, so bleibt das nackte Zugeständnis übrig: Vor dem Kriege genoß England bei den Neutralen die größte Hochachtung, jetzt hat sich das Blättchen gewendet und Deutschland ist an Englands Stelle getreten. Wir können zu frieden sein mit diesem Eingeständnis und heute schon versichern, wir werden diese be vorzugte Stellung nie mißbrauchen, wie es England getan bat. Wir kämpfen für unsern Bestand und sür die Freiheit der Meere, Lis allen Neutralen ebenso zugute kommen muß als uns. Allerdings einige, englische Pressestimmen glauben hervorheben zu müssen, Las sich Las Verhältnis Deutschlands zu den Ver. Staaten während des Krieges derart verschlechtert habe, daß an eine Wiederkehr alter Be ziehungen nicht zu Lenken setz Die.Blätter irren. Gewiß, Herr Wilson, ein großer Kreis seiner Freunde und Anhänger, sowie die Waffen- und Munitionsiieferanten haben plötzlich ihr deutschseindticbes Herz entdeckt: aber ihnen stehen viele Millionen — und nicht nur Deutsch-Amerikaner oder Iren — gegen über, die ihre warmen Sympathien sür Deutschland nicht verhehlen und immer wieder Wilsons Haltung verurteilen. Wir können also die Entwicklung der Dinge ruhig abwarten. Cme verrenn ritur. LZ Roman von Henriette 0. Meerheimb. (Foryehung.) „Anne-Maries verstorbener Vater, mein bester Freund, hat mir vor Jahren viel Geld geliehen, weil's schon damals wackelig mit Rettershof stand. Wenn nun Anne-Marie mündig wird, muss ich ihr das Kapital aus- zablsn. sobald sie's verlangt, oder ihr üer- cinstiger Monn das fordert. Dann aber ist's aus init uns." „Kannst du denn nicht Hypotheken dafür ausnehmen?" „Rettershos ist bereits überlastet. Der alte Lehmin erwies mir einen großen Freund schaftsdienst. als er das Geld lieh — na, er war ja reich genug, es entbehren zu können." „Anue-Marie wird dich auch nicht zur Auszahlung drängen." „Sie selbst vielleicht nickt, aber ihr zu künftiger Mann, oder, wenn sie stirbt, die Ver wandten, die sie beerben. Wis gern hätte ich schon längst einen Teil ihrer Hypotheken ein gelöst, aber du brauchst zu viel, mein Junge und was die Wirtschaftsführung deiner Mutter kostet, das rechne mal selber aus. Kannst du dir deine Mutter ohne Gesell schafterin, Jungfer, Kammerdiener denken? Ich nicht." „Nein. Aber deswegen verkaufe ich mich noch lange nicht." „Dummes Zeug! Es war eine Lieblings- idee meines alten Freundes, daß unsere Kinder sich heiraten tollten. Er lebte in beständiger Angst vor einem Schulbenmacher oder Nichts tuer, der sein Goldfischchen kapern konnte." „Bei mir wäre das doch auch nicht viel anders. Ich würde Anne-Marie auch nur zwangsweise und ohne Liebe heiraten." „Du wird sie schon lieben, wenn sie deine Frau ist. Anne-Marie kennt den Wunsch ihres verstorbenen Vaters. Sie ist bereit, sich mit dir zu verloben." „Zu gütig! Sie läßt wohl wie eine regierende Königin dem Prinzen ihre Hand durck Bevollmächtigte anbieten?" „Du kannst selig sein, wenn sie dich nimmt, dummer Junge. Anne-Marie bat Awräae von allen Seiten. Sie ist wirklich nicht in Not um einen Mann." „Das glaube ich gern. Warum verfällt sie denn aber gerade auf mich Unwürdigen?" „Erstens weil es Ler Wunsch ihres Vaters war — zweitens ist Anne-Marie sehr praktisch. Rettershos vergrößert ihren Besitz einmal sehr hübsch. Wenn man Geld hineinsftcken kann, bringt man's schnell wieder hock — und eure Kinder —" „Nur langsam, langsam!" „Du wärst ein Narr, wenn du dir diese Partie entgehen ließest, mein Junge. Schöner rannst du's nie treffen. Anne-Marie regiert auf Lehmin trotz ihrer zwanzig Jahre ganz selbständig, die Wirtschaft geht am Schnürchen, du brauchtest als ihr Mann dich nur wenig darum zu kümmern, könntest malen, reisen, Leinen Büchern leben. Sie wird dir kein ! Öindernis in den Weg legen, und da du keine anders liebst —" „Vorläufig allerdings nicht. Die iungen Damen unterer Kreils find meistens ziemlich alberne Gänschen, und die Malermädel in ihren Lodenröcken und Hemdenblusen sind mir zu schlampig." „Anne-Marie ist keines von beiden. Sie ist ganz große Dame und —" „Ich werd' mir's überlegen, wenn du mich zunächst nach München läßt. Ich will mich mit einer kleinen Zulage begnügen." „Die braucht gar nicht klein zu fein. Für Anne-Maries Bräutigam kratz' ich zusammen, was ich nur irgend kann." Georg mußte lachen. „Vaier, du bist wirk lich gerieben wie ein Wucherer: du legst mir den Strick förmlich um den Hals." „Tu mir den Gefallen und fahre morgen gleich nach Lehmin hinüber. Wenn du wirklich nach München auf längerer Zeit willst, mußt du dich wenigstens von Anne-Marie vorher verabschieden." „Unterm Sofa kriecht da wohl gleich ein Standesbeamter hervor, um mich dingfest zu macken?" „Red' keinen Unsinn, Junge! Komm lieber'runter, es wird bald Abendbrot gegessen, und die Muller will gewiß noch mit dir schwatzen." Der alte Stechow.war trotz der nur sehr widerwilligen Zusage seines Sohnes ganz munter geworden. Seine joviale, sanguinische Natur glaubte immer das beste, und der Er füllung seines Herzenswunsches schienen ernst hafte Hindernisse in der Tat nicht entgegen zu stehen. Am lieostsn bätte er natürlich das junge Paar sogleich fest verlobt und sehr bald verheiratet: wenn, ader der alberne Junge durchaus erst noch ein paar Monate herum bummeln und schöne taubere Leinwand, voll».. klecksen wollte — gut. Anne-Marie war »in verständiges, Mädchen, die würde ihm jetzt die Freiheit lassen, um ihn später desto fester an die Kandare zu nehmen. Ex schob seinen Arm in Len des Sohnes, um ihn mitzit- nehmen. Aber Georg machte sich frei. „Mißersrstehen wir uns nicht, Papa", sagte er entschieden. „Ich verspreche dir vorläufig nur, daß ich mir die Sachs überlegen will." „Ja, ja — schon recht. Fahr' nur morgen hin — das übrige findet sich." „Du hast wohl gar schon Anne-Marie ge sagt, ich hätte sie gern, und wäre nur zu schüchtern, ihr meine Gefühle zu gestehen?" Der alte Stechow wurde sehr verlegen. Das stand seinem derben, ehrlichen Gesicht so komisch, daß der Sohn trotz seines Ärgers laut auflachte. „Na, laß nur sein, Papa!" schnitt er die elwas verworrenen Auseinandersetzungen ab. „Gegen meinen Willen kann selbst Lie all mächtige Erbin von Lehmin mich nicht heiraten." Als sie zusammen die breite Treppe, die in den unteren Stock führte, herabstiegen, deutete der alte Stechow aus die ausgetretenen grauen Steinstufen: „Seit Jahrhunderten ist ein Ge schlecht der Stechows nach dem anderen diese Treppe heruntergegangsn." Seins Stimme schwankte ein wenig dabei. Er richtete die Blicke nach der weißgetünchten Wand, an der ein Ahnenbild neben dem an deren hing. Die Porträts zeigten alle eine Familien ähnlichkeit — Lerbe, ehrliche Gefickter mit gut- geschnittenen Zügen, blauen Augen.und Hellen