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Ottendorfer Zeitung : 08.10.1915
- Erscheinungsdatum
- 1915-10-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191510082
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19151008
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19151008
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1915
-
Monat
1915-10
- Tag 1915-10-08
-
Monat
1915-10
-
Jahr
1915
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 08.10.1915
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Zn stürme im Mesten. In der Schrift: „Hindenburgs Winterschlacht in Masuren" von Hans Niemann heißt es Seite 5 u. f.: „Jetzt" — September 1914, als die Kräfte unserer Verbündeten gegen die russischen Massen nicht ausreichend erschienen — „hieß es im Westen Verteidigung und Befesti gung der errungenen Vorteile, im Osten kräftigen Schutz der Landesgrenzen bis zur Vollendung der Heeresverstärkung, sodann aber völlige Mederwerfung Rußlands. Unter diesem Ge sichtspunkte muß man den ganzen Verlauf des Krieges betrachten, um die Operationen zu ver stehen." Im Westen erlebten wir sodann den Schützen- grabenkrieg, die Grenzlinie war von uns aus gebaut uud die Verteidigung vom Meere bis zur Schweizergrenze eingerichtet. Unsere Gegner hier holten sich in ihren Durchbruchsversuchen stets große Verluste, während unsere Vorstöße zur Verbesserung der Stellung meist erfolgreich waren und Geländegewinn brachten. Zu letz- reren gehört die Schlacht bei Soissons in den Hanuartagen dieses Jahres, wodurch wir die Franzosen über die Aisne warfen und die Stadt in die Hand bekamen. In der Winter schlacht in der Champagne dagegen hielten wir gegen sechsfache Überlegenheit vom 16. Febmar bis zum 9. März erfolgreich stand. Rheinische Truppen, sowie Garde und bayrische Regimenter schlugen alle Angriffe ab, allerdings unter schweren Verlusten, 15 000 Mann blieben im Kampf, der gegnerische Verlust betrug das Drei fache, 45 000 Mann. Fast gleichzeitig stürmten gegen den nörd lichen Teil unserer Front in starken, energischen Stößen weiße und farbige Engländer. Sie ge wannen etwa 3 Kilometer in einer Breite von 5 Kilometern, wobei sie in den Besitz von Neuve Chapelle kamen. Dieser Erfolg stand aber in keinem Verhältnis zu den beträchtlichen Ver lusten, die ihnen der Angriff brachte. Im April tobte zwischen Maas und Mosel erneut Joffres Ansturm, gegen Mitte des Monats flaute er ab, weil trotz ungeheurer Verluste kein Durchbruch erreicht werden konnte. Auch in den vielen Gebirgskämpfen in den Vogesen gelangen den Franzosen nur lokale und vorübergehende Erfolge. Die ganze deutsche Westfront zeigte sich wie eine Stahlkette, die sich wohl bog, aber dann federnd in die frühere Lage zurückschnellte. Jetzt tobt im Westen eine neue Schlacht, die sich entwickelt aus Anstürmen sowohl aus der englischen Front im Norden, wie im Zentrum in der Champagne. Seit Monaten waren uns die Vorbereitungen dieser neuen französisch-eng lischen Offensive bekannt. Joffre hat seine Streitkräfte ergänzt und Kitchener seine frischen Divisionen über den Kanal geschafft, der Waffen- und Munitionsersatz war aus Amerika ein getroffen und hatte die Ergebnisse der inländi schen Fabrikatton ergänzt. Es sind dieselben Gegenden, in welchen bereits im Febmar gekämpft wurde, aber der beträchtliche Tmppeneinsatz und der verschwenderische Munitionsverbrauch geben diesem Vorgehen erhöhte Bedeutung. Nach den amtlichen Mitteilungen hatte auf der eng lischen Front im Wern-Abschnitt unser Gegner sehr große Verluste und keine Erfolge, während südwestlich Lille eine unserer Divisionen wegen des Gasangriffes in die zweite Stellung zurück genommen wurde. Auch die Trümmer von Souchez ließ man vorübergehend dem Angreifer. In der Champagne nördlich Perthes wurde ebensalls eine Division nach 70 stündiger Be schießung aus der zerstörten Stellung 2 bis 3 Kilometer zurückgenommen, die Durchbruchs versuche scheiterten auch hier. In allen beiden Kampfgebieten fanden erfolgreiche Gegenstöße statt, welche zahlreiche Gefangene einbrachten. Die Kämpfe dauern noch an, indessen dürfen wir wohl annehmen, daß die Oberste Heeres leitung wie bisher auch hier vorgesorgt hat, so daß erneute Anstürme auch verstärkte Verteidiger finden werden. In der Kriegsgeschichte werden aber die Namen Wern, La Bassee, Arras, Champagne, Argonnen, Woevre Plateau, Vo gesen mit goldenen Lettern neben den siegreichen Schlachtennamen des Ostens stehen, wo eben die Niederwerfung des gewaltigsten unserer Feinde ihrer Vollstreckung entgegengeht. Eine runde Woche nach dem Beginn der großen Champagne-Schlacht kann man sagen, dgß ihre erste Phasern zu einea gewissen Abschluß gekommen ist, der den vollständigen Mißerfolg des feindlichen Hauptplans zunächst besiegelt. Wir sind guten Mutes und froher Zuversicht voll; denn für uns streitet das Recht. VerWedeye Megsnachnchteu. Von der mil. Zensurbehördo zugelassene Nachrichten. Französische Mahnungen zur Geduld. Der militärische Berichterstatter des ,Temps' fordert die öffentliche Meinung, die dem A u s - gang der Kämpfe an der Westfront mit Beängstigung entgegensieht, zur Ruhe auf. Er warnt vor jeder verfrühten Nachricht, welchen Inhalt sie auch haben möge. Die begonnene Schlacht sei eine sehr große und könne, wie die Schlacht von Mukden, 14 Tage dauern. Man werde in ihr keine Sprünge von 20 Kilometern machen können, auch müsse man sich auf teil weise Mißerfolge vorbereiten, dürfe aber daraus keine voreiligen Schlüsse ziehen. Akan möge nur zu den amtlichen Berichten Vertrauen haben, das auch die Heerführer und Soldaten in vollem Maße verdienten. Munition sei in Menge vorhanden, der Eifer und Mut der Soldaten glühender als je. Die Devise für die Bevölkerung laute jetzt: Geduld und Ver trauen, es wird schon gut gehen. Die deutsche Mauer. In Dieppe eingetroffene verwundete eng lische Offiziere äußerten sich in Pressegesprächen über den Verlauf der Kämpfe bei Loos: „Gegen unsere Erwartung hielten sich die Deutschen in ihren zweiten Linien, obwohl wir unsere neuen Gasbomben anwendeten. Wir rechneten, offen gesagt, mit einer stärkeren Wir kung dieses chemischen Angriffsmittels, das bei weitem Heffer ist als das von den Deutschen verwendete. Die Indier verhielten sich sehr tapfer. Ihre Verluste sind demgemäß sehr ernst. Unter den Engländern wurden starke Breschen geschlagen. Ich verlor viele Kameraden, die es sich nicht hatten nehmen lassen, ihren Kolonnen voranzueilen. Ob wir durchbrechen werden? Ich weiß es nicht! Glück muß man haben. Die deutschen Stellungen niederzurennen, halte ich für ausgeschlossen, wenn nicht tagelang dnrch die Artillerie vorgearbeitet wird. Ich bin entschieden für eine noch weitere Steigerung der Beschießung. Man sollte überhaupt nicht aufhören. Wenn French sagte: Wir müssen die deutschen hinaus pulvern — so hat er den richtigen Ausdruck ge troffen. Mag die Infanterie noch so tapfer sein, sie prallt immer wieder an der Mauer ab, so lange diese nicht in Trümmer geschossen ist. Am schwierigsten gestaltet sich für uns die Abwehr der deutschen Gegenangriffe. Die Mannschaften des Feindes sammeln sich sehr rasch in der zweiten Li<ie und stürzen, ehe wir noch zu Atem gekommen sind, auf uns los. So geht mancher unter Opfern errungene Vorteil verloren. * Kampf mit einem russischen Linienschiff. Die ,Times' meldet aus Petersburg: Zwischen einem russischen Linienschiff und deutschen Küstenbatterien fand westlich von Riga ein Gefecht statt, bei dem Fürst Wiasemski und Kapitän Swinin- getötet wurden. Eine Korrespondenz der ,Börsen- zeitung' schreibt über das Gefecht, das eine Granate in den Geschützturm eines der russischen Schiffe eingeschlagen war, wodurch die ge nannten Offiziere ihr Leben verloren. * Die Mazedonier gegen Serbien. 5000 Mazedonier, die zum Eintritt in das serbische Heer gepreßt worden waren, überschritten in den letzten Tagen an ver schiedenen Stellen die Grenze, um in die hulgarische Armee einzutreten. Auch aus dem griechischen Heere ist eine Anzahl von Mazedoniem nach Bulgarien entwichen. Etwa 100 serbische Soldaten mit zwei Offizieren sind nach Bulgarien geflüchtet, wo sie entwaffnet worden sind. Nach ihren Schilderungen herrscht im serbischen Heere große Ent mutigung. * Vierverbandstruppen in Saloniki. Nach italienischen Blättern hat die Aus schiffung der Verbandstruppen in Saloniki begonnen. Natürlich werden die hierzu, nötigen Truppen demDarda nellenheere ent nommen. Es heißt, es ständen auch russische Landungen in Varna und Burgas bevor, während in Sewastopol und Odessa ausgedehnte militärische Vorbereitungen getroffen würden. Der ,Corriere della Sera' rät zu größter Eile, da sich die Balkanereignisse überstürzten. Das Mornale d'Jtalia' meint, nur die umgehende Besetzung Mazedoniens werde den Zaren Ferdinand noch am Los schlagen verhindern. Griechenland müsse auf alle Fälle der Landung in Saloniki ruhig zu schauen. — Man wird abwarten müssen, ob diese Meldungen sich bestätigen. Jedenfalls ist Bul garien vorbereitet. Indiens Befreiungskampf. Die englisch-indische Negierung bemüht sich vergeblich, alle Berichte über die Lage in Indien zu unterdrücken. Ab und zu dringen doch Meldungen in die Welt, die erkennen lassen, daß Englands Herrschaft über Indien auf das schwerste bedroht ist. Alle Bluturteile, alle Unterdrückungsmaßnahmen sind vergeblich. Insbesondere häufen sich die Mel dungen von Soldatenmeutereien. Wenn nicht alles trügt, wird England sehr bald alles auf bieten müssen, um die Perle in seiner Krone nicht zu verlieren. KuMIckes flücbNmgselenä. In Petersburg hat sich, reichlich spät, ein Zentralkomitee für Flüchtlingsfürsorge gebildet, das dieser Tage eine Zusammenkunft hatte, an der sich auch Vertreter der Regierung beteiligten. Nach den Berichten steht das Komitee dem Elend der armen Flüchtlinge fast hilflos gegen über, die Massen sind zu gewaltig, als daß sie beherbergt und verpflegt werden können. Die russische Heerführung soll deshalb beschlossen haben, von der bisherigen Praxis, die Be völkerung der bedrohten Gebietsteile zum Ver lassen ihrer Wohnstätten zu zwingen, abzu gehen, und die Bevölkerung soll fernerhin auf gefordert werden, an ihren Wohnorten zu ver bleiben. Der schlagende Beweis dafür, daß die Russen durch ihre Rückzugsverwüstungspraxis im eigenen Lande sich selbst hundertmal mehr ge schadet haben als uns. Im Laufe der Verhandlungen führte der Minister des Innern Starbazow aus, daß der Strom der sich nach dem Osten ergießenden Flüchtlinge allmählich zu einer so gewaltigen Riesenwelle angewachsen sei, daß die Regierung ihr machtlos gegenüberstehe. Es wäre'schon in Friedenszeiten schwierig, derartige nach Mil lionen Zichlends Massen in anderen Landesteilen anzusiedeln, jetzt in Kriegszeiten sei dies direkt eine Unmöglichkeit. Hierzu trage namentlich auch das furchtbare Elend" und die traurigen Gesund heitsverhältnisse der Flüchtlinge bei. Fürst ürussow beschuldigt die Flüchtlinge, nicht arbeiten zu wollen, sie müßten geradezu zur Arbeit gezwungen werden. Der Pole Grabski trat diesen Beschuldigungen ent gegen und erklärte, diese armen Menschen, die alles verloren und auf der ganzen Flucht unter der feindseligen Haltung der russischen Bevölkerung zu leiden hätten, die an der Land straße fast verhungerten und völlig entkräftet und erschöpft an dem angewiesenen Ziele ein träfen, seien außerstande, zu arbeiten. Es sei eine Brutalität, sie zur Arbeit zwingen zu wollen. Man solle sie erst zu Kräften kommen lassen, dann würden diese arbeitsamen Leute mit Freuden von selbst wieder Beschäftigung suchen. Der Pole Dymsche führte aus: Die gewaltsame Vertreibung der Bevölkerung sei nicht nur vernichtend für die Kultur, sondern führe auch zur Verarmung derjenigen Gouverne ments, in die sich der Strom der Flüchtlinge ergieße. Wie es aber in den von den Russen ver wüsteten russischen Landstrichen aussieht, davon gibt die Schilderung eines Dänen ein Bild, der lange Jahre in Odessa ansässig war und kürzlich eine Reise durch Wolhynien machte. Er schreibt: „Was ich in Wolhynien gesehen habe, übersteigt alle menschlichen Vorstellungen. Don Rowno bis Kiew eine einzige Wüstenei, nichts als Schutt und Trümmer. Die russischen Kosakenhorden haben erst alles geplündert und dann in Rauch sind Flammen aufgehen lassen. Zum Teil stand das Getreide noch in Mandeln auf den Feldern, es wurde von den räuberischen Horden in Haufen geschichtet, mit Petroleum oder Benzin begossen und angezündet. Ganze Wälder sind vernichtet worden, weite Waldgebiete ganz heruntergebrannt. Die Bäume zu beiden Seiten der Landstraßen sind herunter geschlagen, und die Straßen sind meilenweit mit den Stämmen verbarrikadiert. Alles, was irgendwie für die Kriegführung wertvoll sein könnte, wurde ins Innere Rußlands fortgeschafft. Die Einwohner haben meist nur das nackte Leben retten können, die Bestialität der Zer störer ließ ihnen keine Zeit, ihre Habseligkeiten mitzunehmen. Namentlich die jüdische Bevölke rung hatte außerordentlich zu leiden. Oftmals wurden die jüdischen Flüchüingsfamlien, unter wegs von den Kosaken angehalten, was sie mit sich führten, wurde ihnen abgenommen und finnlos vernichtet. Die Straßen sind streckenweise wie besät mit verendeten Tieren. Das Vieh, 'das nicht in den Ställen verbrannt wurde, wurde ins Freie getrieben, wo es, ohne Nahrung zu finden, herumirrt, bis es. elend zugrunde geht. Kiew ist überfüllt, die Stadt zählt jetzt mindestens dreimal so viel Menschen wie in normalen Zeiten. In allen Schulen und Kirchen, die nicht als Lazarette eingerichtet sind, ja sogar in den Wartesälen der Bahnhöfe Hausen die Flüchtlinge. Der Handel und Ver kehr liegt vollständig füll." — So Hausen die Russen im eigenen Lande! Politische Armälchau. Deutschland. * Nach Abbruch der diplomatischen Beziehun gen zwischen dem Reich und Italien ist auch der Po st verkehr zwischen den beiden Ländern eingestellt worden, jedoch ist der dienst- liche Ärisfverkehr zwifchen dem päpst lichen Stuhl und seinen diplomatifchen Vertretern in Deutschland sowie den deutschen Bischöfen deutscherseits zugelassen worden. * Wie verlautet, dürfte das voraussichtliche Er gebnis der Beratungen in bezug auf die Kar- toffelversorgung, die in den letzten Tagen im Reichsamt des Innern stattfanden, die Bildung einer Kartoffeleinkaufs gesellschaft zur Versorgung der un bemittelten Bevölkerung sein. Der Handel soll nicht beschränkt werden. Auch sind einstweilen allgemeine Höchstpreise für die Produ zenten nicht in Aussicht genommen. Dagegen soll die Kartoffeleinkaufsgesellschaft das Recht der Enteignung und Festsetzung von Enteignungspreisen erhalten. Lsterreich-Ungarn. * Anläßlich der Wiederaufnahme der par lamentarischen Arbeiten hat der türkische Senat an den Präsidenten des öster reichischen Herrenhauses ein Tele gramm gesandt, worin er dem heldenmütigen ruhmreichen österreichisch-ungarischen Heere für die Verteidigung der Sache des Rechtes und der Gerechtigkeit seine Bewunderung ausdrückt. England. *Nach Meldungen aus Brüssel soll die englische Regierung sich geweigert haben, der belgischen Regierung in Le Havre weitere Vorschüsse zu leisten und Frankreich sich ebenfalls ablehnend verhalten. Dis englische Regierung will zwar 200 Mil lionen Franken hergeben, verlangt aber, da das Geld der belgischen Nationalbank schon ver pfändet worden sei, eine Verpfändung der Zölle des zukünftigen Belgiens. Wenn da nur die Elle nicht länger wird als der Kram. Eine k)errennatur. 17l llkman von Henriette v. Meerheimb. (Fortsetzung.! Er zuckte die Achseln. .Wenn jemand seit Wochen schwer krank ist, mutz man sich auf einen üblen Ausgang gefaßt machen", meinte er ausweichend. Frau v. Stechow fing an zu weinen. Aber ihre Tränen ließen Georg seltsam kalt. Er versuchte gar nicht, die Mutter zu trösten. Immer stärker überkam ihn das Gefühl, in einen unentrinnbaren Kreis eingesponnen zu sein, aus dem es kein Entweichen mehr gab. Unwillkürlich seufzte er tief auf, als Anne- Maris eintrat. Sie machte sich sosort am Tee tisch zu schaffen. Mit einem etwas spöttischen Lächeln hielt sie ihm die gefüllte Taffe hin. „Ging der tiefe Seufzer nach München?" fragte sie. ..Vielleicht!" entgegnete er kurz. Um seinen Mund legte sich ein herber, verschlossener Ausdruck. Auf der Mutter dringende Bitten schilderte er ihr und Anne- Marie seine Münchener Eindrücke. Aber er beschrieb nur das lebhafte Straßengetriebe, Lie herrlichen Bauten und Kunstwerke. Bon seinem Leben dort, seinem Maien, seinem Verkehr mit den Kunstgenossen schwieg er vollständig. Das bestärkte beide Damen in ihrem Glauben, Georg sei enttäuscht und ernüchtert heimgekehrt, möge das aber nicht eingestehen. „Ich dachte es mir, daß dir München auf Lie Dauer nicht gefallen würde, denn alles, was du beschreibst, sind doch nur Äußerlich keiten, die im Leben «itbehrlich sind." sagte Anne-Marie endlich. Sie brachte ihre oft recht anfechtbaren An sichten stets mit der Miene unwiderlegbarer Weisheit vor, was Georg teils ärgerte, teils zum Lachen reizte. „So — dachtest du dir das?" meinte er ironisch. „Und rechnest du die Kunst auch zu den Entbehrlichkeiten im Leben?" »Gewiß." „Nun, darüber werden unsere Ansichten wohl ewig auseinandergehen." „Im Gegenteil, ich hoffe, du hast inzwischen eingesehen, daß die Malerei nicht dein Lebens beruf, sondern nur Nebensache sein kann." Anne-Maries Antwort klang etwas gereizt. Sie mochte Georgs Vernachlässigung in dem letzten Jahr wohl mehr empfunden haben, als sie zeigen wollte. Er sah ihr mit verbissenem Trotz ins Ge sicht. In diesem Augenblick suhlte er eine an Katz grenzende Abneigung gegen sie. „Den Keim meines Unglücks kenne ich wohl," sagte er finster. „Mein Talent ist zu groß, um es zu unterdrücken, und zu klein, um eine Zu kunft darauf aufzubauen." „Wozu sollte das auch nützen?" meinte sie gleichmütig. „Dein Lebensweg ist dir ja klar vorgezeichnet mit seinen Pflichten. Dein hübsches Talent ist eine angenehme Beigabe." „Bitte, sprich wenigstens nicht von meinem — hübschen Talent," suhr er erbittert auf. „Das klingt so nach Majolikateller- und Por- zellantaffenmalerei." „Zeige uns doch deine Skizzen und Studien, Lie du in München gemacht hast, Georg." bat Frau v. Stechow. „Die interessieren mich und Anne-Marie natürlich sehr." „DaS dürfte kaum der Fall sein", ant wortete er. „Das sind alles nur Aktsiudien, die haben gar keinen Kunst-, sondern nur Lernwert." „Ich muß jetzt wieder zu Onkel gehen, um ihm die Zeitung vorzulesen," sagte Änne-Marie und stand auf. „Das könnte ich ja jetzt tun," schlug Georg vor. „Bitte, bleib bei deiner Mutter. Die hat dich so schmerzlich entbehrt." Georg machte Anne-Marie ohne weitere Einwände die Tür auf. „Wie gut sie ist!" lobte sie Frau v. Stechow gerührt. „Ja, — ja, ein Muster. Aber es gibt ein Übermaß von Tugend, das erdrückend wirkt. Außerdem klafft zwischen Anne-Marie und mir sofort eine unüberbrückbare Kluft, sowie wir in unseren Gesprächen die banalste Oberfläche verlassen." „Das ist bei vielen Ehepaaren der Fall," meinte Frau v. Stechow naiv. „Bei Papa und mir war das auch so, und trotzdem hat man sich lieb und ist im Grunde ganz glücklich gewesen." „Eine tröstliche Aussicht! — Verzeih', Mama, wenn ich dich doch allein lasse, ich muß noch auspacken." „Dazu ist doch der Diener da, mein Junge." „Meine Skizzen darf der nicht anrühren," erklärte Georg bestimmt und verließ LaS Zimmer. Der auszupackende Koffer war natürlich nur ein Vorwand. Georg wollte allein sei. Er saß lange am offenen Fenster seiner Stube und sah in die langsam verblassende Abend röte hinaus. Der Gesang der Amseln, die, auf den höchsten Spitzen der Bäume sitzend, ihr Lied in den weichen Frühltngsabend hineinflöteten, das behagliche Brummen einer Kuh, die die Knechte in den Stall trieben, alle Liese' ländlichen Naturlaute ließen dis Ruhe, die sonst über allem lag, noch tieser erscheinen. Der gutgeschulte Diener hatte doch schon vieles ausgepackt. Das lag und stand bereits geordnet da. Sorgfältig umhüllt ruhte die große Bildermappe auf dem Sofa. Georg schlug sie auf. Nadines skizzenhaft gezeichneter, reizender Kopf lag obenauf. Die dunklen, schwermütigen Äugen schienen ihn vorwurfsvoll anzusehen. Er legte die Skizze fort. Ruhelos ging er fast die ganze Nacht in seinem Zimmer hin und her. Immer, wenn er bis zum Fenster kam, drehte er wieder um, als ob die Kette, die ihn hielte, dort ihr Ende erreiche. Sein Gang war der eines Gefangenen, aufgeregt und erschöpft zugleich. Als er im Zimmer seines Vaters, Las unter seiner Stube lag, den Kranken husten, oder Anne-Marie ein tönig einschläfernd vorlesen hörte, zuckte er wie in körperlichen Qualen zusammen. Am anderen Morgen saß er blaß und über nächtig, aber fest entschlossen aussehend, am Schreibtisch seines Vaters, bemüht, aus den Berechnungen, Akten und Verschreibungen ein klares Bild der Lage zu gewinnen. Aber ihm schwirrte bald der Kopf von all den Zahlen. Allein es war ihm unmöglich, sich in den Papieren zurechtzusinden. Anne-Marie half ihm, so ost der alte
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