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Ottendorfer Zeitung : 01.01.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-01-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191001016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19100101
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19100101
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-01
- Tag 1910-01-01
-
Monat
1910-01
-
Jahr
1910
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 01.01.1910
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HranLreichr auswärtige Politik. In einer großangelegten Rede hat der französische Minister des Äußern, Pichon, eine Anzahl von Anfragen in der Kammer beant wortet. Frankreich leiste, so führte der Minister aus, indem es seine Verteidignngsmittel ver mehre, der Erhaltung des Friedens einen dauernden und nützlichen Dienst. Frankreich habe seinem Bündnis mit Rußland Abkommen- und Freundschaftsbündnisse hinzugefügt, durch die sein Ansehen sich vermehrt hat. Frankreich bediene sich dieser moralischen Kraft nur, um auf die Eintracht unter den Völkern binzuarbeiten, die den Wunsch hätten, daß man sie nicht mehr in Abenteuer stürze, ohne daß sie vorher befragt wären. Nachdem Pichon dann das Werk der Haager Friedenskonferenz an erkennend besprochen hatte, erklärte er, die französischen Beziehungen seien erfüllt von Freundschaft zu allen Regierungen. Paris und Petersburg seien niemals enger miteinander ver bunden gewesen. Die englisch - russische Annäherung sei ein Faktor von größter Wirksamkeit; das äußerst herzliche Verhältnis Frankreichs zu England und das Einverständnis zwischen Ruß land und Italien habe sich ebenfalls durch die Begegnung der Staatsoberhäupter kundgegeben. Pichon stellte sodann fest, daß die Schwierigkeiten mit Deutschland bezüglich Marokkos beseitigt seien. Das deutsch französische Abkommen, das für beide Teile zweckentsprechend sei, habe ein sofortiges Nach lassen der Spannung zwischen beiden Völkern und seine Besserung der diplomatischen Lage in Europa zur Folge gehabt. Dieses Abkommen erstreckt sich jedoch nur auf die marokkanische Frage, es sei falsch, wenn man sage, daß es auch auf die Bagdad-Eisenbahn Bezug habe. Die Marokkofrage sei für Europa keine Ursache zur Beunruhigung mehr, was allerdings nicht heißen solle, daß es in Marokko keine Schwierigkeiten mehr geben werde. Zu der Lage auf dem Balkan übergehend, legte Pichon dar, daß sich die An gliederung Bosniens und die Unabhängigkeits erklärung Bulgariens ohne kriegerische Ver wickelungen vollzogen hätten. Anzuerkennen sei, daß Rußland zwischen der Türkei und Bul garien vermittelt habe, die französische Politik der Erhaltung des Friedens sei durch den Stand der Beziehungen Frank reichs zu Osterreich-Ungarn in hohem Grade erleichtert worden, und so habe man ernstliche Schwierigkeiten friedlich beilegen können. Der Minister schloß: „Die auswärtige Politik der französischen Republik entspricht ihren Inter essen und hält den Frieden aufrecht. Die Sorge um die nationale Verteidi gung wird uns nicht vergessen lassen, was die Republik der Sache der Menschlichkeit schuldig ist." Die Kammer hat den Erklärungen des Ministers widerspruchslos zugestimmt. Mit Genugtuung ist die Tatsache zu verzeichnen, daß ein vielfaches Bravo erscholl, als der Minister über die gebesserten Beziehungen zu Deutsch land sprach. Die Bagdad-Eisenbahnfrage ist in dessen nicht erledigt! Das bleibt der nach- hallende Akkord in Pichons Rede. Es ist eng lischem Einfluß gelungen, dieses deutsche Unter nehmen als eine Gefahr für die wirtschaftliche Stellung andrer Mächte in der Türkei hinzu zustellen. Nach wie vor also wird die Zeit nicht von Interessengemeinschaft, sondern von Gegen sätzen beherrscht. PoUMcke Kunälcbau. Deutschland. "Kaiser Wilhelm hat dem Staats sekretär des Auswärtigen Amtes, v. Schön, den Roten Adlerorden erster Klasse mit Eichenlaub verliehen. * Immer wieder tauchen Gerüchte von einem deutsch-englischen Abkommen über die Flottenrüstungen auf. Nach einer halbamtlichen Erklärung ist diese Behauptung vollständig unbegründet. Das Bestreben, die Beziehungen zwischen Deutschland und Eng land zu bessern, ist allerdings vorhanden, jedoch ist bis jetzt kein Abkommen über die Floitenrüstungen abgeschlossen worden. Auch ist eS unzutreffend, daß Deutschland von dem gesetzlich festgelegten Flottenplan abweichen will. "Die Ermordung der beiden Reisenden Benzoni und Burkhard in der arabischen Provinz Demen, wo schon seit Monaten Un ruhen herrschen, wird in der italienischen Presse in deutschfeindlichem Sinne besprochen. So schreibt das ,Giornale d'Jtalia', die Ermordung der Ressenden Benzoni und Burkhard sei daraus zurückzuführen, daß der Deutsche Burkhard offen bar das Mißtrauen und die Feindschaft der Eingeborenen herausforderte, die sich durch Burkhard in ihrer Unabhängigkeit bedroht ge sehen hätten. Es scheine, daß der Italiener Benzoni Burkhard nur begleitet habe, um die deutsche Durchdringung Demens zuungunsten Italiens zu verhüten. Benzoni sei vermutlich ein Opfer seines Edelmuts ge worden, als er seinen bei den Arabern ver haßten deutschen Genossen zu verteidigen suchte. Auch die,Tribuna' äußert die Vermutung, daß Burkhard ein Agent Deutschlands gewesen sei. Demgegenüber muß festgestellt werden, daß die Reise Burkhards lediglich wissenschaftlichen Zwecken galt. Beiden war von der deutschen Regierung sogar abgeraten worden. Der deutsche Botschafter in Konstantinopel hat übrigens wegen des Vorfalles bei der türkischen Regie rung Vorstellungen erhoben. "Das Reichsmarineamt hat den .Kieler Reust. Nachr.' zufolge die Zivil klagen gegen die Beschuldigten im Werft- Prozeß zurückgezogen. Die Vermögens beschlagnahme wurde aufgehoben. "Der preuß. Justizminister hat folgenden Runderlaß an die Preuß. Straf gerichte gerichtet: „Da das Gesetz die Ein richtung einer Anklagebank nicht vor schreibt, so ist die Entscheidung darüber, ob ein Angeklagter die Anklagebank zu betreten oder einen andern Platz im Sitzungssaals einzu nehmen hat, dem Ermessen des'die Sitzungs polizei handhabenden Vorsitzenden überlassen. Die Entscheidung ist nach den Umständen des einzelnen Falles zu treffen. Ich vertraue darauf, daß die Vorsitzenden der Gerichte sich hierbei von dem richtigen Takte leiten lassen werden." Frankreich. "Die Verhandlungen wegen der marok kanischen Anleihe in Frankreich find nun endlich zum Abschluß gelangt. Der Vertreter des Sultans Muley Hafid hat den Anleihe vertrag bereits unterzeichnet. Die Gläubiger des Sultans können also aufatmen. "Wie die Deputiertenkammer, so hat auch der Senat dem Minister Pichon, der über die äußere Politik sprach, ohne längere Debatte zugestimmt. England. "Ein Zeichner der englischen Staatswerft in Portsmouth ist unter der Beschuldigung verhaftet worden, einen Empfangsapparat für drahtlose Telegraphie und eine große Menge von Plänen, dis sich auf die Verbesserung der drahtlosen Telegraphie in der englischen Marine beziehen, gestohlen zu haben. Eine Mitteilung der gestohlenen Pläne an dritte Personen ist bisher nicht nachgewiesen. Dennoch haben verschiedene englische Blätter die Nach richt verbreitet, Deutschland habe den Beamten zur Untreue verleitet. — Natürlich! Balkanstaare». * Die Jungtürken find im Reiche des Sultans noch immer unumschränkte Herrscher. Das zeigt ihr Vorgehen gegen den Großwesir, der sich bei ihnen mißliebig gemacht hat, weil er mit englischen Gesellschaften über die Schiffahrt auf dem Euphrat und Tigris Unterhandlungen anknüvfte. Eine! Abordnung der Jungtürken erschien bei ihm und ! ersuchte ihn, von seinem Posten zurückzutreten, > sonst werde er in öffentlicker Kammersitzung zum Rücktritt gezwungen werden. * König Georg von Griechenland ist schon lange nicht webr eigentlicher Herr der Lage und feine Befugnisse sind von dem Militärverband ohne weiteres übernommen worden. Das zeigt jetzt die Forderung der Offiziere, der König solle für sämtliche Meuterer von Salamis und auch Mw ihren Anführer Leutnant Tybaldos eine Amnestie erlassen. König Georg wird, um neuen Hader zu vermeiden, den jugendlichen Hitzkopf begnadigen müssen und damit in weiten Kreisen des Landes wieder an Ansehen verlieren. * Die serbische Skupschtina hat die Aufnahme der Anleihe von 150 Millionen Frank zu Heereszwecken mit 93 gegen acht Stimmen endgültig zugestimmt. Amerika. * Das Schicksal des Präsidenten Zelaya von Nikaragua ist nunmehr entschieden. Von allen Seiten bedrängt und von seinen Freunden verlassen, ist er nach Mexiko ge flüchtet, dessen Regierung ihn unter ihren Schutz genommen hat. Asien. * Das Attentat, das auf den Prinz- Regenten von China verübt worden ist, wobei er durch Dolchstöße in den Unterleib ver letzt wurde, zeigt, daß der Kampf der Süd chinesen gegen die Mandschu-Dynastie immer noch nicht beendet ist. Für die Südchinesen, die sich als die vornehmsten Träger ihrer Kultur fühlen, und die früher als das übrige Riesenreich mit der europäischen Welt lebhafte Beziehungen hatten, gelten die aus dem Norden gekommenen Mandschus länger als Barbaren. Bei dem strengen Zeremoniell, mit dem der Sohn des Himmels und so auch sein jetziger Stellvertreter umgeben ist, ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weifen, daß die Tat von einem Mitglied seiner Umgebung vollführt wurde, da bereits alle Zugänge zum Palast jedem Un berufenen versperrt sind. "Die persischen Regierung 8- truppen, die nach dem Nordwesten des Landes aufgebrochen waren, um dort den Auf stand endgültig niederzuschlagen, haben die Rebellen in mehreren Gefechten besiegt. Man hofft in Teheran, daß nun die Ruhe in den Auf standsgebieten dauernd gesichert ist. Der Polarschwinöel Losks. Nach den Urteilen aller Sachverständigen und vor allem mit Rücksicht auf das Verhalten Cooks, ist jetzt fast jeder Zweifel ausgeschlossen, daß es ihm gelungen ist, mit einem Riesenschwindel die Welt einen Augenblick in Staunen zu setzen. New Dorksr Blätter behaupten, daß Eook ins gesamt 150 000 Dollar mit dem „Polarschwindel" verdient habe. 25 000 Dollar haben ihm ver schiedene Zeitungen und Zeitschriften für Artikel bezahlt und 122 000 Dollar betrugen seine Ein nahmen für Vorträge. In St. Louis allein wurden ihm für zwei Abende 14 000 Dollar Honorar bezahlt. Dr. Cooks Ernte würde wohl noch viel größer gewesen sein, wenn nicht nach und nach zu starke Zweifel an seiner Wahrheitsliebe auf getaucht wären. Cook hatte besonders viele Anhänger unter den Maklern der Effektenbörse in New Jork, wo sein Bild, mit dem Sternen banner geschmückt, aufgehängt war. Als aber die Nachricht eintraf, daß der Doktor in Kopen hagen nicht anerkannt worden ist, rissen die Makler das Bild von der Wand und Zer stampften es mit ihren Füßen. Der Präsident der New Docker Börse hielt eine Rede, in der er Dr. Cook als „Meifterlügner der Wett" brandmarkte. Nun schließt sich auch der Nord- polsorscher Nansen denjenigen an, die aus den wärmsten Verteidigern Cooks zu seinen Ver- urteilern geworden find. Er erklärte einem Mitarbeiter des ,B. L.-A.', er habe eigentlich nie recht an Cooks Nordvolgeschichten geglaubt. Schon der erste Bericht Eooks erregte Verdacht. Er zeigte, daß er den einfachsten Berechnungen gegenüber hilflos gewesen sei. Da nichts Vor teilhaftes über diese Sache zu berichten gewesen sei, so habe er vorgszogen, zu schweigen. Cools später veröffentlichte Berichts hätten Nansens Zweifel nicht erschüttert, da sie voll unwahrscheinlicher Aussagen waren. Cook habe in wissenschaftlicher Be ziehung jedes Interesse verloren, er sei nur als moralische Merkwürdigkeit zu betrachten, liber Peary, der ebenfalls behauptet, den Nordpol entdeckt zu haben, äußerte Nansen, er habe nie mals Pearys Wahrhaftigkeit bezweifelt. — Dr. Cook ist aus mehreren Gesellschaften, die ihn zum Ehrenmitglieds ernannt halten, ausge schlossen worden. Das Geschrei der Welt aber scheint ihn nicht zu kümmern, denn er ist und bleibt verschwunden. Man muß daher der Ver mutung Raum geben, daß er die Beute seiner Nordpolphantasien in aller Gemütsruhe lächeln den Mundes verzehrt. IVsstmnnn. Der Lebstreit am belgischen Hofe. Nach Pariser Blättermeldungen ist jede Ver bindung zwischen der belgischen Königsfamilie und der Prinzessin Luise (von Koburg) vermut lich für immer gelöst, da sich die Prinzessin hart näckig weigert, sich von dem Abenteurer Mattasitsch zu trennen. Mehrere Tage haben angeblich die telegraphischen Unterhandlungen zwischen der Prinzessin und dem Hofe gedauert, bis die Prinzessin endlich die Genehmigung er hielt, sich über Köln nach Brüssel zu begeben. Als Bedingung war gestellt, daß sie allein käme und Mattasitsch in Köln zurückließe, wozu sich die Prinzessin endlich entschloß. Man Hoffle dann, daß es der Gräfin v. Flandern gelingen werde, ihre Nichte zu überreden, die sehr günstigen Vorschläge des neuen Königs anzu nehmen, sich einen Hofstaat errichten zu lassen und in Brüssel in einem der Schlösser Woh nung zu nehmen. Doch alle Überredungskünste der Gräfin von Flandern waren vergeblich. In einem gegebenen Augenblick schien es fast, als wolle Prinzessin Luise nachgeben, aber als ein Telegramm aus Köln von Mattasitsch erschien, der drohte, nach Brüssel zu kommen, wenn die Prinzessin, wie er sich auszudrücken beliebte, nicht zu ihm zurückkehren würde, fürchtete man am Hofe einen öffentlichen Skandal und brach die Verhandlungen ab. Prinzessin Luise ist wieder im Kölner Dom hotel eingetroffen, wo sie sich auf unbestimmte Zeit einlogiert hat. In ihrer Gesellschaft be findet sich die bekannte Begleitung von ehedem, von der sie auch für die Dauer nicht lassen wird. Die Prinzessin befindet sich seit ihrer Rückkehr in sehr schlechter Stimmung. Sie ist entschieden entschlossen, gegen alle Verfügungen Ihres verstorbenen Vaters anzukämpfen, die einen Vorteil für die Baronin Vaughan, der morganatischen Gemahlin, und deren Kinder be deuten. Auf Grund der Klagen, die bei Wiener Gerichten eingelaufen sind, berechnet das ,Neue Wiener Tagblatt' die Schulden der Prinzessin Luise auf 15 Millionen Kronen. Dazu kommen noch mehrere Millionen für Gutsankäufe. Es ist daher leicht erklärlich, daß die Prinzessin alles aufbieten will, um durch die Hinterlassenschaft ihres Vaters nicht nur ihre Gläubiger zu befriedigen, sondern vor allem auch sich eine Summe zu sichern, die endlich ihrer Geldesnot ein Ende macht. Von stab und fern. übsr das Befinden des Grafe« Zeppelin, der sich nach einer Halsoperation im Stuttgarter Hospital befindet, waren dieser Tage wieder ungünstige Gerüchte verbreitet. Nach der Weihnachtsfeier, die Graf Zeppelin im Kreise seiner Familie verbracht hatte, mußte er sich wieder ins Hospital begeben. Die Besserung im Allgemeinbefinden des Grafen hält jedoch an, doch wird der Heilungsprozeß noch längere Zeit in Anspruch nehmen, als ursprüng lich angenommen wurde. Vor allem soll eine gründliche Ausheilung des greisen Grafen er reicht werden. Kl 6ntwiri*te fääen. V4j Roman von Johannes Emmer. .Fortletzuicg.) „Wer?" fragte Gabriele. „Nun, der Herr Graf Fervall; er kam gleich, nachdem das Unglück geschehen, und war sehr besorgt um das gnädige Fräulein, und weil wir auch alle den Kopf verloren hatten, so sagte er, daß er hier bleiben wolle, um bei der Hand zu sein. Er hat im Gastzimmer übernachtet, ja wohl, und erst vor einer halben Stunde gmg er fort, als er hörte, daß das gnädige Fräulein außer Gefahr sei." „Wie konnte man das nur zugeben, daß der Graf die Nacht hier zubringe!" „Verzeihen Sie, gnädiges Fräulein, aber wir wußten ja, das heißt, man sagte so, daß der Herr Graf eigentlich der Herr Bräutigam des gnädigen Fräuleins sei und darum sanden wir es ganz natürlich — daß er sich Ihrer so annahm, und — und — gnädiges Fräulein, sind doch nicht böse?" Die Jungfer hatte mit Schrecken bemerkt, wie Gabriele bei jedem Worte düsterer und zürnender darein sah und bekam Angst vor ihrer sonst so gütigen Herrin. „Es war gut gemeint, und ändern läßt es sich auch nicht," erwiderte jetzt Gabriele, „merke dir aber, daß der Graf Fervall mein Bräutigam nicht ist, und schwatze nicht solchen Unsinn mehr." Die Mitteilung der Zofe batte Gabriele sehr unangenehm berührt, ein unbestimmter Verdacht wurde in ihr rege, daß dieses auffällige Ein dringen des Grafen irgend einen Grund hatte, der nicht ganz lauter wäre. In ihrer jetzigen Stimmung war Gabriele freilich nicht imstande, diesen Gedanken weiter nachzuhängen, sonst hätte sie vielleicht den Beweggrund erraten. In der Tat war Graf Fervall zufällig in das Haus des Justizrats gekommen, als gerade die Ärzte dessen Tod festgestellt hatten. Da man wußte, daß er zu den Freunden des Hauses zähle, und die Dienerschaft wirklich — wie dis Jungfer, gestanden hatte — ihn für den künf tigen Verlobten Gabrieles hielt, so nahm niemand daran Anstoß, daß er bei der allge meinen Verwirrung sozusagen die Zügel ergriff und Anordnungen traf, als hätte er wirklich ein Recht dazu. Selbst die Leute in der Kanzlei fügten sich, schon aus Respekt vor dem Ansehen des Grafen, und nur der älteste Beamte, der sonst den Justizrat vertrat, wagte eine schüchterne Einwendung, als der Graf die Kanzlei zu schließen und ihm die Schlüssel abzuliefern befahl. Es wäre notwendig, das Gericht zu verständigen, damit dasselbe sofort eine Kommission entsende, meinte der Beamte, doch der Graf erwiderte, damit hätte es bis morgen Zeit. Graf Fervall wuße genau, warum er das tat. Als er den Justizrat tot im Stuhle vor sich sah, da war ihm sofort klar geworden, daß dieser Zwischenfall für ihn unangenehme Folgen haben könne. Dr. Band hatte zwar in den letzten Tagen versprochen, das un Erschlagene Testament zu vernichten, doch der Graf hegte Zweifel, ob dies geschehen sei. Dann war ja auch das Schriftstück da, in welchem er sich zur Auszahlung einer Summe verpflichtet halte, und das in fremde Hände gelangen zu lassen, war sicherlich bedenklich. l Der Versuch, sich dieser kompromittierenden Schriften zu bemächtigen, mußte um jed« Preis gewagt werden. Die Umstände waren ihm ja so günstig, wie er es wünschen mochte, und der Graf war nicht der Mann, die Gelegenheit un genützt zu lassen. Ohne daß es ausfiel oder überhaupt man recht wußte, wie es geschah, hatte er alle Schlüssel in den Händen und — eine ganze Nacht vor sich. Die Schreiber waren fort, Gabriele lag in ihrem Zimmer im Schlaf und die Dienerschaft war gleichfalls zu Bette gegangen, niemand konnte ibn stören, wenn er in den verlassenen Räumen Nachschau hielt. Der Tate, der kalt und starr in seiner Stube lag, genierte ihn nicht, Graf Fervall halte starke Nerven. Nicht mit Hast, die oft das Ziel ver fehlen läßt, sondern methodisch, mit Bedacht und Überlegung durchsuchte Graf Fervall die Laden der Schreiüpulte und die Schränke, stöberte in den Schriften und Aufzeichnungen herum, alles rasch, aber sorgsam prüfend, bis endlich, nach Stunden zwar, er das Versteck aufspürte, in welchem das Gesuchte lag. Mit befriedigendem Lächeln steckte er das Testament und seine Ver schreibung in die Tasche, sperrte dann sorgsam alles zu, löschte die Lichter und. ging in das für ihn bereitete Zimmer. Anfänglich wollte er noch das Testament lesen, aber er fühlte sich müde und abgespannt — die Suche hatte ihn doch auch aufgeregt — so warf er sich ange kleidet auf das Bett, um ein wenig zu schlafen, die Hand auf der Tasche, in der die Papiere staken. Als der Graf dann am nächsten Morgen heimgekommen war, hatte er eigenhändig im Kamin die Papiere verbrannt und vorsichtig noch die weißliche Asche mit dem Schürhaken Mieden, damit ja jede Spur vernichtet sei. Mit zufriedenen Menen setzte er sich zum Frühstück, jetzt durfte er wahrhaftig mit Ruhs der Zukunft entgegensehen. Die Sachen standen ja vortrefflich; nun wußte er auch den Namen der rechtmäßigen Erben, die waren tot oder verschwunden, von denen war nichts zu be sorgen: die Zeugen seiner Mitwissenschaft an Dr. Bands Verbrechen waren vernichtet, dieser selbst für immer stumm. Eine freilich war noch da, die darum wußte, Gabriele. Was wird sie tun, und wie soll er selbst sich zu ihr stellen? Das waren nunmehr die Fragen, die ihn beschäftigten, aber nicht bange machten. Er glaubte hundert gegen eins darauf wetten zu dürfen, daß Gabriele schweigen würde, um das Andenken deS geliebten BaterS nicht noch mehr mit Schmach zu belasten. Es wird ja genug schlimmes Gerede geben, wenn man entdeckt, daß der Justizrat Vaud ihm an vertraut gewe ene Summen verspielt habe. Daß man dies bald entdecken werde, dafür war ge sorgt. Der Graf hatte unter den Papieren auch ein „geheimes" Nechnungsbuch gefunden, in dem der Justizrat genaue Aufzeichnungen ge macht hatte, aus denen der Fehlbetrag für jedermann ersichtlich war. Fervall hatte das Buch unter den verschiedenen Schriftstücken obenauf gelegt, so daß es bei der Ordnung des Nachlasses und Übernahme der Kanzlei so fort in die Augen fallen mußte. Er rieb sich mit grinsendem Lächeln die Hände bei dem Ge danken, welches Aufsehen diese Enthüllung-
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