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Ottendorfer Zeitung : 25.12.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-12-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190912256
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19091225
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19091225
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1909
-
Monat
1909-12
- Tag 1909-12-25
-
Monat
1909-12
-
Jahr
1909
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 25.12.1909
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Zur elsaß-lothringischen Zrage. Im Anschluß an die Erklärungen des Reichs kanzlers zur elsaß-lothringischen Frage ist jetzt in der,Nordd. Allg. Ztg/ eine Erklärung er schienen, die von weittragender Bedeutung ist, da ihr off-nbar dis Regierung nicht sernsteht. Es heißt darin: „Allgemein, im Reichstage sowohl wie in den Kreisen der Bevölkerung, ist die Rede des Reichskanzlers v. Bethmann- Hollweg, die er im Deutschen Reichstage gehalten hat, als eine willkommene und besriedigende Siichprobe der Politik empfunden worden, die unsre Regierung zu vertreten entschlossen ist. Es handelte sich um einen Gegenstand, der unter den ReiLsangelegenheiten nicht gerade für den am einfachsten liegenden gilt. Gerade jetzt haben wieder einmal die Leidenschasten eines gewissen Teiles der Bewohner Elsaß- Lothringens nach Anlässen gesucht, sich bemerklich zu machen, ohne nach dem Eindruck zu fragen, den solche mindestens unpassenden Kundgebungen im übrigen Deutschland teils Hervorrufen, teils bestärken mußten. Die deutsche Nation aber verdankte die schließliche Erfüllung ihres Drange« zur volitiichen Einigung auch der ge sunden Grundlage eines gemeinsamen Stammes- bewußtieins, gegen das die Minderheiten nicht- deuticher Abkunft in einigen Grenzstrichen nie mals gesondert in die Wagschals fallen sollen und dürfen. Versuchen, die nach dieser Richtung zielen, ist allezeit entgegengetreten worden, und so wird es bleiben. Wohl aber gehört zu den wohltuenden Eigenschaften des deutschen Kraftgefühls, daß es sich nicht scheut, der bodenständigen Art und der hierdurch bedingten Entwickelung ein zelner Volksteile jedes vernünftige Zugeständnis zu machen, das mit dem Heil des Ganzen noch verträglich erscheint. Nach dieser Richtung be wegten sich die Ausführungen des Reichs kanzlers. Er wies die Maß-Lothringer darauf hin, daß ihr eigenes Interesse ihnen ge biete, die Werbearbeit zugunsten verstossener Beziehungen von sich fernzubalten. Denn da mit komme gleichsam selbsttätig eine Schranke empor, durch die das Land von der Gewährung einer Selbständigkeit getrennt bliebe, während doch an unsren maßgebenden Stellen eine unbefangene Würdigung der berechtigten Eigenart Elsaß-Lothringens herrscht, die da in keiner Weise angetastet, sondern eines Tages auch politisch ausssebaut werden soll. Aller- > dings muß man dort die Vorstellung meiden Lernen, daß die Gewährung sich etwa abtrotzen ließe. Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg wies auf den hier einzig richtigen Weg hin, nämlich, alle Übertreibung beiseite schiebend, den inneren Frieden nachhaltig zu befestigen: er werde dem Wunsche der Elsaß-Lothringer die Erfüllung zeitigen. Der Wärme, die in den Worten des Reichs kanzlers lag, bat sich weder seine parlamen tarische Hörerschaft noch die Presse entzogen. Von seiten der ,Straßburger Post' wird die Wendung in der Reichskanzlerrede besonders unterstrichen, daß manche Elsaß-Lothringer rein deutscher Abstammung es schon als vornehmen Sport betrachteten, mit ««deutsche« Bestrebungen -u liebäugeln. Aber die Bevölkerung in ihrer Allgemeinheit werde hoffentlich die Worte recht fertigen, die der Abgeordnete Dr. Höffel über ihre deutsche Gesinnung gesprochen habe, und werde so die Grundlage biloen, auf dem die bundesstaatliche Selbständigkeit Elsaß - Loth ringens aufgebaut werden kann." — Hoffentlich versteht man in Elsaß-Lothringen solche Worte und erwirbt in gemeinsamem Streben nach deutschen Zielen auch die gewünschte Selbst ständigkeit. Politische Kunälcbau. Deutschland. * Kaiser W i lhelm empfing den Staats sekretär des Reichsmarineamtes> v. Tirpitz, m längerer Audienz und hörte einen längeren Vortrag, bei dem abermals der Kieler Werft- prozeß eingehend erörtert wurde. *Den 60 jährigen Gedenktag seines Eintritts in das Heer hat am 20 Dezember Fürst Karl Günter von Schwarzburg- Sondexsha nsen begangen. Der Fürst ist am 7. August 183" in Arnstedt geboren und am 20. Dezember 1849 zum Lmtnant des Schwarzburg-Sondershaufenschen Bataillons er nannt worden. * Auf der Rückkehr von seiner mehrmonatigen Inspektionsreise in D eut s ch - O sta fri k a ist Oberst v. Glasenavp wieder heimaekehrt und wird nach dem Fest wieder die Geschäfte des Oberkommandierenden der Schutztruppen übernehmen. * Nachdem Rußland alle möglichen Beruhi- gungsnachrichten über die Lage im fernen Ost - asien in die Welt gesetzt hat, ändert es plötz lich sein Verhalten und versucht, den Blick für die Entwickelung der Dinge durch Alarm nachrichten zu trüben. So schreiben fetzt Peters burger Blätter, baß bei der Eröffnung des ckiinesischen Parlaments im nächsten Frühjahr Deutschland die Bucht von Kiau- tschou der chinesischen Flotte zur Verfügung stellen werde. England soll ebenfalls einver standen sein und Wei-Hai-Wei zurückgeben. Natürlich ist die Meldung vollständig erlogen und offenbar erfunden, um vor dem russischen Volke die immer steigenden Rüstungen in der Mandschurei zu rechtfertigen. China ist in dessen nicht untätig; seine Regierung hat 20 Mill. Mk. angewiesen für die verstärkte Aufsicht der russisch - mandschuri schen Grenze. Es wird allo immer klarer, daß sich in Ostasien ernste Entscheidungen vor bereiten. * Im Reichstage sind mehrere Anträge auf Neureelung der Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige ein gebracht worden. Wie verlautet, steht die ! Justizverwaltung diesen Anträgen ablehnend ! gegenüber, da alle Mehrkosten vorläufig ver- ! mieden werden sollen, solange sich die Finanz lage des Reiches nicht merklich gebessert hat. *Jm Preuß. Ministerrat wurde die baldige Einbringung einer Wahlrechts Vorlage an den Landtag beschlossen. Wie die Vorlage geartet sein wird, ist noch nicht bekannt. *Der Magistrat von Charlottenburg hat beschlossen, an den Reichstag eine Eingabe zu richten, den Wahlkreis Teltow - Beeskow- Storkow-Charlottenburg in mehrere Reichstags wahlkreise zu zerlegen, derart, daß der Stadt Charlottenburg zwei Vertreter im Reichstage zugestanden werden.« * Die Zusammensetzung des Landtages von Sachsen-Weimar läßt sich jetzt übersehen. Nach dem Ergebnis der Stichwahlen bestehen die 23 aus den allgemeinen Wahlen hervor gegangenen Abgeordncten aus 7 Rechtsstehenden: Konservative, Bund der Landwirte und Anti semiten, 11 Liberalen, 1 Zentrum und 4 Sozial demokraten. *Die bayrische Abgeordneten kammer hat einstimmig den vorläufigen Voll zug des Budgets für 1910/11 und die vom Finanzminister vorgeschlagenen Anleihen ge nehmigt. Nach dem Gesetz wird der Finanz minister ermächtigt, ein Stoatseisenbahnanlehen im Betrage von - 75 793 200 Mark und ein Staatsanlehen im Betrage von 1V- Mill. Mk. zur Deckung im außerordentlichen Budget be willigter Ausgaben aufzunehmen. Weiter erhält der Finanzminister dadurch die Vollmacht zur vorläufigen Erhebung der direkten Steuern mit dem vierten Teil des Jahresbetrages. Österreich-Ungar«. * Im österreichischen Abgeord netenhause endete die Dauersitzung, in der die Tschechen durch allerlei Dringlichkeitsanträge und durch stundenlange Reden die Entscheidung über die Sprachenfrage hinausschieben wollten, nach 86 stündiger Dauer. "Die dem ungarischen Abgeord netenhause vorgelegte Schlußrechnung für 1908 weist einen so beträchtlichen Überschuß im Staatshaushalt auf, daß daraus der größte Teil der Angliederunqskosten (für Bosnien und die Herzegowina), die 50 Millionen betragen, gedeckt werden könnte. Ffrantreich. *In Cannes ist Großfürst Michael Nikolajewitsch von Rußland, der Groß vater der deutschen Kronprinzessin, in seiner dortigen Villa im 78. Lebensiahre am 18. d. gestorben. Die deutsche Kronprin zessin hat sich nach Cannes an das Sterbebett ihres Großvaters begeben. England. * In einer in London abgehaltenen Ver sammlung des englisch-deutschen Freundschaftskomitees wurde folgen der Beschluß einstimmig angenommen: „Das aus einigen Hunderten der angesehensten Ver treter des englischen Volkes bestehende englisch- deutsche Freundschaftskomitee, entrüstet über die gegenwärtig in der .Daily Mail' erscheinenden grundlosen und böswilligen Artikel, erhebt ernstlich gegen diesen durch nichts hervorge rufenen Angriff auf einen befreundeten Staat Einspruch und versichert das deutsche Volk noch einmal der freundschaftlichen Gefühle der großen Gesamtheit der englischen Nation, die nichts andres wünscht, als die ständige Aufrecht erhaltung der freundschaftlichen Beziehungen." * Die Flottenhetze hat wieder mit aller Kraft eingesetzt. Verschiedene Zeitungen empfehlen die Aufnahme einer Anleihe von einer Milliarde, um so viele Schiffe zu bauen, daß Deutschland gezwungen sei, mit seiner Flottenpolitik inne zu halten. Schweden. *Der Ministerrat hat beschlossen, dem Parlament einen Gesetzentwurf vorzulegen, der eine neueHeeresor ganisation fordert. Vor allem soll die Friedensstärke des Heere? erhöht werden. Balkanstaaten. *Die Antwort der Türkei aut die Kretanote der Schutzmächte liegt jetzt im Entwürfe vor. Wie verlautet, wird darin be tont, die Türkei danke den Mächten für ihre wohlwollende Erklärung betreffs des Schutzes der Rechte der Türkei auf der Insel. Unter den Vorrechten verstehe die türkische Regierung „Hoheitsrechte" und erwarte eine baldige Rege lung der Verwaltung Kretas. "Der serbische Kriegsminister, der dem König seinen Rücktritt angeboten hatte, verbleibt in seinem Amte, nachdem die Negie rung die von ihm erbetenen Summen für dis Reorganisation des Heeres einstimmig bewilligt hat. Demgemäß wird Serbien innerhalb dreier Jahre eine völlig neue Artillerie-Be waffnung erhalten. Asten. *Für die Erneuerung der bestehenden Handelsverträge bereitet Japan -eine Tarif reform vor. Der Reichstag soll in seiner nächsten Session eine Anzahl neuer Zollsätze be stimmen, die von dem bisherigen Tarif wesentlich abweichen. Der Übergang Japans zur Auf stellung eines Zolltarifs, der übrigens einige Sätze der Vertragstariss beibehalten soll, wird damit begründet, daß Japan bei dem Abschluß seiner Handelsverträge noch nicht imstande ge wesen sei, seine Interessen handelspolitisch und zolltcchnisch entsprechend zu wahren. Das sei jetzt anders geworden. Es soll jedoch kein Hochschutzzolltarif geschaffen, sondern ein Mittel weg etngeschlagen werden, indem man Finanz zölle (d. h. Zölle auf Waren, die im Inlands nicht hergestellt werden) einführt, die aber doch zugleich geeignet sind, die Produktion des Landes zu schützen. * In Nordpersien, wo die Regierungs- truvpen erst vor wenigen Wochen die Rebellen entscheidend geschlagen haben, ist aufs neue ein Aufstand ausgsbrochen. Die Regierung hat sofort eine ausreichende Streitmacht entsandt, um ein Eingreifen Rußlands zu verhindern. Italiens neues Ministerium. Der neue italienische Ministerpräsident Sonnino hat in einer eigens zu diesem Zweck einberufenen Kammersitzunq die Ziele seiner Politik daraelegt. Zunächst beschäftigte er sich mit der äußeren Politik und laute: In Sachen der auswärtigen Politik wäre vielleicht jede Erklärung überflüssig, wenn man daran denkt, mit welcher Beharrlichkeit und welcher Ein mütigkeit des Urteils das Parlament sich zu gunsten der bisher einqehaltenen Richtung aus gesprochen hat. Die Beziehungen zu den verbündeten Mächten waren nie so vertrauens voll wie in letzter Zeit. Der Dreibund bedeutet nach wie vor nicks allein einen mächtigen Faktor im Dienste des Friedens, sondern auch eine Garantie unsrer Interessen. De» schon lange Zeit bestehenden Freundschaftsbeziehunren mit England und Frankreich fügt sich die aus der italienisch-russische« Annäherung bervorgeaangsne an, die in der jüngsten Unter haltung des Königs mit dem Kaiser von Ruß land ihren Ausdruck fand. - Der herzliche Memungsaustausch, den diese Freundschafts- beziehungen gestatten, während sie in keiner Weise mit den Bündnisverträgen in Widerspruch stehen, begünstigt deren Zwecke und stellt eine neue Friedensbüraschaft dar. Das ständige Ziel unsrer Politik ist der Friede, in dem gleich zeitig mit der Sicherheit des Lindes dessen hohe moralische und wirtschaftliche Interessen ihren Schutz finden. Wir sind überzeugt, daß wir dieses Ziel verfolgen, indem wir die Richtung unsrer auswärtigen Politik unverän dert beibehalten. Das Programm der Regie rung für die innere Politik bezwecke eine wirksame Reformtätigkeit mit de« Ziele des sozialen Friedens, indem es allem den ersten Platz einräume, was den Kultur zustand des Landes föroern könne. Die Regierung werde immer die Staatshoheit in den rechtlichen Beziehungen zwischen de« Bürgern hochhalten auf wirtschaftlichem und zivilrechtlichem Gebiet, wie auf dem Ge biet des Familienrechts, unter peinlicher Wahrung der Gewissensfreiheit und der Frei heit des Gedankens, soweit dessen Äußerung kein fremdes Recht verletze und die öffentliche Ordnung nicht störe. Die Regierung beab sichtige, den Ackerbau, dis Forsten und Berg werke von dem Ministerium für Arbeit, Industrie und Handel loszulösen, das sich künftighin auch mit den Handelsverträgen, de« Versicherungswesen usw. zu beschäftigen haben werde. Sodann solle ein besonderes Eisenbahn ministerium geschaffen werden. Im weitere« Verlauf seiner Rede kündigte der Minister präsident an, daß die Regierung das Gesetz über den zwangsweise« Unterricht, die sozialen Reformen, die allmähliche Wieder herstellung der Staatslorsten und eine ernsthafte Anwendung der Gesetze zugunsten der südliche« Provinzen, nachdrücklich fördern werde, ebenso wie die Arbeit an der Beseitigung der Folgen der furchtbaren Katastrovhe von Reggio und Messina Das militärische Programm werde zu Wasser und zu Lande weiter durcbgeftlhrt verden mit Eistr und Vertrauen, entsvrechend )em Willen des Landes und den Anforderungen der nationalen Verteidigung.—Der neue Minister präsident konnte sich sogleich, überzeugen, daß seine Herrlichkeit abhängt von dem Wohlwollen der Anhänger seines Vorgängers Giolitti; den» ohne ihr Dazwischentreten hätte Herr Sonnino in der Debatte bereits eine Niederlage erlebt. Oer Kampf ums Majorat. Das Oberlandesgericht in Posen hat eck schieden, daß der junge Graf Joseph Kwilecki der Sohn der Bahnwärierfrau Cäcilie Meyer ist. Damit hat der Kampf um den Knaben ein vorläufiges Ende erreicht. (Bekanntlich stand im Oktober 1903 die anfangs dieses Jahres verstorbene Gräfin Kwilecka vor dem Berliner Schwurgericht unter der Anklage der Kindes- unterschiebung und wurde nach mehrtägiger Ver handlung freigespcochen). U Entwirrte fääen. Llj Roman von Johannes Emmer. 'ForUetzungN Auch diese Beleidigung, die über alle Schranken hinausaing, brachte den Grafen nicht aus seiner RuhS. Äußerlich wenigstens bewahrte er sie: was in seinem Innern vorging, verriet er nicht. Gabriele wandte ihm den Rücken zu und trat an das Fenster, an dessen Scheiben sie ihre Stirne preßte. Sie regte sich auch nicht, als der Graf aufstand, seinen Hut nahm und ihr seinen Abschiedsgruß znrief. Erst, als nach einer Weile ihr Blick zufällig ihn unten auf der Straße sah, wie er so siegesbewußt zum Fenster herauffchaute und mit dem Hute grüßte, fuhr sie hastig zurück und ging in ihr Zimmer. Bis zu dieser Stunde hatte sie noch immer die Hoffnung gebegt, durch Bitten den Mann zu rühren und zum Nufgeben seiner Absichten be wegen zu können, nun war auch dies zu schanden geworden; unerbittlich bestand der Gehaßte auf seinem Schein, kein Erbarmen war von ihm zu erwarten. An wen sollte sie sich in ihrer trostlosen Not wenden? Sie durste ja nicht einmal sprechen über ihr Leid, sonst hätte sie das Geheimnis des Vaters preisgeben müssen. Sie war in einer Falle gefangen, aus der keine Befreiung möglich schien, nicht einmal um den Preis des eigenen Lebens. WaS der Vater nur angedeutet, daS hatte der Gras rücksichtslos auseinandergesetzt; daß er in der Lage sei, jeden Anteil an der Schuld des Justizrats von sich abzuweisen, und darum diesen ganz in seiner Hand habe. Dr. Band hatte erklärt, es sei kein Testament vorhanden; wie konnte dieser beweisen, daß der Graf mit der Unterschlagung einverstanden war. Dr. Band bedurfte des Geldes, um die veruntreuten Summen zu ersetzen; wenn er nun auch in der Verzweiflung das Testament wieder zum Vorschein brächte, so würde er damit nichts gewinnen. Das Versprechen, das der Graf gegeben, würde nickt gegen diesen, sondern erst recht gegen den Justizrat zeugen, denn damit wäre dessen Interesse an der Unterschlagung festgestellt, während der Graf nur zu erklären brauchte, Dr. Vaud hätte ihm seine Lage dargestellt und aus Großmut sei ihm Rettung versprochen worden; alle Welt würde dies glauben. Und diesem schlauen, rücksichtslostn Menschen war es zuzutrauen, daß er, wenn Gabriele sich ihm entzöge, den Vater auS Rache verderben würde. Kein Ausweg, keine Rettung! Den Geliebten zu Hilfe zu rufen, was würde das nützen? Auch er wäre ja ohnmächtig diesen Verhältnissen gegenüber. Nichts blieb ihr medr übrig zu tun, als mit eigener Hand daS junge Glück des Herzens zu vernichten und dem Geliebten zu schreiben, daß alles zu Ende sei. Der Herr Polizei-Rat wurde durch den Be such des Untersuchungsrichters überrascht. „Sie sandten mir einen Bericht, dem ein Brief an Berta Mathon beigeschlossen war Ihrer M'ttettunq nach soll dieser Brief nock nicht eröffnet worben sein. Ist es so, Herr Rat ?" „Ja, Herr Richter I" „Der Brief ist also sonst niemand, ich meine außerhalb des Amtes, in die Hände ge kommen ?" „Ich sandte ihn so ab, wie ich ihn selbst empfing; er ging natürlich durch das Expedit, aber sonst konnte meines Wissens ihn niemand in Händen gehabt haben." Der Untersuchungsrichter wiegte lächelnd das Haupt. „Ich habe den Brief eröffnet, da ich unter den obwaltenden Umständen es für nötig hielt. Herrn Cromer gegenüber werde ich die Verantwortung übernehmen, wenn er sich be klagen sollte, daß Sie seinen Wunsch nicht, wie Sie versprachen, berücksichtigt haben. Es steht übrigens nicht Besonderes in diesem Briefe; Abschiedsworte eines Bruders an seine Schwester, nichts weiter." Der Richter zog den Umschlag mit dem Schreiben hervor, „aber etwas Merk würdiges fand ich doch vor. Sehen Sie, Herr Rat!" Er zeigte die letzte Seite des Briefes vor, an derselben klebte ganz leicht eine farbige Siegelmarke, wie man sie in Kanzleien zum Verschluß von Briefen verwendet. Die im Hochdruck ousgepreßte Inschrift der Marke lautete: Justizrat Dr. Vaud, Rechtsanwalt und Notar, und dabei die Adresse. Verblüfft sah der Rat den Besucher an: „Das war in dem Briefe darin?" „Ja in dem Briefe, den dieser Herr Cromer aus Afrika mitgebracht, Ihnen übergeben hat und den Sie mir zuiandten, ohne daß nach Jbrer Ansicht sonst jemand den Umschlag ge öffnet haben sollte I" „Das ist ja eine tolle Geschichte!" rief der Rat ärgerlich aus. „Es scheint, als ob in dem Falle Mathon alles verhext wäre. Was denken Sie davon?" „Da es nicht wahrscheinlich ist, daß Dr. Mathon Siegelmarken des Justizrats. Dr. Band nach Afrika mitgenommen habe, so muß man wohl annehmen, daß dieselbe hier in den Brief geriet. Dies setzt natürlich voraus, daß der selbe erbrochen wurde, und bestätigt wird diese Voraussetzung dadurch, daß sich Spuren davon an dem Umschläge zeigen. Sehen Sie, Herr Rot" — er wies ihm das Kuvert vor — „hier diese Stellen, eine sehr geschickte Hand hat den Brief eröffnet, aber das feine und scharfe Messer hinterließ doch einige Ritze." Der Rat prüfte aufmerksam das Kuvert. „Sie haben recht, Herr Richter, bei genauem Zusehen merkt man es. — Wer mag es aber getan haben?" „Offenbar jemand, der ein Interesse daran hatte, den Inhalt des Briefes zu kennen, uad bei dem — sich Siegelmarken ches JustizratS vorfinden. Diese Marke ist unzweifelhaft ganz zufällig kleben geblieben, ich kann mir die Sache nur so vorstellen, daß der eröffnete Brief, der vielleicht etwas feucht geworden war, auf die unbeachtete Marke zu liegen kam, und diese hängen blieb, was bei dem Wiederverschließe« nicht bemerkt wurde." „Könnte nicht Cromer selbst —" „Ist nicht wahrscheinlich, Herr Rat l — Der Mann hatte den Brief monatelang in Händen, wenn er den Inhalt kennen wollte, so hätte er ja auf dem Schiffe das Schreiben erbrechen können, wo er gewiß genug Zeit hatte. Ec hätte ihn
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