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Ottendorfer Zeitung : 22.12.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-12-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190912225
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19091222
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19091222
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1909
-
Monat
1909-12
- Tag 1909-12-22
-
Monat
1909-12
-
Jahr
1909
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 22.12.1909
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Von unä fern. Lina Morgenstern -j-. Im Alter von 79 Jahren verstarb in Berlin Frau Lina Morgenstern. Bis in die letzte Zeit rüstig noch all den Bestrebungen dienend, die sie zum Besten der Allgemeinheit versolgts, erlag sie nach zehntägigem Kro-kenlager einer Influenza. Mit der Entschlafenen, die im ganren Reiche bekannt war, ist eine markante Erscheinung aus dem öffentlichen Leben Berlins dahingegangen. Ihre Volkstümlichkeit verdankte sie den Berliner Volksküchen, die sie im Jahre 1866 begründet datte. Schon kurze Zeit, nachdem sie nach ihrer Verheiratung im Jahre 1854 aus ihrer Vater» itadt Breslau mit ihrem Gatten nach Berlin Wergesiedelt war, gründete sie, für die Sache Fröbels interessiert, den Kindsrgärten-Verein. Vor 40 Jahren schuf sie den Kinderschutzverein. Er war dazu bestimmt, der großen Sterblichkeit der Säuglinge zu steuern, und so war Lina Morgenstern eine Vorläuferin von Bestrebungen, die Stadt und Kommune als notwendig an erkannt haben. Schwerer Bootsunfall in Deutsch-Ost afrika. AuS Deutsch - Ostasrika ist beim Kommando der Schutztruppen die Meldung ein- üelaufen, daß siebzehn Askari von der in j Andi stationierten 3. Eingeborenen-Kompanie j mit einem Aluminiumboot verunglückt und er trunken sind. Ein falscher Gemeinderat. In Groß- kakitt in Pommern räumten^ sechs Männer, die ffch für den Gemeindevorsteher, Sachverständigen, Vrotokoll'ührer und Volizeibeamte ausgaben, in Abwesenheit der Heinrichschen Eheleute deren Mahnung vollständig aus und fuhren die Sachen auf zwei Wagen davon. Den Be mühungen der Polizei gelang es, am nächsten Morgen den ganzen falschen Gemeinderat fest zunehmen. X Im Moor festgsfrore« wurde an der Krimmer Chaussee bei Greifswald eine weibliche Verton aufgefunden: bis an den Unterleib steckte sie in der schlammigen Masse. Es bandelte sich um ein etwa 25jähriges, geistig beschränktes Mädchen, das in Greifswald bei der Mutter wohnte. Die Unglückliche hatte sich »elegentlich eines Ausganges verirrt und war dabei in der Dunkelheit auf eine sumpfige stoppel geraten, wo sie sofort einsank. Dor dem völligen Versinken konnte sie sich durch An- tlammern an einm Pfahl bewahren. Als man iie aukland, war sie vollständig festgefroreu, so daß sie aus ihrer kritischen Lage erst aus- uegraben werden mußte. Sie wurde nach ihrer Mahnung gebracht, doch erscheint es zweifelhaft, ob sie mit dem Leben davonkommen wird. Automobilunfall bet Hannover. Ein von Hildesheim kommendes Automobil überfuhr iin hannoverschen Vorort Wülfel eine 19 jährige Arbeiterin, die sofort getötet wurde. Bei dem Bestreben, auszuweichen, geriet das Automobil ietast in Gefahr, mit einem eisernen Maste der elektrischen Bahn zusammenzustoßen, doch wurde weiteres Unglück verhütet. Feuer in einer Irrenanstalt. Nach träglich kommen Meldungen aus Düren, wonach >n "der dortigen Provinzial-Heil» und Pflege- »nstalt vor einigen Tagen in der Frauen- »bieilung ein Feuer ausgebrochen ist, das als bald die oberen Etagen ergriff. Unter der Be völkerung Dürens herrschte infolgedessen große Aufregung, da man um das Schicksal der un glücklichen Kranken sehr besorgt war. Die ge samte städtische Feuerwehr griff das Feuer energisch an und sorgte für die Unterbringung sämtlicher Kranken in andre Gebäude. Niemand ist zu Schaden gekommen; da die Frauen abteilung getrennt von den übrigen Gebäuden liegt, blieb das Feuer auf seinen Herd be schränkt. X über den rätselhaften Tod eines OutsbefitzerS wird aus Elbing folgendes gemeldet. Der Guts-, Ziegelei- und Mühlen- vesitzer Droß aus Freiwalde, der Vorsitzende der Ziegeleiberufsgenossenschaft, wurde abends aus einem Feldwege seiner Besitzung erschossen ausgesunden. Sein eigenes Gewehr lag lv Meter von der Leiche entfernt. Anscheinend s handelt es sich um einen Selbstmord. Finan zielle Schwierigkeiten sollen die Ursache ge wesen sein. Entketzltmer Unfall. In Geisa schlugen zwei zwölfjähriae Knaben in einer Schmiede mit schweren Hämmern auf einen Amboß. Dabei entglitt dem einen der Hammer und flog dem andern Knaben so unglücklich auf den Kopf, daß ihm der Schädel zertrümmert wurde und der Tod sofort eintrat. DaS Opfer einer unsinnigen Wette. In Mogilno wettete der Hirt Karl Fischer um eine Mark, daß er 15 Schnäpse hintereinander austrinken werde. Nachdem er diese unver nünftige Wette ausgeführt hatte, brach er be sinnungslos zusammen und starb, ohne wieder zu sich gekommen zu sein. Die Wiener Bergiftnnqsaffäre scheint eine Wendung zugunsten des beschuldigten Ober leutnants Hofrichter zu nehmen. Es verlautet, daß das Gutachten der Sachverständigen bereits erstattet ist, und daß es keineswegs mit Be stimmtheit aur die Übereinstimmung mit Hof richters Handschrift hinweist. Die Sachver ständigen drücken sich im Gegenteil sehr vorsichtig aus und sprechen nur von der Möglichkeit einer Gleichheit der Schrift, so daß ihr Urteil für die gerichtsordnungsmäßige Feststellung der Täter schaft wertlos genannt werden kann. Kundgebungen der Könkgsunbänger in Paris. Das Denkmal für den Pariser Chirurgen Pean in der Nähe des von ihm er richteten Hospitals wurde dieser Tage enthüllt. Beim Erscheinen FaMres riefen einige An hänger des Königtums: „Hoch der König! Nieder die Republik!" Dabei warfen sie Zettel aus, deren Text den Kellner Mattis verherrlicht, der im benachbarten St. Santögefängnis seine Strafe wegen tätlicher Beleidigung des Staats chefs verbüßt. Tödlicher Eksenbabunnfall. Beim Ein treffen des Zuges von Montargis im Lyoner Bahnhof von Paris bemerkten Beamte, daß eine Wagentür weggerissen war. Im leeren Abteil fand man eine große Blutlache, einen Kamm, ein zerbrochenes Lorgnon und eine Fahrkarte. Nachforschungen führten zur Auffindung einer Frauenleiche, die bei Connoy auf dem Gleise lag. Sie war furchtbar verstümmelt und gänz lich skalpiert. Die Haare der Unglücklichen waren in den Rädern der nachfolgenden Wagen hängen geblieben. Es stetste sich heraus, daß es sich nicht, wie man zuerst annahm, um ein Verbrechen, sondern um einen Unfall handelte. Die Frau wurde als die Gattin des Groß industriellen und Direktors der Bank von Frank reich, Gouin, erkannt. Sie hat, wahrscheinlich von heftigem Nasenbluten befallen, die Wagen tür geöffnet, als der Zug sich mit einem andern kreuzte. Exzesse ausständiger Erdarbeiter. In Arras haben ausständige Erdarbeiter neuerdin gs Verwüstungen an den Bauplätzen des Nord kanals angerichtet. Sie zerstörten elektrische Leitungen, verschütteten Schächte durch Hinein werfen von Karren und Balken und beschädigten mehrere Lokomotiven. Drei Ausständige wurden verhaftet. Die Zollschwindeleien i« New Hork. Ein Gegenstück zu den Zollbetrügereien des Zuckertrusts hat dieser Tage die Gerichte in New Dork beschäftigt. Der schärfste Konkurrent des Zuckertrusts, die Firma Arbuckle Brothers, ist gezwungen worden, rückständige Zölle in der Höhe von 695 573 Dollars an die Regierung zu zahlen. Die sogenannten „Rückstände" sind dadurch entstanden, daß den früheren Zahlungen ein zu geringes Gewicht der Zuckerladungen zu grunde gelegt war. Mit dieser Nachzahlung ist die Angelegenheit aber noch nicht erledigt, die Behörden prüfen vielmehr noch, ob nicht nach Lage der Sache auch strafrechtliche Verfolgung einzutreten hat. Gericktskalle. Berlin. Nach wochcnlanger Dauer fand der Betrugsprozeß Echtermeyer mit der Ver urteilung der Hauptangeklagten sein Ende. Es würben verurteilt : Echtermeyer zu fünf Jahren Gefängnis und fünf Jahren Ehrverlust, Grüns feld zu zwei Jahren Gefängnis, Laufer zu einem Jahre sechs Monaten Gefängnis, König zu neun Monaten Gefängnis. Den Angeklagten Grünsfeld, Echtermeyer und Laufer wurden drei Monate Untersuchung angerechnet. Die Ange klagten Weißenberg und Frau Bietz wurden freigesprochen. Echtermeyer und König schienen über die Höhe des Strafmaßes völlig bestürzt; beide beantworteten die Frage des Vorsitzenden, ob sie sich bei dem Erkenntnis beruhigen wollten, mit einem scharfen „Nein". Magdeburg. Der Prozeß gegen den Ein jährig-Freiwilligen Baumgart, der in der Re visionsinstanz vor dem Oberkriegsgericht unter der Anklage stand, in der Nacht zum 16. Juli d. den Fahnenjunker im 10. Husaren - Regiment Arnim v. Zeuner in Stendal erschossen zu haben, endete mit der Freisprechung des Ange klagten. In der Urteilsbegründung heißt es, daß das Gericht den Ausführungen der Vor instanz gefolgt sei. Der Angeklagte habe in einem Zustande krankhaft gestörter Geistes- tätigkeit gehandelt und sei für seine Tat nicht verantwortlich zu machen. (Der Staatsanwalt hatte 10 Jahre Zuchthaus und Ausstoßung aus dem Heere beantragt.) Paris. Der jugendliche österreichische Hochstapler Gubatta, der sich hier für einen Erzherzog ausgab und auf großem Fuße lebte, wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Dieselbe Strafe wurde auch seiner Begleiterin zuerkannt. Oie 8ebicklLle von Mä ul Amicks frsuen. S Mit dem Sturze des Sultans Abd ul Hamid hat auch das Schicksal seiner Harems damen eins jähe Wandlung erfahren; die Türen des Sultanspalastes wurden geöffnet, und Hals über Kopf mußten die Frauen, die jahrelang nur in ihren Gemächern und in den lauschigen Gärten des Jildiz-Gartens ein zurückgezogenes Leben geführt hatten, die Stätte verlassen, die solange ihre Welt be deutet hatte. In der Erregung des Augen blickes hatte man die Frauen des gestürzten Padischah ihrem Schicksal überlassen und sie, die bisher äußere Leben snotwendigkeit und den Kampf mit dem Dasein nie gekannt hatten, waren plötzlich auf sich selbst gestellt und viel leicht wider Willen Herrscher ihres eigenen Ge schickes. Viele der plötzlich Obdachlosen zogen in ihre Heimat zurück, um im Haute der Eltern eine Zuflucht zu suchen, andre wandten sich nach Europa, und von einigen ist bereits be kannt geworden, daß sie den Plan hegten, als Variötökünstlerinnen sich durchs Dasein zu schlagen. Nicht alle standen übrigens vor der harten Notwendigkeit, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu erwerben. Zwanzig von Abd ul Hamids Haremsdamen reisten nach Paris, aber achtzehn von ihnen wurden unmittelbar nach ihrer Ankunst in der Seinestadt auf Verlangen der türkischen Regierung sofort wieder in ihr Heimatland zurückgesandt. Denn wie fortschritt lich und reformatorisch das neue Regime auch gesinnt ist, in bezug auf die Frauen ist die alte türkische Tradition noch nicht erloschen und ungern sehen es die Mohammedaner, daß eine Frau ihr Heimatland verläßt und in der Fremde lebt. Die jungtürkische Regierung hat mit großem Eifer die Aufgabe übernommen, für dis Frauen zu sorgen, die einst im Harem des Padischah gelebt haben. Die Verwandten wurden angehalten, für die freigewordenen Haremsdamen zu sorgen und ihnen ein Heim zu bieten, andre Frauen haben sich mit Be amten der neuen Regierung verheiratet, für die Waisen und Vereinsamten hat die Regierung Wohnstätten bereitet und Pensionen ausgesetzt. Nur jene Haremsdamen, die damals in ihrer übereilten Flucht London zum Reiseziel wählten, sind in die Heimat nicht zurückgekehrt, denn die englische Regierung lehnte es ab, dem Anträge aus Konstantinopel stattzugeben, der die zwangs weise Rücksendung der Haremsfrauen erbat. Eine ganze Reihe einstiger Gattinnen Abd ul Hamids, so wird in einem amerikanischen Blatte auSgesübrt, leben noch beute in Loudon, wohnen in der vornehmsten Gegend des Londoner Westend und genießen die ungewohnte Freiheit. Sie verkehren in Gesellschaft, sind von dem Leben der europäischen Damen entzückt und haben sich rasch den westlichen Sitten anaepaßt. Sie tragen europäische Kleidung, sie empfangen Besuche, sie nehmen Einladungen an, und manche von ihnen machen sogar ein Haus, in denen Gesellschaft und Feste gegeben werden, wie in dem Heim einer eleganten europäischen Hausfrau. Eine gute Erziehung haben sie alle genossen, sie sprechen fließend Französisch, manche von ihnen auch Englisch, und mit der Ablegung des Schleiers und dem Ende ihrer zwangsweisen Abgeschlossenheit von der Welt ist auch ihre Befangenheit geschwunden. An den eleganten Frauen, die heute in geschmack voller Robe lächelnd ihre Gäste empfangen, verrät nichts mehr die Haremsvergangsnheit, die hinter ihnen liegt. Lin verhängnisvoller Irrtum. S Durch eine unglückliche Verwechselung hat einer der bekanntesten New Parker, der Theater direktor Charles Guthringer, sein Leben ver loren. Er kehrte svät abends nach Hause zu rück. Guthringer war ein sehr enthaltsamer Mensch und der Gedanke, daß er vielleicht an diesem Abend unter Einwirkung von Alkohol gestanden habe, kommt nicht in Betracht. Eine seltsame Verkettung unglücklicher Zufälle be stimmte sein Schicksal. Die Bewohner des Hauses waren alle erregt und nervös, weil in den letzten Tagen in der Nachbarschaft zahl reiche Einbrüche verübt worden waren.- viele der Mieter schliefen nur noch mit dem Revolver unter dem Kopfkissen und waren jederzeit ge wärtig, in mitternächtiger Stunde plötzlich in ihrer Wohnung einem fremden EindriNaling gegenübertreten zu müssen. Guthringer wohnte in der fünften Etage. Er irrte sich in der Zahl der Treppen und blieb im vierten Stock stehen in der Meinung, seine Wvbnnnostür vor sich zu haben. Unglücklicherweise paßte sein Schlüssel zu dem Schlosse der fremden Wohnung und Guthringer betrat das Zimmer eines gewissen Allen. Ein neben dem Bett liegender Hund bx. gann zu bellen. Allen erwachte und rief: „Wer da? Antwort oder ich schieße!" Guthringer VE sehr schwerhörig, fast taub: er hörte den Ruf nicht und begann in aller Gemütsruhe ein Streichholz zu entzünden. In diesem Augenblick krachte auch schon der Schuß und durch das Herz getroffen, stürzte der Direktor zu Boden. Al? wenige Minuten später seine Frau, die ein Stockwerk böher sein« Rückkehr erwartet hatte, herbeigeeilt war, fand sie nur den bereits leblosen Körper ihres Gatten. Allen wurde sofort verhaftet, obgleich ihn offenbar ein Verschulden kaum trifft. Die Polizei hat im Hause Nachforschungen angestellt, die ergaben, daß alle Wohnungsschlösser des ganzen Hauses genau das gleiche Schloß haben, sodaß man mit demselben Schlüssel sämtliche Wohnungen des Hauses öffnen konnte. Gemeinnütziges. G Granitfuhböden reibt man nach dem Fegen mit Leinöl ein und poliert sie mit weichen Wollappsn blank. O Um Fensterscheiben bei kaltem Wetter vor dem Beschlagen zu schützen, reibe man sie leicht mit verdünntem Glyzerin ein. S Um d§s Knarren der Stiefel z« verhüten, reibe man die Sohlen öfter mit Leinöl ein. Kuntes Allerlei. DL Allerlei Wissenswertes. Präsident Taft gehört einem Bunde, an, der nur aus hervorragenden „Williams" besteht. — Die verstorbene Königin Viktoria führte von frühester Jugend an ein Tagebuch, das bei ihrem Tode über hundert Bände einnahm. — Königin Maud von Norwegen gilt als eine vorzügliche Springerin. — Im letzten Jahre hat der Kaiser auf Korfu vier Pfund zugenommen. — aus dem Leibe reißen, um es zu zertreten; dann soll man mit der brennenden Wunde in einem Kerker Jahre, lange Jabre hinsiechen, ver zweifeln! — Man könnte Wahnsinnigwerden!" Sie preßte beide Hände gegen den Kopf, >n dem es brauste wie bei einem Wettersturm auf dem Ozean. Langsam mit müden Schritten kam der Iustizrat aus seiner Ecke hervor und legte seine Hand auf ihre Schuller: „Gabriele!" Keine Antwort. „Gabriele, Verzeihemir!" — Sie seufzte. — „Was willst du tun?" „Was ich muß!" „Sei stark, mein Kind, und Gott schütze dich! — Ich gehe jetzt, Gabriele!" „Gute Nacht, Papa!" Gute Nacht! Wie grausam ironisch doch oft solche angewöhnten Redensarten sein können. Eine gute Nacht nach diesem Abend! Warum sagte er nicht auch: „Schlafe wohl I" Beinahe hätte er es getan. Er beugte sich schon nieder, Um seine Tochter auf die Stirne zu küssen, da sah er ihr ins Auge und wandte sich ab. Er wagte es doch nicht, sein Opfer mit dem Munde zu berühren, der soeben erst es zum Unglück verdammt hatte. Leise schlich er sich hinaus. „Feigling!" schalt er sich und reckte sich auf; aber gleich ließ er sein Haupt wieder sinken. Der Feigling in ihm hatte doch die Übermacht. Ja, feige war er, daß er die Folgen seiner Schuld nicht allein tragen wollte; feige, daß er nicht für seine Tochter den Weg zum Glücke frei machte, durch »inen Schritt — er schauderte, wenn er an diesen dachte. Er klammerte sich an dieses i Leben, aus Selbstsucht, weil er sein Kind nicht lassen wollte; lieber es unglücklich, als gar nicht sehen! Er wird kommen, hatte der Justizrat gesagt, und er kam. Schon am nächsten Taae — man darf ja einem gehetzten Wilde keine Ruhe gönnen, sonst könnte es entwischen. Mit kühler Rube betrachtete Graf Fervall das schöne Mädchen, das so leichenhaft blaß anssah, nur in den Augen zuckte und loderte es, wie Leucht feuer in einer Gewitternacht. „Mein Nater hat mir mitgeteilt, aus welchem Grunde er Ihre Werbung zulassen mußte." „In der Tat? Er behelligte Sie damit?" „Ich hatte ein Recht darauf, zu wissen, weshalb ich gezwungen werden soll, mich zu opfern." „O, mein Fräulein, opfern ? Welch tragischer Ausdruck!" „Ich bitte Sie, Herr Graf, spotten Sie meiner nicht. — Warum verlangen Sie meine Hand?" „Warum? Weil Sie mir gefallen, mein Fräulein, und was mir gefällt, das will ich auch besitzen. Wenn ich mich kürzer find poetisch ausdrücken soll, so heißt das: ich liebe Sie." „Das ist nicht wahr!" „Sie sagen dies so bestimmt, als ob Sie in den Herzen lesen könnten. — Eine Kunst, die ich nicht verstehe." „Allerdings, sonst müßten Sie wissen, daß ich Sie nicht liebe." „Vielleicht in diesem Augenblicke sogar hassen?" Schon schwebte ihr ein zürnendes „Ja!" auf den Lippen, doch sie bezwang sich. Sie wollte ihn nicht erbittern, solange sie noch auf die Wirkung einer Bitte hoffte. „Herr Gral, wenn ich Sie nun recht herz lich, inständig bitte, daß Sie auf meine Hand verzichten, — ich will es Ihnen ewig danken!" „Ihr Herr Papa hat das gleiche Ansinnen an mich gestellt, ich mußte es leider ablehnen. Ein fervall weicht nicht zurück!" „Warum wollen Sie mich elend machen?" „Das sind übertriebene Ansichten, die sich mit der Zeit ändern werden. — Als Gräfin Fervall ist man nicht elend." „Als Gräfin!" wiederholte sie in unsäglich bitterem Tone. „Und als Weib?" „Vergessen Sie nicht, mein Fräulein, daß ich Sie liebe!" „Entweihen Sie dieses Wort nicht!" „Wie es beliebt, mein Fräulein!" „Können Sie denn selbst den Wunsch nach einem Leben hegen, wie es sich unter diesen Verhältnissen gestalten muß?" „Weshalb nicht? — Sie sind eine ver ständige junge Dame; ich schätze diese Eigen schaft an Ihnen besonders, und werden sich eben mit den Verhältnissen absinden. — Ich verlange ja vorläufig nicht mehr, als man eben von seiner Gemahlin zu fordern berechtigt ist. Mein Recht werden Sie respektieren, die Rücksichten, die mein Name und Stand er fordern, üben " „Wenn ich es aber nicht tue?" Er lächelte. „Sie werden es tun, mein Fräulein. — Sie sind nicht nur verständig, son- , dern auch stolz. — Und Stolz bewahrt Frauen ' vor Schwäche und Torheiten." „Sie vergessen, Herr Graß daß nicht nur ! Liebe, sonderst auch Haß stärker sein kann als aller Stolz." Seine höhnische Miene brachte sie um alle Fassung. Aufspringend ries sie ihm zu: „Ich will Schande und Schmach auf Ihr Haupt häufen, ich will Sie dreifach elend machen, ich will — ich will " Der Atem versagte ihr, und sie mußte sich auf den Tisch stützen. „Ich will es darauf ankommen lassen, ob Sie später auch noch so sprechen werden. — So macher stolze Wille hat sich schon beugen müssen uud auch Sie werden lernen, die Macht der Verhältnisse anzuerkennen. Leicht ausgesprochen ist ein Wort, doch es in Taten umzusetzen, ist oft gar schwer und übersteigt die Kräfte einer jungen Dame." Gabriele zerrte an ihrem Taschentuche, als wäre dieses die verhaßte Fessel, die sie zer reißen wollte. „Sie beharren also darauf, mich zu zwingen, obwohl Sie jetzt wissen, daß ich Sie jetzt verachte, hasse, — ja hasse — hasse!" Mit einem unverschämten Lächeln schaute er in ihr zuckendes Gesicht. „Mir kommen die Worte ins Gedächtnis, die irgend ein Bühnen held in irgend einem Stücke spricht: „Ward' je in solcher Laun' ein Weib gefreit?" „Ja, ein Schurke spricht es; einer so wie —" „So wie ich! Das wollten Sie wohl sagen, mein Fräulein." «Sw (Fortsetzung folgt.)
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