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2250 Nichtamtlicher Teil. 66, 21. März 1900. schärfung des geltenden Strafrechts in dieser Richtung empfindet. In der Kommission ist von einem Rcgierungsvertrcter mitgeteilt worden, daß man auch in Frankreich, wo man doch in Gewährung von Freiheiten an Littcratur und Kunst wahrhaftig nicht allzu ängstlich ist, mit einer Verschärfung des Strafrechts vorgegangen ist oder Vorgehen will. Ich entnehme aus dieser Mitteilung wenigstens die Beschlüsse des Senats und der Abgeordneten kammer über einen einschlägigen Gesetzentwurf der französischen Regierung; ob das Gesetz jetzt zu stände gekommen ist oder nicht, vermag ich nicht zu sagen — der Herr Staatssekretär des Reichs- Justizamts nickt mir zu, es sei zu stände gekommen. Bis zum Jahre 1897, in welchem die Vorlage gekommen ist, waren in Frankreich nur das Verkaufen, Verbreiten u. s. w. von Abbildungen, Schristen, welche als unzüchtige (obsoeves) erscheinen, mit Strafe bedroht. Nun kam eine Gesetzesvorlage von dem Präsidenten, wonach neben den obscönen Schriften und Bildern auch solche Schriften und Bilder gleichgestellt werden sollten, als deren Charakter der Entwurf bezeichnet: -äs naturs g, sxoitsr L 1a äö- bauobs-. Im französischen Senat wurde beschlossen, statt sxoitsr L In äöbauobs zu setzen -provoqusr ä 1a äsbauobs» — das ist aber ziemlich das Gleiche. Die Kommission der Abgeordnetenkammer ging aber noch weiter als der Senat und nahm statt der Worte -äs vaturs ä provoqusr ä 1a äebaucbs- die Fassung an: -oov- trairsb aux bonvss wosurs- — also die gegen die guten Sitten gehenden Schriften und Bilder sollten gleichfalls getroffen werden. Ja, wenn wir das beschlossen hätten, dann wollte ich mal die Herren von der Linken hören, was die dagegen sagen würden. (Sehr gut! — Ach! links.) Es hat heute unter großem Beifall der Linken einer der Herren Vorredner gesagt, ein Kaiserlich österreichischer Staatsanwalt habe sich gegen die Isx Heinze erklärt. Das mag ja sein; Leute solcher Geschmacksrichtung giebt es ja überall; wir brauchen da gar nicht nach Wien zu gehen, die giebt es bei uns auch. (Große Heiterkeit.) Sie brauchen nicht mal aus dem Saal herauszugehen, um solche Leute zu finden. (Erneute große Heiterkeit). Die österreichische Regierung ist aber anderer Meinung gewesen; sie hat in einem der neuen Entwürfe des österreichischen Straf gesetzbuchs unter anderem eine Strafbestimmung (Z 415) vor geschlagen, die gegen -öffentliche Inschriften oder öffentlich aus gestellte Gegenstände, welche den Anstand oder die Schicklichkeit verletzen- gerichtet ist. Ja, wie weit geht das erst! Ferner existiert der Entwurf eines Strafgesetzbuchs für Nor wegen, welcher auf Grund einer Königlichen Entschließung vom 14. November 1885 ausgcarbeitet worden ist und seit 1896 ab geschlossen vorliegt. In diesem allermodcrnsten Strafgesetzbuch- Entwurf finden sich folgende Strafvorschriften unter den -Ueber- tretungcn wider die Sittlichkeit- vorgeschlagen: § 376. Wer an öffentlichen Orten durch mündliche oder schriftliche Aeußerungcn, durch Vorweisungen, Abbildungen, anstößige Entblößungen oder sonstiges anstößiges Verhalten den An stand verletzt oder gar zu einer solchen Verletzung mitwirkt, wird mit Geldstrafe oder Gefängnis bis zu 3 Monaten bestraft. ß 377. Wer öffentlich Gegenstände ausstellt oder vorzeigt, deren öffentliche Ausstellung oder Vorweisung wegen ihrer Be stimmung für den Anstand anstößig ist, wird mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu 3 Monaten bestraft. In gleicher Weise wird bestraft, wer durch öffentliche Be kanntmachung dem Publikum solche Gegenstände anbietet. Also eine Reihe auswärtiger Gesetze geht schon jetzt erheblich weiter als unsere Beschlüsse zweiter Lesung, und eine Reihe Gesetz entwürfe aus neuester Zeit will weiter gehen, weil man in anderen Staaten auch schlimme Erfahrungen mit der Unzulänglichkeit der älteren Strasvorschriften gemacht hat. Auch noch aus einem anderen Grunde muß ich mich darüber wundern, daß heute so sehr von der Linken gegen die Vorschläge der Kommission, die Beschlüsse zweiter Lesung, Sturm gelaufen wird. Ich war seiner Zeit in der ersten Kommission, welche über diese Vorlage beratschlagte; die Vorlage hat ja in drei Legislatur perioden drei verschiedene Kommissionen beschäftigt. In jener ersten Kommission schlugen die Ccntrumsmitglieder eine Bestimmung vor, welche jetzt im wesentlichen vom hohen Haus angenommen ist. Sie lautete als 8 184 a: Mit Gefängnis bis zu 3 Monaten und mit Geldstrafe bis zu 300 Mark oder mit einer dieser Strafen wird be straft, wer an öffentlichen Straßen oder Plätzen Schriften, Abbildungen oder Darstellungen ausstellt oder anschlägt, welche durch gröbliche Verletzung des Scham» und Sittlich keitsgefühls Acrgernis zu erregen geeignet sind. Diese Fassung wurde damals — ich erinnere mich noch ganz gut — einer Reihe von Petitionen entnommen, welche von evan gelischen Sittlichkeitsvereinen beim Reichstag eingereicht worden waren, und deren Originale noch bei den Akten über die Isx Heinze sind. Zu diesem Antrag schlug unser damaliger Kollege aus der nationalliberalen Fraktion, vr. Pieschel, die Abänderung vor, statt der Worte: -durch gröbliche Verletzung des Scham- und Sittlichkeitsgefühls Aergcrnis zu erregen geeignet sind- zu setzen -welche darauf gerichtet sind, das Scham- und Sittlichkettsgefühl in gröblicher Weise zu verletzen-. Also der Kollege Pieschel hat damals auch nichts Bedenkliches dahinter gefunden, über den Vorschlag der Regierung hinauszugehen, wo er auch noch andere Anträge in dieser Richtung damals gestellt hat. Noch mehr: von der deutschen Volkspartei beantragte in jener ersten Kommission des Jahres 1893 Herr Haußmann, neben die -unzüchtigen- Schriften und Abbildungen noch die -unflätigen- zu setzen. (Lebhafte Rufe: Hört! hört!) Das war wohl kein guter Ausdruck für die Gesetzessprache, aber der geehrte Herr Kollege hatte gerade keinen anderen Ausdruck gefunden, um dem Bedürfnis einer weitergehenden Straf bestimmung zu genügen. Diese damalige Antragstellung des Herrn Abgeordneten Haußmann hat aber freilich die Presse seiner Partei nicht abgehalten, gegen die freiheitsmörderischen Beschlüsse des Reichstags mit aller Entrüstung zu protestieren. (Heiterkeit.) Recht erstaunt war ich, als ich in den Akten der zweiten Kom mission den Abgeordneten Beckh auf demselben Pfade gefunden hahe. (Große Heiterkeit.) Auf weitere Ausführungen des Herrn Kollegen Beckh und anderer Gegner einzugehen, habe ich im allgemeinen keinen Anlaß. Es ist aber schon von anderer Seite das Nötige gesagt, insbe sondere ist auch schon hervorgehoben worden, daß es keinem Mit glieds der Kommission und keinem Mitgliede des Hauses einfällt, eine Bestimmung zu verlangen, worauf die Darstellung des Nackten als etwas schlechthin Strafbares behandelt werden soll. Nun muß ich wirklich sagen: wenn man die Sache so übertreibt, daß man behauptet, das Höchste ist der Akt — dann würde ja jeder Künstler ein Verbrechen an dem höchsten Ideal des Volkes begehen, wenn er nicht alle Personen, die er malt oder sonst darstellt, völlig nackt vorführen würde. (Sehr gut!) Nur auf eine Aeußerung, die sich durch die gegnerischen Aus führungen immer hindurchzieht, muß ich noch erwidern, auf die grundsätzliche Auffassung, die Herr Kollege Bassermann am Schluffe seiner Ausführungen zum Ausdruck gebracht hat. Er hat erklärt — und etwas weitläufiger ist dieses auch von anderen Herren ge schehen, die denselben Gedanken vertreten —: die Kunst müsse frei sein. Ja, in gewissem Sinne, will ich das auch unterschreiben. (Zurufs links.) — Jawohl, aber die Kunst darf nicht frei sein wollen von den allgemeinen Gesetzen der Sitte und des Rechts. (Sehr richtig! rechts und in der Mitte.) Die -Freiheit- von Sitte und Recht nenne ich nicht mehr Freiheit, sondern das nenne ich -Frechheit-. (Sehr wahr! in der Mitte und rechts.) Man kann den Künstlern und den Beamten so wenig wie anderen Menschenkindern gestatten, sich von allen Gesetzen frei zu erachten und zu thun, als wenn sie an gar kein Gesetz des Rechts und der Moral gebunden wären. (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.) Zu welchen Konsequenzen kommen wir, wenn wir mit dem Satze von der Freiheit der Kunst in jenem Sinne Ernst machen wollten? Vor ein paar Tagen hat es auch eine Debatte im preußischen Abgeordnetenhaus über die Freiheit der Wissenschaft in gewissem Sinne abgesctzt. Dort ist zur Sprache gekommen, daß es auch Herren gebe, welche den Anspruch erheben, die Freiheit der Wissen schaft zu fordern, daß man an den Menschen Experimente mit der Beibringung des Ansteckungsstoffcs der Syphilis ohne deren Wissen und Willen machen dürfe; und gegen diese Behauptung hat sich die sittliche Entrüstung nicht bloß des ganzen Abgeordnetenhauses, sondern der ganzen Welt aufgebäumt, gegen eine solche Anmaßung und ein solches verbrecherisches Treiben, das angeblich namens der Wissenschaft soll erfolgen dürfen! (Sehr wahr! sehr richtig! in der Mitte und rechts.) Ja, meine Herren, wissenschaftliche Freiheit und Freiheit der Kunst: wohin kommen wir, wenn für die Künstler und wissenschaftlichen Forscher die gewöhnliche Moral nicht mehr gelten soll? Und dazu kommen die Politiker, welche von vornherein ihrerseits den Anspruch geltend machen, daß die Politik mit der Moral nichts zu thun habe. (Große Heiterkeit.) Und schließlich kommen noch alle die höheren gesellschaftlichen Kreise