Volltext Seite (XML)
ihre Miene geworden. Armer Leo, dachte er bekümmert, die Wunderblume blüht nicht für Dich, sie gehört in einen an deren Garten. »Na, wir wollen darüber noch nicht weiter reden, mein Kwd," sagte er ruhig, »kommt Zeit, kommt Rath!" Es war zwei Jahre später, als Eva ihre Vergangenheit erfuhr und zum ersten Male den Brief ihrer Mutter las. Was sie dabei empfand, erfuhr selbst ihr väterlicher Freund, der Pfarrer, nicht. Stolz verschloß sie ihre Gefühle im tiefsten Winkel ihres Herzens, doch war dos schöne Antlitz leichen blaß, weil fie sich urplötzlich heimathlos fühlte und ihr die geliebte Insel mit einem Trauerflor umhüllt erschien. Nun erst war ihr das Andenken des Mannes, der den heimath- losen verstoßenen Findling an sein Herz genommen und wie sein Kind gehegt und gehalten hatte, doppelt heilig geworden, wenn auch das Herz ihr brechen wollte vor Kummer und Schmerz. »Man hätte es ihr nicht sagen sollen", murrte Dr. Blinken, »es war grausam, ihr so plötzlich Heimath und Namen zu rauben. Wie könnt Ihr alle Menschen mit gleichem Maß messen? Ich verstehe Dich nicht, mein Sohn Leo!" „Aber, Vater, wenn sie sich verheirathete, müßte die Ge schichte doch ans Tageslicht", erwiderte Leo etwas befangen, „sie mußte es wirklich endlich erfahren." »Na ja, nun hat ja auch keiner ihr mehr zu befehlen, paßt auf, fie sucht sich erster Tage eine Stelle als Erzieherin und fliegt auf und davon." »Daraus kann nichts werden," rief Leo erschrocken, »ich sähe fie lieber todt, als in solcher Sklaverei. Herrgott, Vater, kannst Du Dir Eva als Gouvernante verstellen?" »Weshalb nicht, mein Sohn?" versetzte der alte Herr kaltblüthg, „fie ist eine große Kinderfreundin und würde, wie ich überzeugt bin, als Erzieherin just am rechten Platze sein, zumal dieser Beruf mit ihren Wünschen übereinstimmt." „Ich sage Dir aber, daß ich es nicht dulden werde, Vater!" rief Leo mit einer Heftigkeit, wie sie der Arzt an ihm noch nicht wahrgenommen hatte. „Wie sollte ich das vor dem An denken meines armen todten Freundes verantworten? — Ich müßte vor Scham in die Erde versinken!" Dr. Blinken sah seinem Sohne forschend in das geröthete Gestcht und wandte sich dann mit einem unterdrückenden Seufzer ab. Natürlich liebte Leo die Nixe! — Armer Junge! Es kam, wie der alte erfahrene Arzt es vorausgesehen. Leo reiste nach Dresden, um Eva diesen widersinnigen Gedanken auszureden, fand aber einen Widerstand, den er nicht erwartet hatte. Er beschwor sie bei dem Andenken des verstorbenen Freundes, der diesen Beruf nie gebilligt haben würde, und ent lockte ihr damit nur einen Thränenstrom. „Ich will kein Almosen mehr annehmen," beharrte sie dann ruhig, aber fest, »sparen Eie Ihre Worte, Herr Blinken, das kleine Kapital, das meine unbekannte Mutter mir für die Lebensreise mitgegeben, haben meine Studienjahre aufgezchrt. Bitte, pochen Sie nicht auf Ihre vormundschaftliche Gewalt, ich «erde mich derselben entziehen, da der Pfarrer, mein theurer väterlicher Freund, dessen Name ich trage, mehr Rechte an meinen Gehorsam, meine Liebe besitzt, als Sie, Herr Leo!" Dieser stand rathloS vor dem willensstarken Mädchen, da ihm irgend welche Zwangs-Maßregel fern lag. Er that nun das Unklügste, das er beginnen konnte, — er bot ihr Herz und Hand an. Eva sah ihn mit großen, erstaunten Augen an, sie schüttelte verständnißlos den Kopf, bis sie plötzlich zu Schnee erblaßte, die feinen Lippen zusammenprehte und sich mit einem zornigen Blick von ihm abwandte. »Eva, höre mich an", bat er, „ich liebe Dich von ganzem Herzen, ich gebe Dir eine Heimath, einen Namen, den Du mit Fug und Recht tragen kannst und der keinen schlechten Klang in der Welt besitzt. Erscheint Dir meine ehrliche Werbung so unwürdig, daß Du Dich verächtlich von mir abwendest?" Eie wandte sich langsam, doch blieben ihre Augen gesenkt. »Warum mußten Sie jo zu mir sprechen, Herr Leo?' sagte Sie im leisen, vorwurfsvollen Ton. „Sie wissen doch, daß dem Todten meine Liebe gehört." »Mein liebes Kind," versetzte der Künstler mit einem schmerzlichen Lächeln, „den Todten bewahrt mau ein liebevolles Gedenken, man flicht ihnen Kränze der Erinnerung und weiht ihnen im Herzen ein stilles heiliges Plätzchen. Aber man darf einem Todten nicht sein blühendes Leben opfern, nicht das Glück, das Gott uns dorbeut. Unser todter Freund würde ein solch nutzloses Opfer nicht annehmen." »Sie sind sein Freund nie gewesen, sonst würden Sie so nicht zu mir reden," rief Eva, leidenschaftlich erregt. „Wie? ihn sollte ich vergessen und einem anderen Manne angehören, ihn, dessen vergossenes Blut noch ungesühnt zum Himmel schreit?" — O, Herr Leo, reden Sie nie wieder solche Worte zu mir, Worte, die der Tobte nicht hören darf. Ihm werde ich treu bleiben, denn ihm allein gehört mein Herz!" Sie zog das Medaillon mit seinem Bild hervor, öffnete es und küßte es zärtlich mit überströmenden Augen. Leo Blinken betrachtete sie regungslos, alles Blut war ihm aus dem Antlitz entwichen und ein heißes Neidgefühl stieg ihm im Herzen empor. So hatte sie Walter geliebt, so liebte sie noch den Todten; war dieser nicht glücklich zu preisen? Stumm wandte er sich von ihr und erfüllte dann ihren Willen, indem er an Sir Edward Ashton in London schrieb, um diesen zu bitten, für Eva Helbach eine Stellung als Er zieherin in einem vornehmen, aber auch zugleich vorurtheilslosen Hause der englischen Gesellschaft zu vermitteln. So war Eva auf Sir Edwards Empfehlung hin zu Lord Brookhurst gekommen. 11. In Brompton, jenem Viertel des Westend, wo sich neben reichen Civilherren, sowie Rechtsanwälten, Aerzten und sonstigen bürgerlichen Gentlemen, die zwar einen bestimmten Erwerbszwcig betreiben, doch zur gebildeten Gesellschaft gehören und mehr oder weniger ein Haus machen, auch manche Schein-Existenz des niederen Adels angestedelt hat, stand in einer der einsamsten Gegenden, von einem großen, baumreichen Garten umgeben, ein ziemlich umfangreiches Gebäude, an dessen eisernem Gitter- thor, das den Garten, der außerdem mit einer hohen Mauer umgeben war, von der Außenwelt trennte, mit goldenen Lettern die Inschrift: »Heil-Anstalt für Nervenkranke beiderlei Ge schlechts" sich befand. DeS Direktors Name „Dr. Avams" stand darunter auf einer kleinen weißen Platte. Dieser Doktor Adams besaß, obwohl er ein Deutscher sein sollte, einen bedeutenden Ruf als Nerven-Arzt, seine An stalt war in den meisten Fällen überfüllt, so daß es als eine Gunst betrachtet werden konnte, von ihm ausgenommen, be ziehungsweise behandelt zu werden. Seine Kollegen munkelten freilich mancherlei, was ihm just nicht zur Ehre gereichte, zum Exempel, daß sich unter seinen Patienten auch Gesunde befinden sollten, die unter dem Schilde eines Nervenkranken von habsüchtigen Verwanden seiner Heil- Anstalt übergeben worden waren und ihm große Honnoare ein gebracht haben sollten. Es mochten aber auch Neid und Miß gunst seien, die diese Gerüchte erfunden hatten, um den würdi gen Direktor bei seinen Nebenmenschen in Verruf zu bringen. Soviel stand jedenfalls fest, daß die Kranken sich weder über Behandlung noch Verpflegung zu beklagen hatten, daß sie ohne Ausnahme eine große Anhänglichkeit für Dr. Adams besaßen und es ihnen an Zerstreuung aller Art niemals mangelte. Er hatte auch solche Patienten m seiner Anstalt, die als eine Art Pensionäre betrachtet wurden, da sic niemals den Wunsch äußer ten in die Welt zurückzukehren, sondern sich hier froh und glück- lich fühlten. Der Direktor war ein kluger Arzt und ein noch klügerer Geschäftsmann, der sich nach allen Seiten den Rücken frei zu halten und sich beliebt zu machen verstand. Das sicherte «hm den Erfolg. An einem nebeligen Nooembertage zog ein Mann mit einem alten Ulster, den ihm irgend ein Wohlthäter geschenkt haben mochte, bekleitet, die Klingel an dem Gitterthor der eben beschriebenen Anstalt. Er mußte ziemlich lange warten, bevor ihm geöffnet wurde, wie es überhaupt Brauch hier war. Endlich kam der Pförtner, ein ältlicher Mann in grauer Livree mit einem rothenGesicht,das wie eine glühende,BombeauSsah. „He, guter Freund," rief der Draußenstehende mit heiserer Stimme, „glaubt Ihr vielleicht, daß es ein Vergnügen ist, in diesem schädlichen Nebel zu warten? — Ihr kommt ja mit der Schneckenpost." „Gemach, man fällt hier nicht mit der Thür in's Haus," erwiderte der Pförtner, noch immer nicht öffnend. »Wer seid Ihr? Was ist Euer Begehr?" »Ach, alter Samson, ich kenne Euch recht gut, Euer Voll mondgesicht leuchtet so hell durch den Nebel —" „Haltet den Schnabel," fiel der Pförtner ihm zornig in's Wort, »sagt wer Ihr seid oder bleibt draußen." »Meldet Eurem Herrn, daß ein Arzt ihn zu sprechen wünscht," sprach der Mann im Ulster jetzt rasch, »sagt nur wegen Numero Sieben, aber laßt mich doch wenigstens unter Dach und Fach treten, der vermaledeite Nebel macht einen ja lungenkrank." (Fortsetzung folgt.)