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No. 50. PAPIER-ZEITUNG. 1483 Mitscherlich-Prozess. (Schluss zu Nr. 49.) Abschnitt II. Nachdem ich im vorstehenden Abschnitt I glaube dargethan zu haben, was das Wesentliche des Mitscherlich’schen Verfahrens ist, und ebenfalls glaube, gezeigt zu haben, dass es möglich ist, ohne Kenntniss von Mitscherlich’s Geheimbuch oder von seinen speziellen Anleitungen zu haben, eine Sulfit-Cellulose-Fabrik anzulegen, möchte ich auf die einzelnen Punkte eingehen, welche in dem Schreiben des I. Civil-Senats des gemeinschaftlichen Oberlandesgerichts in Jena aufgestellt sind. I. Behauptung a des Klägers, »dass das von dem Beklagten in seiner Sulfitcellulose-Fabrik zu Schwarza betriebene Verfahren zur Bereitung von Cellulose aus Holz in den wesentlichen Punkten, insbesondere im Grundprinzip, in den Ein richtungen und der Betriebsmethode, mit dem in der Patentschrift 4179 beschriebenen und in der als Manuskript gedruckten Geheimschrift » Mitscherlich’s Cellulose-Verfahren, Fabrikeinrichtung und Fabrikation« ausführlicher dargelegten Verfahren vollständig — bezüglich in welchen wesentlichen Punkten und in welchem nicht? — übereinstimmt.« Antwort auf diese Behauptung a des Klägers (und zugleich auf die Behauptung b des Beklagten): Das von dem Beklagten in Schwarza betriebene Verfahren zur Be reitung von Cellulose aus Holz ist im »Grundprinzip« identisch mit dem Mitscherlich’schen, denn es wirkt bei demselben eine schweflig saure Lösung von schwefligsaurem Kalk bei Temperaturen von ober halb 108° C. auf Holz ein. In den Einrichtungen sind üebereinstimmungen und Verschieden heiten vorhanden. A. Uebereinstimmungen sind vorhanden: a. Im Sägen des Holzes in Scheiben. b. In dem Umstande, dass die schweflige Säure gekühlt wird. c. In dem Umstande, dass die Kocher mit Blei und in Cement ge mauerten Steinen ausgekleidet sind. d. In dem Material der Heizrohren, welche von Antimonblei sind. e. In den Armaturen (Thermometer, Probirhahn usw.), welche grosse Aehnlichkeit mit den von Mitscherlich beschriebenen haben. f. In der Stärke der Sulfitlösung. (Herr Wolff zeigte mir Sulfitlösung, welche an Wolff's Aräometer 5,2° Baume — die Temperatur wurde hierbei nicht bestimmt — besass.) g. In der Temperatur der Kocher, indem, wie mir gesagt wurde, die Hitze zuerst auf 100°, dann auf 115° C oder mehr, — ich erinnere mich der Zahl nicht mehr ganz genau — gebracht wird; hierbei sollen die 3,5 bis 3,8 Atmosphären Ueberdruck sein. B. Verschiedenheiten sind vorhanden: a. Die schweflige Säure und die Sulfitflüssigkeit werden nicht nach Mitscherlich’s, sondern nach Franck’s Verfahren hergestellt. Schwefel wird durch eingeblasene Luft verbrannt, die Gase werden dann gekühlt, wobei sich Schwefel abscheidet, und nicht in einen Thurm mit kohlen saurem Kalk, sondern in Bottiche mit Kalkmilch und Wasser eingeleitet, bis die Lösung stark genug ist. Die Prozesse sind also ganz verschieden, da Mitscherlich einen Thurm mit kohlensaurem Kalk, Wolff dagegen einen Bottich mit ge branntem, also ätzendem Kalk anwendet, wobei keine Kohlensäure ent weicht. b. Verschiedenheit zeigte die Einrichtung und der Betrieb der Kocher. 1. Die Kocher sind stehend, während die Kocher, welche Mitscher lich im Geheimbuch besonders empfiehlt, liegend sind. 2. Die Kocher sind (unter den Steinen) nicht mit Theerpech und dann dünner Bleifolie ausgekleidet, sondern nach Angabe von Herrn Wolff (da der Kocher ganz ausgemauert war, hatte ich keine Gelegen heit, den Bleibelag der obern eigentlichen Wandungen des Kochers zu sehen. In der Nähe des untern Mannloches war eine von Steinen ent blösste Stelle, an welcher dickes Bleiblech sich befand) mit 4—5 mm dickem Bleiblech, welches überall rollen weise verlöthet ist, ausgekleidet; zwischen Blei und Eisen ist überall, wo Fugen und Zusammenstösse sind, Cement eingefügt. Die Steine sind von gewöhnlicher Form, ohne Mitscherlich’sche Nuth und Decken in 2 Lagen in Cement aufgemauert. Die Kessel-Auskleidung besitzt Aehnlichkeit mit derjenigen von Ritter- Kellner, nur ist zu der Blei-Auskleidung noch die Ausfütterung mit Steinen gekommen, und zwar fast diejenige von Mitscherlich, so dass die Auskleidung des Kochers in der Mitte zwischen der (in Deutschland nicht patentirten) Auskleidung nach Ritter-Kellner und der Auskleidung nach Mitscherlich liegt. 3. An Heizrohren sind 5 anstatt 4 vorhanden, sie treten 1—11/ m oberhalb der Boden der Kocher von der Seite ein und liegen in Win dungen am Boden der Kocher, sie differiren also von den im Geheim buch beschriebenen auf und abgebogenen Röhren; sie treten dann aus in die Kondenstöpfe (wenn ich nicht irre, sind deren 5 vorhanden), welche nur Wasser, nicht Dampf austreten lassen. Luftventile, welche sich nach innen öffnen und im Geheimbuche sich nicht finden, sind an den Röhren angebracht. 4. Die Einführung der Röhren geschieht anders als bei Mitscher lich, indem das innere Bleirohr nicht nach aussen hindurchgeht, sondern nur innen durch eine festgeschraubte Flansche an einem Röhren- Zwischenstück aus Phosphorbronce befestigt wird, welches an die durch bohrte Kessel wandung und eine äussere, das Zuführungsrohr aus Eisen haltende Flansche angeschraubt ist. 5. Es ist nicht ein Quecksilber - Manometer, sondern ein Feder- Manometer angebracht. c. Das anfängliche Dämpfen (mit reinem Dampf ohne schweflige Säure) geschieht nach Angabe von Herrn Wolff (ich konnte mich hier von nicht persönlich überzeugen) bis zu einem Drucke von 4/5 Atmo sphären Ueberdruck, während Mitscherlich den Ueberdruck verbietet (siehe Seite 30 des Geheimbuches). d. Die Beendigung des Kochens wird nicht nach Mitscherlich durch Beobachtung einer mehr oder weniger grossen Füllung einer heraus gelassenen Flüssigkeitsprobe mit Ammoniak, sondern nach Franck durch Titriren mit Jodlösung und mit Natronlauge gefunden. e. Nach beendigter Kochung wird die schweflige Säure in das Reservoir für die Sulfitlauge und nicht in den Mitscherlich’schen Thurm geleitet, da letzterer nicht vorhanden ist. f. Das erweichte Holz oder die rohe Cellulose wird nicht nach Mitscherlich gestampft, sondern in dem Dietz’schen Separator, einem Hohlraum, in welchem eine mit Holzstöcken besetzte Welle sich schnell dreht, in wirklich getheilte Cellulose und hart gebliebene Stücke getrennt. g. Die Verwandlung der Cellulose in versendbare Waare geschieht nicht in Mitscherlich’s Entwässerungscylinder, welcher Cellulosebrocken liefert, sondern nach Passirung von langen Rinnen mit Sand- und Knotenfängern auf einer Pappmaschine, wie sie allgemein in Papier fabriken in Gebrauch sind. B.esume der Antwort auf die Behauptung a des Klägers und a des Beklagten: Aus dem Obigen ergiebt sich als Zusammenfassung, dass in der Fabrik des Herrn Wolff von Apparaten und Operationen des Mitscher lich’schen Verfahrens äusser dem Grundprinzip, welches in allen Sulfit- Cellulose-Fabriken dasselbe ist, einige Einrichtungen und Apparate den im Mitscherlich’schen Geheimbuche beschriebenen ähnlich sind oder mit ihnen übereinstimmen, andere dagegen ganz verschieden sind. Von Aehnlichkeiten und Uebereinstimmungen kommen nach meiner Ansicht als wesentlich nur die Einrichtung und der Betrieb der Kocher in Betracht, welche ähnlich den Mitscherlich’schen sind, aber doch einige Verschiedenheiten zeigen, höchstens könnte man anführen, dass in Schwarza das Holz in Scheiben, also der in dem Geheimbuch angegebenen Form, verarbeitet wird. Die Ausmauerung der Kocher mit Stein und Cement auf einer Blei unterlage, die Anwendung von Röhren aus Hartblei, die Behandlung des Holzes mit Sulfitflüssigkeit von ähnlicher Beschaffenheit und bei ähnlichen Temperaturen, wie sie nach Mitscherlich benutzt werden, sind Aehnlichkeiten. Der Ersatz der sehr dünnen Bleifolie durch dickeres zusammengelöthetes Bleiblech, die Nichtanwendung von Theerpech und der Ersatz desselben durch Cement, die andere Anordnung der Blei röhren sind Verschiedenheiten. (Ferner differirt die stehende Anordnung der Kocher mit der früher von Mitscherlich bevorzugten liegenden Anordnung.) Die Auskleidung des Kochers des Beklagten kann als eine Kom bination der Ritter-Kellner’schen und der Mitscherlich’schen Auskleidung betrachtet werden. Von den übrigen Mitscherlich’schen Einrichtungen, dem Thurm, dem Stampfwerk, dem Entwässerungscylinder, ist nichts vorhanden, und die Bereitung der Sulfitlauge geschieht anders als nach Mitscherlich. Behauptung b des Klägers: » dass Beklagter, welcher alle einzelnen Kenntnisse über Einrichtung und Betrieb der in der erwähnten Geheimschrift beschriebenen Mitscherlich’schen Cellulosefabrikation vom Kläger erworben hat, alle diese Kenntnisse bei Errichtung und Betrieb seiner Cellulosefabrik in Schwarza nothwendigerweise verwerthet hat und unausgesetzt noch verwerthet, und dass er ohne Verwerthung jener Kenntnisse die Fabrik weder erbauen noch betreiben konnte«. Antwort auf die Behauptung b des Klägers und zugleich auf die Behauptung c des Beklagten: Es muss Herrn Wolff sehr leicht geworden sein, seine Fabrik in Schwarza einzurichten und in guten Gang zu bringen, weil er durch das Mitscherlich’sche Verfahren, wie es Herrn Wolff von Herrn Professor Mitscherlich persönlich oder durch seine Abgesandten mitgetheilt worden ist, mit allen Einzelheiten vertraut worden ist. Meines Erachtens hätte aber Herr Wolff mit Hilfe eines tüchtigen Ingenieurs die Fabrikation auch ohne die obigen Erfahrungen auf Grund der 1887 vorhandenen literarischen Nachweise einrichten können. Er hätte jedoch anfangs vielleicht einige Fehlkochungen zu verzeichnen gehabt. Auch dieser erste Fehlerfolg jedoch konnte vermieden werden, wenn Herr Wolff von der betreffenden Maschinenfabrik (Germania in Chemnitz) eingeschult oder mit eingeschulten Leuten versehen wurde. Dies hätte jedoch wahrscheinlich (wie die oben erwähnten ersten Fehl erfolge) Kosten veranlasst, welche jetzt, da Herr Wolff von Prof. Mitscher lich in das Verfahren eingeführt worden ist, erspart sind. Behauptung c des Klägers. »dass und inwiefern das Mitscherlich’sche Cellulose-Verfahren ein nur zum Theil patentirtes, zum grössern und wichtigem Theil aber unter Fabrikgeheimniss gestelltes Verfahren zur Bereitung von Sulfit- Cellulose ist.« Antwort: Ich verweise auf meine im Abschnitt I des Gutachtens gegebenen Aeusserungen. Es bringen in der That die Vorschriften des Geheimbuchs