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Nach Chicago. Ueber die Kosten eines Besuches der Ausstellung sind die widersprechendsten Ansichten verbreitet. Leute, welche die Ver hältnisse drüben kennen, und die auch wissen, dass ein in Amerika noch nicht gereister Deutscher tiefer in den Säckel greifen muss als Einer, der Land und Leute aus Erfahrung kennen gelernt hat, stellen 3000 M. als erforderliche Reisesumme fest. Die be kannte englische Cooke - Gesellschaft dagegen unternimmt fünf wöchige Gesellschaftsreisen für 1500 M. die Person. In Nr. 32 S. 932 der Papier-Zeitung wurde der bezügliche Vortrag eines Herrn Beissbarth abgedruckt, in welchem 1800 bis 2000 M. als auskömmlich bezeichnet wurden. Jetzt geht uns folgende neue Aufstellung zu, die jedoch mit Vorsicht aufzunehmen ist: Die Ozeanfahrt kostet bei Benutzung der 2. Kajüte, Vermeidung von Sekt usw., rund 425 M. oder 100 Dollar. Die Landung erfolgt in Hoboken, wo ein Beamter des Deutschen Quartier-Bureaus »Comfort« Dich in Empfang nimmt, Dein Gepäck durch die Zollstation lancirt und Dich nach dem Hotel Meier, Busch oder Nägeli führt, wo Du ein preis würdiges Unterkommen findest. Am nächsten Tage geht es westwärts nach Chicago! Beköstigt wirst Du auf dem Zuge selbst. In 24 Stunden bringt Dich die »Grand Trunk Railway « nach der Ausstellungsstadt, und wenn Du einen Blitzzug erwischt hast, so dauert Dein fahrender Arrest nur 19 Stunden. Deine Kasse hat inzwischen wieder 40 Dollar eingebüsst. Auf dem Bahnhof erwartet Dich abermals ein Vertreter des Deutschen Quartier-Bureaus »Comfort«, das sich in den Zimmern 1005 und 1006 des Schillergebäudes befindet. Lasse Dich getrost nach dem Schillergebäude bringen, woselbst man in angemessener Weise für Dich Sorge tragen wird. Ist Dir daselbst Deine Quartier-Anweisung be händigt worden, so bist Du eingeschriebener Ausstellungsgast und dann — kann’s losgehen. Du entwirfst einen Feldzugsplan und machst die erfreuliche Ent- deckung, dass die eiffelthurmartigen Preise, von denen Dir ein Unkun diger erzählt hat, nicht die Regel, sondern die Ausnahme sind. Von Deinem Urlaub sind 10 Tage verstrichen, und da Du denselben Zeit raum für die Rückreise brauchst, so bleiben Dir 32 Tage für den Aufenthalt in Chicago. An möblirten Zimmern und Essen und Trinken ist kein Mangel. In der Nähe des Ausstellungsplatzes sind 278 neue Hotels erbaut (von denen einige wieder eingestürzt sind. D. Red.), um Dich und Deine Reisegenossen aufzunehmen. Von diesen Schnellbauten, die zumeist nicht gegen Feuersgefahr versichert sind, weil das Bau material weniger aus Stein, denn aus Holz besteht und die Prämie unerschwinglich sein würde, sind 70 erst am 15. Februar in Angriff genommen worden; jetzt stehen sie fix und fertig da. Wenn Dich der Tumult, der nahe den Ausstellungspforten an der 57. bis 63. Strasse herrscht, nicht stört, dann findest Du hier unter 30 000 Zimmern Aus wahl. Ziehst Du ein ruhiges Leben unter Deutsch-Amerikanern vor, so miethest Du Dich im Nord-Viertel ein, um täglich durch Eisenbahn, Strassenbahn oder Dampfschiff in einem Stündchen nach dem auf der Südseite liegenden Festplatze zu fahren. Bei schlechtem Wetter bleibst Du im Stadtzentrum, trinkst Deine Tasse Mokka oder speisest zu Mittag in dem seiner deutschen Küche wegen bekannten Cafe-Restaurant von E. Pomy & Co. im Schillergebäude, und geniessest dazu die Lektüre der »Illinois Staats-Zeitung«. Am Abend besuchst Du sodann das deutsche Theater, das zu Ehren Schiller’s an der Randolphstrasse er baut wurde, oder bist bei einem deutschen Gesang- oder Turnverein zu Gaste. Draussen im Jackson-Park ist eine Märchenstadt aus der Sumpf gegend erstanden, ein Paradies, wie Du es Dir nicht schöner zu er sinnen vermagst! Ja, ja, im Finanziren sind wir Chicago’er gross! Zuerst gründeten wir eine Aktien-Gesellschaft, welche 10 Dollar-weise 5 500 000 Dollar sammelte. Die Stadt Chicago gab der lokalen » World’s Columbian Exposition« ihren Segen und 5 000 000 Dollar in Bons dazu. Dann pumpten wir den Bundeskongress an. In unserer Be scheidenheit verlangten wir nur 5 000 000 Dollar. Die neidischen New Yorker und andere schlechte Freunde sorgten dafür, dass wir mit 2 500 000 Dollar abgespeist wurden. » Uncle Sam« glaubte uns einen Streich spielen zu können, indem er uns diese 2 500 000 Dollar in unter- werthigen 50 Cents-Stücken mit Columbuskopf auszahlte, aber für jedes der 395/2 Cents erzielten wir 1 Dollar, da das Publikum für derartige Andenken schwärmt. Auf diese Weise erhalten wir schliesslich doch noch die von der Regierung verlangten 5 000 000 Dollar. Aus Dank barkeit räumten wir dem Bundespräsidenten das Recht ein, uns die ganze zivilisirte Welt hierherzuladen und neben unsere »W. C. Exposition« eine »World’s Columbian Commission« zu setzen, der sich dann noch eine Damenbehörde, » Board of Lady Managers «, beigesellte. Wir haben also eine Drillings-Organisation. Die lokale Behörde hatte die Aufgabe, für einen Festplatz, für die Hallen und für das nöthige Geld Sorge zu tragen. Das aus 45 Mitgliedern bestehende Direktorium, an dessen Spitze Präsident H. N. Higinbotham steht, zerfällt in zahlreiche Aus schüsse. Die Beschaffung, Vertheilung und Aufstellung der Schaustücke ist Sache der Nationalbehörde, deren Präsident der ehemalige Senator Thomas Palmer aus Detroit ist. Die Präsidentin der Frauenbehörde ist Frau Bertha Palmer, Gattin eines hiesigen Hotelbesitzers. Der höchste ausführende Beamte ist Generaldirektor Geo R. Davis, dessen Stäb sich aus 15 Departementschefs zusammensetzt. Die Ausführung der Bauten, Garten-Anlagen, Beleuchtung usw. leitet der Bauamts-Chef Burnham, dem auch die columbische Polizei unterthan ist. Kontrollirt werden der Generaldirektor und der Arbeitsdirektor durch den Ver- waltungsrath, »Board of Administration«, der sich aus je zwei Vertretern der Lokal- und Nationalbehörde zusammensetzt. Als wir anfingen, unsere Bau-Rechnungen und unsern Beamten die Gehälter zu bezahlen, ergab sich ein Ausgabeposten von 19 500 000 Dollar. Um die Differenz (wir hatten nur 15 500 000 Dollar) zu decken, wurden bei einer Anzahl von humanen Millionären und grossen Banken sechs prozentige Bons zum Werthe von 4 000 000 Dollar untergebracht. Man sagt uns nach, wir wollten unsere Gäste schröpfen, um unsern Aktionären eine fette Dividende zu retten. Verleumdung! Der Eintrittspreis in die Ausstellung kostet 50 Cents. Diese 50 Cents-Karte berechtigt Dich zum Besuche aller Ausstellungshallen, während die Inhaber von Privat- Ausstellungen, als » Deutsches Dorf «, » Alt - Wien«, »Eskimodorf «, »IrischesDorf«, »Colorado-Höhlenbewohner«, »Hagenbeck’s Menagerie«, »Schweizer Alpenpanorama«, »Chinesisches Theater« usw. von uns die Erlaubniss bekommen haben, Dir in jedem Falle 10 bis 50 Cents extra abzunehmen. Trink wasser aus dem Michigansee geben wir Dir umsonst; für Mineralbrunnen zahlst Du 1 Cent das Glas. Sitzplätze sind zur freien Benutzung. Zu 1500 Toilettezimmern hast Du freien Zugang, bessere Anstalten dieser Gattung erfordern die Zahlung von 5 Cents. An Restaurants zählst Du auf der Ausstellung 150, von denen 125 in den offiziellen Ausstellungshallen eingerichtet sind. »Kneipen« im deutschen Sinne giebt es nicht; um den Schein zu wahren, wird nur beim Essen getrunken. Du musst nämlich wissen, dass unsere amerika nischen Vettern grosse Temperenzler sind. Der 32 tägige Aufenthalt kostet Dich, wenn Du hübsch sparsam bist, nur 160 Dollar: Logis den Tag 1,00 Dollar Frühstück, Mittag- und Abendessen .... 1,50 „ Eintrittsgeld Jackson Park 0,50 „ Zwei Privat-Ausstellungen 0,50 „ Strassenbahn 0,25 „ Taschengeld 1,25 „ Zusammen . . . 5,00 Dollar Diese 5 Dollar-Rate ist jedoch als Minimum zu betrachten. Es wird Dir nicht schwer fallen, den dreifachen Betrag los zu werden. In 32 Tagen sind also 160 Dollar verausgabt. Dazu die beiden Reisen für 280 Dollar — macht zusammen 440 Dollar oder rund 1900 M. Ein Hundert-Markschein ist als Reserve in das Westenfutter zu nähen. Mit hin sind 2000 M. Reisegeld genügend, um die grösste aller Welt-Aus stellungen gründlich kennen zu lernen. Vorstehende Mittheilungen sind einem uns kostenfrei zum Abdruck zugegangenen gedruckten Briet entnommen, dessen Fassung den Eindruck macht, als sei er mehr im Interesse der Deutschen Chicagos und vielleicht der uns unbekannten Quartier- Vereinigung »Comfort« geschrieben, als in dem der Besucher. Wir empfehlen Denen, welche zum ersten Mal nach Amerika gehen und genügend englisch können, um sich verständlich zu machen, die englisch-amerikanischen Gasthöfe, Vergnügungen usw. aufzusuchen, um dadurch auch die Lebensweise der Bevölkerung kennen zu lernen. Man kann das Leben und Treiben sowie den in den Vereinigten Staaten herrschenden Geist nur in den Kreisen der Amerikaner kennen lernen. Wer sich von New York an in die Obhut deutscher Landsleute begiebt (die er überdies nicht kennt), bleibt gewissermaassen in Deutschland und verfehlt einen grossen Theil des Zwecks einer solchen Reise. Gründerprozess in England. Wir berichteten in Nrn. 48 und 64, Jhrg. 1891, über die An klage, welche in England gegen die Gründer der »Hansard Publishing Union, Horatio Bottomley«, den früheren Lord Mayor von London Sir Henry Isaacs und dessen Bruder erhoben wurde. Die Herren hatten die alte gute Verlagsfirma »Hansard Union« in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und mehrere andere Geschäfte, darunter auch eine alte viel ausgebotene Papierfabrik für diese zu theuerm Preise angekauft. Ein Zweiggeschäft sollte auch in Oesterreich errichtet werden, und es waren mit grossen dortigen Häusern des Papierfachs Kauf-Verträge abgeschlossen, auf die auch Anzahlung geleistet sein soll. Bei dem Zusammenbruch der Gesellschaft verloren viele kleine Leute ihre Ersparnisse, und die englische Presse erwartete eine Verurtheilung der erwähnten Unternehmer. Zu allseitiger Verwunderung ist es den Herren Bottomley und Genossen gelungen, eine Freisprechung zu erzielen. Im Parlament fragte der Abgeordnete Bartley, wie » The Papermakers Monthly Journal« vom 15. Mai berichtet, den Minister des Innern, ob er die Entscheidung des Gerichtshofs kenne, wonach es in England kein Gesetz zur Bestrafung eines Direktors giebt, der in schmählicher Weise seine Pflicht verletzt. Von mehreren Seiten wurde auch eine Aenderung der Gesetze vorgeschlagen, welche die Regierung ablehnte, weil sie sich zur Zeit nicht damit be fassen könne. Der General-Staatsanwalt werde indessen die Sache in Ueberlegung ziehen.