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No. 28. PAPIER ZEITUNG. 807 Geschichte und Herstellung des Bleistifts. Nach einem im württembergischen Bezirks- Verein deutscher Ingenieure zu Stuttgart gehaltenen Vortrage des Herrn Emst Faber, Theilhabers der Firma Johann Faber in Nürnberg, Mitgliedes des Vereins Deutscher Ingenieure. Geschichtliches. Zu den interessantesten, in ihren Folgen weittragendsten Er findungen gehört unstreitig diejenige des Bleistifts. Wir können uns kaum eine Vorstellung davon machen, dass man Jahrtausende lang dieses Schreibmittel entbehrte. Wir wären auf fast allen Gebieten wissenschaftlicher, künstlerischer, gewerblicher und ge schäftlicher Thätigkeit in nicht geringer Verlegenheit, wenn der selbe plötzlich aus der Welt verschwände. Nicht bloss als bequemes Schreibmittel überhaupt ist der Bleistift mit unserem Bildungsstande verbunden, er ist auch in vielen Fällen bedingend für unsere Wissenschaft und Kunst geworden. Die Ausdehnung und die allgemeine Einführung des Zeichenunterrichts hängt mit ihm zusammen, und was Kunst, Gewerbe und Technik diesem Unterrricht verdanken, beruht nicht zum geringsten Theil auf der Ausbildung des Bleistifts. Die Bedeutung des Bleistifts für unser Kulturleben wird am besten aus seiner Geschichte klar. Der Stift zum Schreiben in seiner einfachsten Erscheinungsform tritt uns schon bei den Römern entgegen, und zwar in jenem vorn zugespitzten, hinten breitgeschlagenen Griffel oder stilus, mit dem sie in ihre Wachs tafeln Notizen machten, welche später wieder durch Glättung des Wachses mit dem breiteren Ende des Griffels ausgelöscht wurden. Auch die Anwendung des Bleies zu graphischen Diensten, aller dings untergeordnetster Gattung, war ihnen nicht unbekannt. In Form einer runden, am Umfange geschärften Scheibe wurde Blei zum Liniiren von Pergamenten benützt, um möglichst geradlinige und parallele Anordnung der geschriebenen Zeilen zu ermög lichen. Die Bleischeibe wurde praeductor« genannt, auf deutsch »Vorschreiber.« Trotzdem nun der Gedanke ausserordentlich nahe lag, das Blei in Form von Stiften zu giessen, d. h. wirkliche Bleistifte zu machen und dieselben zum Schreiben und Zeichnen zu benützen, ist eine solche Ausnutzung erst viel später versucht worden. Nehmen wir die Zeit Albrecht Dürer’s und insbesondere sein Werk über Zeichenkunst vor, so treffen wir als Zeichenmittel erwähnt: Nadel, Feder, Lindenkohle und Blei. In den ver schiedenen Abbildungen, welche Zeichner darstellen, giebt Dürer diesen stets die Feder in die Hand, wie ja auch seine Hand zeichnungen und Holzschnitte stets deutlich den Federzug tragen. Die Nadel erwähnt Dürer als Werkzeug, perspektivische Be- stimmungspunkteszu machen, Blei und Lindenkohle aber empfiehlt er, um perspektivische Blind- und Hilfslinien zu ziehen. Der Kohle giebt er den Vorzug, weil man sie leichter wegwischen könne. Dass übrigens Blei auch über diesen Zweck hinaus zum Zeichnen von Figuren benutzt wurde, beweisen die noch erhaltenen sogenannten Silberstiftzeichnungen jener Zeit, als deren bekannteste die des jüngeren Holbein erwähnt werden mögen. Auch von Dürer sind solche Silberstiftzeichnungen vorhanden. Wir haben uns unter diesen Stiften eigentliche Bleistifte zu denken; d. h. dünne, lange Bleistäbchen mit oder ohne Einfassung, im Gegensatz zu den späteren und heutigen Bleistiften, die diesen ihren Namen nur einer unwissenschaftlichen Benennung des hier für verwendeten Stoffes verdanken. Auch italienische Maler jener Zeit verwendeten statt der üblichen Kohle zugespitzte Stifte, die Anfangs aus einer Mischung von zwei Theilen Blei und einem Theil Zinn bestanden, welche man schlechtweg lapis piombino oder bei uns in Deutschland Reissblei, Wasserblei, Schreibblei nannte. Der Name Reissblei bezeichnet Blei zum Reissen, d. h. zum Zeichnen. DieZeichnung, der Entwurf, hiess früher bekanntlich allgemein der Riss, welches Wort sich noch in Reisszeug, Grund riss, Aufriss usw. bis auf unsere Zeit erhalten hat. Wenn nun auch für unser jetziges Schreib- und Zeichenmittel die Worte Reiss- oder Wasserblei wegfielen, die falsche Bezeich nung Blei-Stift ist bis auf den heutigen Tag geblieben. Das kommt einfach daher, dass man bei Auffindung des Graphits denselben wegen seiner bleiernen, grauen Farbe, seiner Abfärbe fähigkeit, seines metallischen Glanzes, wenn auch nicht gerade für reines Blei, so doch für stark mit Blei vermischt hielt, indem der Strich desselben auf Papier oder Pergament grau war, und, wenn kräftiger ausgeführt, Metallglanz hatte. Allgemein war diese Ansicht noch bis zum 17. Jahrhundert verbreitet. Man vermuthete in dem Graphit eine Art Bleierz von eigenthümlicher Beschaffen heit, welches nicht so schwer wie dieses und nicht schmelzbar sei. Während italienische Mineralogen erst ums Jahr 1596 unter ihren Bergbau-Erzeugnissen ein neugefundenes Reissblei aufführen, so leiten sich die ersten zuverlässigen Angaben über die Bekannt schaft mit dem Graphit aus Schriftstellern ab, die unzweideutig der Bleistifte erwähnen, welche unmittelbar nach der Auffindung der berühmten Graphitgrube zu Borrowdale in der englischen Grafschaft Cumberland zuerst entdeckt und fabrizirt wurden. Dies war zwischen den Jahren 1540 bis 1560. Als besonderer Vorzug des dort gefundenen Materials wird dessen Brauchbarkeit zum Zeichnen erwähnt. Man nannte dasselbe aber stets noch Wasser- und Reissblei, nur die Italiener benannten es grafio piombino, bis ihm unser berühmter Landsmann, der Mineraloge Abraham Werner, zu Anfang dieses Jahrhunderts den Namen »Graphit« gab. So hatte man bereits Jahrhunderte lang ein Mineral gekannt und gebraucht, ohne zu wissen, was es eigentlich war und welches seine chemischen Bestandtheile waren. Bei dem niederen Stand, auf dem in jener Zeit die Chemie sich befand, war dies allerdings nicht zu verwundern. Jetzt weiss man mit Bestimmtheit, dass der Graphit Kohlenstoff, vermengt mit mehr oder weniger anderen fremden Substanzen, ist. So kam es, dass die äussere Erscheinung allein die volks- thümliche Namengebung veranlasste. Zu den Namen Reissblei, Wasserblei kam später auch noch der Name »Bleiweiss« hinzu. (Siehe »Nürnberger Bleistiftindustrie«, Papier-Zeitung, Jahrgang 1890, Seite 1767.) Ende des 16. Jahrhunders wurde das neu entdeckte Mineral schon vielfach verwendet, und die Italiener verfertigten daraus »Bleiweissstifte«, d. h. es wurden längliche Stäbchen aus dem Graphit herausgeschnitten und mit Holz überzogen. Diese läng lichen Stäbchen kamen dann unter dem Namen Bleistifte zu uns nach Deutschland herüber. Sicher ist, dass die italienischen Künstler wesentlich zur Anwendung und Aufnahme dieser Blei stifte beitrugen. Dass zu Ende des 16. Jahrhunderts zum ersten Male , auch derartige Bleistifte in Nürnberg angefertigt wurden, ist erwiesen. Leider konnten wir bis jetzt aber keine genaueren Daten erfahren; es heisst nur einmal in einem Werke des Italieners Cesalpinus (1596) unter Anderem: »Das Wasserblei ist entweder feines oder gemeines. Die feine Sorte muss leicht, glänzend und gleichsam versilbert, in mittelmässigen Stücken leicht zu zerschneiden sein. Denn das jenige Wasserblei, woraus das längliche Reissblei oder die „Blei weissstangen“ geschnitten werden, wird von Baumeistern, Malern u. A. sehr gesucht. Das feine Bleiweiss kommt gemeiniglich aus England, das gemeine hingegen überschicken grösstentheils die Holländer in andere Länder, welches doch die Nürnberger stark nachkünsteln!« Ich hebe den Ausdruck Bleiweissstangen besonders hervor, weil damit nicht nur das Reissblei und Wasserblei häufig be zeichnet ward, sondern man nannte auch die Bleistiftmacher »Bleiweissschneider.« Diese Benennung der Arbeiter erhielt sich ausserordentlich lange. Ich erinnere mich noch sehr gut aus meiner Kindheit, dass die Leute meiner grossväterlichen Fabrik in Stein »Bleiweissschneider« hiessen. Allerdings hatte das Wort zu jener Zeit immer einen spöttischen Klang; es wurde zuletzt ein Spitzname, und nach und nach wandelte sich der Bleiweissschneider in den Bleistiftarbeiter um. Wie schon erwähnt, ist die älteste Graphitmine die in Borrow dale, Cumberland. Sie brachte, nachdem man über die Eigen schaften des Graphits klar wurde, eine vollständige Umwälzung in die Bleistiftmacherei. Vor etwa hundert Jahren fanden bei der Ge winnung dieses werthvollen Minerals häufig in England Räubereien statt, sodass viele in der Nachbarschaft lebende Personen allein durch den Graphitraub reich 'geworden sein sollen. Einmal machte eine Anzahl Bergleute einen regelrechten Angriff auf die Grube, überrumpelte die aufgestellten Wachen und nahm geraume Zeit Besitz von derselben. Schliesslich vertrieb eine Abtheilung Soldaten die Räuberbande. Die Grube wurde zufolge behördlicher Vorschrift jährlich bloss sechs Wochen geöffnet, und dennoch belief sich der Werth des in so kurzer Zeit gewonnenen Graphits jedesmal auf 30 bis 40000 Lstr. gleich 600000 M. bis 800000 M. Der Graphit wurde in starke eiserne Kisten gepackt, nach London geschafft und in Auktionen verkauft, das Kilo durchschnittlich zu 16 Lstr. oder 320 M. Von welcher Bedeutung diese Grube und die damit ver bundene Bleistiftfabrikation für England war, beweist die That- Sache, dass es die englische Regierung seiner Zeit für nothwendig hielt, die Ausfuhr von Graphit in einer anderen Form als der von Bleistiften aufs Strengste zu verbieten. Trotzdem blieb es