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Lumpenhandel. London, Mai 1893. Es giebt fast keinen Geschäftszweig, der in den letzten Jahren so grossen Schwankungen ausgesetzt war, wie der Lumpenhandel. Mit dem sich unausgesetzt mehrenden Bedarf, zeitweiligen Aus- und Einfuhr-Verboten und andern hemmenden Umständen musste ein Mangel an diesen Stoffen eintreten, sodass man immer mehr auf Ersatz durch Surrogate denken musste, die man in Esparto, Stroh und Holz gefunden zu haben glaubte. England, bisher das Emporium des Lumpenhandels, ist durch diese Schwankungen weniger berührt als andere Länder, da hier mehr als anderswo grobe Papiere für Druck und Ver packung usw. fabrizirt werden, wozu diese Ersatzstoffe gut verwend bar sind. Ausserdem hat es die Ungeheuern Abfälle zur Verfügung, die ihm seine ausgebreitete Textil-Industrie bietet. Deren jährlicher Verbrauch von Baumwolle erreicht 825 000 tons, von Flachs und Hanf ungefähr 180 000 tons, ungerechnet Jute, obgleich die Ein fuhr der letzteren sich seit einiger Zeit bedeutend und im letzten Jahre sogar um etwa 100 000 tons vermindert hat. Es ist daher leicht zu ermessen, welche ungeheuere Rohstoff-Mengen diese Industrie für die Papierfabrikation liefern kann. Anders steht es mit solchen Ländern, die vorzugsweise feine Papiere (? D. Red.) anfertigen, wie Italien, Holland und Frankreich, und dazu unbedingt Lumpen haben müssen. Die natürliche Folge davon ist, dass dieselben alles Erzeugte selbst verbrauchen und nur verhältnissmässig wenig exportiren, so dass sich von Jahr zu Jahr die Bezugsquellen dieses Artikels wesentlich ändern. Be trachten wir z. B. die Einfuhr-Ziffern in den Jahren 1855 und 1891. England bezog in tons von Russland 1855 . . 10 1891 Schweden ...... . . 118 — Preussen . . 2729 1 8842 Hansestädten . . 3310 1 Toskanien . . 1331 — Päpstlichen Staaten. . . . . 128 — Oesterreich-Italien . . . . . 376 — Egypten . . 446 — Australien . . 294 229 Andern Ländern .... . . 627 — Kanal-Inseln — 485 Holland — 5297 Belgien . . — 5956 Frankreich — 6630 Türkei — 1858 Dies zeigt, dass trotz Allem die Einfuhr von Lumpen nach England noch immer im Zunehmen ist, wenngleich die Nachweise des Jahres 1892, welche 213 565 tons ergeben, eine kleine Ver minderung zeigen, die jedoch den vorjährigen unglücklichen Ge sundheitsverhältnissen in Norddeutschland zuzuschreiben ist. Ausserdem kann ich nicht unerwähnt lassen, dass das Jahr 1855 mit seinen Ergebnissen kaum als maassgebend angenommen werden kann, da in diesem Jahre durch einen eingetretenen oder nur gefürchteten Ausfall in Lumpen alle Rohstoffe der Papierfabrikation in unerhörter Weise im Preise stiegen. Die amtlichen Einfuhrtabellen für Lumpen in England für die letzten 6 Jahre ergeben in: 1887 . . . . 38 273 1 tons 1888 . . . . 41 459 » 1889 .... 42 443 » 1890 . . . . 34 889 » 1891 . ... 32 937 » 1892 . . . . . 23 032 » In diesen Zahlen sind jedoch nur leinene und baumwollene Lumpen eingeschlossen, ohne anderes Material, wie Taue, Kanevas usw., in Betracht zu ziehen. In denselben 6 Jahren führte England aus: an fremden Lumpen englischen Lumpen zusammen 1887 . . . 18 932 59 199 78 131 1888 . . . 22 037 58 350 80 387 1889 . . . 21 075 58 860 79 935 1890 . . . 18 179 53 885 71 064 1891 . . . 20 723 49 638 70 361 1892 . . . — 57 699 — Der Verbrauch von Lumpen für die Papierfabrikation in allen zivilisirten Ländern der Erde wird auf 530 000 tons jährlich abgeschätzt. Wie bereits erwähnt, haben sich die Zufuhrquellen dieses Artikels wesentlich geändert. England erhält jetzt keine Lumpen mehr von Russland, Oesterreich, Spanien, Nordafrika und Egypten, Marokko, Tunis und Tripolis, von Schweden, Norwegen und Italien. Kaum ein Drittel der früheren Mengen kommt aus Frank reich, und aus Deutschland etwa ein Drittel weniger als vor 6 Jahren. Dagegen hat die Einfuhr von Holland und Belgien bedeutend zugenommen. Auch von Indien nimmt die Ausfuhr von Lumpen immer mehr ab, was um so eigenthümlicher ist, als die Bevölkerung von über 287 Millionen vorzugsweise baumwollene Kleider trägt und die acht jetzt in Betrieb stehenden indischen Papiermühlen vor zugsweise Stroh, Gras und andere pflanzliche Stoffe verwenden. 1890 betrug die Ausfuhr Indiens 116 952 Gentner 1891 „ „95815» 1892 »»» »95005» Die Einfuhr von Garnen und baumwollenen Stoffen nach Indien hat einen jährlichen Werth von 30 000 000 Lstr. 127 Baum wollenfabriken, die ungefähr 118000Leute beschäftigen, ungerechnet 27 Jute- und Hanf-Mühlen mit über 66 000 Arbeitern, sind dort in Betrieb. Man müsste danach annehmen, dass sich das Aus fuhrmaterial vermehren müsste, doch ist das Gegentheil der Fall. Trotz Alledem ist England immer noch der Mittelpunkt des Lumpenhandels. Es bietet auch einen immer mehr steigenden Bezug von Holzstoffen und andern Papierstoffen für den lokalen Verbrauch. Der nächstwichtigeLumpen-Handelsplatz ist New York, welches sich in wenigen Jahren zum überseeischen Mittelpunkt darin emporgeschwungen hat. Die Einfuhr dahin im Jahre 1884 betrug 167 500 000 Pfund, in den nächsten Jahren jedoch stellte sie sich im jährlichen Durchschnitt nur auf 114 000 000 Pfund. 1889 bezog es 152 665 000 Pfund im Werthe von 2 551 000 Dollar, und 1890, in dem letzten Jahre, über welches wir verlässliche Berichte haben, 149 250 000 Pfund im Werthe von 2 530 650 Dollar. Diese Zahlen jedoch, gross wie sie sind, schliessen die Massen von gröberem Papiermaterial, wie Taue, Kanevas und Abfälle aller Art, von denen New York ungeheure Massen verbraucht, nicht ein. Im Jahre 1889 bezog es davon 199 608 Gentner im Geld- werthe von 480 158 Dollar, in 1890 216 990 Gentner für 527 741 Dollar. Die Gesammt-Einfuhr von guten Rohstoffen für Papier aus dem Ausland nach Amerika stellt sich deshalb auf ungefähr 161 000 tons mit einem Geldwerthe von 1887 4 538 719 Dollar 1888 5 460 256 „ 1889 5 927 099 „ 1890 5 259 544 oder im Durchschnitt 1 100 000 Lstr. für 1 Jahr = 22 000 000 M. Wenn wir in Betracht ziehen, welch ungeheuere Lumpenmenge Amerika selbst ergeben muss, so zeigt dies, zu welcher Wichtig keit dieser Geschäftszweig gestiegen ist. Derselbe breitet sich nicht nur in Amerika mehr und mehr aus, sondern in allen zivilisirten Ländern steigt der Bedarf an Lumpen, die trotz aller Ersatzstoffe in der Papierfabrikation nie entbehrt werden können, von Jahr zu Jahr. Es ist zu bedauern, dass in vielen Ländern das Sammeln dieses werthvollen Stoffes nicht mehr systematisch betrieben wird. In Frankreich hat man dies längst eingesehen. Die Chiffoniers von Paris haben sich zu einer geschlossenen Gesellschaft vereinigt, etwa 11 000 Personen sind mit Sortiren usw. beschäftigt, und im Ganzen leben etwa 40 000 Menschen von dem in den Strassen aufgelesenen sogenannten Unrath. Die etwa 3000 italienischen Lumpensammler von New York sind finanziell recht gut gestellt, und Viele derselben machen es möglich, sich nach einigen Jahren mit nicht unbedeutenden Kapitalien nach Italien zurückzuziehen. Rudolph Schlick. Wir drucken vorstehenden Bericht ab, weil er bestimmte Zahlen bringt, obwohl wir die Richtigkeit manches darin Gesagten bezweifeln und Berichtigung von sachverständiger Seite gern aufnehmen werden. D. Red. Es giebt einen Zaun, geflochten aus den Redensarten: Es lässt sich eben nicht machen! — Die Umstände erlauben es nicht! — Es ist der Leute wegen nicht möglich! — Die Verhältnisse sind nicht derart! usw. Vor diesem Zaune bleibt Einer stehen, wenn dahinter die Pflicht ist, und sagt: Ihr seht ja, man kann nicht hinüber. Ist dahinter aber die Lust, so sagt er nichts, sondern — eins, zwei, drei! ist er drüben. Johannes Trojan, »Für gewöhnliche Leute«.