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genau kennt, thut auf alle Fälle besser, seine Hand von solchen Lieferungen zu lassen. Dies haben verschiedene Vertreter der belgischen und französischen Papi er-Industrie erfahren müssen, die mit vorzüglichen Empfehlungsbriefen ins Land kamen, und deren billige Preise von den hohen Beamten mit Frohlocken be- grüsst wurden. Durch den äusseren Schliff und die bündigen Versprechungen der Beamten bestochen, überschrieben die Reisenden oder Leiter der Musterläger ganz beträchtliche Bestellungen und waren, ungeachtet des Achselzuckens ihrer Landsleute, überzeugt, vortreffliche Abschlüsse gemacht zu haben. Als es dann zur Bezahlung kommen sollte, wurden sie von Pontius zu Pilatus geschickt und mit dem berühmten spanisch - amerikanischen »manana«, morgen, vertröstet. Schliesslich verkauften sie ihre Forderungen zum Tageskurs: 34 bis 36 pCt. des Nennwerthes. Der Unterschied in der Werthschätzung der verschiedenen Zahlungsverpflichtungen, die auf den Schultern der mexikanischen Regierung ruhen, ist höchst sonderbar, zuerst geradezu unver ständlich. Die auswärtige, in Deutschland untergebrachte Schuld wird in Europa mit 80 pCt. gehandelt, die innere Schuld, also Forderungen von Lieferanten usw., an der hiesigen Börse mit 36 und Zertifikate für rückständige Beamtengehälter mit 21 pCt. — Nur wer Fühlung mit den begünstigten Palastmaklern hat, darf auf den schnellen und richtigen Eingang seiner Rechnungen hoffen. Diese muss er aber von vornherein dem Landesgebrauch gemäss einrichten und stets aufpassen, ob seine Mittelsperson nicht von ihrer Wichtigkeit einbüsst. Sämmtliche hier ansässigen fremden Kaufleute machen es sich zur Regel, gerade mit Politikern und Beamten, die für offene Köpfe gelten, aber zeitweilig von der Staatskrippe abgedrängt sind, auf gutem Fusse zu stehen. Der Leiter eines der bedeutendsten deutschen Einfuhrhäuser hatte in früheren Jahren laufende Aufträge auf Hunderte von Kisten Schreibpapier, Briefumschläge, Notiz bücher und Fibeln ertheilt, und ich besuchte diesen Herrn in der Hoffnung, die ohne allen Grund plötzlich unterbrochene Geschäfts verbindung wieder aufzunehmen. Er lachte und bedauerte. Als wir ins Gespräch kamen, wies er diese Bestellung auf die zufällige Bekanntschaft eines Arztes zurück, der keine Kranken zu be handeln, aber starken Hunger hatte. Ohne dass der Mexikaner darum gebeten hatte, hatte der Deutsche ihm hundert Thaler ge liehen. Nach mehreren Jahren wurde der Doktor vortragender Rath, dann Minister und schliesslich Statthalter. Die Hundert- Dollar-Note bildete die feste Brücke, über die das Vertrauen des Kreolen schritt; irgendwelche Anerbieten anderer Häuser fanden bei ihm kein Gehör, und alle Aufträge gingen nach Deutschland. Jetzt ist derselbe Mann — leider — Gesandter in einer der grössten Städte des europäischen Festlandes und hat in Mexiko keinen Ein fluss mehr. Dies ist ein Beispiel der grossen Bedeutung des Wortes »simpatico«, das man in jedem Gespräche hört. Derjenige, der sich das Wohlwollen der Hiesigen nicht durch chevalereske Hand lungsweise zu erobern versteht, macht trotz billiger Preise und günstiger Bedingungen kein Geschäft. Ueberlautes Anpreisen, die offenbare Absicht, zu überreden, oder gar durchblickender Neid führen hier nicht zum Ziel. Auch die fremden Kaufleute eignen sich unwillkürlich etwas von dem mexikanischen Charakter an, sie wollen als »Caballeros« behandelt werden. Das bedeutendste Geschäft am hiesigen Platz für Künstler bedarf ist das von Pellandini Hermanos. Die Eigenthümer sind Italiener, die ihre Waare vorzugsweise aus Frankreich beziehen. An gut eingerichteten lithographischen Anstalten ist Mexiko sehr reich. Die grösseren befinden sich in französischen, die Mehr zahl in spanischen und einheimischen Händen. Erstere haben ihre Einkäufer in Paris; letztere versorgen sich mit langem Ziel bei den Importeuren. Was Leistungsfähigkeit und Geschmack betrifft, geniesst C. Montauriol, Calle de Refugio, den ersten, und Jose' L. Revuelta, Arios de Belen, den zweitbesten Ruf. Letztere Firma liefert hauptsächlich Millionen von Umhüllungen für Cigaretten, für Wachskerzen und kleine Chromos, die zur Reklame dienen. Seit die Bahnen den Postverkehr so ungemein erleichtern, über schwemmen die Yankees das ganze Land mit Preisbüchern, Reklame- Kalendern, -Taschenbüchern, -Anhängeschildern und einer Unmasse ähnlicher Artikel, die dem Absatz ihrer Waaren den Weg ebnen sollen. Der Mexikaner hat diese gedruckte buntfarbige Propaganda sofort nachgeahmt. Hierfür brauchbare Papiere, Zuthaten und Vorrichtungen werden noch lange starken Absatz haben. Tapetenpapier wird hauptsächlich durch Droguisten eingeführt. Der Verbrauch ist nicht bedeutend, da die Zimmer des Mittel standes einfach weiss, hellblau oder rosa getüncht und dann mit Schablonen leicht übermalt werden. Erst in den letzten Jahren hat die Wandbekleidung, wie sie in Europa üblich ist, bei den Bau-Unternehmern Anklang gefunden. Die Veranlassung hierzu boten Schleuderverkäufe von Konsignationswaare, deren Eigen thümer des Wartens überdrüssig waren. Neuerdings hat ein be deutendes französisches Papiergeschäft, L. G. Arnaldo, Calle de San Francisco, diesen Artikel aufgenommen und versichert, dass es mit den besten Pariser Firmen grosse Abschlüsse gemacht habe. Zum Schluss möchte ich mir, in Antwort auf so manche Wünsche, die dort mündlich und schriftlich an mich herantraten, erlauben, einige Worte über die Aussichten zu sagen, die der junge, überseelustige Deutsche in Mexiko hat. Lassen wir den technisch gebildeten Handarbeiter voran gehen. Auf »gut Glück«, ohne irgend welchen Anhalt in dieses Land überzusiedeln, ist für ihn mehr als Leichtsinn, trotzdem die Gewerbthätigkeit fast in allen Fächern während der letzten Jahre bedeutenden Aufschwung genommen hat. Auf einen grünen Zweig kommt der Europäer hier nur dann, wenn er Kapital, oder richtiger gesagt, europäischen Kredit hat. Solange der deutsche Techniker oder Arbeiter in ab hängiger Stellung ist, die nur seine Schulung und Arbeitskraft bezahlt, hat er an den französischen und spanischen Basken Kon kurrenten, deren Genügsamkeit er selten gewachsen ist. Fleisch, Geflügel und Gemüse kosten freilich nur die Hälfte der Berliner Markthallenpreise, aber Butter, Speck, Kartoffeln und namentlich Bier sind Luxussachen, die er sich höchstens an Fest tagen erlauben darf. Günstiger steht man sich mit einem festen, vom Konsul beglaubigten Vertrag in Händen. Der ausgemachte Lohn sollte nie weniger als mindestens sechzig Dollar monatlich betragen, und ausserdem freie Hin- und Rückreise gewährleistet werden. Man ist in Mexiko gewohnt, an die Europäer grosse Ansprüche zu stellen. Jemand, der nicht mit der Feder um zugehen, die Untergebenen nicht zur Arbeit anzuhalten und sich in schwierigen Lagen nicht zu helfen versteht, wird dort als minder- werthig früher oder später über Bord geworfen. Gerade in der kleinen Industrie ist in Mexiko recht viel Geld zu verdienen, aber ich möchte nicht Der sein, der ohne Kenntniss der Person zu diesem Versuch räth. Es laufen hier Hunderte von Europäern herum, die alle etwas Tüchtiges gelernt haben. Ihnen fehlen aber die ge schäftlichen Scheuklappen; sie nörgeln, stöhnen und werden, trotz dem sie gute Arbeiter sind, überflügelt. Was junge Kaufleute betrifft, so ist es das Einfachste für mich, auf den kürzlich ausgestossenen Schmerzensschrei des hiesigen deutschen Hilfsvereins hinzuweisen. In diesem forderte er alle Konsulate auf, vor der Auswanderung nach Mexiko zu warnen, wenn der Betreffende nicht fest engagirt sei. Die hiesige ger manische Kolonie ist nicht sehr stark an Kopfzahl, besteht aber aus den auserlesensten Kräften, die unser Vaterland abzugeben hat. Sie ist eifrig bemüht, die hohe gesellschaftliche und ge schäftliche Stellung, die sie einnimmt, aufrecht zu erhalten, und schafft sogar auf ihre Kosten jedes schwarze Schaf nach den Ver einigten Staaten. In der überwiegenden Mehrzahl sind ihre Mit glieder auf demselben Wege nach Mexiko gekommen, und dieser ist für Alle, die dort ihr Glück versuchen wollen, der einzig richtige. Er führt durch die Kontore der Kommissionäre in den Exportplätzen, also über Hamburg, Bremen, Berlin, Leipzig, Rem scheid usw. Wenn im Kontor oder Lager eine Stellung zu besetzen ist, wenden sich die überseeischen Firmen an ihre Stammhäuser oder Einkäufer. Dann wissen sie, was und wen sie bekommen. Ahgeworben werden nur Solche, die eine gute Schulbildung ge nossen und in einer Provinzialstadt praktisch gelernt haben. Landsberg, Oldesloe, Perleberg, Lüneburg, auch Lübeck und Rostock liefern viele Ueberseeer. Söhne wohlhabender Eltern, die ein flottes Einjährigenjahr hinter sich haben, Kommis, die an gross städtisches Leben gewöhnt sind, oder Bankbeamte ohne Waaren- kenntniss bleiben unberücksichtigt. Ich glaube, in Meriko giebt es keine drei Berliner. Der prüfende Kommissionär weiss, wieviel auch für ihn von seinem richtigen Urtheil abhängt. Im ruhigen Verlauf des Geschäftsganges soll der junge Mann, der vor ihm steht, früher oder später in die Firma eintreten, der er, der Ein käufer, viele Tausende mit langem Ziel anvertraut; inzwischen hängt von der Tüchtigkeit des neuen Gehilfen ganz wesentlich die Vermehrung der Aufträge ab. Unter den Auserwählten hat sich hier wie überhaupt in Mittel und Südamerika ein eigener Korpsgeist ausgebildet. Denen, die auf »gut Glück« ankommen, ist das Heraufarbeiten sehr er schwert; selbst wenn sie Stellung finden, werden sie später leicht übergangen, da ihnen die moralische Unterstützung der kredit gebenden Europäer fehlt. Das Gehalt solcher Eindringlinge reicht kaum zum Lebensunterhalt aus; sie müssen froh sein, wenn sie 35 Dollar monatlich bekommen und als Packer eine schwere Lehr zeit durchmachen dürfen. Ohne gute Empfehlungsbriefe sind ihnen von vornherein alle Almacenas verschlossen, D.