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Ottendorfer Zeitung : 01.01.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-01-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190901013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19090101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19090101
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1909
-
Monat
1909-01
- Tag 1909-01-01
-
Monat
1909-01
-
Jahr
1909
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 01.01.1909
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Ruhlands auswärtige Politik. Endlich hat der russische Minister des An hem seine mit allgemeiner Spannung er wartete, schon lange angelündigte Rede über Ruhlands auswärtige Politik in der Reichs- dnma gehalten. Der Minister begann mit einer Darlegung der politischen Lage im fernen Osten und begrüßte das amerikanisch-javanische Ab kommen als ein neues, willkommenes Glied in der Kette der internationalen Verträge. Über das englisch-rvsstsche Abkommen, das eine not wendige und natürliche Ergänzung des russisch- japanischen bilde, wolle er nur sagen, daß es in den persischen Wirren bereits eine sehr ernste Prüfung überstanden habe. Mit tiefer Genugtuung stellte der Redner fest, daß seine auf Befestigung der Beziehungen zu Frankreich gerichteten Bemühungen von Erfolg gekrönt waren und Rußland und Frankreich in allen Fragen der Weltpolilik in voller Über einstimmung handelten. Das hinderte Ruß land aber keineswegs, auch zu andern Mächten freundschaftliche Beziehungen zu unterhalten und sich ganz und gar der Ansicht des Fürsten von Bülow anznschließen, daß die russische Politik keine Spitze gegen Deutschland richte, daß im Gegenteil zwischen Rußland und Deutschland die alten freundschaftlichen Be- ztehunaen gewahrt blieben. Er könnte auch die Versicherungen des Fürsten v. Bülow be stätigen, daß zwischen Rußland und England weder öffentliche noch geheime, gegen die deut schen Interessen gerichtete Abkommen beständen. Die jüngste Annäherung Rußlands und Italiens sei die natürliche Folge gemeinsamer Interessen beider Länder auf dem Balkan und der politischen und wirtschaftlichen Unabhängig keit der Balkanstaaten. Er messe der An näherung an Italien großen Werl bei und sei überzeugt, sie werde eine friedliche und ge rechte Lösung der auf der Tagesordnung stehenden wichtigen Fragen wesentlich fördern. Der Minister behandelte dann eingehend die Balkanstoge und betonte, daß auch aus der Balkanhälbinsel sich die Dinge offenbar günstig gestalteten. Die Stimme der russischen Gesell schaft fordere von der Regierung dringend einen Einspruch gegen die Übernahme Bosniens und der Herzegowina. Durch mancherlei Abkommen aus früherer Zeit aber sei die russische Diplo matie gegenwärtig in dieser Frage eingeengt. Unter solchen Umständen sei es nicht schwer, einzusehen, zu welchen für Rußland gefährlichen Folgen ein Protest geführt hätte. Einen Protest aber erklären, ohne die Absicht, ihn wenn nötig, mit den Waffen zu unterstützen, sei der größte politische Fehler, den er nicht habe begehen wollen. Wenn Rußland auch kein persönliches Recht habe, allein Einspruch zu erheben, so habe es doch das Recht, ja die Pflicht, auf das internationale Abkommen hinzuweisen, das die Lage Bosniens .bestimmt, auf den Berliner Vertrag. Trotzdem dieser eine gute Hälfte der Ergebnisse vernichtet Habs, die Rußland für die slawischen Völker erreicht hatte, habe es dreißig Jahre lang nicht daran gerührt. Wenn jetzt aber eine der Mächte sich entschlossen habe, eine Ab änderung eines für sie unvorteilhaften Artikels des Berliner Vertrages anzuregen, und Rußland das nicht verhindern könne, so falle ihm die moralische Pflicht zu, arrf andre Artikel des Vertrages hinzuweisen, die für Rußland unvorteilhaft und beengend seien, besonders aber für die Balkanstaaten und die Türkei. Deshalb sei für alle Mächte eine Konferenz notwendig. Er deutete au, daß L. rbien und Montenegro, sowie die Türkei irgend wie entschädigt werden müßten. Die Rede des Ministers trug ihm reichen Beifall ein. Die Duma sprach nach längerer Debatte der Negie rung ihr Vertrauen ans. Poitliicke Aun^lckau. Deutschland. * Halbamtlich wird bekannt gegeben, daß von einer Absage des Besuches König Eduards bei Kaiser Wilhelm in Berlin nichts bekannt ist. I *Das Gesetz über den unlauteren Wettbewerb, das gegenwärtig im Bundes rate beraten wird, bringt gegenüber dem Ge setze von 1890 nicht unwesentliche Änderungen. Durch das neue Gesetz sollen Nachschübe bei Ausverkäufen verhindert werden. Ausverkäufe werden nur dann gestattet, wenn sie durch be sondere Veranlassungen (Todesfall, Umzug usw.) berechtigt erscheinen. Es wird von dem Kauf mann, der einen Ausverkauf veranstalten will, verlangt, daß er eine Liste derjenigen Waren, die er dem Ausverkäufe zu unterstellen gedenkt, der Polizei überreicht. Letzterer soll ein Kontroll recht darüber zustehen, daß nicht mehr und nicht andre Waren ausverkauft werden, als der Be hörde angezeigt wurden. *Wie zuverlässig verlautet, ist dem neuen Versicherungsgesetz auch ein Gesetz über die zwangsweise Krankenversicherung der landwirtschaftlichen Arbeiter und Dienstboten angefügt. Es wird gehofft, daß die Krankenversicherung der Land arbeiter im günstigsten Sinne auf die Armen pflege auf dem Platten Lande einwirken wird. Die Witwen- und W a i s en v ersicherung ist in anbetracht der ungünstigen Finanzlage des Reiches ohne Staatszuschuß gedacht. Der Bedarf dieser Versicherung soll nur aus den Zollüberschüssen und den Beiträgen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgebracht werden, die zu gleichen Teilen erfolgen. Rentenberechtigt sind nur bedürftige Witwen. * Eine Konferenz der Führer der Berg arbeiter in Köln beschloß, im Januar n. einen Bergarbeite rkongreß in Berlin ab zuhalten. *Aus Anlaß der letzten Überfälle von Hottentotten auf Farmer in Deutsch-Süd- westafrika haben sich zwei Führer der Schutztruppe zu dem Hottentotten Simon Copper begeben, um noch einmal mit ihm wegen seiner Unterwerfung zu unterhandeln. Wie verlautet, befindet sich Simon Copper auf englischem Gebiet. Frankreich. *Die in der Kammer angekündigte Debatte über die M ar o kk o a n g e l e g e n h e it wurde bis zum Wiederzusammentritt der Kammer im Januar vertagt. Nach längerer Debatte wurde die von der Regierung eingebrachtc Vorlage betr. die Ver m ehrung der Artilleri e mit großer Mehrheit angenommen. Die Reor ganisation soll binnen zwei Jahren durchgesührt werden. Schweiz. *Jn St. Gallen hat sich ein Komitee ge bildet, das die Schweizer Müller dem nächst zu einer Besprechung einladen wird, um der Einfuhr deutschen Backmehls ein Ende zu machen. Belgien. *Die Zweite Kammer bewilligte die früher abgelehnte Forderung von 390 000 Gulden im Interesse einer würdigen Vertretung Hollands und seiner Kolonien auf der Brüsseler A >.i s st e l l u n g. Rufrkand. * Der Minister des Auswärtigen, Isw olSki, machte in der Duma ausführliche Mitteilungen über die auswärtige Lage und erhielt nach lebhafter Debatte ein Vertrauensvotum. *Jn Petersburg fand dieser Tage der erste jallrussische Frauen kongreß statt. ! Es wurde beschlossen, für das Frauen- Wahlrecht zu wirken. Balkanstaaten. *Jn dem Entwurf einer Antwort auf die türkische Thronrede wird an dem Verhalten der früheren Ratgeber des Sultans scharfe Kritik geübt. * Die Verhandlungen zwischen Österreich- Ungarn und der T ü rkei, die einen be friedigenden Verlauf zu nehmen schienen, drohen neuerdings- ins Stocken zu geraten, da Öster reich die Gewährung einer Geldentschädigung an die Türkei abgeschlagen haben soll. Es wird als nicht ausgeschlossen bezeichnet, daß hierdurch die Verhandlungen unterbrochen werden tonnten. Vermutlich ist die österreichisch- ungarische Negierung, die anfangs einer Geld ¬ entschädigung nicht abgeneigt zu sein schien, zu diesem Schritt hauptsächlich durch die Besorgnis bestimmt worden, daß weder das österreichische noch das ungarische Parlament eine Geldentschä digung für die Türkei bewilligen wird. Amerika. * Nachdem der bisherige Präsident von Venezuela, Castro, gestürzt ist, wird der Streit zwischen Holland und Venezuela sehr bald beigelegt werden. Die holländische Regie rung hat bereits Anweisung gegeben, daß die Kriegsschiffe in den venezolanischen Gewässern alle Operationen einstellen sollen. Aber nicht nur dieser Streitfall soll beigelegt werden, die neue Negierung in Venezuela wünscht mit allen Staaten, die Castro gekränkt und dem Lande auf das Staatsoberhaupt, äußerte der Täter: „Ich war schon lange mit dem Benehmen des Staatschefs unzufrieden. Endlich fand sich die ersehnte Gelegenheit, mich ihm vorzustellen. Ich will nun einmal keine Politik, die ich für un französisch halte. Wir müssen zu den guten Überlieferungen Frankreichs zurückkehren. Viel leicht hätte sich die Ausführung meines Planes noch verzögert, wenn nicht gerade in den letzten Tagen ein gewisses Ereignis meinen Ent schluß zur Reife gebracht Hütte." Im »ll- Vizepräsident Gomez von Venezuela. Die Abreise des Präsidenten Castro nach Berlin hat seinen Gegnern Gelegenheit gegeben, ihrem Un mut gegen den gefürchteten Diktator Ausdruck zu geben. Nachdem bekannt geworden war, daß Castro eine Verschwörung gegen den die Negierung führen den Vizepräsidenten Gomez .angezettelt hatte, setzte man ihn kurz entschlossen ab! Der neue Präsident Gomez ist europäcrlrenndlich und hat bereits Schritte unternommen, um Venezuelas internationale Streitig keiten zu schlichten. Hoffentlich zieht nun Ruhe in dem südamcrikanifchen Wetterwinkel ein, den Castro in unaufhörliche Wirrnisse gestürzt hat. verfeindet hat, in Freundschaft zu leben. Daher soll der neue Minister des Äußern, Dr. Paul, nach Europa fahren, um mit den Mächten direkt in Verkehr zu treten. Atan darf also hoffen, daß in dem amerikanischen Wetterwinkel endlich Ordnung, Ruhe und Frieden einkehren werden. Werfall auf Präsident HMeres. Am Morgen des ersten Weihnachtsfeierlages ist der Präsident der französischen Republik während seines Spazierganges in Paris von einem stellungs losen Kellner tätlich angegriffen worden. Präsi dent FaMres erhielt einen kräftigen Stockhieb, der ihn glücklicherweise nicht erheblich verletzte. Fallieres sank auf einen Sandhaufen nieder, er hob sich aber rasch und klagte über Schmerzen am Hinterkopf. Der Angreifer wurde von den zwei dem Präsidenten in einiger Entfernung folgenden Polizei-Inspektoren sestgenommen. Es ist der stellenlose Kellner Jean Mathis. Man fand bei ihm eine Medaille mit dem Porträt des Herzogs von Orleans und einen Beitrags schein, ausgestellt von einem der sogenannten gelben, der Regierung feindlichen Syndikate. Nach dem Angriff aus Fallieres rief der Täter: „Ich bin nicht bewaffnet, die Tat war nur ein Symbol. Ich wollte niemand ver letzen." — Soforr nach dem Bekanntwerden des Überfalles begab sich der deutsche Botschafter Fürst Radolin nach dem französischen Minister- Präsidium, wo er dem Kabinettschef seine Ent rüstung über den Überfall auf den Präsidenten und seine Sympathie für diesen ausdrückte. Alle andern Botschafter und Gesandten folgten bald dem Beispiel ihres Kollegen. Über die Beweg gründe zu seinem Aufsehen erregenden Überfall gemeinen gibt sich Mathis den Anschein, als wenn er ein geheimnisvoller Sendling sei. Der zurzeit auf dem englischen Schlosse Evers- Ham weilende Thronprätendent Herzog von Orleans ließ den französischen Journalisten, die seine Meinung über den Mathisschen Angriff auf den Präsidenten wissen wollten, erklären, daß er, nach den wenigen Andeutungen, die zu seiner Kenntnis gelangt seien, sich noch kein klares Bild des Vorganges machen könne. Daher sei es besser sür ihn, sich jeder Äußerung zu enthalten. Das Pariser Aktionsbnreau des Herzogs ist gegenwärtig ohne Leitung, d« der Direktor Bezine sich, wie angegeben wird, aus Familienrücksichten zurückgezogen hat. Bezine galt als Gegner der extremen Richtung, die unter den Anhängern des Königtums gegen wärtig die Oberhand gewonnen hat. Kelgien unä äer ^ongoltaat. Nach langwierigen parlamentarischen Kämpfen hatte die belgische Kammer mit großer Mehrheit die Übernahme des Kougostaates durch Belgien beschlossen und man durfte hoffen, daß diese peinliche Frage endlich erledigt wäre. Aber es scheint, als ob die Schwierigkeiten jetzt erst beginnen sollten. England, der alte Gegner der Schöpfung König Leopolds, erhebt Einspruch gegen gewiße Bestimmungen der neuen Ver fassung des Kongostaates. Schon in derThronreds war darauf hingewiesen worden, daß die Über nahme des Kongostaates nur unter gewissen Bedingungen gutgeheißen werden würde. Nun aber ist in den .Times' ein Artikel erschienen, mit Unterschriften aus allen Bevölkerungs- schichten Englands, worin gegen die bisherige Kongostaat-Regierung auss schärfste Einspruch erhoben und dieübernahme desKougostaates durch Belgien willkommengeheißen wird, jedoch mit folgender Einschränkung: „England hat die Pflicht, dafür zu sorgen, daß der Kongostaat künftig eine Verfassung erhält, die die Frei heit und die Menschenrechte der eingeborenen Bevölkerung ein für allemal sichert." Zu den Unterzeichnern gehören viele Oberhausmitglieder, Bischöfe, Abgeordnete, Gewerbetreibende, Han delskammer-Präsidenten und Leiter großer Zeitungen. Mehr noch, als dis Thronrede hat dieser Artikel in Belgien unliebsam berührt. Die belgischen Blätter erheben dagegen Einspruch, daß die Anerkennung der Übernahme des Köngostaaies von gewissen Bedingungen sb- hängig gemacht werden soll. England wisse sehr wohl, daß die Übernahme der Kolonie sich ; in der normalsten Weise vollzogen habe und allen Bedingungen auf das regulärste eitt- tpreche. England wisse serner, daß es ! wie alle übrigen Mächte lediglich von der Übernahme Kenntnis zu nehmen habe, denn England habe keine Sonderrechte am Kongs und keinerlei Einspruchsrecht, da Belgien avsolut die pom ehemaligen Kougostaat geschlossenen Verträge zu respektieren erklärt habe. Belgien könne keinerlei „Bedingungen" sür die Aner kennung der Übernahme der Kolonie zulasten, und in dieser Frage stehe das ganze Volk ge schlossen hinter der Regierung. Im Gegensätze zu der feindseligen Haftung Englands steht das Entgegenkommen Frankreichs gegenüber den belgischen Wünschen. Dem ,Echo de Paris' Molge sind die zwischen der französischen und der belgischen Regierung schwebenden Verhand lungen über das Vorkaufsrecht Frankreichs betr. den Kongostaat dem Abschlusse nähe. Nach dem neuen Abkommen, dessen Unterzeichnung bald ersolgen dürfte, behält Frankreich dieses Vorkaufsrecht für den Fall, daß Belgien eines Tages den Kongostaat aufgeben sollte. A Nemesis. 30! Kriminalroman von E. Görbi y. Durch das Gitter konnte Livia bemerken, daß ein junger Mensch aus dem Hause trat und sich der Straßenpforte, vor der sie stand, näherte. „Ne wünschen, Madame?" fragte der junge Mann. „Herrn Seligmann in Geschäften zu sprechen," antwortete Livia, „ist er zu Hause?" „Sind Sie allein?" Bei diesen Worten beugte sich der sunge Mann dicht an das Gitter und musterte die nächste Umaebung. Da er niemand bemerkte, Frau von Bettini auch seine Frage bejahte, so öffnete er die Gittertür, ließ die Dame eintreten und verschloß daun die Tür sehr sorgfältig wieder. Darauf ersuchte er Livia, ibm zu folgen und schritt mit ihr auf einem mit Bnchsbcmmhecken eingefaßten Mittel weg durch den vollständig verwilderten Garten dem Hause zu. Dasselbe befand sich in ebensolchem Zustande wie der Garten, in dem bochaufgeschossenes Unkraut jede Blumenkultur überwucherte und mehrere verkrüppelte Bäume mit teilweise ver trockneten Ästen den Eindruck des Verkommenen und Armseligen noch erhöhten. Aus dem Innern des Hauses, von dessen Außenwänden an vielen Stellen der Kalkputz abgefalleu war, erscholl das wütende Gebell eines Hundes, der die Annäherung eines frem den Menschen witterte. Trotzdem Livia eine sebr nintige nnd kecke Person war, die so leicht vor keinem Wagnis zurücksKreckte, so bebte ste doch zusammen, als dicht vor ihr, in der Haustür, eine kleine Klappe geöffnet wurde und in derielben ein larvenhastes gelbes Kestcht erschien, in dem zwei kleine, schräageichlitzte Augen funkelten, die sich mit durchbobrendem Ausdruck auf sie richteten. Diese Musterung ihrer Person mußte zu Seligmanns Zufriedenheit ausgefallen sein — das Mongolengesicht gehörte nämlich dem Wucherer au — denn die Hanstür wurde ge öffnet. Das Gebell der Dogge wurde zum Geheul. Zähnefletschend konnte die wilde Bestie kaum von Seligmann, einem alten, kleinen, sehr bäß- lichen Mann in geflicktem, unsauberen Schlaf rock, zurückgehalten werden, sich auf Livia los zustürzen. „Treten Sie noch nicht ein," warnte Selig mann mit heiserer Stimme, „ich muß erst meine Dogge einsverren, damit Sie nicht von ihr zer fleischt werden, sie duldet keinen Fremden im Hauie." Livia konnte sich eines Schauders nicht er wehren : ihr fehlte in diesem Augenblick vor Widerwillen und Furcht selbst das kleinste Wort zum Gruß. Der alte Seligmann zerrte den wütenden Hund, den er am Halsbande iesthielt. beiseite und schob ihn mit Aufbieten aller .Kräfte in! eine Seitenkammer, deren Tür er dann fest j zuklinkte. „So, meine Beste," wandte sich Seligmann! jetzt wieder an Livia, „nun können Sie berein- kommen nnd mich Ihr Anliegen wissen lassen." Frau von Bettini trat in den engen, halb- dunklen Hausflur. Die Dogge bellte hinter der geschloffenen Tür so gewaltig nnd kratzte mit ihren Pfoten dermaßen gegen die schwachen Bretter derselben, daß Livia unwillkürlich ibre Schritte beschleunigte, um aus dieser gefährlichen Näbe zn kommen. Als Seliamann dies bemerkte, rieb er sich vergnüat grinsen^ die Hände und sagte: „Glauben Sie mir, meine wertgeschätzte Dame, daß ich bei der heutigen Unsicherheit, die überall herrscht, keine Minnie ruhig sein könnte, wenn ich meine Bulldogge nicht im Hause hätte. Die nähme den Kamvf mit einer ganzen Bande aus und beschützt mich besser, als es ein halbes Dutzend handfester Dienstleute imstande lein würde." Dabei öffnete der alte Wucherer eine Tür aus der andern Seite des Flurs und ließ Frau von Bettini dort eintreten. Die durch Luxus und Wohlleben verwöhnte Frau sah sich jetzt mit geheimem Granen in einem Zimmer, das die größte Ähnlichkeit mit einer Gerängniszelle hatte Das einziae Fenster dieses Zimmers war mit starken Eisenstauaen versehen, die Wände waren mit Kalkfarbe gestrichen. Die Möbel dieses unheimlichen Raumes bestanden nur aus einigen Rohrstüblen nnd einem Tische aus Fichtenholz. Außerdem stand noch ein. Arm sessel mit zerlumptem Bezug am Fenster. Seligmann bot der Dame einen der Rohr stühle an nnd setzte sich selbst auf den bedenklich wackelnden Armsessel. Dann wagte er, worin er ihr dienen könne. Livia schlug ihren Schleier empor. „Ich habe gehört, Herr Seligmann," hob sie an, „das; Sie Geldgeschäfte macken!" Der Alte wiegte den Kopf, aber antwortete nicht: vorläufig überlegte er noch „Es ist natürlich," fuhr sie fort, „daß ich nicht gleich von Ihnen eins Zusage erwarten kann, da Sie mich ja garnickt kennen nnd mich heute Überbaum zum ersten Male sehen." Seligmann hatte inzwischen Livias Toilette gemustert; war dieselbe auch dunkel und ver- bältnismäßia emsach. ft- hatte sein Luchsangs doch ! aus der Nmbnllniig des schwarzen Paletot- § ärmels ein schweres aoldenes Arinband hervor- > blitzen sehen; das interessierte ibn mehr als Livias zauberische Schönheit, die ibn völlig i kalt ließ. „Hm," machte er ani ihre letzten Worte, > „ein kleines Geschäftchen weise ich nicht von der ! Hand, wenn mir Sicherheit geboten wird und ich dabei etwas verdienen kann " „Nm darüber näher zn sprechen, würde ich Sie um Jbren Besuch bitten: ich bin eine allein stehende Witwe und ganz unabhängig: Sie würden sich bei mir sehr bald davon überzeugen, daß Sie in mir eine sichere Kundin fingen könnten!" „Ich werde kommen, wenn ich mich auch zu nichts verbindlich mache," erwiderte Seligmann, bei dem die Habgier erwachte, „wollen Sie mir ; Ihre Adresse anvertrauen?" „Gewiß," sagte Livia, ichlug ihren Paletot j aus und zog aus der Kleidertasche ein Porte- monnaie bervor, dem sie eine Visitenkarte ent- nahm. Seligmann die Karte reichend, fuhr sie wieder rott: „Ich werde morgen den ganzen
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