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Beilage zn Rr. 83 der Sächsischen Elb Zeitung. Schandau, Sonnabend, den 16. October 1886. Zum deutschen Auswlttldcrrmqswcselt. Die Frage, ob und wie die Auswanderung aus Dculschland unterdrückt werden kann und darf, ist bei nnS nllmälich der anderen Frage gewichen, wohin der Strom der Auswanderer zn lenken und wie er ain besten nutzbar für das Mutterland zn machen sei. Selbst auf Seiten der Anhänger des an nnd für sich ja sehr lvbcnöwcrthcn Satzes: „Bleibe im Lande und nähre Dich redlich", kommt man mehr oder weniger zn der Erkenntniß, daß die gcsammtcn Erwcrbövcr- hültnissc, wie sie sich hcntznlage gestaltet haben, und das fortschreitende Anwachsen der Bevölkerung in Deutschland schon de» bloßen Bcrsnch, den Strom der AnSwandcrer zn hemmen, nicht mehr gestatten und cd bleiben nur »och die Erörterungen darüber übrig, in welche Bahnen derselbe am besten zu lenken sei. Eö ist wohl kein Zweifel, daß die Ncichörcgicrnng, als sic die Initiative zn einer energische» »nd ziel- bewußten Colonialpolitik ergriff, hierbei auch von dem Bestreben mitgclcitct wurde, den deutschen Auswan derern in Znkunft ei» ausgedehntes Gebiet zu eröffnen, wo sic nicht, wie dicö bisher so oft der Fall war, dem Mutterland«: verloren sein würden. Aber freilich, für jetzt ist der Stand der dcnlschcn Colonialnntcr- »chinnngcn noch nicht geeignet, die sich nach dieser Nichtnng hin bewegenden Hoffnnngcn so bald zu ver wirklichen; denn wen» anch nicht gcläugnct werden kann, daß sich namentlich in den Besitzungen der dcntsch-oslafrikanischcn Gesellschaft für die Gründling deutscher Ackcrbancolouicn ein großes Feld eröffnet, so stehen daselbst znr Zeit wenigstens einer nnögcdchn- tcn Colvuisirnng noch inannichfachc Hindernisse entge gen. Nach welchen Ländern soll nun aber der Strom der deutschen Auswanderer gelenkt werden, wenn man will, daß sich dieselbe» auch fern vo» der Hcimnlh nicht mir deren Sprache, nicht nur daö ganze deutsche Denken, Wese» nnd Fühlen möglichst erhalten, sondern daß sie auch iu engen Wechselbeziehungen mit der hci- malhlichen Industrie und dein hcimalhlichcn Handel bleiben? Nnn, diese Frage ist nicht so schwer zu bcnntwor- teil, als mau meinen sollte. Daß die Vereinigte» Staaten von Nordamerika nicht das Land sind, wo der dcnlschc Auswanderer, trotz aller günstigen Ver hältnisse, die er hier sonst vorfindcn mag, im Stande wäre, in engster Fühlung mit der Hcimctth zn bleiben, ist gcnngsam bekannt; tansciidc von Beispielen lehren, daß daselbst daö dcnlschc Element von dem Nankcc- Ihnni mehr oder weniger anfgcsogcn wird. Dafür gicbt cs aber in der Renen Welt andere Hinnnclö- strichc, welche geeignet erscheinen, den Ucbcrfluß der Bevölkcrnng Deutschlands sowohl den Auswanderern selbst wie dem Mnltcrlandc znm Heile aufzunchmcn — dnS sind die gemäßigteren Gegenden Süd Amerikas, spccicll das südliche Brasilien. Den besten Beweis, wie gerade hier ein fruchtbarer Boden für das Gc» deihcn dcö deutschen ElcincuteS besteht, liegt wohl iu dem Emporblühcn der iu den südbrasiliauischcn Pro vinzen Rio Grande do Snl nnd Santa Catharina be stehenden dentschen Ackerbau Colonien, von denen manche schon dreißig nnd mehr Jahre cxistircn. Hier ver einigen sich ein mildes, gemäßigtes Klima, ein ünßcrst fruchtbarer Boden, ein weitverzweigtes Flußnetz nnd schließlich anch die liberale Fürsorge der brasilianischen Negierung, welche namentlich die Anlcgnng zahlreicher guter Straßen ermöglichte, nm gerade dem dentschen Colonistcn alle Bedingungen zn seinem Forkonuncu zn bieten. Heute leben in diesen Provinzen etwa 10000 Deutsche der verschiedensten Stämme in bester Ein tracht neben einander; cs ist in der That ganz augen scheinlich, wie die von ihnen besiedelten Ansiedelungen gedeihen. Die mannichfaltigstcn Bodcnprodnctc wer den daselbst gebaut. Daö Zuckerrohr wie die Tabak- pflauzc, der Kaffee, wie die mehlreichc Maniokpflauzc, Arrowroot, Batate», Bn»auc», Aunuaö, Mais — Alles kommt vorzüglich fort und der Ncichthuiu wie die Mannichfaltigkcit dieser ihrer Bodc»crzcnguissc haben den deutsche» Colonien in Südbrasilicn in wei tem Umkreise eine hohe Bedeutung verschafft. Handel nnd Gewerbe blühen in demselben kräftig empor, daö geistige Leben steht ans einer hohen Stnfe der Ent wickelung und was die Hauptsache mit ist, Alles trägt de» Charactcr unverfälschten DcntschthumS in jeder Beziehung. Noch gicbt cs in den Colonien Blumenau, Dama Francisca u. s. w. tausende von Ackern des herrlichsten, jnugfränlichcn Bodens, die unr der Urbarinachung durch die kräftigen nnd fleißigen Hände deutscher Cvlo- nisten harrcu. Hier ist noch Platz für hunderttanseudc, denen die Hcimnlh kein Fortkommen mehr gewahrt und hier finden die dentschen Auswanderer sofort den engsten Anschluß an das daselbst schon ansässige deutsche Element, so daß nicht zu befürchte» steht, daß jene heimische Weise und Denkart verloren gehen könnten, wie dicö von den Deutschen im Anölaude sonst leider zn oft gesagt werden mnß. Ta ,qes § es ch i ch t e. Sachfett. Die Ernte dcö Erzgebirges wird die ses Jahr als eine im Allgemeinen sehr günstige be zeichnet. Anch in den höchstgclcgcucu Gegenden ist sic überall recht gnt ausgefallen. Mit besonderer Be friedigung blickt der Erzgebirgen auch auf die guten Ergebnisse der jetzt im vollen Gange befindlichen Kar toffelernte. Ist doch das Gedeihen dieser Frncht für jene Gegenden geradezu eine Lebensfrage. Daö „Grcuzblatl" schreibt- Gegenwärtig birgt SanpSdorf eine» kleinen, aber unerschrockenen Rei senden: einen Australier. Derselbe trat, erst 7 Jahr alt, Milte August mit einem englischen Postschiff diese circa 2 Monate dancrndc Reise an und traf vorige Woche gesund nnd munter über London in Dcnlsch- laud ei». Er wird zunächst bei seinem Onkel, einem Kgl. Grcnzbcamtcn, längeren Aufenthalt nehme», »m der dcntschc» Sprache mächtig z» werde». Die feierliche E»thüll»»g der vom Verein deut scher Uhrmacher in London dem Andenken M. Groß- maiin'ö gewidmeten Gedenktafel fand am 11. Octobcr in Glashütte vor dem Cötns der Uhrmachcrschnlc und in Gegenwart des Aufsichtörathcö dnrch de» Vor sitzende» dcssclbc», Herr» Uhrenfabrik»»! E. Lange, im Lchrsaalc der Schule in einfacher, aber würdiger Weise statt. Die Tafel ist ans schwarzem Marmor kunst voll gearbeitet nnd an geeigneter Stelle im Lchrsaalc angebracht. In arge Verlegenheit kam am Sonntag ein Braut paar zn Dippoldiswalde, daö in bekränztem Wagen znr Trauung fuhr, dabei aber uutcrlasscn hatte, ein vom Staudcsamtc noch verlangtes Papier zn beschaffen. Da nun selbstverständlich weder die Civil-, noch die kirchliche Trauung unter bewaudten Umständen statt- finden konnte, mußten die Brautleute sammt Begleit ung unverrichteter Sache wieder hcimkehren. Der znm ehrenden Andenken an den Bnrgcrmstr. Hirschberg im Stadtpark zn Meißen errichtete Denk stein wurde am Donnerstag der Ocsfcutlichkcit in wär. digcr Weise übergebe». Die beiden iu der Nacht zum 8.' d. M. aus einem Quartiere in Lausigk entführte» Militär-Ncmonte- pfcrdc sind am folgenden Tage ans einer Wiese in der Nähe von Grvßbardan bei Grunma, woselbst sic rnhig grasend verweilten, von einem Großbardaucr Einwohncr aufgcgrifscn und dnrch den Gcmeindcvor- stand an daö Hnsarcn-Ncgimcnl nbgelicfert worden. Von den Thätcr» hat man jedoch noch keine Spnr auffindcn können. Akan vcruutthct, daß die Entführ ung dcr Thicre ein Rache-Act oder cin Schabernack ist. Der Freiberger Socinlistcnproceß gelangte am Montag vor dem dritten Strafsenat dcö kaiserlichen Reichsgerichts in Leipzig znr Verhandlung. Die zweite Fcricnstrnfkammcr dcö Kgl. Landgerichts zn Freiberg hat bekanntlich am 4. Angnst d. I. nach einer voranfgegangcncn dreitägigen Verhandlung die Neichötagönbgcordnctcu v. Vollmar, Bebel und Gc- uosscn dcr Theilnahmc an einer geheimen Verbindung im Sinne deö Z 129 des Strafgesetzbuchs für schul dig crachtct und deshalb v. Vollmar, Bebel, sowie die Rcichstagöabgcordncteu Auer, Frohmc und Viereck und den hessische» Landlagöabgcord»ctcu Ulrich zn je neun Monate» nnd den NcichSlagsabgcordnctcn Dietz, den Gastwirt!) Müller (Darmstadt) nnd den Schnei der Hcinzcl (Kiel) zu je sechs Monaten Gcfüngniß vcrnrthcilt. Gegen dieses Urtbeil hatten die Ange klagten Revision eingelegt. Dieselbe ist vom Reichs gericht verworfen worden. — Bekanntlich wurden im Lanfe voriger Woche in Leipzig einige Handclölcntc auö Russisch-Polen we gen dringenden Verdachts der Vcrübnng von Diebe reien bezw. Betrügereien polizeilich verhaftet nnd nach mals an die Königliche Staatsanwaltschaft abgclicfcrt. Wie das „Lcipz. Tagcbl." jetzt erfährt, haben die stattgcfnndcnc» Erörterungen nicht hinreichendes Ma terial znm Strafverfahren geboten, die Ervrtcrnngcn sind vielmehr wieder eingestellt worden. Eine arge Thicrguälcrci ließ sich in Zwickan ein Maurer bei Zubereitung seines SounIagöbrntcnS zu Schulden kommen. Derselbe schlachtete nämlich cin Kaninchcn, hing cö lebend ans und versuchte ihm so daö Fell abzuzichcn. Ans daö Geschrei dcö Thicrcs kam cin anderer Bewohner desselben Hanfes herbei nnd veranlaßte die sofortige Tödtnng dcö gcgnältcn ThicreS. Dcr Thiergnülcr wurde angezcigt. Bayer». Der Besuch dcr baherrischc» Königö- schlöstcr ist ciu so bedeutender gewesen, daß die Ein trittsgelder an 200 000 Mk. ergeben haben. In Oesterreich ist die Durchfuhr deö in Dculsch land bestellten bulgarischen Kriegsmaterials verboten. Krupp, Grnsou nnd die Rottweiler Pulverfabrik sind in großer Verlegenheit. Die Belästigung der dcnlschcn Industrie ist um so uucrklürlichcr, als kein anderer Staat derartige Schwierigkeiten macht. Uttgarn. Die Zahl dcr Cholcracrkranknngcn in Budapest rapid gestiegen. Vom 11. bis 12. d. kamen 34 Erkrankungen und 0 Todesfälle vor, also um nahezu 20 Erkrankungen mehr als am 11. d. Italien. Die Cholera schreitet in Nom be denklich fort; seit dem 10. Octobcr 14 Erkranknngö- nnd 5 Todesfälle. Bulgarien. Sofia. Von 590 Dcpntirlcn gehören 490 dcr Ncgicrnngsparlci an darunter sämint- lichc in Ostrumclic» Gewühlte; 20 sind Anhänger Znnkow'S, nnd 15. Anhänger Karawcloff'ö. Infolge dieses günstigen Ergebnisses dcr Wahlen veranstalte ten die Wähler von Sofia am Montag Abend ciu Volksfest, wobei dcr Ncgicrmig zahlreiche Huldiguu- gcu dargcbracht wurden nntcr dcr Actonnng man möge an dcr Freiheit nnd Unabhängigkeit Bulgariens- fcsthalten. Die große Sobranje soll in Tagen nach Tnruowa cinbcrnfcn werden. Spaniel». Der Priester Galcoti ist wegen Er mordung des Erzbischofs von Madrid znm Tode vcrnrthcilt worden. Feu i lleton. Auf den Wogen des Lebens Ueucllc »ou L. Zchtcgcl. (Nachdruck verboten.) (Schluß.) Sicbcnzehnteö Kapitel. Eö ist später Abend, ringsnm Stille dcr begiiineu- dcn Nacht. In dcm dürftigen Stübchen Elisabcth'ö aber herrscht eine unheimliche Stimmung. Zwischen ihr und dem Gatten war nach vorangcgangencm Streit daö furchtbare Wort gefallen, welches Mann nnd Weib trennt. Jetzt kniete die junge Frau vor dcm Knaben nnd schnürte dessen Schuhe. Händeringend trat Hedwig herzu, bleich, verstört. „Und wo soll ich hin, Dn gehst?" fragte sie bebend. „Hinaus in die Nacht — wie ich! gehe zn Deinem Vormund, er muß Dich aufuehmcn." Hubert legte seine Hand ans die Kuiecudc. „Elisabeth," sagte er weich, „halt ciu; barmherzi ger Gott, ich hatte mich vergessen. Was soll auö mir werden, wenn Dn mich verläßt?" „Waö Dn bist!" erwiderte sic herb, „cin Müßig gänger!" „Halt cin nnd sprich nicht so schwere Worte. Meinst Dn, cs sci cin Vergnüge», a» den Straßen ecke» z» stehen und nicht zn wissen, wo Brod hcruehmcn? Gott weiß, wie ich mich guälc Tag für Tag." Es ist keine Quälerei, die cin Commissionär voll bringt. „Warnm arbeitest Dn nicht, wie ein ehr licher Mensch? nimm die Axt, wenn cs scin mnß — aber arbeite!" „Dn verlangst doch nicht, daß ich Kncchtcsdienstc verrichten soll? vergißt Dn, wer ich bin?" „Glaubst Du, Verblendeter, die Menschen würden Deine Kucchtcsarbeit mehr verachten, als Deinen vor nehmen Müßiggang? wir vergehen im Elend, nnd Du weigerst Dich, für unö zu sorgcu!" „Ich habe bis jetzt noch immer gesorgt!" „Nein!" rief Lisbeth, „daö nenne ich nicht sorgcu! Durch Dcinc Schlauheit entlockst Du Andern daö Geld anö dcr Taschc — davon leben wir! Dn hast die Deinen in letzter Zeit von ehrlichem Verdienst nicht ernährt, die Gesellschaft, in welcher Dn Dich bewegst, verdirbt Dich; ich aber denke zn redlich nnd kann Dein Weib nicht bleiben. In furchtbarer Erregung griff die Sprechende nach Tnch nnd Hnt; der Gatte tritt verzweifelt vor die Gehende und ein erschreckender Ausdruck lag in seinem Gesicht. „Nnr »och einmal höre mich, nur diese Nacht noch — ich beschwöre Dich! gehst Dn aber — so nimm anch meinen Tod ans Dein Gewissen." Tiefe Blässe bedeckte Elisabcth'ö Antlitz; mit dnmpfcm Lante entließ sic daö Kind vom Arme, Hnt und Tnch lcgtc sie bei Seite. Stumm kleidete sic den Knaben aus und sah dcm Maune iu'S Angesicht — aber ihre Blicke waren todt. — Hubcrt'S erster Gang am anderen Morgen war zn Gustav. Diesem offenbarte er scin Leid und bat nm Anstellung nntcr jeder Bedingung. Dcr Bruder em pfing diesen Entschluß mit Freuden nud versprach, sogleich zu sorgen. Voller Hvlfnnng kehrte der Verirrte nach Hanse znrück und überbrachlcjdicfc Znsagc. Sic hob wohl daö Hanpt, doch die Gesichtszügc schienen wie aus Steiu gemeißelt; vou Thrcmcu überwältigt sank der Gatte zu Füße», hastig ergriff er die kleinen Hände,