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,X; 137, 15. Juni 1922. Redaktioneller Teil. Meißner faßt die Aufgaben der wirtschaftlichen Fachpresse in drei Hauptpunkte zusammen. Die Fachzeitschriften, sagt er, sollen erstens die Interessen des von ihnen berührten Wirtschafts zweiges nach jeder Richtung hin wahren, zweitens die Behörden, Korporationen und Einzelpersonen auf die Verhältnisse, auf die vorliegenden wirtschaftlichen Fragen und Sorgen der betreffenden Branche aufmerksam machen und drittens dem von ihnen vertre tenen Fach Ansehen und Geltung im In- und Auslande zu ver schaffen und so gleichzeitig den Zweck eines Berufs- und Standes- organs zu erfüllen suchen. Das Fachblatt unterrichtet nicht bloß seine Leser über die Fortschritte seines Gebietes, sondern es stellt auch eine geistige Verbindung zwischen ihnen her, auch wenn es nicht, was häufig der Fall ist, gleichzeitig ein Vcreinsorgan ist. Letzteres ist übri gens ein wirksameres Band als Versammlungen und Kongresse, und mancher Verband erweist sich nur durch seine Zeitschrift als lebenskräftig. Viele Zeitschriften sind für ihre Leser, mögen sie Kaufleute oder Techniker, Handwerker oder Landwirte sein, ein wirkliches Bildungsmittel, das ihnen um so unent behrlicher ist, je dürftiger der Inhalt vieler Tageszeitungen namentlich seit dem Weltkrieg geworden ist. Wenn Meißner noch vor 15 Jahren schreiben konnte, das geistige, wirtschaftliche und technische Niveau der Fachpresse sei dem der Tagespresse min destens gleichwertig, so würde er heute sicher sagen, es sei dem vieler Tageszeitungen überlegen, denn diese füllen den größten Teil ihres Raumes mit ödem politischem Gezänk, unbedeutenden Lokalnachrichten, Sport- und Kinoberichten, während sie für all gemein bildende Beiträge angeblich keinen Platz haben. Or. Hermann Diez hat hauptsächlich die b e l l e t r i st i s ch c n Zeitschriften im Auge, wenn er schreibt: »Im ganzen ge hören die Zeitschriften in ebenso hohem Maße wie die Zeitungen zu den untrüglichen Kulturmessern. Ihr Leserkreis ist nicht so groß, umfaßt aber alle für den Stand und die Entwicklung unseres Kulturlebens bedeutsamen Elemente, und das Gesamtbild der Gegenwart spiegelt sich in den Zeitschriften klarer, ruhiger und einwandfreier als in den Blättern, die von jedem Windhauch des Tages bewegt und von jeder leisen Erregung getrübt werden. Während z. B. der Zeitungsroman betrübend oft mit Absicht schlecht gewählt wird, weil ein literarisch höher stehendes Werk der Erzählungskunst das Zerrissenwerden in Tageszeitungen meist nicht verträgt, repräsentiert der Roman der Zeitschrift im allgemeinen den guten Durchschnitt der Produktion — bis zu ihren besten Werken hinauf. Auf einer bemerkenswert hohen Stufe stehen im allgemeinen auch die populärwissenschaftlichen Essays, zumeist aus dem Reich der Technik und der Naturerkenntnis, und die fast immer reich und trefflich illustrierten Schilderungen aus Natur- und Menschenleben, aus Heimat und Fremde, aus dem Reich der Arbeit wie aus dem des Lebensgenusses. In den Bilderbeilagen kommen die ungeheuren Fortschritte zum Ausdruck, die namentlich auch die graphischen Künste in den letzten Jahren gemacht haben, und der ungeheure Vorteil, der allen Forschungsreisenden von größerem oder kleinerem wissenschaftlichen Ernst aus der Ent- Wicklung der photographischen Kunst erwachsen ist. Jeder Fort schritt der Menschheit auf irgendeinem Gebiet des Lebens oder des Wissens findet in Wort und Bild unserer Zeitschriften unver züglich liebevolle Beachtung; mag es sich um bemerkenswerte Ausgrabungen oder neue Heilmethoden, um Kometenerscheinun gen oder die Fortschritte der Luftschiffahrt handeln, die Zeitschrift trägt Anschauung und Verständnis des Errungenen innerhalb weniger Wochen in alle gebildeten Kreise unseres Volkes-*). Der phantasievolle französische Journalist Commerson grün dete 1843 mit 40 Franken in der Tasche die humoristische Zeit schrift »Tintamarre-. Das Blatt gefiel und fand so viele Leser, daß der Herausgeber es auch für die Reklame ausnutzte. Er stellte Anzeigen auf die erste Seite und fügte allerlei Witze hinzu. Das war ein neues Reklameverfahren, dem das Blatt dann lange Zeit seinen geschäftlichen Erfolg verdankte. Heute ist es natürlich nicht mehr möglich, eine Zeitschrift mit so geringen Mitteln zu gründen. Aber Geldgeber lassen sich immerhin finden, wenn jemand eine wirklich gute neue Idee hat. *) Das Zeilungswesen. Leipzig, Teubner, 181Ü. S. 7Y sf. Originelle Pläne sind jedoch selten, und da es bereits für alle Ge- biete eine Menge Zeitschriften gibt, so haben alle Neugründungen mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, und viele gehen schon nach einiger Zeit wieder ein, weil der erwartete schnelle Erfolg ausblcibt oder die Geldmittel zu Ende sind. Während bei den politischen Zeitungen ein großer Teil der Ausgaben durch die Einnahmen aus dem Anzeigenteil*) gedeckt werden muß, ist bei den Zeitschriften das Verhältnis im allgemeinen etwas günstiger. Wenigstens gab es früher und gibt es auch jetzt noch Zeitschriften, bei denen der Bezugspreis nicht in einem so auffallenden Mißverhältnis zu den Leistungen steht wie bei Tageszeitungen. Es gibt aber auch Zeitschriften, die an Text so viel bieten, weil sie eben auch einen ergiebigen Anzeigen teil haben. Das kommt ganz auf den Charakter des Blattes an; es gibt Zeitschriften, di« einen großen Anzeigenteil haben köiuicn, aber auch andere, bei denen diese Möglichkeit einfach ausgeschlos sen ist. Darnach macht der Verleger von vornherein seine Berech nung, und wenn sich seine Erwartungen nicht bloß bei der Abon- nentenzahl, sondern auch beim Auzeigeugcschäft erfüllen, so erhöht er dafür auch die redaktionellen Leistungen: andernfalls sucht er an diesen zu sparen, und damit ist dann häufig auch der Nieder gang des Blattes besiegelt. Wer also einer Zeitschrift ein Inserat gibt, möge nicht etwa denken, das sei reiner Gewinn, der dem Verleger in die Tasche fließe, da derselbe sein Blatt ja doch ohne hin erscheinen lassen müsse. Ost genug kommt der ganze Ertrag aus dem Anzeigenteil dem Inhalt der Zeitschriften zugute, und da dadurch deren Verbreitung und Wertschätzung wächst, so ist cs klar, daß auch eine Interessengemeinschaft zwischen dem Blatt und dem Inserenten besteht. Einsichtige Geschäftsleute sehen die ses auch ein und sind deshalb im Abschluß von Anzeigen nicht kleinlich, sofern sie wissen, daß es eine aus solid« Grundlage aus gebaute Zeitschrift ist. Was nun die Anzeigen selbst betrifft, so sind sie je nach der Art der Zeitschrift sehr verschieden. Eine vornehme Monats schrift hat zum großen Teil ganz andere Anzeigen als ein volks tümliches Familienblatt und dieses wiederum ganz andere als ein rein technisches Fachblatt. Bei einer Monatsschrift kommen schon eher Luxusartikel in Betracht als bei einer einfachen Fami- lienzcitschrift, in der neben Gebrauchsartikeln die Personal anzeigen, namentlich Stellenangebote und Stellengesuche für Dienste häuslicher Art vorwicgen. Eine Zeitschrift, die jährlich Tausende solcher kleinen Anzeigen bringt und dadurch die Ver mittlung zwischen vielen Tausenden Leser in den verschiedensten Teilen Deutschlands und zum Teil auch des Auslands übernimmt, spielt dadurch eine Rolle, wie sie keiner anderen Einrichtung im Staate eigen ist. Bei den Fachblättern unterscheidet man zwei große Gruppen von Anzeigen: geschäftliche und persönliche. Die geschäftlichen betreffen den An- und Verkauf von Waren, Rohstoffen, Halb- sabrikaten und Fertigerzeugnissen, Maschinen, Geräten, Appa raten, auch Wohl ganzer Fabriken und sonstiger Unternehmungen. Welche Massen von Waren auf diesem Wege umgesetzt werden, entzieht sich jeder Berechnung. Jedem Einsichtigen aber ist es klar, daß der Anzeigenteil längst ein unentbehrliches Mittel des volkswirtschaftlichen Lebens geworden ist. Die sogenannten Offertenblätter, die früher nur Anzeigen enthielten und unentgeltlich an Interessenten verschickt wurden, sind, soweit ich sehe, von der Bildsläche verschwunden, nachdem einzelne Verleger ein glänzendes Geschäft damit gemacht hatten. Die meisten haben sich dazu bequemt, wenigstens etwas Text aufzunehmen, der allerdings häufig dürftig genug ist, und haben auch einen Abonnementspreis eingesührt. Gute Zeitschriften, die sich auf die Dauer halten wollen, müs sen für Redaktion und Mitarbeit je nach ihrer Bedeu- tung ansehnliche Summen aufwenden. Dadurch bieten sie man- chem Berufsschriststeller wie auch manchem Fachmann ein Einkom, men oder wenigstens eine ansehnliche Nebeneinnahme. Bei reinen Fachblättern aber ist der ideale Gewinn, den sie z. B. Technikern, *) Vgl. meine Abhandlung: Die Entwicklung des Anzeige- »nd Reklamewesens ln den Zeitungen in der früher erwähnten Kochschrn Festschrift iS. 201—LSS). »53